„Der neue deutsche Simplizismus“: Wie politische Korrektheit das kritische Denken zerstört
In seinem Roman „Berge des Wahnsinns“, hat HP Lovecraft eines der besten Bilder für die Degeneration einer Gesellschaft gefunden. Sein Bild beschreibt den Verlust an Fähigkeiten und Kompetenzen, so dass letztlich die groben Hüllen einst bedeutender Symbole bleiben, ohne das ihre Bedeutung bekannt wäre. Lovecraft wäre nicht Lovecraft gäbe er nicht auch eine Ursache für gesellschaftliche Degeneration. Bei ihm führen Trägheit, vielleicht auch Faulheit dazu, dass sich eine Gesellschaft im Niedergang fndet: Immer mehr Arbeit wird delegiert, immer weniger Individuen sind in der Lage, ihr Leben mit Sinn und Tätigkeit zu füllen, immer weniger haben eine Fähigkeit oder Kompetenz, die sie auszeichnet.
Der Verlust von Kompetenzen und Fähigkeiten ist auch eine Folge, die mit politischer Korrektheit einhergeht. Die gesellschaftliche Degeneration, hier als Degeneration der Denkfähigkeit, steht nach unserer Ansicht in einem direkten Zusammenhang mit der Ausbreitung von politischer Korrektheit und den damit verbundenen Denkverboten.
Dr. habil. Heike Diefenbach ist bei der Vorbereitung eines Kurses, der kritisches Denken zum Gegenstand hat, auf eine Reihe von Beispielen gestoßen, die zeigen, dass selbst in Büchern, die angeblich dem Ziel dienen, kritisches Denken zu befördern oder dazu zu befähigen, bereits eine Degeneration der Denkfähigkeit festzustellen ist. So wie die Individuen der Gesellschaft, die Lovecraft beschreibt, nicht mehr in der Lage waren, den Sinn von Symbolen und Konzepten zu verstehen, mit denen sie sich umgeben, so findet sich in Büchern zu angeblich „kritischem Denken“ ein erschreckendes Ausmaß von Inkompetenz und Sinnverlust.
Ein Beispiel:
Slippery Slope Argumente sind Argumente, die eine Wirkung entfalten können, können ist hier der modus operandi, die der berühmten Eisfläche entspricht. Ehe man sich versieht, ist man an eine Stelle gerutscht, an die man nicht wollte, argumentativ jedenfalls nicht. Das Bild der „slippery slope“ ist insofern ein sehr gutes Bild, weil es sich in zwei Richtungen interpretieren lässt. Jemand kann den argumentativen Abhang (slope) unbeabsichtigt hinunterrutschen, oder jemand kann figurativ einen Hang ins Rutschen bringen und darunter begraben werden, wie derjenigen, der ein Schleusentor öffnet.
Argumente, die ihre „Opfer“ wegtragen und ihre „Täter“ begraben können, sind grundsätzlich der Klasse der logischen Fehlschlüsse nicht zuordenbar. Entsprechend ist das Argument der Slippery Slope nicht generell ein Fehlschluss. Es kann zu einem werden, wenn man nicht aufpasst, wobei das Aufpassen insofern nicht einfach ist, als es die Frage umfasst, wann aus mehreren Sandkörnern ein Sandhaufen wird.
Ein Beispiel.
X wird mit 32 km/h in einer 30 km/h Zone geblitzt. Er argumentiert mit Wachtmeister W, dass er nur 2 km/h zu schnell gefahren sei, und deshalb auf seine Bestrafung verzichtet werden könne. Wachtmeister W drückt ein Auge zu. X geht ohne Strafe aus. Kurz danach wird Z mit 34 km/h geblitzt. Er argumentiert mit Wachtmeister W, dass er nur 2 km/h schneller gefahren sei als X, und X schließlich auch nichts bezahlen musste. Es ist leicht zu sehen, in welche Richtung ein „slippery slope“ Argument sich entwickelt. Ebenso leicht ist zu sehen, dass die Frage, ob es sich um ein solches handelt, keine Frage ist, die man generell beantworten kann, wäre dem so, man würde das Argument im Rahmen der formalen Logik und nicht im Rahmen der informalen Logik behandeln.
Douglas Walton, der 1989 ein Buch zu „Informal Logic“ geschrieben hat, das bis heute zu den besten Büchern gehört, beschreibt diesen Umstand wie folgt:
„A slippery slope argument gets started when you are to acknowledge that a difference between two things is not really significant. Once having acknowledged this first step, it may be difficult to deny that the same difference between the second thing and some other third thing is likewise not really significant. Once this sort of argument gets started, it can be too late to decisively stop it. You’re on the slippery slope” (Walton 2008 [1989]; 315).
Eben weil die Frage, ob ein Unterschied zwischen zwei Dingen (32 km/h und 30 km/h) vernachlässigt werden kann, eine Frage ist, die sich nur beantworten lässt, wenn man die Konsequenzen der jeweiligen Antworten bedenkt, kann ein slippery slope Argument nur daran erkannt werden, dass es im Bezug zum Ausgangspunkt, also zur 30 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung zu inakzeptablen Ergebnissen führt, weil man in der oben beschriebenen Logik letztlich auch 130 km/h anstelle von 30 km/h als nicht zu bestrafendes Verhalten akzeptieren müsste.
Man kommt demnach nicht umhin, die Frage, ob ein slippery slope Argument vorliegt, im Einzelfall zu entscheiden.
Dennoch findet sich in dem von Albert Mößner (2016) zu verantwortenden Buch „Fehlschlüsse in Argumenten: Logische und rhetorische Irrwege erkennen und vermeiden“ ebenso wie in dem Buch „Kritisch denken – treffend argumentieren: Ein Übungsbuch“ von Paul Walter und Petra Wenzl eine Form der Degeneration kritischen Denkens, die man nicht anders bezeichnen kann als als politisch korrekte Denkverweigerung, deren Ziel darin besteht, bestimmte Formen der Argumentation, dann, wenn sie sich auf bestimmte Inhalte beziehen, für unzulässig zu erklären.
So schreibt Mößner: „Das Dammbruchargument [so nennt er das Slippery Slope Argument] wird oft von Gegnern gleichgeschlechtlicher Ehen verwendet. Wenn man Homosexuelle heiraten lassen würde, so wird argumentiert, welchen Grund gäbe es dann, nicht auch polygame Ehen zuzulassen? Und wenn schließlich jeder jeden heiraten könne, warum nicht auch Ehen mit Ziegen, Enten, Schildkröten oder Delphinen? Wer möchte schon, dass es Ehen zwischen Menschen und Tieren gibt“.
Ob man Mößner, für den es sich beim „Dammbruchargument“ unausweichlich und immer „um einen Trugschluss“ handelt, folgt oder nicht, ist ausschließlich eine Frage der politischen Korrektheit. Teil man seine Bewertung, dann folgt man ihm wahrscheinlich, wenn nicht, dann nicht. Das jedoch hat weder etwas mit kritischem Denken noch mit informaler Logik zu tun, denn beide sollen gerade zeigen, welche Schlüsse unabhängig von Bewertungen gültig sind bzw. nicht gültig sind.
Und aus diesem Grund kann man Mößner schon deshalb nicht folgen, weil er ein „Slippery Slope Argument“ macht, um „Slippery Slope Argumente“ generell zu verteufeln. Es hilft eben nichts, man muss im Einzelfall prüfen, ob die Heirat zwischen einem Delphin und einem Menschen logisch äquivalent zur Heirat zwischen Homosexuellen und als solche gleichweit von der Heirat zwischen Heterosexuellen entfernt ist. Glücklicherweise kann man diese Frage formal anhand unabhängiger Kriterien entscheiden, denn Delphine gelten nicht als Rechtssubjekte weshalb sie nicht rechtsfähig sind. Selbst wenn man sie als Rechtssubjekte zulassen würde, müsste man eine Form der Verständigung mit ihnen finden, die es erlaubt, sie als eigenverantwortliche Partei in einem Rechtsakt anzusehen. Diese Schwierigkeiten ergeben sich mit Blick auf polygame Ehen nicht. Entsprechend ist es kein Slippery Slope Argument, wenn man darauf hinweist, dass es schwierig wird, die Zulassung von homosexuellen Ehen zu befürworten und gleichzeitig die Zulassung von polygamen Ehen auf der Grundlage des Arguments eigenständiger Rechtssubjekte zu verweigern. Es liegt somit kein Slippery Slope Argument im Vergleich von heterosexuellen, homosexuellen und polygamen Ehen vor.
Wer argumentiert, wie Mößner, dem geht es somit nicht darum, informale Logik zu verbreiten, sondern darum, kritisches Denken im Keim zu ersticken und bestimmte Formen der Argumentation generell zu beseitigen.
Wie sehr Denkverbote und unkritisches Nachplappern mittlerweile unter der Überschrift „kritisches Denken“ verbreitet werden sollen, belegt auch das Buch von Walter und Wenzl. Darin gibt es eine Zusammenstellung von angeblichen Scheinargumenten, darunter angebliche Umdeutungen: „Wieso fragst Du, warum ich Dich geschlagen habe? Ich hab‘ Dich doch nur gestreichelt“. Oder „Killerphrasen“ wie: „Unsere Budgets sind zurzeit zu eng, um den Fußballplatz zu erneuern“.
Bei derartigem Unsinn fragt man sich nach dem Zweck, der hier verfolgt werden soll. Natürlich ist es aufgrund der Folgen, die das angebliche Streicheln auf der Haut hinterlassen hat, leicht, zu entscheiden, ob wir es hier mit Streicheln oder Schlagen zu tun haben. Und natürlich gibt es Budgets, die „zurzeit zu eng“ sind, um einen Fußballplatz zu erneuern. Weder ist der Verweis auf das Budget eine „Killerphrase“ noch ist die Behauptung, man habe gestreichelt und nicht geschlagen, eine Umdeutung, jedenfalls nicht, solange man die Realität als Entscheider über die Richtigkeit von Behauptungen benutzt und uns scheint, dass es gerade darum geht, Realitäten zu verleugnen, Realitäten, die dazu führen, dass man von Fall zu Fall entscheiden muss, ob man es mit einem Slippery Slope Argument zu tun hat oder nicht, Realitäten, die entscheidbar machen, ob ein Schlag ein Schlag oder ein Streicheln war, und Realitäten, die Budgets und Ressourcen allgemein als begrenzt ausweisen und deshalb mit Beschränkungen und Interessenkonflikten einhergehen.
Das neue kritische Denken, das Heike Diefenbach als „neuen deutschen Simplizismus“ bezeichnet, will bestimmte Formen der Argumentation ausmerzen und der politischen Korrektheit opfern. Im Hinblick auf den heiligen Kanon der politischen Korrektheit, der dem Kult der homosexuell-feministischen Queerness gewidmet ist, der nur noch durch die moralische Überlegenheit des Fremden ergänzt werden muss, um das Syndrom der modernen Degeneration, wie wir sie derzeit sehen, hervorzubringen, darf kein Argument zugelassen werden, das eventuell zeigen könnte, dass Homosexuelle, Frauen und Migranten gar nicht die besseren Menschen sind, sondern schlicht Menschen.
Wie gesagt, Denkverbote gehen unweigerlich mit intellektueller Degeneration einher.
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Unter “kritischem Denken” versteht die Bunte Republik das Denken auf Basis der “Menschenwürde”, die allen Menschen und vielleicht allen Wesen gleichermaßen auf Kosten der Steuerkartoffel zu gewährleisten ist. Der kritische Apparat des Hinterfragens, Dekonstruierens etc den der Buntbürger zu besitzen glaubt, setzt stets dort an, wo diese Menschenwürde-Märchenwelt angekratzt zu werden scheint. Man kennt es vom jährlichen Unwort-Wettbewerb und dem PC-Kampf um die Sprache. Dabei geht es ausnahmslos darum, das Bemerken, Differenzieren und Nachdenken über unangenehme Themen zu bekämpfen.
Denken beginnt mit der Erkennung von Ungleichheit, Unterschieden, Mustern. Über Vorurteile und ungleiche Verteilung von Beweislasten gelangt man schließlich zu halbwegs belastbarem Wissen über sein Nichtwissen. Der Buntbürger ist jedoch von Haus aus in diesem Sinne ein überzeugter Lernmuffel.
Ein sehr interessanter, zum Nachdenken anregender Artikel, auch wenn ich die Schlussfolgerung in Bezug auf die Homo-Ehe nicht teile.
Es gibt allerdings durchaus Lösungen für ein (vermeintlichens) Slippery-Slope:
1. Man kann eine Grenze festlegen, die eine bestimmte Anzahl “vernachlässigbarer” Schritte erlaubt und den nächsten dann nicht. So ist der Weg von einem huhnähnlichen Vogel zum heutigen Haushuhn ein inkrementeller. Jedes genetisch leicht veränderte Huhn, das aus einem Ei schlüpft (das Ei kommt immer zuerst), ist genetisch mit seiner Vorgängergeneration kompatibel, also als Art nicht zu trennen. Dennoch wird man das heutige Haushuhn nicht mit einem Urzeithuhn paaren können bzw. wäre der Nachwuchs nicht lebensfähig. Wäre man also gezwungen, ganz genau hinzuschauen, dann müsste man mehr oder weniger willkürlich eine Grenze ziehen, bis wohin das rzeithuhn geht und wo das heutige Huhn anfängt.
Und genau so kann man auch Grenzen ziehen, ab wann eine Abweichung relevant wird. In der Wissenschaft kennt man das unter dem Begriff “Signifikanz”. Demnach könnte man dem ersten Fahrer die 32 km/h erlauben, dem zweiten Fahrer die 34 km/h aber nicht, weil er eben über der für diesen Fall festgelegten Grenze von 10 % Abweichung liegt.
2. Auch Kants kategorischer Imperativ, der dieser Problematik auch ein Stück weit zugrunde liegt (Wenn 2 km/h zu schnell vernachlässigbar sind, dann müsste man es jedem erlauben, also die Begrenzung anheben), lässt sich zur Differenzierung heranziehen.
Und hier komme ich auf das Beispiel Homoehe zurück:
Gleichgeschlechtlichen Paaren generell zu erlauben, zu heiraten, schadet niemandem.
Gemeinschaften generell(!) zu erlauben, polygame Ehegruppen zu bilden, hat dagegen ganz erhebliche Konsequenzen:
Es hebt die Parität in der Ehe auf und berührt damit die Gleichstellung beider Ehepartner. Wenn eine (heterosexuelle) Frau drei (heterosexuelle) Männer heiratet*, dann geraten diese drei Partner schnell in eine Konkurrenzsituation, die der Frau eine enorme Machtposition einbringt. Sollte der Staat so etwas wirklich fördern?
Hinzu kommen formale Probleme:
Wie ist das Ehegattensplitting bei mehr als zwei Personen anzuwenden?
Wer darf die Frau wann vertreten – was passiert z. B. wenn zwei Männer sich widersprechende Aussagen als Vertretung der Frau machen? Dürfen die drei Männer sich gegenseitig gesetzlich vertreten? Sie sind ja nicht mit sich, sondern nur mit der Frau verheiratet.
Qua Gesetz ist der Ehemann immer der Vater, auch wenn es nicht sein leibliches Kind ist. Sind in diesem Fall dann alle drei Ehemänner der Vater?
Wie regelt man das Sorgerecht im Scheidungsfall? Und muss der geschiedene Mann dann Unterhalt für ein nicht leibliches Kind zahlen, da er ja qua Gesetz trotzdem der Vater ist?
All das sind fragen, die sich bei der Polygamie stellen, bei der Homoehe dagegen nicht.
Bei der Ehe mit Tieren kann wiederum man mit der geistigen (Un-)Mündigkeit argumentieren. Wenn man die Ehe mit Kindern aus gutem Grund (ihrer geistigen Unreife und Unmündigkeit) verbietet, dann kann man die Ehe mit Schimpansen und Pferden nicht erlauben.
Damit ist das “Dammbruchargument” in diesem Fall falsch. Die scheinbare “Slippery-Slope” existiert also nicht, weil die Schritte eben nicht äquivalent sind.
* ich habe hier bewusst die unerwartete Kombination gewählt, um Klischee- und Rollendenken auszubremsen.