Postkolonialer Blödsinn

Warum, so haben wir uns gefragt, soll es unseren Lesern besser gehen als uns? Wir haben keine Antwort, die uns an dem hindern würde, was wir nun zu tun im Begriff sind, ganz linear und in zeitlicher Abfolge, gefunden.

Das habt Ihr nun davon.

Maria do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan haben im Transcript-Verlag, eine Art Verlag für esoterische Texte, ein Buch mit dem Titel „Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung“ veröffentlicht bekommen.

Lassen Sie sich nicht durch den Titel täuschen.

Prof FacepalmDas Buch enthält keine Theorie, denn Theorien leben davon, dass man sie empirisch testen kann und auch empirisch testet. Das Buch enthält vielmehr eine Ansammlung von Erzählungen der Autoren, die nacherzählen, was andere erzählt haben, die ebenfalls schon keine Ahnung hatten, warum sie das, was sie da erzählen, also behaupten, mit Argumenten belegen und prüfbaren Hypothesen über die Folgen aus der Erzählung für die Empirie nachvollziehbar machen sollten. Das Buch ist insofern eine Art „oral tradition“, in dem mystische Geschichten erzählt werden.

Das Buch ist auch nicht kritisch. In dem Kreis, in dem do Mar Castro Varela und Dhawan verkehren, besteht Kritik darin anzugeben, ob einem die Erzählung, die ein anderen zum Besten gegeben hat, gefällt oder nicht. Kritik besteht nicht darin, anhand nachvollziehbarer und prüfbarer Kriterien zu zeigen, dass Aussagen, die sich als Konsequenz einer allgemeinen Aussage ergeben, falsch sind oder darin, auf logische Widersprüche hinzuweisen. Derartige Tätigkeiten, die Wissenschaft konstituieren, werden im Rahmen postkolonialer Theorie, wie sie die Autoren darstellen, als Überreste des westlichen Kolonialismus angesehen. Noch einmal deutlicher: Vernunft und Rationalität werden explizit als hegemoniale Praktiken eines westlichen Kolonialismus gebrandmarkt.

Eigentlich sollte man die beiden Autorinnen, die so wenig Wert auf Rationalität und Vernunft legen, dass sie beides als kolonialistische Normen ablehnen, nunmehr ihrem Schicksal überlassen. Vielleicht findet sich ja der ein oder andere Afrikaner, der es mehr als ärgerlich findet, von zwei gelangweilten Westlern, die nichts mit sich anzufangen wissen, als irrationaler, vernunftloser Instinkthaufen angesehen zu werden.

Aber die Wartezeit gönnen wir do Mar Castro Varela und Dhawan nicht. Deshalb hier ein paar Schmankerln zum Genießen, kommentierte Schmankerln natürlich:

“Postkolonialismus kann dabei nicht einfach als etwas gedacht werden, dass [die Unterscheidung zwischen Konjunktion und Artikel wird von den Autorinnen offensichtlich als Sinnbild eines rational vernünftigen Kolonialismus‘ abgelehnt] nach dem Kolonialismus eingetreten ist, sondern muss als eine Widerstandsform gegen die koloniale Herrschaft und ihre Konsequenzen betrachtet werden. Anstatt also Geschichte als lineare Progression zu betrachten, wendet sich die postkoloniale Theorie den Komplexitäten und Widersprüchen historischer Prozesse zu“.

post-it
Widerstand gegen das it!

Post meint also nicht mehr nach, sondern Widerstand. Post-Kolonialismus ist also Widerstand gegen den Kolonialismus. Nicht, dass dieser Widerstand den Kolonialismus zeitlich voraussetzen würde. Nein. Das wäre ja post, also post im eigentlichen Sinne von „nach“. Nein. Kolonialismus ist in seiner Komplexität und in seinen Widersprüchen, die irgendwie in einer nichtlinearen Welt vom Himmel fallen, einfach so gegeben. Boom, da ist er, der Kolonialismus. Nicht, dass ihn jemand als lineare Progression auffasst, als etwas, das auf etwas getroffen ist, was vorher da war, dieses etwas verändert und Folgen produziert hat. Nein. Der Kolonialismus ist als historischer Prozess keine lineare Progression, in der etwa 1886 auf 1885 folgt. Der Kolonialismus ist komplex und widersprüchlich, weit weniger widersprüchlich als der postkoloniale Blödsinn, den wir gerade zitiert haben, aber immerhin – oder so.

Weiß jemand, wie man einen Widerspruch in nicht linearer Progression findet? Also einen, bei dem der Widerspruch sich nicht daraus ergibt, dass Satz B, der Satz A zeitlich nachfolgt (in linearer Progression) demselben widerspricht? Wenn es jemand weiß, er möge uns erleuchten, damit wir die Komplexität und Widersprüchlichkeit, nicht-linearer Widersprüche erkennen können.

Vermutlich sind unsere Verständnisschwierigkeiten, die uns das Buch von do Mar Castro Varela und Dhawan als postkolonalistischen Blödsinn bewerten lassen, darauf zurückzuführen, dass wir nur in linearer Progression, also von links nach rechts und von oben nach unten und in der Aufeinanderfolge der Worte zu lesen im Stande sind. Würden wir von rechts nach links lesen oder von unten nach oben, dann würde der lineare Blödsinn vielleicht zur nicht-linearen Sinnhaftigkeit:

zu Prozesse historischer Widersprüche und Komplexitäten den Theorie postkoloniale die sich wendet, betrachten zu Progression lineare als Geschichte also anstatt“.

Klingt irgendwie sinnvoller, wenngleich die Komplexität des Satzbaus das Verständnis erschwert… Machen wir derweil linear weiter:

“Zudem ist der Prozess der Dekolonisierung ein kontinuierlicher, der sich jedoch nicht als fortschreitend darstellen lässt“.

Der Text von Castro Varela und Dhawan ist ein kontinuierlicher Anschlag auf den normalen Verstand. Damit dieser kontinuierliche Anschlag nicht zu fortschreitender Debilität führt, zumal letztere als ursächlich für kontinuierlichen kognitiven nicht-Fortschritt anzusehen ist, empfehlen wir, den zitierten Satz gleich in die Kategorie „Blödsinn“ einzuordnen, dahin also, wo er hingehört.

“Die koloniale Diskursanalyse als wichtiger Teil postkolonialer Theorie repräsentiert einen neuen Weg, Kolonialgeschichte zu lesen, werden hier doch sowohl kulturelle als auch ökonomische Prozesse als die bedingenden Formationen des Kolonialismus betrachtet“ (17).

Es ist in der Tat neu, dass man eine Methode als Teil einer Theorie verkaufen will. Normalerweise macht eine Theorie Aussagen über Zusammenhänge in der Wirklichkeit, während eine Methode dazu da ist, die entsprechenden Aussagen zu prüfen. Wenn also eine Theorie aussagt, dass man mit Glycerinnitrat durchschlagende Erfolge im Bergbau erzielen kann, so ist es die Aufgabe einer entsprechenden Methode, zum einen „durchschlagenden Erfolg“ zu operationalisieren und zum anderen, Glycerinnitrat daraufhin zu prüfen, ob es tatsächlich geeignet ist, die entsprechenden Erfolge, z.B. in der Vermengung mit Kieselgur zu erreichen.

marvin-harris
Widerstand gegen „modern Times“

In der postkolonialen Welt ist dies anders. Hier ist alles eins, Theorie ist Methode und alles ist Geschwätz, denn nicht, was in der Realität ist, ist Gegenstand der postkolonialen Theorie, sondern das, was man sich vorstellt, dass in der Welt wäre. Das, was man sich vorstellt, dass es in der Welt wäre, gilt als Theorie und bietet eine hervorragende Basis für eine postkoloniale Diskursanalyse, die darin besteht, alle Assoziationen und Phantasien, die durch die Theorie, also die Vorstellung davon, was in der Welt wäre, ausgelöst werden, auszuplaudern und anderen vor die Füße zu werfen. In der postkolonialen Welt, die, wie wir uns erinnern, ja nicht linear progressiert und auch nicht kolonialistischer Vernunft und Rationalität anhängt, wird die Methode zum festen Bestandteil der Theorie und nichts ist fortschreitend, aber alles kontinuierlich!

Und weil dem so ist, deshalb
“wird in der Folge [Postkolonialität als] ein Set diskursiver Praktiken verstanden, die Widerstand leisten gegen Kolonialismus, kolonialistische Ideologien und ihre Hinterlassenschaften“.

In der kontinuierlichen, aber nicht fortschreitenden, in von nicht-linearer Progression gezeichneten, widersprüchlichen und vollständig von Vernunft und Rationalität dekolonisierten Welt der Postkolonialen Theorie sind es diskursive Praktiken, die Widerstand leisten. Nicht etwa Menschen leisten durch ihre Handlungen Widerstand. Nein, es sind die diskursiven Praktiken, die Widerstand leisten.

Ökonomische und kulturelle Prozesse sind übrigens nicht nur die Grundlage von Kolonialismus, sie sind die Grundlage jeder Konstitution menschlicher Gesellschaft, und zwar seit Menschen in der Gesellschaft anderer durch die Gegend gestreift sind. Ein wenig Lektüre leicht verdaulicher, wenngleich linear und kontinuierlich und dennoch fortschreitend (von Kapitel zu Kapital) arbeitender Ethologen wie Marvin Harris könnte hier, bei normalen Menschen, wahre Wunderkerzen der Erkenntnis entzünden. Wie es in postkolonialen Gehirnen aussieht, ist eine empirische Frage, der sich vielleicht der ein oder andere Neurologe oder Psychiater in seiner Kapazität als linearer Grenzgänger zwischen Ursache und Wirkung annehmen will.

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