Schönwetter-Demokratie

Zuweilen stößt man auf wissenschaftliche Artikel, die einem vom ersten Moment an Schmunzeln lassen und bei deren Lektüre man eine Transformation von “meinen die das Ernst?” zu “die meinen das Ernst!” durchmacht. Ein solcher Artikel ist der Beitrag von Stephen Haber und Victor Menaldo Rainfall, Human Capital, and Democracy”.

Ein gemäßigtes Klima, so die Autoren, bringe stabile demokratische Systeme hervor, wobei vornehmlich die durchschnittliche jährliche Regenmenge sich zwischen 550 mm und 1300 mm bewegen muss. Warum sollte Regen etwas mit Demokratie zu tun haben? Die Antwort bleiben die Autoren nicht schuldig, denn sie haben, wie sie behaupten, eine Theorie. Regen in der angesprochenen Menge begünstigt den Anbau von Getreide und Gemüse, das über längere Zeiträume gelagert werden kann. Wenn Getreide und Gemüse gelagert werden kann, dann kann man auf Lager produzieren, economies of scale erzielen, die man handeln, verkaufen und deren Ertrag man wiederum in die Lebensqualität und vor allem in die Bildung von Humankapital investieren kann. Und intelligente Menschen, nein Menschen mit hohem Humankapital können ihre Regierung besser kontrollieren als Menschen mit geringem Humankapital und deshalb haben es Autokraten schwer und die Demokratie kann sich (wie auch immer) stabil einnisten. Wer’s nicht glaubt, hier ist es im Original: “Rather, we are saying that a society made up of grain-growing family farmers is likely to have gone down a path of development that produced a high level and broad distribution of human capital. When democratization happens in such a society, for whatever reasons , it is likely to stick because a broad swathe of citizens will have the knowledge and sophistication necessary to enforce their rights and hold politicians accountable” (21).

Bevor jetzt jemand mit dem Einwand “Drittes Reich” kommt, die “Theorie” der beiden Autoren, ist explizit auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg begrenzt. Vor dem 2. Weltkrieg scheint der Regen keinen Effekt auf die Staatsform gehabt zu haben. Ich will es an dieser Stelle bei dem Hinweis belassen, dass die Theorie der Autoren keine Theorie sondern eine Sammlung von “so könnte es gewesen sein”-Plausibilitäten ist, von denen man jede einzelne angreifen könnte (z.B. ist es überhaupt nicht ersichtlich, warum ausgerechnet “family farmers” die Demokratie befördern sollen und wie es sich vor diesem Hintergrund erklärt, dass demokratische Bewegungen vornehmlich in Städten entstanden sind) und mich der Frage widmen, wie die Autoren messen, was Sie behaupten.

Das Modell von Haber und Menaldo basiert weitgehend auf drei Variablen,

  • einem Polity-score, der mißt wie demokratisch oder autokratisch ein Land im Zeitraum von 1965 bis 2009 gewesen ist,
  • den jährlichen durchschnittlichen Niederschlag in Regen gemessen im Umkreis von 100km um die größte Stadt der berücksichtigten Länder
  • und die pro-Kopf-Auflage von Zeitungen in den jeweiligen Ländern als ein Maß für Humankapital.

Ja. … Und in der Analyse kommt heraus, dass ein mittleres Niveau an Regen und eine höhere pro-Kopf-Auflage von Zeitungen eher in stabilen Demokratien zu finden ist. Seither frage ich mich, was wäre, wenn die Autoren den Regen im Umkreis von 10km um die größte Stadt eines Landes gemessen hätten, was ist, wenn Houston, Texas, weiter wächst, was künstliche Bewässerung für Effekte auf die Demokratie hat und wie sich die sinkende Auflage der Zeitungen und der vermehrte Gebrauch des Internet auf das Humankapital der davon betroffenen Ländern auswirkt.

Auf Seite 4 ihres Beitrags ist den Autoren einen kurzen Moment lang gekommen, dass ihre Ergebnisse vielleicht doch zu sehr von einer zu großen Anzahl von Annahmen abhängen, die man so nicht machen muss bzw. nicht machen kann. Hier schreiben sie: “Moderate levels of rainfall tend to generate
societies with social structures that are conductive to the consolidation of democracy: they do not guarantee that every country with a moderate level of rainfall will be democratic”. Was in die eine Richtung stimmt, muss auch in die andere Richtung stimmen, so dass nicht-vorhandener Regen bzw. zu viel Regen keinen Schluss auf das Nichtvorhandensein von Demokratie zulässt. Damit ist die ganze Arbeit sinnlos, denn der Witz an wissenschaftlichen Aussagen ist, dass sie etwas über die Realität aussagen, was an der Realität auch scheitern kann.  Zu sagen, dass etwas sein kann oder auch nicht, ist keine wissenschaftliche Aussage, sondern eine Tautologie.

Und die Schlußfolgerung aus dieser Studie: Demokratie scheint nur für gutes Wetter geeignet zu sein.

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