Regierungen, Staaten – Moral und Korruption

Titelseite.inddAls mir heute morgen der Titel der WZB-Mitteilungen 140 auf den Tisch gekommen ist “Märkte und Moral – Korruption, Eigennutz, Verantwortung”, da hat sich meine Laune schlagartig verschlechtert. Nachdem wir auf ScienceFiles gerade über einen Bonner Neuro-Ökonomieprofessor berichtet haben, der die angebliche a-Moral von Märkten damit zu belegen sucht, dass er Mäuse tötet, war mein erster Gedanke: Wieder eine dieser politisch korrekten Publikationen, in denen es darum geht, auf Märkte einzuschlagen und dem Sozialismus den Weg zu ebnen.

Aber: Diese Befürchtung bestätigt sich nicht. Warum die WZB-Verantwortlichen den berichteten Titel für die Mitteilungen 140 verwendet haben, hat sich mir bislang nicht erschlossen. Gut, es gibt ein Interview mit Neil Fligstein, in dem der Soziologie-Professor von der University of California seine These verbreitet, dass die Finanzkrise durch, in meinen Worten, spontan entstandene kriminelle Netzwerke, die von Hauskäufern über Banker bis zu Händlern an Börsen reichten, ausgelöst worden ist. Ich halte es für nicht weiter notwendig, mich mit dieser These zu befassen, denn die Thesen eines Soziologen, der seine Erklärung nicht in einen Rahmen von Randbedingungen einbettet und nicht untersucht, welche Strukturen es ermöglicht haben, dass sich – in seinem Modell – spontane kriminelle Netzwerke entwickeln, und, noch wichtiger, wer für die entsprechenden Strukturen verantwortlich zeichnet, denn Kriminalität entsteht nicht aus dem Nichts, sind nach meiner Ansicht nicht weiter interessant, denn es fehlen wesentliche Variablen in der Erklärung.

Doch zurück zu den WZB-Mitteilungen. Darin sind drei Texte enthalten, die so gar nichts mit Märkten, aber viel mit den Strukturen zu tun haben, die ich gerade angemahnt habe. Gunnar Falke Schuppert emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht steuert einen Beitrag zum Thema “Korruption” bei und argumentiert, dass es sich bei Korruption um ein komplexes gesellschaftliches Phänomen handle. Korruption definiert er als den Missbrauch eines öffentlichen Amtes für private Zwecke und stellt damit auf die strikte Trennung zwischen privat und öffentlich ab, die Max Weber vor nunmehr knapp einem Jahrhundert eingeführt hat. Korruption habe die Übernahme der Staatlichkeit zum Ziel, so Falke Schuppert weiter.

ScheuchHinter dieser Formulierung versteckt sich nach meiner Ansicht eine ganze Menge Sprengstoff, denn Folke Schuppert sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass sich Netzwerke bilden, denen die unterschiedlichsten Akteure angehören, und deren Ziel es ist, die Staatlichkeit zu übernehmen und die Netzwerkangehörigen mit Posten oder sonstigen Vorteilen zu verschaffen. Als Beispiel gibt er die Übernahme der Staatlichkeit durch die Nationalsozialisten und die folgende Versorgung “alter Kameraden” mit öffentlichen Ämtern. Ein verschämter Hinweis auf die “Affäre Wulff” und die Formulierung “instrumentelle Freundschaften” muss vom Leser des Beitrags selbst mit dem Hinweis auf die Praktiken der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden. Ist die Verbindung hergestellt, dann denke ich z.B. an politische Parteien, die über Medien-Imperien thronen, die “politische Freunde” mit Gefallen versorgen, z.B. in Form der Erstellung wissenschaftlicher Expertisen, z.B. in Form von Mitteln aus dem ESF, die zweckentfremdet werden. Ich denke an politische Parteien, die vermeintliche Stiftungen unterhalten, die einerseits der Beschäftigung von Getreuen dienen, andererseits genutzt werden können, um weitere Mittel der Steuerzahler in die Taschen von Parteien zu leiten und ich denke an lokale Netzwerke, die Politiker, Unternehmer, Gewerkschaftler und viele andere in trauter Eintracht über Steuermittel entscheiden und dieselben unter sich verteilen sieht. Der verstorbene Erwin Scheuch hat dies in großer Detailtreue für das SPD-geführte Rathaus in Köln beschrieben.

WilliamsonHat man zudem ein ökonomisches Weltbild, dann ist die Verbindung zu opportunistischem Verhalten, wie es Oliver Williamson so deutlich beschrieben hat, nur ein kurzer Schritt. Heraus kommt die Feststellung, dass es politischen Akteuren, die vornehmlich damit beschäftigt sind, Netzwerke zu bilden, nicht darum geht, “den Wählern” Gutes zu tun, sondern darum, über die gebildeten Netzwerke selbst in Positionen zu kommen, aus denen heraus sie Steuermittel unter sich und ihren Anhängern verteilen können. Diese Form der Korruption ist entsprechend ein fester Bestandteil vermeintlich demokratischer Gesellschaften, und sie begründet das, was Folke Schuppert in Anlehnung an Karsten Fischer eine Parallelordnung nennt. Die Beschreibung dieser Parallelordnung in den Worten Fischers strotzt von Nomen und ist entsprechend schwer verständlich. Parallelordnung meint in meinen Worten, dass politische Netzwerke Sorge dafür tragen, dass nach außen hin der Schein von Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt, damit sie sich hinter diesem Schein versteckt, munter und nach Lust und Laune selbst bedienen können.  Wer Zweifel daran hat, dass diese Selbstbedienung der eigentliche Grund dafür ist, dass politische Netzwerke gegründet werden, der vergegenwärtige sich die manische Art, mit der staatsfeministische Günstlinge sich in Netzwerken organisieren und die Art und Weise, wie sie Mittel aus dem ESF zum Aufbau dieser Netzwerke missbrauchen.

Der Beitrag von Folke Schuppert wird unterstützt durch einen Beitrag von Richard Rose, der seit nunmehr 25 Jahren nichts anderes tut als die Ursachen und Voraussetzungen für Korruption und Bestechlichkeit öffentlicher Amtsträger vornehmlich in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu untersuchen. Rose zeigt nicht nur, dass Korruption und Bestechlichkeit “normal” sind, etwa in der Weise, in der Hans Haferkamp in den 1970er Jahre gezeigt hat, dass Kriminalität normal ist, er zeigt auch, dass das beste Mittel gegen Korruption die von Max Weber so heftig beworbene Standardisierung öffentlicher Leistungen ist. Standardisierung wiederum ist der Feind aller Selbstbedienungs-Netzwerke, weshalb es heutzutage so wichtig geworden ist, die Diversität oder die Intersektionalität gegen Standardisierung öffentlicher Leistungen in Stellung zu bringen.

Schließlich findet sich in den WZB-Mitteilungen ein Beitrag von Roel van Veldhuizen, in dem er zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit von Beamten, sich bestechen zu lassen, mit der Höhe des Gehalts der Beamten geringer wird. Wohlgemerkt, sie wird geringer, sie verschwindet nicht, so dass man der Ansicht sein könnte, nicht die Bezahlung, sondern die Gelegenheit sei das Problem. Beamte unterliegen eben auch der Versuchung, sich opportunistisch zu verhalten, und wenn sie die Gelegenheit zu einem Zuverdienst haben und die Gefahr einer Entdeckung gering ist, dann werden Sie die Gelegenheit auch nutzen.

Organized crimeDamit steht am Ende dieses Posts die alte Weisheit, dass gerade bei denjenigen, die von sich behaupten, sie seien so integer und würden nur für andere, nie aber für sich tätig sein, Vorsicht geboten ist. Als Politiker gelangen sie in Positionen, die kaum von der Öffentlichkeit kontrolliert werden können und ihnen die Möglichkeit geben, in die eigene und die Tasche politischer Freunde zu wirtschaften, als Beamte besetzen sie Positionen, die mit der Aura der “Staatsdienlichkeit” ausgestattet sind und die es erlauben, z.B. dem befreundeten Bauunternehmer den Bauauftrag frei von jedem Verdacht und im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung dadurch zu verschaffen, dass ihm die Preise der Konkurrenten genannt werden. Korruption ist eben auch in vermeintlich demokratischen Systemen endemisch und “[e]inmal etablierten korrupten Praktiken ist nur schwer beizukommen” (Folke Schuppert, 2013, S.9).

Folke Schuppert, Gunnar (2013). Schwer zu fassen, kaum zu verhindern. In der Parallelordnung der Korruption zählen Netzwerke und Beziehungen. WZB-Mitteilungen 140: 7-9.

Rose, Richard (2013). The Other Face of Bureaucracy. Perception of Bribery is Worse than Practice. WZB-Mitteilungen 140: 10-13.

van Veldhuizen, Roel (2013). Lohn und Preis der Bestechlichkeit. Ein Experiment legt nahe: Besser bezahlte Beamte dürften weniger korrupt sein. WZB-Mitteilungen 140: 17-19.

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