Der Klang von Wales: Ydych chi’n siarad Cymraeg?

Ydych chi’n siarad Cymraeg?” – in Deutsch: “Sprechen Sie Walisisch?” –, könnte für viele Menschen in Deutschland eine überraschende Frage sein, und zwar deshalb, weil sie gar nicht wussten, dass es die walisische Sprache gibt oder dass es sie noch gibt.

Aber es gibt sie.
Es gibt sie seit langer Zeit, und es gibt sie immer noch; sie ist nicht ausgestorben, sondern erfreut sich einer großen Zahl von Menschen, die sie sprechen oder zumindest verstehen können, und ist neben der englischen Sprache seit 2010 eine offizielle Sprache von Wales.

Die Anzahl der Menschen in Wales, die „Cymraeg“, d.h. die walisische Sprache, sprechen können, ist allerdings während der letzten einhundert Jahre deutlich zurückgegangen – im Jahr 1921 konnten rund 922.100 Menschen in Wales Walisisch sprechen –, und hatte ihren Tiefstpunkt mit rund 503.500 Walisisch-Sprechern im Jahr 1981 erreicht. In den folgenden zwanzig Jahren hatte die Anzahl der Walisich-Sprecher jedoch wieder leicht zugenommen, ist aber nach 2001 wieder leicht zurückgegangen. Im Rahmen des neuesten Zensus, der in Wales im Jahr 2021 durchgeführt wurde, gaben aber immerhin rund 538.300 Personen an, Walisisch zu sprechen (bzw. machten Eltern die entsprechende Angabe für ihre Kinder). Diese Zahl entspricht 17.8 Prozent der Bevölkerung von Wales.

Quelle: https://www.gov.wales/welsh-language-wales-census-2021-html

 

Am häufigsten sind Menschen, die Walisisch sprechen können, im Nordwesten von Wales, wo eine Mehrheit von rund 60 Prozent der Bevölkerung Walisisch sprechen kann. Aber auch im Südwesten von Wales gibt es Regionen, in denen vergleichsweise viele Menschen Walisisch sprechen können, insbesondere in Carmarthenshire (das Gebiet im mittleren Blauton in der unten stehenden Graphik), wo dies auf rund 72.800 oder 38,7 Prozent der Bewohner zutrifft.

 

 

Quelle: https://www.gov.wales/welsh-language-wales-census-2021-html#section-111199

Man würde vielleicht erwarten, dass es mehrheitlich alte Menschen sind, die Walisisch sprechen können, aber das ist nicht der Fall: Während etwa 16 Prozent der Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter Walisisch (angeben,) sprechen (zu können), und etwa 14 Prozent derjenigen im Alter von 20 bis 64 Jahren, sprechen 40,3 Prozent der 5- bis 15-Jährigen Walisisch und 20 Prozent der 16- bis 19-Jährigen (https://www.gov.wales/welsh-language-wales-census-2021-html#section-111199; Tabelle 1). In dieser Verteilung findet offensichtlich die Schulpolitik von Wales ihren Niederschlag: Eltern können wählen, ob sie ihr Kind in eine Schule schicken möchten, in der der Unterricht auf Englisch, auf Walisisch oder in beiden Sprachen stattfindet. Derzeit besuchen gut 65.000 Kinder in Wales Primarschulen, in denen auf Walisisch oder auf Walisisch und Englisch unterrichtet wird (s. https://www.gov.wales/cymraeg-for-kids). Und alle Schüler in Wales, ungeachtet des besuchten Schultyps mit Bezug auf die Unterrichtssprache, haben bis zum Alter von 16 Jahren Walisisch-Unterricht. Bis 2022 wurde dabei zwischen Walisisch als Erst- und Walisisch als Zweitsprache unterschieden; ab 2022 wird ein neuer Lehrplan stufenweise eingeführt, in dem es diese Unterscheidung nicht mehr gibt.

“Ensuring that the Welsh language is a statutory subject for everyone, and removing the term ‘Welsh second language’ is vital if we are to achieve the goal of a million Welsh speakers”,

d.h.

Sicher zu stellen, dass die walisische Sprache ein Pflichtfach für alle ist, und den Begriff ‚walisische Zweitsprache‘ abzuschaffen, ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir das Ziel von einer Million Walisisch-Sprechern erreichen wollen“,

sagte Professor Sioned Davies, die die Autorin des Berichtes ist, den die walisische Regierung in Auftrag gegeben hatte, um den Status von Walisisch im Lehrplan zu evaluieren, und dessen Empfehlungen die Regierung nunmehr gefolgt ist, um bis zum Jahr 2050 eine Million Walisisch-Sprecher in Wales zu produzieren.

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Gerade vor dem Hintergrund, dass alle Kinder in Wales Walisisch-Unterricht haben, mag es erstaunen, dass in der Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2021 auch unter den Schülern bzw. Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre nur eine Minderheit Walisisch sprechen kann. Viele von ihnen lernen Walisisch de facto als Zweit-Sprache, bekommen die Sprache also nicht im Elternhaus vermittelt, und den meisten Menschen, die Walisisch nicht im Elternhaus bzw. als Erstsprache erwerben, dürfte das Erlernen der walisischen Sprache bis zu einem Grad, in dem sie die Sprache nicht nur verstehen oder lesen, sondern auch (mehr oder weniger flüssig) sprechen können, einigermaßen schwer fallen.

Walisisch gilt als eine vergleichsweise schwierige Sprache und als eine deutlich schwierigere als viele, wenn nicht der meisten, der europäischen Sprachen. Die persönlichen Erfahrungen, die in Sprachlernforen, auf Blogs oder im Bekanntenkreis ausgetauscht werden, bestätigen dies. Aber auch eine systematische Bewertung aufgrund einer Reihe von Kriterien mit Bezug auf die Nähe der Sprache zum Englischen (wie die Zugehörigkeit zur selben oder einer anderen Sprachfamilie, die Nähe zur englischen Grammatik und Phonetik u.a.m.), sowie aufgrund der kulturellen Nähe erweisen Walisisch als eine vergleichsweise schwierig zu erlernende Sprache. So soll gemäß einer Bewertung von 28 Sprachen auf dem Blog „travel-lingual.com“ nach diesen Kriterien das Erlernen von Walisisch bis zu einem mittleren Niveau für einen Englisch-Sprecher 1.040 Stunden in Anspruch nehmen, während er Swahili und Indonesisch bis zu einem mittleren Niveau in 900 Stunden erlernen können soll, Deutsch in 750 Stunden und Französisch, Italienisch und Spanisch jeweils in 575 bis 600 Stunden.

Warum ist Walisisch für Englisch-Sprecher (aber sicher auch für Sprecher anderer europäischer Sprachen) vergleichsweise schwierig zu erlernen? Und warum dürfte das auch für Deutsch-Sprecher und die Sprecher anderer europäischer Sprachen gelten?

Das hat zunächst damit zu tun, dass Walisisch weder zu den germanischen noch zu den romanischen noch zu den slawischen Sprachen gehört, sondern zu den keltischen Sprachen, genau: zum als britannisch oder britisch bezeichneten Zweig des inselkeltischen Zweigs der keltischen Sprachfamilie. Dieser Zweig der keltischen Sprachen umfasst neben dem Walisischen die kornische Sprache, das Kumbrische und das Bretonische, wie man der unten stehenden Abbildung entnehmen kann (auf der noch gesprochene Sprachen grün hinterlegt sind und ausgestorbene rot).

Quelle: Elevatorrailfan – This vector image includes elements that have been taken or adapted from this file:, CC BY-SA 4.0,

Das Bretonische wird auch heute noch in der westlichen Hälfte der Bretagne gesprochen. Die Bretagne ist eine Halbinsel im Nordwesten von Frankreich, die für die vielen megalithischen Monumente, die auf der Halbinsel zu finden sind, berühmt ist. Bis heute ist ungeklärt, ob das Bretonische von der Britischen Insel, insbesondere aus Cornwall, auf den Kontinent importiert wurde oder ob es ein Überbleibsel des Gallischen, einer Sprache aus dem Zweig der keltischen Festlandsprachen ist (s. hierzu Humphreys 1993: 608-609). Jedenfalls ist das Bretonische die einzige keltische Sprache, die noch auf dem europäischen Kontinent gesprochen wird, wenn auch von vergleichsweise wenigen Menschen: Im Jahr 2013 sollen ungefähr 206.000 Menschen in der Bretagne Bretonisch gesprochen haben, 35.000 von ihnen als ihre Alltagssprache (s. https://omniglot.com/writing/breton.htm).

Die kornische Sprache ist fast ausgestorben; im Zensus aus dem Jahr 2011 haben gerade einmal 557 Personen in Cornwall angegeben, Kornisch als ihre erste Sprache zu sprechen, aber seitdem werden diverse Wiederbelebungsversuche gemacht. Die kumbrische Sprache, von deren Existenz wir vor allem durch Sekundärliteratur wissen und die noch im frühen Mittelalter im Norden Englands und im Süden Schottlands gesprochen wurde, ist inzwischen ausgestorben.

(Die keltische Sprache, die heute am weitesten verbreitet ist und den größten Einfluss in Kunst und Kultur hat, ist zweifellos das „Gaeltacht“, das in Irland gesprochen wird und gemäß dem Zensus von 2016 1.761.420 Sprecher aufweisen konnte, wobei 73.803 von ihnen „Gaeltacht“ bzw. Irisch oder Gälisch im ihrem Alltag, außerhalb von Bildungseinrichtungen, sprachen; https://cnag.ie/en/info/conradh-na-gaeilge/facts-and-figures.html)

Sprachen, die zur keltischen Sprachfamilie gehören, haben verschiedene (phonologische, morphologische, syntaktische) Merkmale, die sie von Sprachen, die zu anderen Sprachfamilien gehören, unterscheiden, wodurch sie für einen Sprecher einer europäischen Sprache, die zur germanischen oder romanischen Sprachfamilie gehört, einigermaßen ungewohnt sind. Gleichzeitig unterscheiden sich die keltischen Sprachen voneinander so weit, dass sich jemand, der eine keltische Sprache spricht, nicht mit jemandem unterhalten (oder ihn kaum oder gar nicht verstehen) kann, der eine andere keltische Sprache spricht.

Außerdem weisen die keltischen Sprachen (wie Sprachen aus anderen Sprachfamilien auch) verschiedene regionale Varianten oder Dialekte auf, selbst dann, wenn sie in einem relative kleinräumigen Gebiet gesprochen werden. So hat das Bretonische vier Varianten (mit jeweils unterschiedlichem Grad an gegenseitiger Verständlichkeit), und Walisisch ist hauptsächlich (aber nicht nur) durch eine Nord-Süd-Achse in Nord-Walisisch und Süd-Walisisch getrennt. Jeder Versuch, eine keltische Sprache wiederzubeleben, indem sie im Bildungssystem angeboten oder gar verpflichtend gemacht wird oder als offizielle Sprache im amtlichen Briefverkehr oder auf Straßenschildern benutzt wird, steht daher vor einem Problem: entweder muss eine einheitliche Standardsprache geschaffen werden, die dann ein mehr oder weniger künstliches Produkt ist, oder es muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Variante der Sprache (wo) benutzt wird.

So verschicken walisische Behörden bilinguale Briefe in Englisch und „Walisisch“, wobei diejenigen in Südwales in Süd-Walisisch verfasst sind, und ich vermute, dass die entsprechenden Briefe in Nordwales in Nord-Walisisch verfasst sind, aber ich kann dies nicht mit Sicherheit behaupten. In jedem Fall enthalten solche Briefe neben einer englischen Variante eine „walisische“, ohne Hinweis darauf, ob es sich dabei um eine süd- oder eine nord-walisische handelt.

Dass mit der zweisprachigen Ausgabe von u.a. Straßenschildern einige Probleme verbunden sein können, wenn diejenigen, die die Schilder in Auftrag geben und aufstellen, der walisischen Sprache nicht mächtig sind, zeigen eine Reihe von “blunders”, wie es im Englischen heißt, Missgeschicke, Schnitzer, im Deutschen. Einer der bekanntesten stammt aus dem Jahr 2018 und betrifft ein Schild, das den walisischen Text “Kein Schwerlastverkehr. Zufahrt nur für Anlieger” tragen sollte.

Tatsächlich stand auf dem Schild zu lesen: “Nid wyf yn y swyddfa ar hyn o bryd. Afonwch unrhyw waith i’w gyfieithu.” In Deutsch: Ich bin derzeit nicht im Büro. Bitte schicken Sie alle Arbeiten, die übersetzt werden sollen. Es war der Text, den der zuständige Sachbearbeiter der Stadtverwaltung Swansey zurückbekommen hat, als er per eMail um eine Übersetzung ins Walisische bat und der Text, der dann letztlich auf dem Schild gelandet ist.

Für den Lernenden von Walisisch außerhalb von Bildungseinrichtungen ist gewöhnlich nicht von vorherein ersichtlich, mit welchem Walisisch er konfrontiert ist, wenn ihm Materialien zum Erlernen von „Walisisch“ präsentiert werden. Die Materialien, die man zum Erlernen „der“ walisischen Sprache im Handel kaufen kann, sind mehrheitlich dem Süd-Walisischen verpflichtet, und häufig bleibt diese Tatsache sogar in den Materialien selbst ohne Erwähnung. So hat z.B. ein amazon-Kunde mit Bezug auf den Erwerb von Heini Gruffudds „Welcome to Welsh: A Complete Welsh Course for Beginners“ den folgenden Kommentar auf amazon.co.uk hinterlassen:

3.0 out of 5 stars NORTH OR SOUTH ?
Reviewed in the United Kingdom on 18 July 2013
Verified Purchase

I HAVE STARTED TO LEARN WELSH FOM A VERY GOOD WEBSITE CALLED “SAYSOMETHINGINWELSHdotCOM”. BEING A REGULAR VISTOR TO THE NORTH, I THOUGHT IT WOULD BE NICE TO “GIVE SOMETHING BACK” AS MY ANCESTORS WERE FROM WALES.HOWEVER NEARLY ALL PUBLICATIONS ARE THE STYLE OF WELSH SPOKEN IN THE SOUTH,SO IT WOULD BE NICE TO KNOW. RETURNED ITEMS.

D.h.:
3.0 von 5 Sternen NORDEN oder SÜDEN ?
Bewertet im Vereinigten Königreich am 18. Juli 2013
Verifizierter Kauf

ICH HABE AUF EINER SEHR GUTEN WEBSITE MIT DEM NAMEN “SAYSOMETHINGINWELSHdotCOM” BEGONNEN, WALISISCH ZU LERNEN. ALS REGELMÄSSIGER BESUCHER DES NORDENS [von Wales] DACHTE ICH, ES WÄRE SCHÖN, “ETWAS ZURÜCKZUGEBEN”, DA MEINE VORFAHREN AUS WALES STAMMEN. FAST ALLE PUBLIKATIONEN SIND IN DER ART VON WALISISCH VERFASST, DIE IM SÜDEN GESPROCHEN WIRD, ALSO WÄRE ES SCHÖN, DAS ZU WISSEN. [HABE DEN] ARTIKEL ZURÜCKGESCHICKT.

Nun sind sich Süd- und Nordwalisch hinreichend ähnlich, so dass ein „Walisisch“-Sprecher, der aus dem Süden kommt, einen, der aus dem Norden kommt, verstehen kann (und umgekehrt), aber es gibt Unterschiede zwischen Süd- und Nordwalisisch hinsichtlich der Betonung und Aussprache von Worten, die das Eine für Sprecher des Anderen einigermaßen „fremd“ klingen lassen. Hierzu tragen auch Unterschiede im Vokabular bei, wie ein entsprechendes Quiz, das im August 2015 auf „WalesOnline“ zu finden war, illustriert. Materialien, die vom im Jahr 2016 eingerichteten Nationalen Zentrum für das Erlernen des Walisischen (Y Ganolfan Dysgu Cymraeg Genedlaethol) für den Unterricht in der Schule oder eine Lerngruppe in- oder außerhalb der Schule produziert werden, tragen dem Unterschied zwischen Süd- und Nordwalisisch deshalb Rechnung wie ein Blick auf das Angebot der entsprechenden Materialien zeigt.

Ein weiteres Problem ist, dass es für eine Sprache, die vor allem oder nur als gesprochene Sprache überlebt hat, keinen (aktuellen) Standard der Verschriftlichung gibt bzw. keinen Standard für Richtigkeit gemäß grammatischer oder ästhetischer Regeln im Verhältnis zu Richtigkeit als Angemessenheit im alltäglichen Gespräch. Im Walisischen ist dieser Unterschied deutlich ausgeprägt mit Bezug auf literarisches oder formales Walisisch einerseits und umgangssprachliches Walisisch andererseits (s. hierzu Watkins 1993: 291). Eine Vereinheitlichung der Orthographie im Walisischen wurde nach vielen Auseinandersetzungen im Jahr 1928 erreicht (und erfuhr 1987 nochmals kleinere Veränderungen):

„The mainstream literary publishers have always sought to conform to the[se] rules for their use, but ‚popular‘ publications such as the weekly newspaper Y Cymro frequently either disregard or misapply them. It would, however, be perilous to embark on further reform, given the contraction in the numbers now able to read and write Welsh competently”,

d.h.

„Die gängigen Literaturverlage haben sich immer bemüht, die[se] Regeln für ihre Produkte einzuhalten, aber ‚populäre‘ Publikationen wie die Wochenzeitung Y Cymro missachten sie häufig oder wenden sie falsch an. Angesichts des Rückgangs der Zahl derer, die Walisisch kompetent lesen und schreiben können, wäre es jedoch gefährlich, eine weitere Reform in Angriff zu nehmen“, so schreibt Humphreys im Jahr 1993 (auf Seite 296).

Auch heute noch finden sich u.a. Varianten im Hinblick auf Zusammen- oder Auseinanderschreibung, so z.B. im Zusammenhang mit Straßennamen, in ein und derselben Region. Darüber hinaus variiert die Schreibweise von Worten für Süd- und Nord-Walisisch, z.B. bei der walisischen Variante der Begrüßung durch „Hallo“, das von Heini Gruffudd (2012: 16) in süd-walisischer Gewohnheit „Shwmae“ geschrieben wird, in Nord-walisisch aber „Su’mae“ geschrieben wird. Dieser Umstand verweist zurück auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem Nord- und dem Südwalisischen.

Auch mit viel Toleranz gegenüber Schreib-Varianten und im Bewusstsein der Unterschiede zwischen Nord- und Südwalisisch, die das Erlernen von Walisisch (in einer dieser beiden oder einen anderen Variante) für Sprecher germanischer oder romanischer Sprachen ungewohnt sind und dementsprechend schwierig. Beispielsweise kennt Walisisch keine Infinitiv-Form der Verben. An die Stelle der Infinitiv-Form eines Verbes rückt im Walisischen das verbale Substantiv (wie z.B. in „das Verbrennen von Holz“). Als solches kann es auch die Verlaufsform anzeigen (wie z.B. in „jemand ist am Verbrennen von Holz“ bzw. in richtigem Deutsch: „jemand ist dabei, Holz zu verbrennen“). Um auszudrücken, dass Gwen ein Buch liest, muss man im Walisischen formulieren: „Ist Gwen ist am Lesen eines Buches“ (bzw. „dabei, ein Buch zu lesen“), und um auszudrücken, dass Gwen ein Buch gelesen hat, muss man im Walisischen die dem Ausdruck „Ist Gwen nach dem Lesen eines Buches“ entsprechende Konstruktion vornehmen.

Dass das „ist“ in den beiden zuletzt genannten Konstruktionen vorne im Satz steht, deutet nicht unbedingt eine Frage an, wie das im Deutschen der Fall wäre, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass die Wortfolge im walisischen Satz nicht derjenigen von Subjekt-Verb-Objekt entspricht, sondern Verb-Subjekt-Objekt(-Rest des Satzes, z.B. Adverb) lautet. „Ich habe Gwens Vater gestern ein gutes Buch gegeben“ müsste dementsprechend konstruiert werden als „(Das) Geben-ich-Buch-gut-an/zu-Vater-Gwen-gestern“.

Man beachte, dass es in diesem Satz keinen unbestimmten Artikel („ein Buch“) gibt; im Walisischen gibt es überhaupt keinen unbestimmten Artikel. Es gibt lediglich die Möglichkeit, sich mit einer Konstruktion zu behelfen, die „rhai“ („einige“) oder „rhai petau“ („einige Dinge“) oder „peth“ („etwas“, „eine kleine Menge“) benutzt. Aber es gibt drei bestimmte Artikel, nämlich „y“, „yr“ und „r“, die allerdings nicht wie im Deutschen für die drei grammatischen Geschlechter verwendet werden – es gibt im Walisischen ohnehin nur zwei Geschlechter, ein männliches und ein weibliches, die allerdings ihre jeweils eigenen Zahlworte erfordern, also zwei verschiedene Worte für „eins“, „zwei“, „drei“ etc. –, sondern in Abhängigkeit davon, ob sie vor einem Konsonanten stehen (wie in „y dyn“, „der Mann“) oder vor einem Vokal (wie in „yr ysgol“, „die Schule“) oder einem Vokal bzw. vor einer Präposition, die mit einem Vokal beginnt (wie in „i’r ysgol“, „zur Schule“).

Sie mögen sich darüber gewundert haben, dass das „y“ in den Beispielsätzen als Vokal klassifiziert wurde. Im Walisischen ist „y“ ein Vokal – von insgesamt sieben Vokalen – und kein Konsonant wie Deutschen und Englischen. Dasselbe gilt für „w“. Während „w“ als kurzes oder als langes (deutsches) „u“ ausgesprochen wird, hat „y“ insgesamt vier verschiedene Varianten: es kann als kurzes (deutsches) „i“ ausgesprochen werden oder als langes (deutsches) „i“ oder als „a“ (wie im englischen Wort „fun“), und im Nord-Walisischen wird es wie das deutsche „ü“ ausgesprochen. Ebenfalls als „ü“ ausgesprochen wird im Nord-Walisischen das „u“, während es im Süd-Walisischen als kurzes oder als langes deutsches „i“ ausgesprochen wird. Das walisische „i“ wird ebenfalls wie ein kurzes oder langes deutsches „i“ ausgesprochen. Das walisische „a“ hat ebenfalls nur zwei Varianten, eine kurze und eine lange“ (und wird wie das deutsche „a“ ausgesprochen). Das walisische „e“ wiederum kann als ein kurzes oder wie ein langes „e“ ausgesprochen werden oder – wenn es nach einem „a“ oder „o“ steht – als  ein langes „i“, während das walisische „o“ als kuzes „o“ etwa wie im Deutschen ausgesprochen werden kann oder wie „oa“. In einem Text der Welsh Society heißt es mit Bezug auf die Frage, wann bestimmte Vokale kurz oder lange ausgesprochen werden:

“Long and short vowels. This is horrifically complicated for Welsh and you’d do well to skip this paragraph. In general, Welsh vowels are short except in stressed syllables, and even those can be shortened if they are not the main stressed word in a phrase. Long vowels are found in final syllables when they end in the following single vowels, diphthongs, or most single consonants: A, AE, B, CH, D, DD, E, F, FF, G, I, LL, O, OE, S, TH, U, W, WY, Y, and also the I or U in words ending in IL, UL, IN, UN, IR, or UR; also dyn meaning ‘man’ and hen. It might be easier to list the exceptions: vowels are short before C, L, M, P, R, and T, except I and U which are only short before C, M, P, and T. Otherwise, long vowels are indicated with a circumflex (to bach in Welsh): Â, Ê, Î, Ô, Û, Ŵ, Ŷ. A few common exceptions are words borrowed from English and a few extremely common words such as (n)a, (n)ag, (n)ac, beth, nes, os, rhag, and the monosyllables with obscure Y (see below). A number of further exceptions are listed here”.
„Lange und kurze Vokale. Das ist im Walisischen furchtbar kompliziert, und Sie tun gut daran, diesen Abschnitt zu überspringen. Im Allgemeinen sind walisische Vokale kurz, außer in betonten Silben, und selbst diese können verkürzt werden, wenn sie nicht das wichtigste betonte Wort in einem Satz sind. Lange Vokale finden sich in Endsilben, wenn sie auf die folgenden einzelnen Vokale, Diphthonge oder die meisten einzelnen Konsonanten enden: A, AE, B, CH, D, DD, E, F, FF, G, I, LL, O, OE, S, TH, U, W, WY, Y und auch das I oder U in Wörtern, die auf IL, UL, IN, UN, IR oder UR enden; außerdem dyn in der Bedeutung ‚Mann‘ und Henne. Es ist vielleicht einfacher, die Ausnahmen aufzulisten: Vokale sind vor C, L, M, P, R und T kurz, außer I und U, die nur vor C, M, P und T kurz sind. Ansonsten werden lange Vokale mit einem Zirkumflex angezeigt (to bach auf Walisisch): Â, Ê, Î, Ô, Û, Ŵ, Ŷ. Einige häufige Ausnahmen sind aus dem Englischen entlehnte Wörter und einige sehr häufige Wörter wie (n)a, (n)ag, (n)ac, beth, nes, os, rhag und die einsilbigen Wörter mit undeutlichem Y (siehe unten). Eine Reihe weiterer Ausnahmen sind hier aufgeführt”.

Da tröstet es den Lernenden wenig, dass Walisisch ansonsten eine phonetische Sprache ist, die so ausgesprochen wird, wie sie geschrieben wird, die meisten walisischen Worte auf der vorletzten Silbe betont werden, und der Zirkumflex über Vokalen jedenfalls dann steht, wenn die Wortbedeutung davon abhängt, ob der Vokal lang oder kurz ausgesprochen wird (wie in „tân“, das „Feuer“ bedeutet, im Gegensatz zu „tan“, das „unter“ oder „bis“ bedeutet).

Neben den sieben Vokalen gibt es im walisischen Alphabet 21 Konsonanten, darunter acht Kombinationen zweier Konsonanten, die jedoch als einzelne Konsonanten im Alphabet gezählt werden. So gibt es neben einem „f“ ein „ff“, neben einem „l“ ein „ll“, neben einem „d“ ein „dd“, die alle ihre spezifische Aussprache haben, die sie von der Aussprache der allein stehenden Konsonsten unterscheidet, sowie ein „ch“, ein „ng“, ein „ph“, ein „rh“ und ein „th“. Und dann gibt es noch eine Reihe von Kombinationen von Buchstaben, die ihre eigene Aussprache haben, aber nicht als einzelne Buchstaben im Alphabet auftauchen, so z.B. „si“, das wie das englische Wort „shop“ ausgesprochen wird, „sh“, das wie ein deutsches „sch“ ausgesprochen wird; „ae“, das wie wie das deutsche „ei“ ausgesprochen wird, wenn es in der letzten Silbe eines Wortes steht, aber wie im englischen Wort „day“, wenn es in einer Silbe steht, die nicht die letzte im Wort ist, „ew“ hört sich an wie ein kurzes „i“ und ein langes „u“ (aber nicht wie das englische „you“), und es wird gewöhnlich auf ein langes „u“ reduziert, wenn es einem Wort folgt, das auf einen Vokal endet, um nur auf einige der Buchstaben-Kombinationen mit eigener Aussprache einzugehen.

Vielleicht sind die für Walisisch-Lerner abschreckendste Eigenschaft des Walisischen aber seine Mutationen oder Anlautwechsel, d.h. die Veränderung ooder Anfügung von Konsonanten am Beginn eines Wortes in Abhängigkeit von bestimmten Laut-„Umgebungen“, die ein Hauptmerkmal der insularkeltischen Sprachen darstellen. Es gibt drei Arten von Mutationen. Da sind zunächst die sogenannten weichen Mutationen, bei denen harte Konsonanten wie z.B. „c“ oder „b“ in die weicheren Konsonanten wie z.B. „g“ und „f“ überführt werden. Das ist u.a. dann der Fall bei weiblichen Substantiven im Singular, die nach dem bestimmten Artikel „y“ stehen, z.B. in „y ferch“, „das Mädchen“, während das walisische Wort für „Mädchen“ ohne den bestimmten Artikel „merch“ ist, sowie nach bestimmten Propositionen wie z.B. in „o Fangor“, das eine Kombination aus den beiden Worten „o“ und „Bangor“ darstellt und „aus Bangor“ (einer Stadt in Nord-Wales), bedeutet. Es gibt über 30 solcher Regeln, die weiche Mutationen betreffen.

Wales Online

Neben den weichen Mutationen, die die häufigsten sein dürften, gibt es Aspirationsmutationen und nasale Aspirationen. Bei Aspirationsmutationen verwandelt sich ein Konsonant in einen Reibelaut, eine Art gehauchter Version desselben, u.a. wenn das Wort nach dem walsischen „a“ steht, das „und“ bdeutet. Beispielswise verwandelt sich das Wort „coffi“ für „Kaffee“ in der Kombination „te a choffi“, d.h. „Tee und Kaffee“, von „coffi“ in „choffi“; Und das „t“ von „te“ in der umgekehrten Kombination, nämlich „coffi a the“ („Kaffee nd Tee“) verwandelt sich von „t“ in ein „th“. Aspirationsmutationen sind seltener als weiche Mutationen; es gibt etwa zehn Regeln, nach denen Aspirationsmutationen erfolgen. Es gibt auch sogenannte „gemischte Mutationen“ im Walisischen, die eine Mischung aus weichen und Aspirations-Mutationen bezeichnen.

Bei nasalen Mutationen wird der Gaumen so weit abgesenkt, dass Mund- und Nasenhöhle akustisch gekoppelt werden. Das ist z.B. bei der Produktion des Lautes „ng“ im deutschen Wort „Gang“ der Fall. Im Walisischen verwandeln sich Konsonanten u.a. dann in eine nasale Mutation, wenn sie nach der Präposition „yn“, d.h. „in“, stehen. Dann wird z.B. aus dem oben bereits erwähnten Namen der Stadt Bangor „Mangor“. „Bangor“, „Fangor“, „Mangor“ bezeichnen allesamt die Stadt Bangor; in den beiden Varianten von „Bangor“ wird der Anfangskonsonant gemäß verschiedener Mutationen transformiert, je nachdem, welches Wort vor dem Stadtnamen steht. In Bangor“ heißt auf Walisisch aber nicht „yn Mangor“, wie man meinen könnte, sondern „ym Mangor“, denn die nasale Mutation von „Bangor“ zu „Mangor“ nach „yn“ zieht ihrerseits eine Mutation von „yn“ zu „ym“ nach sich.

Diese Mutationen verändern an sich also nicht die Bedeutung der Worte, aber sie lassen sich leichter sprechen als die entsprechenden Wortfolgen ohne Mutation und versorgen die Sprache mit einem besseren Klang. Wer keine Mutationsregeln für das Walisische beherrscht oder diesbezüglich viele Fehler macht, wird verstanden, aber er klingt nicht „richtig“ walisisch, spricht kein richtiges Walisisch, auch, wenn er sonst alle phonetischen und grammatikalischen Regeln in seiner Sprache umsetzen kann.

Es sollte deutlich geworden sein, dass es viele Gründe gibt, warum das Lernen der (Süd- oder Nord-)walisischen Sprache einigermaßen schwierig ist für jemanden, der als Muttersprache eine germanische oder romanische Sprache spricht. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es viele Menschen, die (eine Variante von) Walisisch lernen wollen. Im „2021 Language Report“ („Sprachen-Bericht“) von Duolingo – der vielleicht bekanntesten und beliebtesten Sprachlern-Anwendung, mit deren Hilfe man eine (oder mehrere) der über vierzig Sprachen, die Duolingo anbietet, unentgeltlich lernen kann – heißt es mit Bezug auf Walisisch:

“Welsh continues to be one of the fastest-growing languages in the U.K., even six years after the course was introduced. In 2020, Welsh ranked #1 among fastest-growing languages, and it made a strong showing at #2 in 2021. This year, Welsh was beat out by Japanese for the top spot …”.

D.h.

„Walisisch ist weiterhin eine der am schnellsten wachsenden Sprachen im Vereinigten Königreich, auch sechs Jahre nach Einführung des Kurses. Im Jahr 2020 lag Walisisch auf Platz 1 der am schnellsten wachsenden Sprachen, und 2021 belegte es einen starken Platz 2. In diesem Jahr wurde Walisisch vom Japanischen vom ersten Platz verdrängt …“.

Wer sich am Walisischen versuchen möchte, der kann den kostenlosen Walisisch-Kurs auf Duolingo beginnen, der wie anderen Kurse, die Duolingo anbietet, von einer Handvoll hoch engagierter Personen geschaffen wurde, aber seit Oktober 2021 in der Verantwortung des oben bereits erwähnten Nationalen Zentrum für das Erlernen des Walisischen („National Centre for Learning Welsh“) steht (s. https://learnwelsh.cymru/news/duolingo-1/). Der Walisisch-Kurs auf Duolingo ist (nunmehr) zumindest teilweise auf den Lehrplan für Walisisch in walisischen Schulen abgestimmt. Während einige Lerner es bedauern mögen, dass der Walisisch-Kurs auf Duolingo nunmehr “just like a textbook“, etwa; „genau wie ein Lehrbuch“, gestaltet sein mag, und die Nutzung des Kurses im Selbst- und Alleinunterricht dadurch in einigen Hinsichten schwierig(er) ist, dürften es andere Lerner als einen Vorteil ansehen, dass Unterrichtsmaterialien, die ebenfalls vom Nationalen Zentrum für das Erlernen des Walisischen produziert werden, auf die dem in einem Abschnitt behandelten Stoff auf die entsprechenden Kursteile im Duolingo-Kurs verweisen, so dass man mit dem gedruckten Unterrichtsmaterial und parallel hierzu mit Duolingo arbeiten kann. Wer dies tun möchte, dem sei die Anschaffung von „Dysgu Cymraeg“ auf dem „Entry“-, d.h. Einstiegs-Niveau A1, für Süd- oder Nord-Walisisch empfohlen.

Aber es sei angefügt, dass es auch mit diesen Materialien nach meiner Erfahrung (für Europäer) schwieriger ist, Walisisch im Selbstunterricht zu erlernen als viele andere (insbesondere europäische) Sprachen, so dass ich dazu raten würde, einen Kurs zu finden, in dem man am besten direkt von einem walisischen Muttersprachler lernen kann. Auch, wenn das nicht möglich ist und man bis auf Weiteres auf die Frage “Ydych chi’n siarad Cymraeg?” wahrheitsgemäß mit “na” (“nein”) antworten muss, kann der an Sprachen Interessierte durch den Duolingo-Kurs einen Eindruck von der walisischen Sprache bekommen, einer Sprache, die m.E. in ihrer Andersartigkeit und aufgrund ihrer Kulturgeschichte faszinierend ist und einen sehr schönen Klang hat und zu der man in Deutschland oder von Deutschland aus eher selten Zugang bekommen kann.


Literatur

Humphreys, Humphrey Lloyd, 1993: The Breton Language: Its Present Position and Historical Background, S. 606-643 in: Ball, Michael J. with James Fife (Hrsg.): The Celtic Languages. London: Routledge.

Watkins, T. Arwyn, 1993: Welsh, S. 289-348 in: Ball, Michael J. with James Fife (Hrsg.): The Celtic Languages. London: Routledge.

 

 

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