Stand der Brexit Verhandlungen und warum No-Deal ein gutes Geschäft für das UK ist

Eine Reihe von Lesern haben uns danach gefragt, was sich beim Brexit tut.
Deshalb stellen wir in diesem Post die Entwicklungen zusammen, die uns die wichtigsten zu sein scheinen.

Was bisher geschah.

  • Im Rahmen des EU-Gipfels wurde dem Vereinigten Königreich letzte Woche genau der Vorschlag unterbreitet, der schon zu Beginn der Verhandlungen unterbreitet wurde. Die EU besteht darauf, vollen Zugang zu britischen Gewässern zu haben, den Europäischen Gerichtshof als letzte Instanz für alle Arten von Streitigkeiten einzuführen, bei britischen Staatssubventionen das letzte Wort zu haben und ansonsten die EU-Standards flächendeckend im UK anzuwenden (wenn nicht, dann Europäischer Gerichtshof).
  • Das ist eine für Großbritannien nicht hinnehmbare Position. Deshalb hat Boris Johnson die Verhandlungen abgebrochen.
  • Am Sonntag, den 18. Oktober hat die britische Regierung die “Time is running out”-Kampagne gestartet, deren Ziel darin besteht, Unternehmen endgültig auf eine Australian-style Beziehung mit der EU, also ein No-Deal-Szenario vorzubereiten:


  • Am Montag, den 19. Oktober wollte Michel Barnier mit seinem Team nach London kommen, um zu verhandeln. Die Verhandlungen sind geplatzt. Lord Frost hat Barnier mitgeteilt, dass es keinen Verhandlungsgegenstand gibt, wenn die EU nicht von ihren Maximalpositionen abrückt, die wir oben beschrieben haben. Forst hat Barnier also ausgeladen.
  • Heute haben Boris Johnson und Michael Gove mit 250 Vertretern der Wirtschaft gesprochen, um die oben genannte Kampagne zu forcieren. Downing Street zitiert Boris Johnson wie folgt:

    “Our job is to create the platform for dynamic businesses such as yours to compete and to grow. But it is vital that everybody on this call takes seriously the need to get ready, because whatever happens – whether it’s Canada or Australia – change is going to happen. There is a big opportunity for this country and we want to help all of you to seize that opportunity.”

    Man kann, wenn man das will, in diese Aussage hineinlesen, dass Boris Johnson für ein Abkommen Canada-style nach wie vor offen ist. Wir glauben indes, dass es sich hier um eine der rhetorischen Formulierungen handelt, die Johnson gerne benutzt. Die Möglichkeit, mit der EU noch zu Potte zu kommen, besteht prinzipiell, aber nicht wirklich.

    Für alle, die den Unterschied zwischen Australian-style und Canada-style nicht kennen, obwohl das natürlich ein Wissen ist, das man parat haben muss, (just kidding): Das entscheidende Merkmal des Handelsabkommens das die EU mit Kanada geschlossen hat, besteht darin, dass auf alle physischen Importe, also Waren, die eingeführt werden, weder Zoll erhoben wird, noch eine Mengenbegrenzung erfolgt. Australia-style beschreibt kein Abkommen, sondern Handel unter WTO-Richtlinien, denn Australien und die EU haben kein Handelsabkommen mit einander geschlossen.

  • Schließlich hat Michel Barnier heute eine Rede vor dem Europäischen Parlament gehalten, die den üblichen EU-Doubletalk beinhaltet. Einerseits jammert Barnier, dass er und sein Team bereit gewesen wären, am Montag nach London zu reisen, aber ausgeladen wurden. Andererseits behauptet er “Notre porte reste ouverte et le restera jusqu’au dernier jour utile pour continuer à travailler ensemble.” Gleichzeitig macht er mehr als deutlich, dass die EU nach wie vor nicht bereit ist, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Dass in Brüssel nach wie vor die Ansicht zu herrschen scheint, No. 10 bluffe, zeigt sich an Formulierungen, wie: Man habe die ganze Zeit nach Möglichkeiten gesucht, die roten Linien von Boris Johnson mit den Prinzipien der EU kompatibel zu machen. Man wurde nicht fündig und wird auch nicht fündig werden, denn die EU will nicht fündig werden, wie Barnier einmal mehr sehr deutlich dokumentiert:

    Je tiens à rappeler que l’attitude de l’Union dans ces négociations n’a pas changé et ne changera pas jusqu’au dernier jour.
    […]
    Ce qui ne changera pas non plus, c’est le cadre que nous avons fixé au nom de l’Union européenne pour notre partenariat ambitieux avec le Royaume-Uni.
    […]
    Enfin, il reste trois sujets plus complexes sur lesquels nous devons impérativement progresser, comme l’a rappelé le Conseil européen – à savoir le Level Playing Field, la pêche et la gouvernance.

    1/ le Level Playing Field – ces règles de fairplay économique et commercial qui doivent être au cœur de notre partenariat.
    […]
    L’exigence d’un vrai cadre de level playing field restera une exigence fondamentale de l’Union, comme l’a rappelé le Conseil européen. 
    […]
    Mais aussi d’un mécanisme contraignant de règlement des différends, avec un système de sanctions efficace – ce mécanisme pouvant être utilisé par les deux parties. 
    […]
    Nous insisterons jusqu’au bout pour garantir une perspective durable à nos pêcheurs européens.”

Barnier beharrt damit im Wesentlichen auf genau den Punkten, die wir oben angeführt haben, weil sie zum Abbruch der Verhandlungen durch die Britische Regierung geführt haben. Man kann eine gewisse Variabilität der Formulierungen in die Rede von Barnier lesen. Er spricht von “un mécanisme contraignant de règlement des différends, avec un système de sanctions efficace”. Es ist indes wahrscheinlich, dass dies nur eine Umschreibung für Europäischer Gerichtshof ist. Im Bezug auf das “level playing field” , das es nicht ins Französische geschafft hat, ist ebenfalls keinerlei Veränderung der Position der EU zu sehen und ob man “une solution durable, juste et équitable pour les pêcheurs des deux côtés” als ein Abrücken von der Forderung, freien Zugang für EU-Fischer zu britischen Gewässern auch nach dem 31. Dezember zu haben, werten kann? Auch eher unwahrscheinlich.



Kurz:

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    An der Position der EU hat sich überhaupt nichts geändert.

  • Boris Johnson macht jede Fortführung von Verhandlungen von einer grundsätzlichen Veränderung der Position der EU abhängig.
  • Die britische Regierung treibt die Vorbereitungen für einen no-deal Exit voran. 

Gäbe es ab dem 1. Januar 2021 zwischen der Insel und dem Festland Handel auf Basis der Regeln der WTO. Diese Form des Handels ist für Großbritannien, im Gegensatz zu allem, was auf dem Kontinent behauptet wird, vorteilhaft. Allein mit Deutschland hat Großbritannien ein Handelsdefizit von rund 60 Milliarden Euro im Jahr.

Nehmen wir an, beide – Deutschland als Teil der EU – und das Vereinigte Königreich verhängen nun Zölle von 2% auf die Importe aus dem jeweils anderen Land.

  • Deutsche Warenexporte ins UK: 90 Milliarden Euro (2019), davon 2% ergibt: 1.8 Milliarden Euro Einnahmen für das UK.
  • Britische Warenexporte nach Deutschland: 35 Milliarden Euro (2019), davon 2% ergibt 700 Millionen Euro Einnahmen für Deutschland (oder die EU, wer weiß).
  • Das Vereinigte Königreich hat 1,1 Milliarden Euro “Zollüberschuss” aus dem direkten Handel mit Deutschland, der an britische Unternehmen, die nach Deutschland exportieren, verteilt werden kann. Ergebnis: Britische Exporte verbilligen sich relativ zu deutschen Exporten. Die Wettbewerbsposition britischer Unternehmen verbessert sich relativ zu deutschen Unternehmen. Und das gilt nicht nur für den bilateralen Handel.

Eine kleines Szenario in Ökonomie, präsentiert von ScienceFiles.

Vor nicht ganz einer Stunde hat Lord Frost mitgeteilt, dass man sich mit der EU auf eine Fortführung der Verhandlungen geeinigt habe. Die Begründung lautet wie folgt:

The Prime Minister and Michael Gove have both made clear in recent days that a fundamental change in approach was needed from the EU from that shown in recent weeks.

They made clear that the EU had to be serious about talking intensively, on all issues, and bringing the negotiation to a conclusion. They were also clear that the EU had to accept once again that it was dealing with an independent and sovereign country and that any agreement would need to be consistent with that status.

We welcome the fact that Mr Barnier acknowledged both points this morning, and additionally that movement would be needed from both sides in the talks if agreement was to be reached. As he made clear, “any future agreement will be made in respect of the decision-making autonomy of the European Union and with respect for British sovereignty.

Lord Frost discussed the implications of this statement and the state of play with Mr Barnier earlier today. On the basis of that conversation we are ready to welcome the EU team to London to resume negotiations later this week. We have jointly agreed a set of principles for handling this intensified phase of talks.”

Die Schlüsse, die man in London aus der Rede von Michel Barnier gezogen hat, sind entweder ganz andere als unsere oder man will nicht als die Partei dastehen, die ein vermeintliches Angebot zum Kompromiss ausgeschlagen hat.


Interessant ist indes Punkt 7 der “principles for handling [of] this intensified phase:

7. It is understood that, regardless of progress in individual workstreams, nothing is agreed in these negotiations until a final overall agreement is reached.

Wir interpretieren diesen Punkt und die vorausgehenden so, dass das Ziel darin besteht, sicherzustellen, dass die “roten Linien” des Vereinigten Königreichs in jedem Fall eingehalten bzw. von der EU akzeptiert werden.

Indes: Nach unserem Dafürhalten hat sich weder an der Position der EU noch an der Position der britischen Regierung etwas geändert. Ob hier Verhandlungsmimikry erfolgt, aus welchem Grund auch immer? Es wird spannend sein zu sehen, was Lord Frost am 25. Oktober veröffentlichen wird.

Die erste Phase der intensiven Verhanldungen findet in London vom 22 October bis zum 25 October statt.
Wir halten unsere Leser auf dem Laufenden.


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