Destatis Kauderwelsch: “Armutsgefährdung stieg … am stärksten in der Generation 65plus”

Pressemeldungen des Statistischen Bundesamts zeichnen sich in letzter Zeit durch einen Kauderwelsch aus, der sehr deutlich macht, dass es nicht um die Vermittlung von Informationen geht, sondern darum, eine Message an den Konsumenten zu füttern. Wer die heutige Pressemeldung:

Tag der älteren Menschen: Armutsgefährdung stieg seit 2005 am stärksten in der Generation 65 plus

gelesen hat, der soll am Ende dieses Textes, nachdem er in einer Weise systematisch verwirrt wurde, die man entweder auf Absicht oder auf Demenz des Texterstellers zurückführen muss, wissen: Armutsgefährdung in der Generation 65 plus am stärksten gestiegen.

Was bedeutet das?
Was ist Armutsgefährdung?
Was sagt Armutsgefährdung aus?
Welche Nachricht wird tatsächlich in der Pressemeldung von Destatis versteckt?



Machen wir uns auf die Suche.

Quelle: DeStatis

Aus den ersten drei Absätzen kann man, mit erheblicher Mühe, die folgenden Informationen entnehmen:

  • 2019 beträgt die “Armutsgefährdungsquote” in Deutschland 15,9%, ein Plus von 1,2%punkten seit 2005.
  • In der Generation 65+ (also älter als 64 Jahre) beträgt die Armutsgefährdungsquote 15,7%, ein Plus von 4,7 Prozentpunkten.
  • Armutsgefährdung für Generation 65+ in Westdeutschland: 16,2% (+ 4,6 Prozentpunkte seit 2005);
  • Armutsgefährdung für Generation 65+ in Ostdeutschland: 13,8% (+ 4,9 Prozentpunkte seit 2005);
  • Armutsgefährdung für Männer der Generation 65+ in Ostdeutschland: 13,0% (+ 7,0 Prozentpunkte seit 2005);
  • Armutsgefährdung für Frauen der Generation 65+ in Ostdeutschland: 14,4% (+ 3,5 Prozentpunkte seit 2005);

Wer die Werte für Männer und Frauen in Westdeutschland sucht, der muss sich an das Statistische Bundesamt wenden, denn in der Pressemeldung sind sie nicht enthalten. In der Pressemeldung folgt nun die Darstellung des Armutsrisikos, die Armutsgefährdungsquote ist ab Absatz vier zum Armutsrisiko mutiert, der die Aufstellung der Menschen im Rentenalter folgt, die Grundsicherung bezogen haben, (wobei Menschen im Rentenalter hier mit der Generation 65 plus gleichgesetzt werden). Auch die Anteile derjenigen über 64 Jahre die Grundsicherung beziehen, wird nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Konsistenz, die es erfordert hätte, die Aufstellung auch nach Geschlecht zu präsentieren, ist im Statistischen Bundesamt unbekannt. Warum nur?

Sie wissen nun, dank unserer Aufstellung, die wir mühevoll aus dem Kauderwelsch des Statistischen Bundesamts entnommen haben, dass im Westen ein größerer Anteil der Angehörigen der Generation 65 plus als Personen angesehen werden, die armutsgefährdet sind als im Osten der Republik. Sie wissen, dass vor allem ostdeutsche Männer in den letzten Jahren dieser Kategorie zugelaufen sind, wohl als Ergebnis der Gleichstellungspolitik der Bundesregierung, die Vorteile von Männern bei der Armutsgefährdung dadurch beseitigt, dass sie Männer mit Frauen gleichstellt, also mehr Männer mit der nämlichen Gefährdung ausstattet.

Aber: Hand aufs Herz: Was wissen Sie nun eigentlich?

Was ist Armutsrisiko?

Wie wird es berechnet?



Nun, es gibt “Methodische Hinweise” am Ende der Pressemeldung. Das Statistische Bundesamt erklärt Ihnen, was hier berechnet wurde, und wir muten Ihnen diesen Kauderwelsch nun zunächst unkommentiert und im Original zu:

“Die Daten zur Armutsgefährdungsquote stammen aus dem Mikrozensus. Die Grundlage der hier veröffentlichten Armutsgefährdung ist die Armutsgefährdungsschwelle auf Bundesebene (Bundesmedian), die für Bund und Länder einheitlich ist und somit einen regionalen Vergleich ermöglicht. Für die Berechnung von Armutsgefährdungsquoten kommen mehrere Datenquellen der amtlichen Statistik infrage. Auf europäischer Ebene und auf Bundesebene (insbesondere im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung) wird zur Berechnung von Indikatoren zur Einkommensarmut und -verteilung die Statistik „Leben in Europa“ (EU-SILC) als Datengrundlage herangezogen. Nach den Ergebnissen der EU-SILC-Erhebung ergab sich, bezogen auf das Berichtsjahr 2018, bundesweit eine Armutsgefährdungsquote von 16,0 %. Zu beachten ist, dass sich Mikrozensus und EU-SILC sowohl hinsichtlich des zugrundeliegenden Einkommenskonzepts und der Einkommenserfassung als auch hinsichtlich des Stichprobendesigns unterscheiden. Für die Darstellung vergleichbarer Indikatoren auf Bundesländerebene kann EU-SILC nicht verwendet werden, da die Stichprobe nicht groß genug ist, um die Indikatoren auch für kleinere Bundesländer auszuweisen.

Das zur Ermittlung der sogenannten Armutsgefährdungsschwelle herangezogene bedarfsgewichtete Einkommen (Äquivalenzeinkommen) wird auf Basis der 1994 entwickelten neuen OECD-Skala berechnet. Nach dieser wird der ersten erwachsenen Person im Haushalt das Bedarfsgewicht 1 zugeordnet. Für die weiteren Haushaltsmitglieder werden kleinere Gewichte eingesetzt (0,5 für weitere Personen ab 14 Jahren und 0,3 für jedes Kind unter 14 Jahren), weil angenommen wird, dass sich durch gemeinsames Wirtschaften Einsparungen erreichen lassen.

Armutsgefährdungsquoten sind gegenüber stichprobenbedingten Schwankungen des mittleren Einkommens (Median) nicht sehr robust. Das bedeutet, dass bereits geringe zufällige Schwankungen dieses Einkommens merkliche Veränderungen der Armutsgefährdungsquoten zur Folge haben können. Deshalb sollten nur über einen längeren Zeitraum stabile Entwicklungen inhaltlich interpretiert werden. Dies gilt insbesondere für relative Armutsrisikoquoten kleiner Bevölkerungsgruppen oder für regional tief gegliederte Ergebnisse.

Langfristige Bevölkerungsvorausberechnungen sind keine Prognosen. Sie liefern “Wenn-Dann-Aussagen” und zeigen, wie sich die Bevölkerung und deren Struktur unter bestimmten Annahmen verändern würden. In der hier angewandten Variante der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wurde jeweils eine moderate Entwicklung der Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und Außenwanderung angenommen.”

Alles klar?
Haben Sie nun eine Ahnung, was das statistische Maß “Armutsgefährdung” tatsächlich aussagt, auf welcher Basis es wie berechnet wird?

Lichten wir das Kauderwelsch um nicht robuste Armutsgefährdungsquoten, Armutsgefährdungsschwelle und die OECD-Skala.
Vergessen Sie den gesamten Krempel, der sich auf EU-SILC bezieht. Er ist der politische Kotau vor der EU, für die Berechung, die hier durchgeführt wurde, aber schlicht und ergreifend unnötig.

Am einfachsten ist es, mit der im Text erwähnten neuen [!sic] OECD-Skala zu beginnen:
Haushalt: Erwachsene, Kinder über und unter 14 Jahren.
Kinder unter 14 Jahren: 0,3;
Personen über 14 Jahren: 0,5;
Hauptverdiener: 1
————

Das ist die OECD-Skala, die neue OECD-Skala. Die Skala ist ein einfaches Gewichtungsverfahren, dessen Anwendung wir gleich am Beispiel darstellen. Zunächst ist es notwendig festzustellen, dass die Einheit für die Berechnung von Armutsgefährdungsquoten nicht Personen, sondern Haushalte sind. Die Grundlage der Berechnung ist somit das Haushaltseinkommen, also das Einkommen aller Personen in einem Haushalt. Die OECD-Skala, die neue OECD-Skala, dient dazu, das Haushaltseinkommen in ein “Äquivalenzeinkommen” umzurechnen.



Wie?

So:
Haushaltseinkommen: 5000 Euro.
Haushalt: 4 Personen, ein Hauptverdiener, zwei Personen über 14 Jahren, eine Person unter 14 Jahren.
Haushaltsäquivalenzeinkommen = 5000 Euro / 1+(2(0,5))+(1(0,3)) = 2.174 Euro
Die Armutsgefährdung ist definiert als 60%-Grenze des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens.
Der Median teilt die Menge der Äquivalenzeinkommen, die für Haushalte berechnet wurden, in zwei gleichgroße Hälften, wer weniger als 60% der Hälfte an Äquivalenzeinkommen zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet.
Diese Art der Berechnung führt dazu, dass die Armutsgefährdung vom Gesamteinkommen abhängig ist. In einer Gesellschaft der Median-Milliardäre gälte ein Millionär somit als armutsgefährdet.

2018 betrug der Median des Nettoäquivalenzeinkommens 22.713 Euro, also 1.892,75 Euro monatlich. Als armutsgefährdet gilt somit, wer ein Äquivalenzeinkommen von weniger als 1.135,70 Euro pro Monat zur Verfügung hat.

Jetzt wissen Sie, ab wann Sie als armutsgefährdet gelten.
Es fehlt nun nur noch die Datenquellen, auf deren Grundlage das Statistische Bundesamt seine Pressemeldung erstellt hat.
Datenquelle ist der Mikrozensus. Der Mikrozensus ist eine Stichprobe, die 1% der Haushalte in Deutschland umfasst und dessen Ergebnisse fortgeschrieben werden.

Die Pressemeldung basiert somit auf Umfragedaten, die für die Bevölkerung hochgerechnet werden, eine hochgerechnete statistische Größe, über deren Wert man erheblich und lange streiten kann. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Pressemeldung den Anteil der über 64jährigen Bezieher von Grundsicherung ausweist, ein Datum, das man von Sozialämtern erfragen kann. Indes, auch die Daten für Grundsicherung entstammen dem Mikrozensus, sind also auf Basis von freiwilligen Angaben der Teilnehmer am Mikrozensus berechnet und für die Jahre fortgeschrieben, und zwar auf Grundlage der Bevölkerungsentwicklung. Die hier übrigens auch auf Grundlage der Ergebnisse des Mikrozensus fortgeschrieben wird. Man schreibt also Daten auf Grundlage von fortgeschriebenen Daten fort. Die russische Puppe der Statistik. Ob sich damit ein anderer, als ein rechnerischer Wert verbindet, ist eine offene Frage.

Da steh’n wir nun, als armer Tor und sind so klug als wie zuvor.


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