Vorsicht vor sozialen Medien
Facebook und Twitter, die beiden Speerspitzen im Bereich sozialer Medien, so behaupten zwei neue Studien aus den USA, sind mit Vorsicht zu genießen. Von wegen “sozial”, so meine Zusammenfassung der Wertung der Inhalte beider Studien durch die jeweiligen Autoren: Facebook wirkt sich negativ auf junge Beziehungen aus und Facebook wie Twitter befördern die Selbstverliebtheit ihrer Nutzer. Auf den Punkt gebracht: Soziale Medien machen asozial oder haben das Potential dazu – so zumindest die Behauptung.
Die erste der beiden Untersuchungen stammt von Elliot T. Panek, Yiordis Nardis und Sara Konrath und wird in der Septemberausgabe von Computers in Human Behavior zu finden zu sein. Die Untersuchung trägt den Titel: “Mirror or Megaphone?: How Relationships between Narcissism and Social Networking Site Use Differ on Facebook and Twitter”. Die Untersuchung basiert auf zwei Experimenten, die die Nutzung von Facebook und Twitter von je 486 Studenten bzw. von 93 Erwachsenen analysieren. Interessiert haben sich die Autoren für die Verbindung von Narzismus, also von Selbstverliebtheit, die man in diesem Kontext wohl besser als Hang zur Selbstdarstellung bezeichnen muss und der Nutzung von Facebook und Twitter. Herausgekommen ist dabei:
- Studenten, stellvertretend für junge Menschen, nutzen Twitter häufig um sich zu produzieren als Mittel, um die eigene angenommene Überlegenheit über andere in die Welt zu posaunen (das ist meine Übersetzung).
- Junge Menschen, so schließen die Autoren, haben es demnach notwendig, das eigene Profil durch z.B. Twitter erst zu schaffen. Sie nutzen Twitter entsprechend, um ihre Egos zu befördern.
- Erwachsene nutzen häufiger Facebook als Twitter, und sie benutzen Facebook eher als Spiegel. Sie polieren ihre Erscheinung in sozialen Netzwerken und versuchen, die eigene Erscheinung für andere zu optimieren.
Facebook und Twitter sind demnach Mittel des narzistischen Selbstauslebens: Twitter dient dabei mehr als Posaune, als Megaphone, wie die Autoren sagen, Facebook als Spiegel, den man täglich polieren muss.
Beides, Posaunen wie Polieren, benötigt Zeit, Zeit, die an anderer Stelle fehlt. Und wenn diese Zeit Personen fehlt, die gerade eine neue Beziehung eingegangen sind, wobei “gerade” bedeutet, dass die Beziehung nicht älter als drei Jahre ist (Warum? Keine Ahnung, vermutlich ein Ergebnis aus der Kategorie “data-speek-to-me”.), dann sind soziale Netzwerke im Allgemeinen und dann ist Facebook im Besonderen häufig ein Beziehungskiller. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung von Russel B. Clayton, Alexander Nagurney und Jessica R. Smith, die zur Veröffentlichung in Cyberpsychology, Behavior and Social Networking ansteht.
Unter dem Titel “Cheating, Breakup, and Divorce: Is Facebook Use to Blame?” haben die Autoren die Ergebnisse einer Untersuchung der Facebook-Nutzung von 205 Erwachsenen im Alter von 18 bis 82 Jahren veröffentlicht. Untersucht haben die Autoren, wie die Häufigkeit, sich mit seinem Partner zu streiten oder seinen Partner zu betrügen, mit der Häufigkeit der Aktivitäten auf Facebook zusammenhängt (warum auch nicht?). Dabei ist Folgendes herausgekommen:
Individuen, die viel Zeit in Facebook stecken, stehen in der Gefahr, ihre Partner zu vernachlässigen, sie stehen in der Gefahr, z.B. durch Facebook-Kontakte mit früheren Partnern Eifersucht bei jetzigen Partnern zu bewirken, und sie sind in der ständigen Gefahr, durch ihre jetzigen Partner und in Facebook überwacht zu werden.
Man sieht, zuviel soziale Netzwerke sind nicht gut. Entweder machen Twitter und Facebook narzistisch oder beide werden vornehmlich von narzistischen Persönlichkeiten genutzt, so genau sagt Untersuchung 1 dazu nichts aus, oder Facebook gefährdet die Qualität und den Bestand der eigenen (jungen) Beziehung (Beziehungen, die älter als drei Jahre sind, sind offensichtlich Facebook-resistent). Und weil das alles noch nicht reicht, empfehlen Clayton, Nagurney und Smith Facebook-Nutzern, die sich in einer Beziehung von weniger als drei Jahren Dauer befinden, ihre Facebook-Nutzung zurückzufahren und sich nur moderat auf Facebook zu engagieren.
Ja. Wenn man diese Ergebnisse verdaut hat, dann kommen zunächst die folgenden Fragen: Wenn die Beziehungs-Probleme aus der Facebook-Nutzung, die in Untersuchung 2 beschrieben sind, hauptsächlich daraus entstehen, dass die Facebook-Aktivitäten eines Partners durch den anderen Partner überwacht werden, dann setzt dies logisch voraus, dass sich beide Partner mehr für Facebook als für ihren jeweiligen Partner interessieren, was an sich schon darauf hindeutet, dass die Partnerschaft nicht mehr so thrilling sein kann, wie sie einmal war, wenn sie es jemals war.
Im Hinblick auf Untersuchung 1 stellt sich die Frage, ob narzistische Selbstdarstellung etwas ist, das mit dem Aufkommen sozialer Netzwerke auf uns gekommen ist oder ob es nicht etwas ist, das soziale Beziehungen zu allen Zeiten ausgemacht hat. Angesichts der Mühe, die sich Menschen geben, um z.B. ihre Nachbarn zu beeindrucken, scheint mir die Annahme, Twitter und Facebook seien etwas anderes als neue Medien, die zur Auslebung sozialer Bedürfnisse genutzt werden, mehr als naiv zu sein. Folglich bleibt von Untersuchung 1 nicht viel an Neuigkeitswert übrig, denn dass Menschen neue Möglichkeiten zur Selbstdarstellung nutzen, ist nun wirklich nicht überraschend. Es kann nur denjenigen überraschen, der entweder ein Mauerblümchendasein führt oder das Führen desselben von anderen erwartet, was wiederum die Frage aufwirft, was derjenige wohl denkt, was soziale Beziehungen ausmacht.
Beide Untersuchungen gehören in einen rasch wachsenden Korpus von Untersuchungen, die neue Medien und vor allem “neue soziale Medien” problematisieren, denn offensichtlich ist die Form von Sozialität, die in neuen sozialen Medien stattfindet, für viele der zu diesem Korpus beitragenden Autoren die falsche Form von Sozialität. Falsch ist demnach, mit Freunden auf Facebook zu chatten, sich auf Twitter mit Neuigkeiten aus aller Welt zu versorgen, oder sich in sozialen Netzwerken um den Aufbau eines eigenen Profils, einer Form von Persönlichkeit zu bemühen. Richtig wäre wohl, im Kreis der (Groß-)Familie gepflegt über den Nachbarn zu tratschen oder sonstigen Gossip auszutauschen, die Neuigkeiten, die die ARD für berichtenswert hält, aus dem Fernsehen zu beziehen und sich ansonsten moderat gekleidet zum jährlichen Dorffest in der Turnhalle einzufinden – natürlich mit Partner und in gesicherter Beziehung, auch wenn dieselbe weniger als drei Jahre alt ist.
Offensichtlich hadern die Autoren, die sich mit den vermeintlichen Problemen oder Gefahren sozialer Netzwerke auseinandersetzen, damit, dass sich die Welt ändert, dass alles im Fluss ist, ein Zustand, der schon Heraklit zuwider war. Und weil sich die Welt ändert, weil das, was gestern noch als die richtige Form, in der soziales Verhalten stattfindet, gegolten hat, morgen schon überholt sein kann, fürchten die entsprechenden Veränderungs-Ängstlichen, dass die Welt die sie kennen, in sich zusammenfällt, dass Beziehungen durch Facebook gefährdet werden, dass Selbstdarstellung in Twitter zum Lebenszweck werden kann oder dass Ehen geschieden werden, weil beide Partner mehr Zeit damit verbringen, sich auf Facebook gegenseitig zu überwachen als damit, miteinander zu reden.
Als in den 1960er Jahren das Fernsehen aufgekommen ist, haben damalige Kommentatoren das Ende der sozialen Beziehungen vorher gesehen und den Verfall der Formen des Zusammenlebens, wie sie sie bis dahin kannten, befürchtet. Heute wiederholt sich das Lamento im Hinblick auf das Internet und die Nutzung sozialer Netzwerke. Und dabei entpuppt sich dieses Lamento als nichts anderes als die Angst vor Veränderung, die all diejenigen regelmäßig befällt, die fürchten, auf der Strecke zu bleiben.
Clayton, Russell B., Nagurney, Alexander & Smith, Jessica R. (2013). Cheating, Breakup, and Divorce: Is Facebook Use to Blame? CyberPsychology, Behavior and Social Networking. Online First.
Panek, Elliot T., Nardis, Yiordyos & Konrath, Sara (2013). Mirror or Megaphone? How Relationships between Narcissism and Social Networking Site Use Differ on Facebook and Twitter. Computers in Human Behavor 29(5): 2004-2012.
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“dass alles im Fluss ist, ein Zustand, der schon Heraklit zuwider war.”
Wie kommen Sie darauf, daß dem Heraklit das zuwider war? Der Einfachheit halber zitiere ich die – in diesem Zusammenhang unverdächtige – Wikipedia:
Das Grundprinzip des Kosmos ist nach Heraklit nicht – wie etwa für Parmenides von Elea – ein statisches, gleichbleibendes Sein, sondern das Werden. Während Parmenides das Nicht-Sein und damit das Werden radikal leugnet, betont Heraklit das gegensätzliche, aber in untrennbarer Einheit verschränkte Verhältnis von Sein und Werden.
Er hat den Wandel also zum Thema gemacht; daß er von ihm aber unangenehm berührt war, ist m.W. nicht überliefert.
Zur Sache:
Ob die Kommentatoren der 60er Jahre, welche das Ende der sozialen Beziehungen vorher gesehen und den Verfall der Formen des Zusammenlebens, wie sie sie bis dahin kannten, befürchtet haben – Fettdruck im Zitat durch mich -, sich wirklich geirrt haben, möchte ich infrage stellen. Zumindest darin werden wir uns wohl einig sein, daß die Familien weitgehend an Bedeutung verloren haben. Vielleicht wäre diese Entwicklung auch ohne das Fernsehen eingetreten. Das dürfte nicht leicht zu entscheiden sein. Aber es ist klar, daß man nicht mehr so leicht ins Gespräch kommt, wenn die Kiste läuft.
Und was das Twittern etc. betrifft – im weiteren Sinne: das Kommunizieren gerade über Taschentelefone (denglisch: Handys) -, so dürfte es sich ähnlich auswirken. Wenn ich früher auf einer Bank im U-Bahnhof oder im Zug saß, bin ich mit Sitznachbarn gelegentlich ins Gespräch gekommen. Das ist jetzt kaum noch möglich. Entweder die (meist jungen) Leute sind eifrig am Tippen, oder sie sind am Quatschen. Wenn Letzteres noch über Ohrstöpsel und Schnurmikrofon abläuft, gibt das oft sogar zu Mißverständnissen Anlaß: Man glaubt, man sei angesprochen, will antworten oder hat es schon, fragt gar noch: “Wie? Ich habe immer noch nicht verstanden” und merkt zuletzt, daß man gar nicht angesprochen war. Ich habe auch schon auf dem Fahrradweg Leute fast umgefahren, weil sie gerade “kommuniziert” haben, mit wem auch immer.
Zweifellos ist die Kommunikation heute nicht mehr so menschlich wie früher. Sie paßt sich den Formen der geschaffenen Technik an. Umgekehrt wäre besser.
Ich habe so meine Probleme mit der Validität von Wikipedia, deshalb verlasse ich mich lieber auf den von mir sehr geschätzten Karl Raimund Popper, schon weil Popper Heraklit im Original lesen konnte:
„’Alles fließt’, so sagt er [Heraklit], und ‚man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.’ Enttäuscht argumentiert er gegen den Glauben, dass die bestehende soziale Ordnung ewig währen werde: ‚Wir dürfen nicht handeln und reden wie die Kinder, die nach dem beschränkten Grundsatz großgezogen wurden: Wie es uns überliefert ward’“.
Aus: Popper, Karl Raimund, 1992: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band I: Der Zauber Platons. Tübingen: J.C.B. Mohr, 19.
Pardon, Heraklit kann man eigentlich nicht im Original lesen, nur in den vielseits verstreuten Bruchstücken, die ihm zugeschrieben werden. Wobei in vielen Fällen gar nicht klar ist, ob das wirklich von ihm ist. Man kann nur ungefähr rekonstruieren, was er in Grundzügen gedacht hat, genauer: was seine Nachfahren behaupteten, daß er es gesagt oder geschrieben habe.
Was Popper betrifft – nun ja, der zählt insofern als eine Tertiärquelle. Ich habe ihn nicht im Original gelesen und kann ihn nicht beurteilen, aber grundsätzlich sollte man sich nicht an einen einzigen Autoren halten, denn niemand ist unfehlbar. Auch Popper ist ja in dem, was er wirklich zu sagen hat, nicht unumstritten. – In den Philosophiegeschichten, die bei mir im Regal stehen, habe ich über eine Enttäuschung Heraklits an Veränderung jedenfalls nichts gefunden. Im Übrigen muß ich den Heraklit betreffenden Wikipedia-Artikel doch einmal loben. Er kommt gewiß nicht von “Schwarze Feder”. 😉
Ich vermute, dieses Wissen haben Sie sich aus Tertiärquellen angeeignet… Ist wohl doch eine Glaubenssache!