Was den Mensch zum Menschen macht: Philosophie zum Wochenende
Viele Philosophen haben sich mit der Frage beschäftigt, was den Mensch zum Menschen macht, was ihn als Mensch auszeichnet. Kaum einer hat es so systematisch getan, wie Thomas Hobbes. Hobbes hat in seinem Leviathan ein System entwickelt, dessen Reiz man sich nur schwer entziehen kann, wenn man es denn überhaupt will. Alles beginnt mit Bewegung. Bewegung ist für Hobbes der Ursprung des Seins. Und von dieser Prämisse aus, entwickelt er ein deduktives System, seines Gesellschaftslehre, die vom Menschen und seinen Fähigkeiten und Eigenschaften, bis zur politischen Verfassung und den Beziehungen zwischen den Staaten reicht.
Besonders spanned sind die Kapitel 6 bis 10, in denen Hobbes sein Bild des Menschen entwickelt, dies mit zwei Bewegungen beginnen, den vitalen Bewegungen, worunter er z.B. Blutkreislauf, Pulsschlag und Atmung versteht und die sich dadurch auszeichnen, dass sie keinerlei Unterstützung durch die Vorstellungskraft bedürfen und die animalischen oder willentlichen Bewegungen, zu denen das Gehen, das Sprechen oder insgesamt, das sich Bewegen gehören. Für Hobbes, der im 17. Jahrhundert geschrieben hat, gibt es also hinsichtlich der Grundlage alles lebendigen Daseins, keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier, was für ihn die Frage aufwirft, was den Menschen zum Menschen macht:
“Und weil Gehen, Sprechen und ähnliche willentliche Bewegungen immer von einem vorher gedachten Wohin, Wodurch und Was abhängen, ist es klar, dass die Vorstellung der erste innere Anfang aller willentlichen Bewegung ist. […] Diese kleinen Anfänge der Bewegung, die sich im menschlichen Körper finden, bevor sie als Gehen, Sprechen, Schlagen oder andere sichtbare Handlungen in Erscheinung treten, werden gewöhnlich Streben genannt.
Dieses Streben nennt man Trieb oder Verlangen, wenn es auf etwas gerichtet ist, durch das es verursacht wird. […] Und führt das Streben von etwas weg, so nennt man es gewöhnlich Abneigung.[…]
Was die Menschen begehren, lieben, und wovon sie Abneigung empfinden hassen sie. So sind also Verlangen und Liebe dasselbe, außer dass Verlangen immer die Abwesenheit des Objekts bedeutet, Liebe dagegen gewöhnlich seine Anwesenheit. Ebenso bezeichnen wir mit ‘Abneidung ‘ die Abwesenheit, mit ‘Hass” die Anwesenheit des Objekts. Einige der Triebe und Abneigungen sind den Menschen angeboren, wie der Nahrungstrieb, der Trieb zur Ausscheidung und Entleerung […] Der Rest, der aus Verlangen nach einzelnen Dingen besteht, ging aus der Erfahrung und aus der Erprobung ihrer Wirkungen auf einen selbst oder auf andere Menschen hervor. […] Dinge, die wir weder begehren noch hassen, verachten wir, wobei Verachtung nichts anderes ist als eine Unbeweglichkeit oder Festigkeit. […]
Und weil die Verfassung des menschlichen Körpers sich fortwährend ändert, ist es unmöglich, dass alle Dinge in ihm immer die gleichen Neigungen oder Abneigungen verursachen. Noch viel weniger können alle Menschen in dem Verlangen nach ein und demselben Objekt übereinstimmen. Aber was auch immer das Objekt des Triebes oder Verlangens eines Menschen ist: Dieses Objekt nennt er für seinen Teil gut, das Objekt seines Hasses oder seiner Abneigung böse und das seiner Verachtung verächtlich und belanglos. Denn die Wörter gut, böse und verächtlich werden immer in Beziehung zu der Person gebraucht, die sie benützt, denn es gibt nichts, das schlechthin und an sich so ist. Es gibt auch keine allgemeinen Regeln für Gut und Böse, die aus dem Wesen der Objekte selbst entnommen werden kann. Sie entstammen vielmehr dort, wo es keinen Staat gibt, der Person des Menschen oder im Staat der Person, die ihn vertritt […]
Furcht vor einer unsichtbaren Gewalt, die vom Geist erdichtet oder auf Grund öffentlich zugelassener Erzählungen eingebildet ist, ist Religion; sind sie nicht zugelassen, Aberglaube. Und ist die eingebildete Gewalt genauso beschaffen, wie wir sie uns vorstellen, so ist es wahre Religion. ]…]
Die letzte Neigung oder Abneigung bei einer Überlegung, die unmittelbar mit einer Handlung oder Unterlassung zusammenhängt, nennt man den Willen, und zwar handelt es sich dabei um den Akt, nicht um die Fähigkeit des Wollens. Und Tiere, die überlegen können, müssen notwendig auch Willen besitzen.[…]
Und wie man beim Überlegen die letzte Neigung Wille nennt, so nennt man bei der Untersuchung der Wahrheit einer vergangenen oder zukünftigen Tatsache die letzte Meinung das Urteil oder abschließende und letztliche Entscheidung des Denkenden […] Kein Denken kann mit einer absoluten Kenntnis vergangener oder zukünftiger Tatsachen enden. Denn was die Tatsachenkenntnis betrifft, so ist sie ursprünglich Empfindung und danach immer Erinnerung. Und was die Kenntnis von Folgen betrifft, die wie ich oben sagte Wissenschaft genannt wird, so ist sie nicht absolut, sondern bedingt. Niemand kann durch Nachdenken wissen, ob dieses oder jenes ist, war oder sein wird, was absolutes Wissen wäre, nur: Wenn dies ist, so ist auch jenes, wenn dies war, so war auch jenes, wenn dies sein wird, so wird auch jenes sein. Dies heißt bedingt wissen, und zwar nicht, was aus einem Ding für ein anderes, sondern was aus dem Namen eines Dinges für einen anderen Namen desselben Dinges folgt. Und deshalb gilt: Wird das Denken in Sprachform gebracht, beginnt es mit Definitionen von Wörtern und schreitet fort, indem man sie zu allgemeinen Behauptungen und diese wiederum zu Syllogismen verbindet, so nennt man den Abschluss oder die Endsumme den Schluß, und der hierdurch bezeichnete, sich im Geist befindliche Gedanke ist dieses bedingte Wissen der Folgen von Wörtern, das man gewöhnlich Wissenschaft nennt. […]
Tugend ist allgemein bei allen Gegenständen etwas, das wegen seiner hervorragenden Beschaffenheit geschätzt wird und besteht in einem Vergleich. Denn wenn alles in allen Menschen gleich wäre, so würde nichts gelobt werden. Und unter Verstandestugenden versteht man immer solche geistigen Fähigkeiten, die die Menschen loben, schätzen und selbst besitzen möchten. […] Es gibt zwei Arten dieser Tugenden, natürliche und erworbene. Unter der natürlichen verstehe ich […] jenen Verstand, der allein durch Übung und Erfahrung erworben wird, ohne Anleitung, Bildung oder Unterrichtung. Dieser natürliche Verstand besteht grundsätzlich aus zwei Dingen: der Schnelligkeit des Vorstellens (das heißt der raschen Aufeinanderfolge der Gedanken) und der stetigen Ausrichtung auf ein für gut befundenes Ziel. […] ohne Beständigkeit und Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel ist eine große Phantasie eine Art Wahnsinn, wie er sich bei Leuten zeigt, die, wenn sie zu sprechen beginnen, von jedem Ding, das ihnen gerade einfällt, von ihrer eigentlichen Absicht abgelenkt werden und auf solche Weitschweifigkeiten und Nebensächlichkeiten kommen, dass sie sich völlig darin verlieren. […]
Was den erworbenen Verstand betrifft – ich meine damit den durch Lehre und Unterricht erworbenen -, so ist er nichts anderes als Vernunft, die sich auf den richtigen Gebrauch der Sprache gründet und die Wissenschaft hervorbringt. […]
Die Leidenschaften, die am stärksten von allen die Verstandesunterschiede bewirken, sind hauptsächlich das mehr oder weniger starke Verlangen nach Macht, Reichtum, Wissen und Ehre. Sie alle können auf das erste, nämlich auf das Verlangen nach Macht, zurückgeführt werden. Denn Reichtum, Wissen und Ehre sind nur verschiedene Arten von Macht. Und deshalb kann ein Mensch, der keine großen Leidenschaften für jedes dieser Dinge empfindet, der, wie man sagt, gleichgültig ist, unmöglich große Phantasie oder viel Urteilskraft haben, obwohl er insofern ein guter Mensch sein mag, als er keinen Anlass zu Streit gibt. Denn die Gedanken sind gleichsam die Kundschafter und Spione der Wünsche, die das Gelände erkunden und den Weg zu den gewünschten Dingen finden sollen – alle Beständigkeit und Schnelligkeit der Bewegung des Geistes rühren daher. Denn wie keine Wünsche haben tot sein bedeutet, so sind schwache Leidenschaften Trägheit, Leidenschaften, die unterschiedslos auf alles gerichtet sind Leichtsinn und Zerstreutheit, und stärkere und heftigere Leidenschaft für etwas, als man gewöhnlich bei anderen findet, Wahnsinn.
Die Macht eines Menschen besteht, allgemein genommen, in seinen gegenwärtigen Mitteln zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Guts und ist entweder ursprünglich oder zweckdienlich. Ursprüngliche Macht ist das Herausragen der körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, wie außerordentliche Stärke, Schönheit, Klugheit, Geschlichlichkeit, Beredsamkeit, Freigiebigkeit und Vornehmheit. Zweckdienliche Macht ist die Macht, die durch natürliche Macht oder durch Zufall erlangt wird und als Mittel oder Instrument zum Erwerb von mehr Macht dient, wie Reichtum, Ansehen, Freunde und das verborgene Wirken Gottes, das man gewöhnlich Glück nennt. Denn die Natur der Macht ist in diesem Falle dem Gerücht ähnlich, das mit seiner Verbreitung zunimmt, oder der Bewegung schwerer Körper, die desto schneller wird, je weiter sie sich fortbewegen. […]
Die Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis. Das heißt, er richtet sich danach wieviel man für die Benützung seiner Macht bezahlen würde und ist deshalb nicht absolut, sondern von dem Bedarf und der Einschätzung eines anderen abhängig.”
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen.
ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden.
Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:
Vielen Dank, dass Sie ScienceFiles unterstützen! Ausblenden
Wir sehen, dass du dich in Vereinigtes Königreich befindest. Wir haben unsere Preise entsprechend auf Pfund Sterling aktualisiert, um dir ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten. Stattdessen Euro verwenden.Ausblenden
Liebe Leser,
seit 2011 sind wir als zentrale Stelle zur Prüfung von nicht nur wissenschaftlichen Informationen für Sie da -
Unentgeltlich in all den Jahren.
Bislang sind wir in der Lage, unseren Aufwand über Spenden zu decken.
Damit das auch weiterhin so bleibt, benötigen wir Ihre Hilfe: