Mogelpackung: Nicht überall wo Wissenschaft drauf steht, ist auch Wissenschaft drin
von Michael Klein
Die neueste Ausgabe der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie enthält eine Rezension von Dr. habil. Heike Diefenbach. Wir sind also nicht nur die Kritiker und Beobachter der Wissenschaft, die von außen betrachten, wir sind auch die Kritiker und Beobachter der Wissenschaft, die von innen verändern.
Besprochen hat Dr. habil. Heike Diefenbach das Buch:
Sind Mädchen besser? Der Wandel geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs in Deutschland. Frankfurt a. M.: Campus 2012. 340 Seiten. ISBN 978-3-593-39754-2. Preis: € 39,90 von Marcel Helbig, seines Zeichens Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin.
Der etwas prätentiös und sprachlich verkümmert daherkommende Titel, dem die Vergleichsbasis fehlt (besser als), gibt also vor, es handle sich um ein Buch, das sich mit der Tatsache befasst, dass Jungen in den letzten Jahrzehnten im deutschen Bildungssystem immer weiter hinter Mädchen zurückgefallen sind – ein Ergebnis, das Diefenbach und Klein bereits 2002 in der Zeitschrift für Pädagogik publiziert haben.
Vor genau 12 Jahren! Denn: publiziert wurde es in der Dezemberausgabe. 12 Jahre steht also der Befund, dass Jungen im Bildungssystem deutlich schlechter abschneiden als Mädchen. Geändert hat sich nichts. Offensichtlich, so kann man wohl nach 12 Jahren feststellen, ist es deutschen Bildungspolitikern vollkommen egal, dass Jungen in der Bildung mit Mädchen nicht gleichgestellt sind, dass sie aktiv benachteiligt werden, wie eine Reihe von Befunden, nicht zuletzt Diefenbach (2007) die LAU und die ELEMENT Studien deutlich machen.
Da 9 der 16 Kultusministerien von Frauen geleitet werden, kann man nunmehr auch die Mär von den Frauen, die angeblich so “caring” sind, so viel mehr “caring” als Männer auf den Müllhalde der Legenden werfen und feststellen: weibliche Kultusminister kümmern sich ebenso wenig darum, dass Jungen in Schulen hinter Mädchen zurückbleiben wie männliche Kultusminister.
Helbig will angeblich – das suggeriert jedenfalls der Titel seines Buches, bei dem es sich um seine Dissertation handelt, – im Zeitverlauf die Entwicklung des geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs betrachten und, so kann man dem kümmerlichen “Sind Mädchen besser” (wieso eigentlich nicht: “Sind Jungen schlechter”?) entnehmen, Erklärungen für den geschlechtsspezifischen Bildungserfolg analysieren.
Dazu Dr. habil. Heike Diefenbach in ihrer Rezension:
“Was Helbig tut, ist vielmehr zweierlei: zuerst rezipiert er einige mögliche Erklärungen für die Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen mit Bezug auf ihren formalen Bildungserfolg, die in der Literatur vorgebracht werden, und empirische Studien, die sich auf diese Erklärungen beziehen (lassen); anschließend nimmt er anhand von retrospektiven Daten aus der ALWA-Studie und der NEPS-E8-Studie einen Vergleich von Jungen und Mädchen bzw. Frauen und Männern aus vier Kohorten bzw. Gruppen von Geburtsjahrgängen (die die Jahre von 1944 bis 1986 umfassen) zum Gymnasiumbesuch und dem Erwerb des Abiturs vor und versucht, die Ergebnisse durch einige Variablen zu erklären, die in diesen Studien verfügbar sind (wobei er sechs verschiedene abhängige Variablen benutzt, die sich alle auf den Gymnasiumbesuch oder den Erwerb des Abiturs beziehen).”
Es geht also nicht um die Erklärung eines geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs, wie der Titel suggeriert, sondern um die Erklärung des Besuchs eines Gymnasiums und des Erreichens eines Abiturs. Das Schöne an der Beschränkung dieser Fragestellung ist nun: Die Jungen, die bis zum Gymnasium bereits aussortiert wurden, werden gar nicht erst berücksichtigt. Anders formuliert: Da sich der geschlechtsspezifische Bildungserfolg u.a. darin niederschlägt, dass weniger Jungen als Mädchen am Gymnasium ankommen, untersucht Helbig gerade nicht den geschlechtsspezifischen Bildungserfolg. Er gibt dies nur vor. Sein Ansatz entspricht in etwa der Untersuchung geschlechtsspezifischer kognitiver Kompetenzen, die sich auf eine Auswertung der Preisträgerliste für den Nobelpreis beschränkt. Eine solche Auswertung würde natürlich nicht unter der Überschrift “Sind Männer besser” vorgenommen, sondern unter der Überschrift “Frauen werden benachteiligt”.
Es handelt sich bei der Dissertation also um eine Mogelpackung, wie Dr. habil. Heike Diefenbach in ihrer Rezension deutlich zeigt – eine Mogelpackung, die vorgibt, den kompletten Bereich des geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs zu untersuchen, sich aber nur auf einen spezifischen Bereich des Bildungssystems, namentlich das Erreichen eines Abiturs beschränkt. Und es ist keine Verlaufsstudie, wie man erwarten würde, weil die Erklärung einer Entwicklung angekündigt wird. Vielmehr nutzt Helbig retrospektive Daten, also Daten aus Erhebungen, bei denen die Teilnehmer rückblickend über Bildungsaspekte ihres Lebens befragt wurden.
Dass im nächsten Schritt von Helbig eine Datenhuberei entwickelt wird, die man zwischenzeitlich gewöhnt ist, dass die unvermeidliche Logistische Regression seitenweise auf die Leser einstürzt, die nach kurzer Zeit dasselbe Schicksal erleiden wie der Autor, nämlich komplett den Überblick zu verlieren, sei hier nur der Vollständigkeit halber angefügt.
So fragt man sich, warum wurde dieses Buch geschrieben, wenn alles, was im Titel angekündigt wird, nicht gemacht wird? Die Antwort gibt Dr. habil. Heike Diefenbach:
“Damit ist klar, dass Helbig Mädchen tatsächlich für rundum „besser“ hält als Jungen, aber er fragt sich nirgendwo im Buch, warum das so sein sollte, und auf seine Analysen bezieht sich all dies in keiner Weise.
Worauf gründet Helbig dann aber seine Überzeugung? Er liest sie anscheinend aus seiner Rezeption der Literatur im vorderen Teil des Buches heraus – „anscheinend“, weil er bei der Formulierung seiner Überzeugungen keine Rückverweise auf Literatur oder konkrete Studien vornimmt. Fest steht aber, dass seine Rezeption unzureichend oder unangemessen ist. So fehlen wichtige Befunde, die dazu geeignet
gewesen wären, Helbigs persönliche Überzeugung hinsichtlich der schulischen Nachteile von Jungen zu gefährden, darunter der Befund der Autorin dieser Rezension, der anhand der Daten der PISA-2003-Studie gewonnen wurde und nach dem Mathematikleistungen und -noten bei Mädchen deutlich enger miteinander zusammenhängen als bei Jungen und Jungen bei der Benotung gemessen an ihren Leistungen häufiger unterbewertet werden als Mädchen (und Mädchen häufiger als Jungen
ihren Leistungen entsprechend oder überwertet werden) (Diefenbach 2007).”
Mit anderen Worten, wir haben es wieder einmal mit einem Versuch, die Realität umzuschreiben und als Travestie ihrer selbst darzustellen, zu tun, ein weiterer Versuch im Gesamt all der Versuche, die seit Jahren unternommen werden, um die Nachteile von Jungen im Bildungssystem mit welchen hanebüchenen Rabulistiken auch immer aus der Welt zu reden und dem Bildungssystem als solchem, also Lehrern, Schulen und vor allem Kultusministerien, Absolution zu erteilen. Helbig liefert damit ein erneutes Beispiel dafür, wie Wissenschaft zur Magd politischer Interessen degradiert wird.
Dr. habil. Heike Diefenbach ist eine von ganz wenigen Wissenschaftlern, die den Mut haben, dies auch in wissenschaftlichen Publikationen zum Ausdruck zu bringen, ein Stern, der sich hartnäckig gegen das Schwarze Loch der politischen Korrektheit behauptet, in dem sich die meisten institutionalisierten Wissenschaftler verstecken:
“Welcher Erkenntnisgewinn lässt sich angesichts all dessen aus dem Buch ziehen? Die Doktormutter der Dissertationsschrift von Helbig, Jutta Allmendinger, behauptet in ihrem Vorwort zum Buch: „Im vorliegenden Band findet man alles, was sich zur Frage vom Wandel des Bildungserfolgs nach Geschlecht finden lässt. Es ist ein in jeder Hinsicht gesättigtes Werk geworden“ (S. 11). „[G]esättigt“ ist das Buch aber nur mit (selbstauferlegten?) Rezeptions- und Denkbeschränkungen, sodass der einigermaßen bildungssoziologisch informierte Leser nach Lektüre dieses Buches nur weiß, was dabei herauskommt, wenn Sozialwissenschaft zur Legitimation des Status Quo benutzt wird, wie dies leider zunehmend der Fall ist.”
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Schade dass ich den Link nicht mehr finde, aber irgendwo war ein Aufschrei von Femis (können die auch was anderes?) die die Bevorzugung von Mädchen ab Schuleintritt beklagen.
Die Begründung war, dass Jungs durch strukturelle Benachteiligung Strategien und Fähigkeiten im Schulalltag als auch später im Leben entwickeln, sich auch durch “feindliche” Umwelt im Alltag mental und kreativ besser gerüstet zu sein. Was für die Mädchen wiederum eine Benachteiligung ist. Also Bevorzugung ist Benachteiligung. Gar nicht so falsch, wenn man genau darüber nachdenkt.
Interessanter Gedanke. Meine persönliche Erfahrung mit meinen Schülern sagt, dass Mädchen schlicht konformer mit dem System Schule bzw. dessen spezifischen Anforderungen sind. Gute Noten gibt es ja nicht für gute Leistungen, sondern für gerade gewünschte Leistungen (was nicht das gleiche ist). Und da passen sich Mädchen leichter an als Jungs, die öfter ihren eigenen Kopf haben und eher fragen „was das gerade soll“.
Wenn diese subjektive Beobachtung stimmt, erklärt es auch warum Mädchen (und Frauen) in Behörden und Helfertätigkeiten stark vertreten sind, also dort wo Anpassung eine wichtige Fähigkeit ist, und Jungs (Männer) häufiger selbstständig sind.
Das kommt dabei heraus, wenn im Zuge der (bildungspolitischeinfältigen!) Gleichmacherei, wissenschaftlich etwas bewiesen werden soll, was bei Beachtung der Unterschiedlichkeit der Geschlechter mitnichten dieser Betrachtung bedürfte! Armes und abderitisches Denkerdeutschland! Seltsame “Wissenschaft???”, wenngleich eher: dummes Nachgeplapper vorgekauter Ideen, vermixt mit Namedropping, Zitaten und “ideeadäquaten Quellen”. Wissenschaft mag ich das nicht nennen. Das ist Abschreiben in denkfaulster Manier zum Zwecke raschen Scheinerfolges – der Mann muss ja auch seine Familie ernähren, nicht wahr nicht?;)
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Es ist m. E. das politische P r o g r a m m des Feminismus, das männliche Geschlecht, und das heißt: Knaben, Männer – sowie Männlichkeit überhaupt – von der Wiege bis zur Bahre abzuwerten, zu benachteiligen und zu schädigen, wo und wie immer das überhaupt nur möglich ist. Diese bösartige Aggression ist die logische Konsequenz der Wahnidee, Frauen würden im Patriarchat strukturell benachteiligt.
Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode!
Schade dass ich den Link nicht mehr finde, aber irgendwo war ein Aufschrei von Femis (können die auch was anderes?) die die Bevorzugung von Mädchen ab Schuleintritt beklagen.
Die Begründung war, dass Jungs durch strukturelle Benachteiligung Strategien und Fähigkeiten im Schulalltag als auch später im Leben entwickeln, sich auch durch “feindliche” Umwelt im Alltag mental und kreativ besser gerüstet zu sein. Was für die Mädchen wiederum eine Benachteiligung ist. Also Bevorzugung ist Benachteiligung. Gar nicht so falsch, wenn man genau darüber nachdenkt.
Interessanter Gedanke. Meine persönliche Erfahrung mit meinen Schülern sagt, dass Mädchen schlicht konformer mit dem System Schule bzw. dessen spezifischen Anforderungen sind. Gute Noten gibt es ja nicht für gute Leistungen, sondern für gerade gewünschte Leistungen (was nicht das gleiche ist). Und da passen sich Mädchen leichter an als Jungs, die öfter ihren eigenen Kopf haben und eher fragen „was das gerade soll“.
Wenn diese subjektive Beobachtung stimmt, erklärt es auch warum Mädchen (und Frauen) in Behörden und Helfertätigkeiten stark vertreten sind, also dort wo Anpassung eine wichtige Fähigkeit ist, und Jungs (Männer) häufiger selbstständig sind.
Das kommt dabei heraus, wenn im Zuge der (bildungspolitischeinfältigen!) Gleichmacherei, wissenschaftlich etwas bewiesen werden soll, was bei Beachtung der Unterschiedlichkeit der Geschlechter mitnichten dieser Betrachtung bedürfte! Armes und abderitisches Denkerdeutschland! Seltsame “Wissenschaft???”, wenngleich eher: dummes Nachgeplapper vorgekauter Ideen, vermixt mit Namedropping, Zitaten und “ideeadäquaten Quellen”. Wissenschaft mag ich das nicht nennen. Das ist Abschreiben in denkfaulster Manier zum Zwecke raschen Scheinerfolges – der Mann muss ja auch seine Familie ernähren, nicht wahr nicht?;)