Kindernamen als Statusanzeige

Michael_7520101549_Kanji_NameWarum hat man den Vornamen, den man hat? Warum heiße ich Michael? Blöde Frage, weil meine Eltern mich Michael genannt haben und niemand es gewagt hat, sie von der Wahl abzubringen. Aber das beantwortet die Frage eigentlich nicht, warum haben mich meine Eltern Michael genannt? Mehr noch, warum gibt es Wellen beliebter Namen? Warum weiß man wenn man Leon, Ben oder Mia hört, die Namensträger wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit nach 2009 geboren? Warum waren 1890 Karl, Wilhelm und Otto, Anna, Martha und Frieda die beliebtesten Namen? Warum dominierten Thomas und Sabine über die gesamten 1960er Jahre, während Burghard, Richard und Tim, Melanie, Kirstin und Vera nur auf den Plätzen 100 bis 103 in der Beliebtheitsskala gelandet sind?

Die erste Antwort auf die Frage, die offensichtlich ist, lautet: Es gibt Namenstrends: Bestimmte Vornamen sind zu bestimmten Zeitpunkten mehr in Mode als andere Vornamen. Gut. Aber was erklärt der Verweis auf Trends, auf Modewellen, Fashion-Trends? Nichts. Die Frage, warum bestimmte Namen auf der Woge des Trends reiten, während andere in der Gischt verschwinden, ist nach wie vor unbeantwortet oder besser: Sie war unbeantwortet, denn nun gibt es die Arbeit von Hema Yoganarasimhan (Modename?), Assistant Professor an der Graduate School of Management an der University of California, in der gezeigt wird, warum bestimmte Namen in der Beliebtheitsskala oben schwimmen, während andere dies nicht tun.

Alles beginnt mit Thorstein Veblen und Pierre Bourdieu. Veblen erklärt Modetrends, Hypes, durch imitierendes Verhalten. Zuerst adoptieren die Reichen ein Verhalten, spielen zum Beispiel Golf oder hängen sich einen echten Miro ins Wohnzimmer. Dann adaptieren die weniger Reichen das Verhalten der Reichen, beginnen mit Golfschlägern zu hantieren und kaufen die Miro-Reproduktion. Die Weniger Reichen tun dies, um sich von den noch weniger Reichen zu differenzieren, um zu zeigen, dass sie im Status über denen stehen, die nicht Golf spielen und keine Reproduktion von Miro im Wohnzimmer hängen haben. Das nachgeahmte Verhalten der Reichen ist also eine Form der Differenzierung und je mehr sie nutzen, desto mehr wird die Differenzierung zur Mode, zum Trend und verliert entsprechend (nicht nur) für die Reichen ihren Wert.

BourdieuPierre Bourdieu erklärt Modetrends in exakt der selben Weise, allerdings sind es bei ihm nicht die Reichen, die Trends setzen, sondern Personen mit viel, wie er es nennt, kulturellem Kapital: Personen mit hoher Bildung (und nicht notwendigerweise viel Geld), Personen, die bestimmte kulturelle Angebote nachfragen, ins Museum gehen, Büchereien frequentieren, vielleicht sogar in die Oper gehen, Personen, die ein Verhalten an den Tag legen, das sie zum einen als “kulturell besonders” auszeichnet, zum anderen als Gegenstand der Nachahmung interessant macht. Entsprechend sind es dieses mal diejenigen, die nicht so viel kulturelles Kapital haben, die Personen mit viel kulturellem Kapital nachahmen, um sich von denen zu differenzieren, die noch weniger kulturelles Kapital haben oder von denen sie annehmen, dass sie noch weniger kulturelles Kapital haben.

In beiden Fällen, im theoretischen Ansatz von Veblen und im theoretischen Ansatz von Bourdieu, werden die Insignien, die Reiche (bei Veblen), kulturelle Kapitalträger (bei Bourdieu) nutzen, zum Symbol für deren Status. Mit der Übernahme der entsprechenden Statussymbole versprechen sich diejenigen, die nicht reich sind oder nicht bzw. kein kulturelles Kapital haben, den Status zu gewinnen, den ihre “Vorbilder” haben. Ein Trend ist somit eine Art Trittbrettfahren, bei dem Personen, die in der sozialen Hierarchie (egal, ob im Hinblick auf Reichtum oder im Hinblick auf kulturelles Kapital) nicht oben, sondern, sagen wir in der Mitte sind, versuchen, sich von denen, die sie unter sich ansiedeln, zu differenzieren. Sie versuchen, zu symbolisieren, darzustellen, dass sie eigentlich in der sozialen Hierarchie nach oben gehören, und sie versuchen dies, in dem sie die Insignien übernehmen, die sie Reichen oder kulturellen Kapitalträgern zuordnen.

Namen sind solche Insignien. Das zeigt die Untersuchung von Yoganarasimhan sehr deutlich. Yoganarasimhan kann auf einen reichhaltigen Datenfundus, der sich aus dem Current Population Survey und Daten von der Social Security Administration, also Daten für die USA zusammensetzt, zurück greifen. Auf diese Weise gelingt es Yoganarasimhan einen Zeitraum von knapp 70 Jahren von 1940 bis 2009 abzudecken und zu untersuchen. Für diesen Zeitraum kann Yoganarasimhan nicht nur die Existenz verschiedener Modezyklen, also von Namen, die Mode werden und wieder verschwinden, nachweisen. Yoganarasimhan kann auch zeigen, dass es immer die Personen mit hohem kulturellen Kapital sind, die Namen zuerst adaptieren, lange bevor sie zum Trend werden und von Personen mit wenig kulturellem Kapital übernommen werden. Personen mit hohem kulturellem Kapital fungieren also als Trendsetter und finden unter denen, die wenig(er) kulturelles Kapital besitzen, willige Nachahmer. Die selbe Systematik lässt sich für die von Veblen behaupteten Trendsetter, die Reichen, nicht finden. Als kulturell distinguiert zu gelten, ist demnach wichtiger als als reich zu gelten.

jungen-die-kevin-heissenNunmehr kann die Eingangs gestellte Frage beantwortet werden. Warum gibt es noch einmal Modewellen bei Kindernamen? Weil Eltern sich über die Wahl des Namens, den sie ihrem Kind geben, von anderen Eltern, vor allem von Eltern, die sie als im Status unter ihnen ansehen, differenzieren wollen. Die Namensgebung wird also genutzt, um sich selbst als distinguiert und gebildet, als Angehöriger der “oberen Bildungsschicht” zu präsentieren. Der gewählte Name steht in der Mehrzahl der Fälle als Symbol für die soziale Zuordnung, die Eltern mit ihm verbinden. Kinder haben insofern einen konkreten Status-Nutzen für ihre Eltern.

Je mehr Eltern jedoch Namen wie Ben oder Mira an ihre Kinder verteilen, umso wirkungsloser wird die mit der Namensvergabe verbundene Differenzierung, umso nutzloser ist der Name als Symbol für den reklamierten Status, und entsprechend kann man bereits jetzt vorhersagen, dass Ben und Mira in den nächsten Jahren aus den Toprängen der Namens-Hitliste verschwinden werden und – entsprechend der gesellschaftlichen Retardierung, die wir derzeit erbeleben, vielleicht von Ernst, Emil, Erna und Minna ersetzt werden.

Yoganarasimhan, Hema (2013). Identifying the Presence and Cause of Fashion Cycles in the Choice of Given Names.

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