Am 14. Juni 2013 ist auf dradio.de ein seltsames Interview unter dem Titel “Erosion moralischer Werte durch Märkte” veröffentlicht worden. Ralk Krauter interviewt Armin Falk, der als Neuro-Ökonomie Professor vorgestellt wird. Sind viele Beteiligte im Spiel, so schwindet die Verantwortung, heißt es im Untertitel, und entsprechend habe ich mich schon an dieser Stelle gefragt, was das ganze mit Märkten zu tun haben soll, denn mehrere Beteiligte gibt es bei der Freiwilligen Feuerwehr oder in der Planwirtschaft auch, und wenn die Menge der Beteiligten einen Schwund von Verantwortung auslöst, dann trifft dies auf alle Situationen zu, in denen mehrere Individuen miteinander interagieren. Aber dazu später.
Die Lektüre dieses Artikels hat mich nicht an der Moral von Märkten, wohl aber an der Moral von manchen Wissenschaftlern zweifeln lassen. Ein besserer Titel für den Artikel von Falk und Szech wäre nämlich: Was ist das Leben einer Maus wert. Um es gleich vorwegzuschicken, im Verlauf des im folgenden berichteten Experiments wurden lebende Mäuse getötet. Aber dass man selbst das sinnlose Töten von Mäusen als heroisch humanitären Akt verkaufen kann, findet sich bereits auf der ersten Seite:
“As a consequence of our experiment, many mice that would otherwise have been killed right away were allowed to live for roughly 2 years” (707).
Anordnung 1 stellt Probanden vor die Wahl: Du erhälst 10 Euro und eine Maus wird getötet oder Du erhälts keinen Euro und die Maus bleibt am Leben.
Anordnung 2 sieht die Probanden miteinander und über einen Computer handeln. Dieses Computerhandeln ist, was Falk und Szech als “Markt” bezeichnen. Gehandelt wird um den Preis für das Leben einer Maus. Ein “Verkäufer” bietet das Leben einer Maus feil und mehrere Käufer machen Gebote, wie viel ihnen das Leben der Maus wert ist. Der Verkäufer erteilt den Zuschlag wann immer er denkt, genug mit dem Leben der Maus verdient zu haben.
Wären Falk und Szech nicht “Neuro-Ökonomen”, sondern Soziologen, sie hätten sich das Morden von Mäusen sparen können, denn heraus kommt, was jeder Soziologe, der sein Geld wert ist und eine entsprechende Ausbildung hat, vorhergesagt hätte: Die Bereitschaft, die Maus zu töten, ist in Anordnung 2 höher als in Anordnung 1 und der Preis für das Leben einer Maus sinkt.
Und was haben die Ergebnisse mit Märkten zu tun? Schlicht nichts, denn – wie gesagt – die Tatsache, dass Hemmungen fallen, wenn Anonymität zugesichert ist, hat überhaupt nichts mit Märkten zu tun, wie jeder täglich im Internet erfahren kann, in dem es normal ist, dass hinter einem Pseudonym sich Versteckende, die Gunst der Stunde nutzen, um andere zu beleidigen, etwas, das sie sich nie trauen würden, müssten sie mit ihrem Namen einstehen. Im Internet kann man das Versuchsergebnis von Falk und Szech also problemlos und vor allem ohne dafür zu morden täglich gewinnen.
Was die Moral angeht, so kann man sich beim alten Kant erkundigen, für den es ein Instrumentalisierungsverbot gab, das er allerdings nicht auf Tiere ausgeweitet hat, die ihm als Sache galten. Für Kant haben Tiere also nur vermittelt über die eigene Menschenwürde mit Moral zu tun und für viele Zeitgenossen ist das offensichtlich immer noch so, oder wie Falk zum Ende seines Interviews sagt: “Ein zweites Motiv ist…, dass die Wertschätzung für die Maus eben nicht so hoch ist” (vor allem bei ihm). Ein wirklich radikales Ergebnis, auf das ein Wissenschaftler in einer Gesellschaft, der Massentierhaltung, in der das tierische Sterben zum Zwecke des Gefressen-Werdens oder um zu erproben, ob das neue Schampoo auch wirklich nicht die Augen reizt, eine Normalität ist, scheinbar nur kommen kann, wenn er Mäuse umbringt.
Ich finde das alles einfach nur widerlich.
Falk, Armin & Szech, Nora (2013). Morals and Markets. Science 340, 10. May 2013.