Scheidung und Scheidungsfolgen – Viel Gerede und kein Wissen
Die elterliche Scheidung ist eines jener Themen, mit denen es sehr leicht möglich ist, emotionale Reaktionen auszulösen. Etwa so: Die Scheidung von Eltern kann für Kinder ein Segen sein oder so: Die Scheidung von Eltern hat insgesamt betrachtet keinerlei negative Folgen für die davon betroffenen Kinder. Oder auch so: Wenn elterliche Scheidungen negative Konsequenzen für Kinder haben, dann deshalb, weil Beobachter der Scheidung die von ihnen erwarteten Folgen an die Kinder herantragen, sie fortan als Scheidungskinder stigmatisieren.
Tatsächlich kommt Dr. habil. Heike Diefenbach in ihrer Dissertation zum Thema “Intergenerationale Scheidungstransmission in Deutschland”, die auf den umfangreichen Daten der Mannheimer Scheidungsstudie basiert, zu folgendem Schluss: “In etwas provokanter Formulierung lässt sich daher die Hypothese aufstellen, dass die elterliche Scheidung für ein Kind lediglich insofern langfristige Folgen hat als es von da an für den Rest seines Lebens mit dem Merkmal, ein Kind geschiedener Eltern zu sein, ausgestattet ist” (Diefenbach, 2000: 276).
Scheidung hätte entsprechend einen sozialen Effekt wie z.B. eine Verurteilung wegen einer Straftat. Es erfolgt eine gesellschaftliche Stereotypisierung, wenn nicht Stigmatisierung schon weil nunmehr z.B. Lehrern bekannt ist, dass das Kind, das bislang nicht auffällig war und seine Aufgaben zuverlässig erledigt hat, nunmehr und als Folge einer Scheidung bei nurmehr einem Elternteil lebt, was dazu führt, dass dieses Kind besonderer Beobachtung unterzogen wird, einer besonderen Beobachtung deren Ergebnis darin bestehen kann, Besonderheiten bei diesem Kind zu beobachten, die zwar bereits vor der Scheidung vorhanden waren, nunmehr aber bemerkt und bedenklich gefunden werden. Dies ist dann der zweite Teil der Stereotypisierung, die sekundäre Stereotypisierung, die den entsprechenden Kindern als Scheidungsfolge durch ihre Umwelt aufgebürdet wird.
Warum ist das so? Weil eine Scheidung an einer Heilsvorstellung kratzt, die historisch verankert, katholischen Ursprungs und voller affektiver Ladung ist, heute mehr so als früher. Die Heilsvorstellung geht etwa wie folgt: Eine Ehe ist ein institutionalisiertes Arrangement zwischen zwei Menschen, die sich lieben und sich ausschließlich positiv begegnen. Die Ehe wird durch Kinder erhöht, quasi in den Zustand der gesellschaftlichen Heiligkeit versetzt und ist fortan eine Kleinfamilie, die nicht nur gut ist, sondern ausschließlich aus gutem Wirken besteht. Kinder sind in Kleinfamilien geborgen, wachsen behütet auf, werden zu guten und arbeitsamen Mitgliedern der Gesellschaft und kommen auf keine schlechten Pfade. Alles Unheil beginnt damit, dass die Heiligkeit der Familie durchbrochen wird, weil sich die Eltern scheiden lassen.
Unverbunden mit dieser Vorstellung familiärer Idylle stehen die Diskurse, die man eigentlich als Widerlegung dieser Vorstellung ansehen müsste: Die Diskussion über häusliche Gewalt, die Diskussion über vernachlässigte Kinder, die Diskussion über gescheiterte oder zerrüttete Familien, die Diskussion über die Transmission von Kriminalität in Familien und vieles mehr. Sie beschreiben die Realität, und entsprechend sind sie mit der Heilsvorstellung der guten und wichtigen Familie nicht zu vereinbaren, werden ausgelagert in die kalte Welt außerhalb der eigenen wohligen Phantasie.
Die Familie steht nicht nur unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und seit Josef mit Esel und Maria durch die Wüste gezogen ist, auch unter dem Schutz von gelegentlich einfliegenden Engeln, sie steht auch unter dem Schutz von Wissenschaftlern, oder solchen, die sich dafür halten und die ihre Hauptaufgabe darin sehen, gesellschaftliche Stereotype zu reproduzieren.
Deshalb ist es für sie normal, von zerrütteten Familien zu schreiben, wenn das Faktum, das sie vor sich haben lediglich aussagt, dass ein Kind, das Kind geschiedener Eltern ist und bei einem Elternteil oder mit einem Stiefelternteil aufwächst. Man hat sich fast an derart dumme und unfundierte Einordnungen gewöhnt, die auf der ungeprüften Prämisse basieren, dass mit dem Akt vor dem Standesbeamten alle negativen Effekte aus der Welt von Familien verbannt werden, quasi von magisch-staatlicher Hand, die, sofern das staatlich vergebene Band der Familie gebrochen ist, mit voller Wucht zurückkehren, um nunmehr die Kinder zu treffen und vom rechten Pfad der Tugend abzubringen.
Und weil die schöne Idee vom Heil der Familie so weit verbreitet ist, ist es unter manchen Wissenschaftlern, vor allem solchen, die empirische Daten zur Verfügung haben, in denen der Familienstand erfragt wurde, normal geworden, die unterschiedlichen Familienstände mit allem und jedem zu korrelieren. Die höchste Weihe politischer Korrektheit erzielen dabei diejenigen, die Scheidung mit anderen negativen Effekten, die der Staatspaternalismus nicht wünscht, in Verbindung bringen. Adipositas ist so ein negativer Effekt. Staaten und ihre nachgeordneten Wasserträger haben nämlich beschlossen, dass sie Dicke nicht wollen, und deshalb wird massiv gegen Dicke agitiert, Adipöse, wie es politisch korrekt heißt.
In den Reigen der für Staatspaternalismus nützlichen Wissenschaftler haben sich unlängst Anna Biehl und fünf Ko-Autoren eingereiht. Sie haben untersucht, wie Scheidung mit Adipositas zusammenhängt. Und siehe da: Sie haben einen Zusammenhang gefunden: 1.54 Mal häufiger sind Kinder geschiedener Eltern adipös als Kinder nicht geschiedener Eltern. Genauere Analysen haben gezeigt, dass nur Jungen geschiedener Eltern adipöser sind als Kinder nicht geschiedener Eltern, während Mädchen geschiedener Eltern nicht adipöser sind als Mädchen nicht geschiedener Eltern.
Nun stellt sich die Frage, was solche Ergebnisse aussagen. Kann man daraus schließen, dass sich Eltern mit adipösen Jungen eher scheiden lassen als Eltern mit nicht-adipösen Jungen? Muss man daraus schließen, dass nach einer Scheidung Jungen gemästet und Mädchen ausgehungert werden? Oder ist es gar so, dass Jungen nach einer Scheidung ihren Kummer in Essen erkauen, während Mädchen sich dürr hungern vor Kummer, zumindest nicht adipös essen. Oder hat die Scheidung gar nichts mit der Dicke von Kindern zu tun, weil sich z.B. Eltern aus Schichten oder sozialen Netzwerken, in denen Adipositas häufiger zu finden ist als in anderen, eher scheiden lassen? Gibt es am Ende ein Gen, das nur Jungen haben und das nach einer Scheidung überessen auslöst?
All diese Fragen kann man stellen, wenn man nicht die Überzeugung teilt, dass mit dem Ende der heiligen Institution der Ehe, alles vor die Hunde geht. Teilt man dagegen diese Überzeugung, dann stellen sich die Ergebnisse anders dar, dann kann man spekulieren, warum sich eine Scheidung, von der man zwar nicht weiß, ob sie es tut, aber von der man aus Gründen der Bequemlichkeit einfach einmal annimmt, dass sie es tut, sich negativ auf die von der Scheidung betroffenen Kinder, also die Jungen insofern auswirkt, als sie dicker werden, wobei auch die Behauptung, dass sie nach der Scheidung dicker werden, eine ungeprüfte Annahme ist, so dass man sich bei Untersuchungen wie der von Biehl et al. (2014) regelmäßig fragt, warum sich die Autoren überhaupt die Mühe machen, Daten zu erheben und Berechnungen durchzuführen. Denn: Sie hätten ihre Überzeugung, dass die elterliche Scheidung schlecht für Kinder ist, auch ohne die Daten formulieren können, und man hätte die Daten nicht einmal vermisst:
“One can speculate as to whether the changing structure of daily life has a large effect on the children of divorced parents (living with only one parent or spending half their time with the mother and/or the father). The loss of various resources, like the absence of one of the parents or the loss of a parental figure, usually the father, can explain the negative implications of divorce. A consequence might be less time for domestic tasks such as cooking and reliance on more convenient, ready-to-eat foods. As processed foods tend to be higher in fat and calories and lower in nutritional value the result is an altered, less healthy diet. The household income and support from any non-custodial parent or the welfare state is often lower than in corresponding non-disrupted families” (6).
Hätte, wäre, wenn – wir sehen hier einen typischen Vertreter der Junk-Science, die nur dazu dient, eine Überzeugung, die man hat, als Ergebnis zu präsentieren. Damit es nicht auffällt, dass man nichts anderes will, als die eigene Überzeugung legitimieren, wird so getan, als habe diese Überzeugung etwas mit Daten zu tun, was sie regelmäßig nicht hat, denn nirgends belegen die Autoren, dass Scheidung überhaupt einen Effekt auf Adipositas hat. Es handelt sich eben um Junk Science, deren einziger Zweck darin besteht, Paternalismus zu legitimieren und gesellschaftliche Heilsvorstellungen zu untermauern. Daher ist es sicher kein Zufall, dass derartige Junk Science in einem medizinischen Journal erscheint, in einem Journal der Profession, die von Paternalismus mit am meisten profitiert.
Wäre dies anders, die Autoren hätten sicher geprüft, ob nach einer Scheidung all dies als Folge eintritt, was sie im obigen Zitat phantasieren. Der Zweck von empirischer Sozialforschung besteht ja gerade darin, Ideen über einen Effekt oder einen Zusammenhang zu prüfen, nicht darin, eine willkürliche Korrelation aufzuzeigen und dann zu “spekulieren”, wieso sich die Korrelation, die gleich noch zur Kausalität erklärt wird, eingestellt hat.
Biehl, Anna, Hovengen, Ragnhild, Groholt, Else-Karin, Hjelmesaeth, Joran, Strand, Bjorn Heine & Meyer, Haakon E. (2014). Parental Marital Status and Childhood Overweight and Obesity in Norway: A National Representative Cross-sectional Study. Britisch Medical Journal Open access.
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Die Trennung/Scheidung der Eltern hat für sich genommen keinerlei Auswirkungen auf die Kinder. Sie werden zu Betroffenen, wenn die Eltern(teile) und Umstehende sie damit treffen. In der Regel schon per Entzug des Zugangs, durch Ausgrenzung eines Elternteils, notfalls (vorliegende Not ist schnell unterstellt) auf dem Rechtsweg, der mit klaren Vorgaben zu Rollenzuweisungen die Ausgrenzung umsetzt. Die Hände der ausgrenzenden Elternteile sind abschließend sauber, hat doch schlussendlich das große Familiengericht entschieden. Wie die Ehe und das heilige Familienbild trägt auch das deutsche Familienrecht die wertekonservative katholische Handschrift.
Mit hier thematisierter „Studie“ lässt sich allerlei ableiten und kredenzen, z.B. die These, dass Kinder sogenannter Alleinerzieher(innen), aufgrund von „Armut“ und „Zeitmangel wegen Doppelt- und Dreifachbelastungen“, nur mangelhaft ernährt werden könnten und in Folge mehr Geld in AE-Haushalte fließen müsse. Oder von anderer Interessenseite, dass Scheidungen schlicht doof sind, weil die Kinder fett, faul, zappelig würden.
Beschnittene Jungen deren Eltern sich trennen werden nicht fett, faul, zapelig, wird das voraussichtliche Ergebnis einer nächsten Studie lauten. 😉
Dass das Deutsche Familienrecht wertkonservativ und katholisch ist … das ist wirklich das lustigste, was ich in den letzten Wochen gelesen habe. Wie würdest Du mir diesen abstrusen Gedanken bitte mal nahebringen ?!?
Wenn du mich so fragst: Gar nicht.
@Ralph Steinfeldt
Wenn das deutsche Familienrecht tatsächlich eine katholische Handschrift trüge, gäbe es keine Scheidungen, weil so etwas in der katholischen Kirche gar nicht vorgesehen ist. Im Katholizismus geben der Papst und Bischöfe zwar Empfehlungen ab, wie eine ‘gottgefällige’ Ehe geführt werden sollte; die Familien organisieren sich jedoch vollständig selbst.
Schauen wir mal, wie gut das deutsche Familienrecht punkto Scheidung mit der (sozialistischen) Wohlfahrtsidee übereinstimmt: im deutschen Scheidungsrecht hat der wirtschaftlich Stärkere (normalerweise der den Hauptteil des Familieneinkommens erwirtschaftende Vater) dem wirtschaftlich Schwächeren (normalerweise die geringerverdienende Kindesbesitzerin namens Mutter) Unterhalt zu bezahlen. Ob und wer die Ehe zerstört hat, ist dabei seit Einführung des Zerrüttungsprinzips 1977 vollkommen irrelevant.
Na, das passt doch perfekt zur Wohlfahrtsidee: man holt sich die Kohle von dort, wo sie erwirtschaftet wird und verteilt sie unter Androhung von Gewalt dorthin um, wo weniger erwirtschaftet wird, wobei weitere Günstlinge des Umverteilungssystems (staatliche Sozialämter, Jugendämter, Familienrechtsindustrie, Anwälte, staatlich subventionierte Hilfswerke wie CARITAS, Frauenhäuser etc. etc.) in Lohn und Brot gebracht werden (rent seeking). Irgendwelches zutage gelegtes amoralisches/unmoralisches Verhalten ist bei dieser Zwangsumverteilung in Bezug auf den Erwerb von Unterhaltsansprüchen weitestgehend irrelevant.
Na, da bin ich jetzt aber mal auf Steinfelds Antwort gespannt … 😉
Im Sozialismus gibt der wirtschaftliche Stärkere dem anderen, wirtschaftlich Schwächeren…
Aha! Wieder etwas dazugelernt.
Die katholische Kirche betreibt ca. 80 Frauenhäuser und die Caritas ist der Wohlfahrtsfverband der katholoishen Kirche.
Die katholische Kirche ist der einzige nicht-feministisch unterwanderte Verein, den Deutschland noch hat. Finger weg 😉
@Ralph Steinfeldt
Naja, es sind nunmal die Sozialdemokraten, die andauernd im Rahmen der Wohlfahrtsideologie mit der ewig gleichen Argumentation daherkommen: ‘die Stärkeren müssen den Schwächeren helfen’. Exakt diese Begründung wurde seinerzeit auch bei der Einführung des neuen Paradigmas im Unterhaltsrecht anno 1977 von den damals regierenden Sozialdemokraten verwendet.
Dass CARITAS und katholische Frauenhäuser vom Zwangsumverteilungssystem profitieren, ist lediglich der Beleg dafür, dass die Wohlfahrtsideologie inzwischen teilweise auch die Katholische Kirche erfasst hat – Herz-Jesu-Sozialismus halt. Mit der christlichen Kardinaltugend namens Caritas (Liebe bzw. Nächstenliebe) hat ein Zwangsumverteilungssystem gar nichts zu tun, auch wenn das die Beschäftigten in der Umverteilungsindustrie im Dünkel des eigenen Gutmenschentums natürlich ganz anders sehen.
Hochmut ist übrigens im katholischen Katechismus die erste der sieben Todsünden, was sich insbesondere die Herz-Jesu-Sozialisten in den katholischen Hilfswerken hinter die Ohren schreiben sollten. Diese müssten grossmehrheitlich aufgrund ihres Jobs eigentlich tagtäglich zur Beichte gehen.
Solidarität und Nächstenliebe können grundsätzlich nur freiwilliger Natur sein; sobald sie in Form eines Zwanges daherkommen, sind sie pervertiert und damit entwertet.
http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article128754043/Wer-schuetzt-eigentlich-uns-alte-weisse-Maenner.html
Broder!
Naja. Ich würde mal so formulieren: Alles hat Folgen, die Frage ist nur, ob alle Folgen sich generalisieren lassen. Anders gesagt: jede Scheidung hat Folgen – zunächst für die betroffenen individuen und Familien. Diese Folgen können gut oder schlecht oder lilablassblau sein und werden in der Regel SEHR unterschiedlich sein. Problem ist wohl nicht, dass es Folgen gibt (was wäre ohne Folgen?), als dass eine auf möglichst allgemeine Aussagen erpichte sogenannte “Wissenschaft” Aussagen treffen möcht über DIE Folgen, die JEDE Scheidung auf ALLE Kinder hat. Und da wirds dann wirklich schwierig…
Und richtig: Zur gesellschaftlichen (also nicht nur privaten) Tatsache wird Scheidung dadurch, dass ihr im sozialen Kontext eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben wird. U.a. auch durch generalisiende “Untersuchungen”. Auch das ist eine Folge von Scheidung – die betroffenen Kinder leiden dann nicht primär unter Scheidungsfolgen, sondern unter den Folgen von Scheidungsfolgen, z.B. an den Folgen einer Wissenschaft, die Leiden in dem Maße schafft, in dem sie sie nur zu untersuchen behauptet.
Ich weiß: Nazivergleiche sind meist unpassend – aber hier geht es um Strukturen, nicht um die zufälligen Umstände. Eine Holocaust-Überlebende erzählte mir vor vielen Jahren: “Sie sagten von uns, wir wären keine Menschen und behandelten uns wie Tiere. Wir wurden zusammengepfercht wie Tiere, geschlagen wie Tiere, gefüttert wie Tiere, bekamen Hygiene wie Tiere. Am Ende sahen wir aus wie Tiere. Sie konnten sich bestätigt sehen.”
Anders gesagt: Wer Aussagen über Menschen trifft, schafft sich damit oft erst die Legitimation, sie so zu behandeln, dass sie am Ende dann in seinen Augen genau so aussehen, wie er behauptet. Obwohl das Wort “legotimation” nicht immer richtig ist – viele handeln so, ohne zu wissen, dass sie nur Sklaven von Mechanismen sind, die ihnen selbst das Gefühl geben, selbst zu bestimmen über ihre eigene Wahrnehmungsfähigkeit.
(Man verzeihe mir meine Assoziationen – aber funktionieren manche Aussagen etwa über Jungs in der Schule nicht genau so?)
Der schlechteste Artikel auf Sciencefiles seit ich Euch lese. Eure Argumentations belegt in etwa, dass es regnet WEIL der Wetterbericht es vorhergesagt hat. Die Scheidung wird von den allermeisten Kindern als die Urkatastrophe ihres dann folgenden Lebens begriffen, das zu heilen ihnen nicht gelingen will. Dass ausgerechnet ein ansonsten so kritisches Organ wie sciencefiles das feministisch kleinreden will indem es den “Ursprungszustand”, dass nämlich das Kind 50/50 von Vater/Mutter abstammt und sich durch verschiedene Identifikationsstadien mit beiden von beiden ambivalent löst, reift und letztlich erwachsen wird – das überzeugt nicht. Vielleicht braucht ihr deshalb das “Feindbild Katholik”, um Eure allzu schwache Argumentation abzustützen – Kirchenschelt geht bekanntlich unter Sozialwissenschaftlern immer, egal was eigentlich kritisiert wird. Argumentieren geht anders.
Der schlechteste Kommentar von Ihnen seit Sie hier kommentieren. Wo sind die Belege dafür dass “den allermeisten Kindern als die Urkatastrophe begriffen” wird? Haben Sie eine entsprechende Erhebung gemacht? Nein, nun wir haben entsprechende Untersuchung mit der Mannheimer Scheidungsstudie eine Datenbasis von 5020 Ehen. Wie groß ist Ihre Datengrundlage?
Oder bilden Sie sich einfach nur ein, was Sie hier behaupten, WEIL Sie wollen, dass eine Scheidung die Urkatastrophe ist? Dabei reicht doch bereits gesunder Menschenverstand, um zu sehen, dass hier ihre emotionale Weltsicht mit Ihnen durchgegangen ist: Oder sind Sie etwa der Ansicht, es wäre besser, Kinder in einer miserablen Ehe einzusperren und Zeuge täglicher Auseinandersetzung und psychologischer Machtspiele werden zu lassen, um ihnen, wie Sie sagen, die “Urkatastrophe” zu ersparen?
Abgesehen davon finde ich es beleidigend, dass Sie denken Sie könnten uns mit einem derart unsinnigen Kommentar ins Bockshorn jagen. Glauben Sie wirklich, es beeindruckt irgend jemanden hier, wenn Sie Behauptungen aufstellen und, weil sie keine Argumente haben, die Behauptungen mit Adjektiven anfüllen, damit der Anschein erweckt wird, hier sei eine substantielle Argumentation erfolgt?
@Markus
1. Ein Text ist nicht deshalb schlecht, weil in ihm Inhalte berichtet werden, die man nicht mag.
2. Unabhängig davon, was man meint oder glaubt zu wissen oder tatsächlich weiß, ist die Studie, über die im Text berichtet wurde, einfach nur schlecht – theoretisch wie methodologisch. Sie ist daher nicht geeignet, irgendwelche Aufschlüsse über Scheidungsfolgen zu geben, sondern nur über die sozialwissenschaftliche Kompetenz der Verfasser.
3. Unsere Argumentation bezieht sich auf diesen Text bzw. auf seine Kritik. Ich kann beim westen Willen und aller Selbstkritik, zu der ich fähig bin, nicht sehen, was unsere Kritik an dem in Frage stehenden SOEP-paper mit der Behauptung zu tun haben soll, es regne, WEIL der Wetterbericht es vorhergesagt habe.
4. Woher beziehen Sie Ihr vermeintliches Wissen, dass die Scheidung der Eltern von “den allermeisten Kinder” als “Urkatastrophe” erlebt wird? Auf welche Datengrundlage stützen Sie sich mit Ihrer Behauptung? Als Scheidungsforscherin würde mich das sehr interessieren, denn ich habe nun wirklich noch nicht davon gehört, dass ein Kollege eine Vollerhebung der Scheidungskinder dieser Erde (und sei es nur einer bestimmten Generation) zur Verfügung hätte, auf die allein man solche Aussagen gründen könnte. Und könnten Sie dann bitte auch die “allermeisten” quantifizieren?
5. Ungeachtet der Tatsache, dass unbekannt ist, wie “die allermeisten” Kinder die Scheidung der Eltern empfinden, gibt es einen in der Realität ENTSCHEIDENDEN Unterschied zwischen EMPFINDUNGEN, die ein Phänomen auslöst, und FOLGEN, die es hat oder haben kann. SozialWISSENSCHAFT beschäftigt sich normalerweise mit objektivierbaren Folgen von Phänomenen, die sie als Korrelationen statistisch abbilden kann und als Kausalitäten aufgrund theoretischer Überlegungen und Argumentationen modellieren kann. Mit Empfindungen beschäftigt sie sich nur insofern als Empfindungen ihrerseits Folgen zeitigen KÖNNEN. Ob und ggf. wie sie das tun, wäre wiederum erst per Korrelationsnachweis zu zeigen und theoretisch sauber zu modellieren. DANN wären Epfindungen vielleicht von Relevanz, aber NUR DANN.
6. Bislang tut sich die Scheidungsforschung schwer, objektivierbare und generalisierbare Folgen von Ehescheidungen für Kinder zu belegen. Ein Beispiel hierfür ist meine eigene Arbeit über die Transmission von Ehescheidungen zwischen Generationen und die Mechanismen, die eine solche Transmission bewirken könnten. Das mag Ihnen gefallen oder auch nicht, aber das ist nun einmal der Stand der Scheidungsforschung, und die halte ich für deutlich zuverlässiger als Ihre persönlichen Überzeugungen.
ERGO: Ihr Kommentar ist völlig haltlos und anscheinend einer großen Emotionalität geschuldet – wahrscheinlich schreiben Sie Empfindungen nicht umsonst eine so überdimensionierte Bedeutung zu.
Und daher bitte ich Sie eindringlich, in Zukunft Ihre Emotionalität zu bewältigen, bevor Sie sich ernsthaft äußern wollen, insbesondere auf diesem blog. Wir könnten sonst solche unbegründeten und unfairen Anwürfe wie die, dass auf sciencefiles “feministisch kleingeredet” werde (Sie sagen es ja selbst: “ausgerechnet” auf sciencefiles!) und den, dass ein “Feindbild Katholik” dazu führen würde, dass wir unsere Texte so und nicht anders schreiben, ernsthaft übel nehmen.
Zur Erinnerung: Wir sind Sozialwissenschaftler, und Sozialwissenschaften sind leider kein Bauchladen, aus dem man sich herauspicken kann, was man mag, und den Rest diskreditieren, weil man ihn nicht mag. Der Maßstab dafür, ob man Befunden, die mit dem Anspruch daherkommen, wissenschaftliche begründet und geprüft zu sein, vertrauen kann oder muss, liegt in der QUALITÄT der verwendeten Methodik und der Argumentation, die vorgebracht wird. Unsere Kritik an der Studie, die Gegenstand des Textes war, der Sie so aufgewühlt hat, bezieht sich eben darauf: Die Studie ist methodisch wie argumentativ unhaltbar, und that’s it. Aus ihr lässt sich nichts von Relevanz entnehmen. Wenn Sie das anders sehen, dann erzählen Sie uns doch bitte, warum unsere Kritik an der Studie verfehlt ist!
Bevor es zur Scheidung kommen kann, muß es zuvor
eine Ehe gegeben haben.
Die entscheidende Frage lautet nun:
Warum sollte man überhaupt eine staatliche Ehe schließen?
Oder anders herum:
Warum sollte man ausgerechnet dem ‘Staat’ (Anführungszeichen beabsichtigt ;-))
also dem Leviathan auch noch den Zugriff auf seine Privatbeziehungen gestatten?
Sollte man (in BRDLand zumindest als zumindest als Mann) nicht lieber vorher
einen Psychiater seines Vertrauens aufsuchen, um zumindest den Versuch
zu unternehmen, offensichtlich vorhandene masochistische Tendenzen
in den Griff zu bekommen?
Just asking…
AgeSeptimum hat von einem individualistischen Standpunkt aus gesehen Recht: Wer eine Ehe heute eingeht als Mann, begibt sich mit einem Fuss in das soziale, finanzielle und emotionale Aus. Dass es ganz ohne nicht geht liegt an der Tatsache, dass wir leider alle sterblich sind und uns immer nur durch Paarung mit einem nicht unmittelbar Verwandten 50% fortpflanzen können. So entstehen und überleben (oder eben nicht …) soziale Systeme. Man kommt also um das Thema “Kinder und Nachwuchs” als Gesellschaftswissenschaftler nicht herum …
Anscheinend habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt.
Der Staat ist nur eine Denkfigur.
(Es gab hier auf Sciencefiles mal einen sehr guten Beitrag dazu,
einfach etwas zurückblättern.)
Wenn Sie nun eine ‘staatliche Ehe’ schließen, lassen Sie sich
defakto ein Zettelchen von einer Person in die Hand drücken,
die behauptet im Namen der Denkfigur ‘Staat’ zu handeln.
In Realiter geben Sie damit den Gruppen die sich hinter
der Denkfigur ‘Staat’ verstecken, Zugriff auf Ihre Beziehung
und ggf. auf Ihre Kinder.
Für die Fortpflanzung wird dieses Zettelchen übrigens nicht benötigt,
auch wenn dies den von Kindesbeinen an im ‘Staatsglauben’
erzogenen Deutschen (oder korrekter: Bewohner von BRDLand)
anscheinend kaum noch vorstellbar erscheint.
Das Problem ist, dass der Staat sich Deiner Kinder bemächtigt, ob Du an ihn glaubst oder ein Zettelchen hast oder nicht. Das ist dann sehr real unter Umständen !
Das ist dann immer noch kein Argument dafür,
sich das Zettelchen zu besorgen…
Ansonsten bin ich ohnehin der Meinung, daß eine
Abwanderung aus BRDLand ‘alternativlos’ ist.
(lmao)
Ich bin über diesen Satz gestolpert: “Weil eine Scheidung an einer Heilsvorstellung kratzt, die historisch verankert, katholischen Ursprungs und voller affektiver Ladung ist, heute mehr so als früher.”
Den “katholische Ursprung” stelle ich in Frage!
Die katholische Kirche ist – Pi mal Daumen – 2000 Jahre alt. Das römische Imperium, welches das Christentum übernommen hat, existierte allerdings schon lange vorher. Und auch die römische Gesellschaft, ebenso wie die hellenistische, die ägyptische, viele Kulturen vorher und auch weltweit kannten/kennen die “Institution” der Ehe/Familie (=Mann, Frau, Kinder) völlig unabhängig vom Katholizismus/Christentum, mal in enger, mal in weiterer Form (Kleinfamilie, Klan, polygam, monogam).
Betrachtet man das global und historisch sind, meines Wissens nach, andere Formen (z.B. in kleinen Regionen Chinas: matriarchalisch und ohne feste Mann/Frau-Gemeinschaft) die Ausnahme.
Das dürfte daran liegen, dass sich Sozialität immer durch die Fortpflanzung mit nicht eng Verwandten nur bewerkstelligen lässt. Deshalb haben sich alle Gesellschaften geformt und abgegrenzt um diese “Nachwuchsproblem” herum. Tun sie es nicht – so wie das gegenwärtige Deutschland – sterben sie eben aus.
Vielleicht mögen die Sozialwissenschaftler sich zu der allgemeineren Aussage äußern, daß Kinder davon mehr profitieren, in einer Familie mit Vater und Mutter aufzuwachsen als ceteris paribus in einer Familie mit nur einem Elternteil oder heillos zerstrittenen Elternteilen?
Und kann man davon ausgehen, daß Kinder, die in ungeschiedenen Ehen groß wurden eher diese Bedingung erfüllen, als Scheidungskinder?
Denn darum geht es doch: Ehe ist hier nur eine Operationalisierung des Kriteriums dauerhafte stabile Zwei-Eltern-Familie. Das mag auch unverheiratet gehen, aber darüber gibt es nunmal keine belastbaren Daten, vermute ich? Scheidungsraten dagegen sind bekannt.
Ob Ehe sinnvoll ist oder nicht und zu welchen rechtlichen Bedingungen sei einmal dahingestellt. Aber die grundsätzliche Frage ist doch nicht, ob die Eltern von Kindern in dem rechtlichen Konstrukt verbunden sein sollen, das wir Ehe nennen, sondern ob es für Kinder ein Nachteil ist, wenn sie in den von Euch in Anführungszeichen gesetzten zerütteten Verhältnissen aufwachsen müssen.
Und das stößt mir an Eurem Blogbeitrag auf: Ich habe den Eindruck, Ihr befaßt Euch mit dieser schlechten Studie und laßt Euch dabei ein wenig auf deren Niveau herabziehen, indem Ihr Euch in den Begriff Ehe (der für Euch offensichtlich voller negativer affektiver Ladung ist) verbeißt, statt bei der spannenden Frage zu bleiben.