Polit-Sommertheater: Hat das Verteidigungsministerium ein Copyright auf Sterbeanzeigen?

Der Sommer der Grotesken, er ist noch nicht zuende.

Nachdem sich das Schauspiel oder besser: das GeRangeL um Netzpolitik im Intermezzo befindet, bietet die Berliner Bühne ein neues Stück feil, eine neue Groteske im Polit-Sommertheater, das immer mehr Laien auf Brettern sieht, für die sie nicht standfest genug sind.

BmVDie neueste Groteske stammt aus dem Bundesverteidigungsministerium, einem Ministerium, das in umfangreicher Verbalität der Transparenz verpflichtet ist. Wer auf den Seiten des Bundesverteidigungsministeriums nach dem Begriff “Transparenz” sucht, findet sage und schreibe 965 Einträge: Transparenz und Klarheit soll gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit geschaffen werden, “Transparenz schafft Vertrauen”, die Zeitschrift für Innere Führung fordert: “Mehr Transparenz”, das gesamte BMVg kämpft “gemeinsam für Transparenz”, das Heer hat “größtmögliche Tranparenz und Offenheit bewiesen”, bei Personalentscheidungen herrscht “Transparenz”, nein gar: “hohe Transparenz” und Prozesse, so heißt es, machen “Verantwortlichkeiten transparent”.

Und das sind nur knapp 1% der Transparenzen, die auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums beschworen werden.

Wenn es darum geht, die verbale Vollmundigkeit in praktisches Handeln zu übersetzen, dann öffnet sich jedoch ein Graben zwischen dem, was behauptet wird und dem, was tatsächlich getan wird. Zu spüren bekommt das derzeit die Funke Medien-Gruppe, die über ein Imperium von rund 500 Zeitungen und Zeitschriften von der Westdeutschen Allgemeinen, über Hörzu bis zum Gong verfügt.

Die Funke Medien Gruppe unterhält einen Recherche-Pool in Nordrhein-Westfalen, für die dort betriebenen Regional-Medien. In diesen Recherche-Pool sind eine Vielzahl von Verschlussachen der Bundeswehr gelangt, die eigentlich nur für Bundestagsabgeordnete bestimmt waren und in denen die Realitäten des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan beschrieben werden. Und: Verschlussache hin oder her: Die Funke Medien Gruppe hat die Informationen veröffentlicht, “um den Verlauf der Auslandseinsätze der Bundeswehr zu dokumentieren und damit aufdecken und belegen zu können, dass die Bundesregierung seit langem die Lage in Afghanistan schön geredet hat”. Am Rande vermerkt: Genau das ist die Aufgabe von Journalismus.

Aber es verstößt gegen das Copyright.

Ja richtig, das Copyright.

Todesfälle, bei denen es sich nach Ansicht des BMVg wohl um ungeklärte Badeunfälle handelt
Todesfälle, bei denen es sich nach Ansicht des BMVg wohl um ungeklärte Badeunfälle handelt.

Information der Öffentlichkeit?Tranparenz? Firelefanz! Was sind schon Information und Transparenz, wenn ein Copyright-Verstoß vorliegt oder doch zumindest behauptet wird, dass einer vorliegt.

Behauptet hat man dies beim Bundesverteidigungsministerium und die Funke-Medien Gruppe mit einer Zwangsvollstreckung bedroht. Im Bundesverteidigungsministerium wirken offensichtlich Beamte, die der Meinung sind, man dürfe der deutschen Bevölkerung keinen reinen Wein darüber einschenken, wie sich der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestaltet. Viele Bundesbürger, so scheinen die Beamten im Verteidigungsministerium zu denken, sind der Ansicht, die Bundeswehr schicke Soldaten nach Afghanistan, damit sie sich dort in einer Weise erholen, wie dies beim Sommerurlaub auf Mallorca möglich ist. Oder sie sind der Ansicht, dass in einem Kriegsgebiet bestenfalls mit Tränengas oder mit Wasserwerfern gearbeitet wird und die Bundeswehrsoldaten ansonsten vor Ort vor allem dadurch auffallen, dass sie der Bevölkerung das Fussballspielen beibringen.

Das neue Stück Polit-Sommertheater stammt also wieder aus der Rubrik: Dem dummen Volk geben, was dem dummen Volk gebührt. Erst eine Groteske um den Verrat von Landesgeheimnissen, nun eine Groteske über die Gefährlichkeit von Kriegen.

Polit-Sommertheater II hat zwei Akte:

Erster Akt: Den Bürgern vorgaukeln, ein Kriegsgebiet sei so friedlich, wie der Hinterhof bei Onkel Ernst.

Zweiter Akt: Gegenteilige Informationen mit einem Copyright schützen.

Es ist ein Schwank, der zeigt, wie geistig losgelöst Politiker und ihre Beamten zwischenzeitlich sind. Wer ein Beispiel für das sucht, was DiMaggio und Powell 1983 Isomorphie genannt haben und eines für die von Niklas Luhmann ins Spiel gebrachte Selbstreferentialität von Systemen benötigt, hier ist beides in einem:

Beim Bundesverteidigungsministerium ist man so weltfremd, dass man der Ansicht ist, Deutsche könnten sich nicht vorstellen, was es bedeutet, als Soldat in ein Kriegsgebiet entsandt zu werden – so als hätten Deutsche nie einen Krieg erlebt. Nicht nur das: Die Kreisel aus dem Ministerium, die sich ausschließlich um sich selbst drehen, können sich nicht vorstellen, dass Soldaten der Bundeswehr, die aus Afghanistan zurückkehren, sprechen, mit ihren Familien, Freunden, Bekannten, mit Gott und der Welt und über Afghanistan, über ihre Erfahrungen.

Und als Krönung des Ganzen dient die Behauptung, Dokumente, die von Personen erstellt wurden, die von Steuerzahlern finanziert wurden, damit sie anderen Personen, die ebenfalls von Steuerzahlern finanziert werden, vorgelegt oder vorgelesen werden können, seien der Kenntnissnahme durch eben diese Steuerzahler entzogen, weil sie durch ein Copyright geschützt sind, das wiederum diejenigen haben, die von Steuerzahlern finanziert werden und diejenigen, die auch von Steuerzahlern finanziert werden, mit der Erstellung der Dokumente beauftragt haben.

Als nächstes wird sich das Verteidigungsministerium vermutlich weigern, die Namen derjenigen zu nennen, die auf der Urlaubsreise in Afghanistan unter nicht geklärten Umständen zu Tode kamen, wegen dem Copyright!

Kann man Groteske eigentlich steigern?

KasperltheaterWir werden es sehen. Demnächst im Berliner Sommertheater, dort, wo immer deutlicher wird, dass es sich Deutschland derzeit leistet, Personen ohne Berufsausbildung, ohne Berufserfahrung und selbst ohne eine anständige Lehre, Personen, die in ihrem Leben noch wenig Sinnvolles zu Wege gebracht haben und deshalb Politiker spielen, eine Berufsbezeichnung, die weder geschützt noch mit irgendwelchen Kompetenzen und Fähigkeiten verbunden ist, unbeaufsichtigt walten und wüten zu lassen.

Kein Wunder, dass sich manche von Ihnen einbilden, sie seien Minister und müssten deshalb kompetent in irgendetwas sein.

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