Wohnkostenbelastung – Wie Rentner in Deutschland von ihrem Staat ausgeblutet werden

Immer mehr ältere Haushalte sind von steigenden Wohnkosten schwer belastet“, so lautet die reißerische und falsche Überschrift zu einem Beitrag von Laura Romero Gordo, Markus M. Grabka, Alberto Lozano Alcantara, Heribert Engstler und Claudia Vogel im neuen Wochenbericht des DIW (denn nicht Haushalte, sondern Personen, die in Haushalten leben, sind belastet).

Es ist dies ein seltsamer Beitrag, nicht nur deshalb, weil im ganzen Beitrag keine Zahl zu finden ist, die angibt, auf welcher Grundlage, welcher Anzahl von Personen die Ergebnisse, die berichtet werden, eigentlich basieren. Lediglich einer Tabelle, in der die Ergebnisse einer Regressionsanalyse berechnet werden, kann man eine Befragtenanzahl von 1.405 entnehmen, die indes kaum mit der Anzahl übereinstimmen dürfte, auf deren Grundlage die restlichen Ergebnisse berechnet wurden.

Die Autorenansammlung um Gordo hat sich für die Frage von Wohnkosten interessiert. Dass unter Wohnkosten in den meisten Fällen Miet- und Nebenkosten, abzüglich der Stromkosten verstanden werden, bzw. irgendwelche Heiz- und Nebenkosten, wenn es sich um Eigentümerhaushalte handelt, das muss man sich aus Fußnote 16 des Textes zusammenreimen. Wir kennen also nicht die Datengrundlage der Ergebnisse, wissen nicht, wie viele Befragte aus dem SOEP mit ihren Angaben berücksichtigt wurden, wir wissen nicht wirklich, was alles in die Wohnkosten eingeflossen ist, wissen nur, dass es vor 2010 die Stromkosten nicht sind. Es ist darüber hinaus nicht möglich, dem Beitrag irgendeine Art von Anfangs- und Enddatum zu entnehmen. Die Autorenansammlung verrät ihren Lesern beispielsweise nur, dass die „monatlichen Nettohaushaltseinkommen der Eigentümerhaushalte“ von 1996 bis 2016 um 836 Euro gestiegen sind, von wo nach wo die Einkommen gestiegen sind und ob es sich bei den Eigentümerhaushalten im Text um die Eigentümerhaushalte mit einem Haushaltsvorstand oder einer Referenzperson (also der Person, die im SOEP befragt wurde) im Alter von mindestens 65 Jahren handelt, die in Abbildung 3 dargestellt sind, die die Entwicklung der Haushaltseinkommen zeigt, das verraten die Autoren auch nicht.

Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass der Beitrag in manchen Teilen stümperhaft gemacht ist, ob hier mit Absicht oder aus Unfähigkeit Standards der empirischen Sozialforschung verletzt werden, ist eine andere Frage.

Für Letzteres spricht die sorgsame Vermeidung des entscheidenden Zusammenhangs, den man sich wieder selbst zusammenrechnen muss. Rund 44% der Steigerung von Mieten, die die Autoren für den Zeitraum von 1996 bis 2016 darstellen, sind auf gestiegene Heiz- und Nebenkosten und somit auf Eingriffe des Staates zurückzuführen, die Wohnkosten erhöhen. Dass die Autoren ihre Berechnungen auf Grundlage von Daten, die eine Steigerung der Wohnkosten von 163 Euro auf 328 Euro für Eigentümer und von 313 Euro auf 554 Euro für Mieter ausweisen, durchführen, das muss man sich dann wieder selbst für den Zeitraum von 1996 bis 2016 errechnen. Ein Rentnerhaushalt im Datensatz der Autorenansammlung hat also, sofern er Eigentümer eines Hauses oder einer Wohnung ist, im Datensatz ein monatliches Haushaltseinkommen von durchschnittlich  2.475 Euro zur Verfügung, ist er Mieter, dann beträgt sein Haushaltseinkommen durchschnittlich 1.781 Euro. Die unterschiedliche Höhe des Haushaltseinkommens dürfte dann auch der Grund dafür sein, dass erstere Eigentümer, letztere Mieter sind.





Dass die Höhe des Einkommens und die Aufwendungen für Wohnkosten in einem umgekehrten Verhältnis stehen, ist ein – wenig überraschendes Ergebnis – das die Autoren als nächstes bereitstellen: Je geringer das Haushaltseinkommen, desto höher die Belastung durch Wohnkosten. Da Haushaltseinkommen in Mehrpersonenhaushalten gewöhnlich höher sind als in Einpersonenhaushalten, finden die Autoren zudem, dass für Einpersonenhaushalte die Wohnkosten einen größeren Anteil des Haushaltseinkommen verschlingen als dies für Paarhaushalte oder „sonstige Kombinationen“ der Fall ist. Die interessantesten Ergebnisse finden sich, für diejenigen, die den Wochenbericht lesen wollen, um Tabelle 2, in der die Ergebnisse der bereits angesprochenen Regressionsanalyse berichtet werden. Alle Ergebnisse in dieser Tabelle, mit Ausnahme von einem , werden von der Autorenansammlung im Text thematisiert, nur die Tatsache, dass dann, wenn eine erwerbstätige Person im Haushalt lebt, was regelmäßig dann der Fall sein wird, wenn ein Rentner nach seiner Verrentung noch arbeiten geht, die Wohnkostenbelastung geringer wird, wird verschwiegen.

Warum der Autorenansammlung dieses Ergebnis nicht berichtenswert ist, kann man nur vermuten, z.B. indem man hinzunimmt, was es zu Beginn des Textes im DIW-Wochenbericht zu lesen gibt: Die Haushaltseinkommen von Rentner sind langsamer gestiegen als die Wohnkosten dies sind, und zwar für Eigentümer wie Mieter. Hinzukommt, was wir oben bereits berichtet und regelrecht aus dem Text herausquetschen mussten: Rund 44% der gestiegenen Wohnkosten sind auf Preissteigerungen bei Heiz- und Nebenkosten, also das, was Staat, Gemeinden und andere Verwaltungen Bürgern für Müll, Abwasser, Strom usw. abverlangen, zurückzuführen.

Standardisiert man die Steigerung der Wohnkosten für den Zeitraum von 1996 bis 2016, also für 20 Jahre auf die einzelnen Jahre, dann ergibt sich eine jährliche Steigerung der Wohnkosten von 2,6% für Eigentümer und von 3,4% für Mieter. Im Zeitraum von 1996 bis 2016 sind die Kosten für Strom um jährlich rund 3,2% gestiegen, die Kosten für Heizöl um jährlich 3,9%, d.h. die Wohnkosten sind mehr oder weniger im Gleichschritt mit anderen Kostensteigerungen gewachsen. Was nicht Schritt gehalten hat, sind die Rentenbeträge, die Rentnern ausgezahlt werden, nachdem sie ein Arbeitsleben lang und im Vertrauen, im Alter ein ruhiges und sorgenfreies Leben verbringen zu können, an ihren Staat überweisen mussten.

Die Steigerung der Rentenauszahlungsbeträge bleibt, wie die folgende Abbildung, die wir der Autorenansammlung verdanken, zeigt, weit hinter der Steigerung der Wohnkosten zurück, die wiederum in weiten Teilen durch staatliche Regulationen verursacht sind. Durchschnittlich lag die Rentensteigerung mit 1,7% pro Jahr deutlich hinter der Teuerungsrate der Konsumgüter, die für die Wohnkosten von Bedeutung sind.

Wir finden hier also einmal mehr das für Deutschland so charakteristische System des doppelseitigen Komprimierens: Rentner sehen sich mit Wohnkosten konfrontiert, die aufgrund staatlicher Regulationen oder Steuern schneller steigen als die ohnehin schon geringen Auszahlbeträge der Renten, so dass Rentnerhaushalte relativ weniger einnehmen als sie aufgrund staatlicher Intervention ausgeben müssen.

Wie lange es gutgeht, Rentnern auf der einen Seite relativ weniger von ihren Beiträgen auszuzahlen und sie auf der anderen Seite relativ stärker zur Kasse zu bitten, ist eine Frage, deren Antwort man mit einer Regressionsanalyse berechnen kann, aber wenn die Ergebnisse aus dem Autorenkollektiv korrekt sind und die Zahl der Rentner-Mieterhaushalte, die mehr als 40% ihres Einkommens für Wohnkosten aufwenden müssen, von 22% im Jahr 1996 auf 38% im Jahr 2016 gestiegen ist, dann muss man nicht rechnen, um sagen zu können, dass es nicht mehr lange dauern wird.


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