Get Up – Stand Up: Die Kreativität ist mit den Stehenden
Warum wird der Unterricht in deutschen Schulen immer miserabler? Warum lernen Schüler immer weniger? Warum sind die Universitäten voller Studenten, die ihre Langeweile in mittelmäßigen Veranstaltungen nur mäßig verbergen können? Warum kommen keine Ideen aus Lehrerkollegien, aus Sitzungen des Fakultätsrates? Warum sind Verwaltungen und die dort Beschäftigten das lebende Antidot für Kreativität und Innovation? Warum zeichnen sich Richter, Beamte, alle Berufsgruppen, die Tätigkeiten in Verwaltungen ausüben, durch einen Mangel an Phantasie und Empathie aus, der nur schwer mit der Tatsache vereinbar ist, dass sie zur Spezies Mensch gehören? Warum sitzen Bundestagsabgebordnete ihr Mandat im Bundestag ab und warten Legislaturperiode um Legislaturperiode auf die eine Idee, die sich doch nicht einstellen mag?
Nun, die Antwort ist so unglaublich und doch so trivial, dass man vermutlich deshalb nicht von selbst darauf gekommen ist, dass es einer Studie von Andrew P. Knight und Markus Baer bedurft hat, um das Offensichtliche für alle sichtbar zu machen. Möglicherweise haben auch Wegbereiter der grundlegenden Erkenntnis, die Knight und Baer (2014) nun publiziert haben, die Aufmerksamkeit in die falsche Richtung gelenkt.
Bob Marley und Peter Tosh zum Beispiel, wenn sie singen: “Get Up – Stand Up, Stand Up for Your Right”, und im weiteren Verlauf ihres Liedes den Eindruck erwecken, dass Ismen und Schismen aller Art, Menschen benebeln und vom richtigen Leben, davon, dieses richtige Leben in die Hand zu nehmen, ablenken. Derart Verweis auf die politische Kraft des Aufstehens, hat dazu geführt, dass die sonstigen Kapazitäten und Wohltaten, die sich mit dem Aufstehen verbinden, nicht erkannt wurden und dass vor allem eines nicht erkannt wurde: die negativen Effekte des Sitzens!
Knight und Baer haben diese negativen Effekte des Sitzens eindeutig belegt: in einem Experiment, an dem 214 Studenten teilgenommen haben (Studenten sind die am besten erforschte Population der Erde und die am meisten missbrauchte…). Die 214 Studenten, die zu 52% männlich waren, mussten demographische Fragen beantworten, sie mussten einen Sensor um ihr Handgelenk schnüren, der wiederum Schweiß als Indikator von Aufregung oder Erregung gemessen hat, und sie mussten in Gruppen von bis zu 4 Personen eine halbe Stunde damit verbringen, in einem Raum an einem Werbevideo für ihre Universität zu arbeiten.
Und jetzt kommt die experimentelle Situation: Die Hälfte der Studenten musste dies in einen Raum mit Tisch und fünf Stühlen, die andere Hälfte musste dies im selben Raum, aber ohne Stühle. Die Aktivitäten der Studenten wurden gefilmt und von unabhängigen Beobachtern danach beurteilt, ob die Interaktion innerhalb der Gruppe durch Aufmerksamkeit und regen Informationsaustausch geprägt wurde. Eine andere Gruppe von unabhängigen Beobachtern bewertete das Video, das die jeweiligen Studentengruppen am Ende der 30 Minuten vorzuweisen hatten, und der kleine Sensor um das Handgelenk der Studenten hat gemessen, wie aufgeregt sie waren.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Sitzen tötet Kreativität und Gruppenperformanz:
Studenten die standen, waren:
- freigiebiger mit ihren Ideen,
- hatten einen regeren Austaussch,
- waren aufgeregter oder haben doch zumindest mehr Schweiß produziert,
- hatten einen besseren Informationsaustausch und eine effizientere Interaktion,
- und schließlich wurden ihre Videos besser bewertet
als dies alles für Studenten, die im Sitzen an ihrem Video gebastelt haben, der Fall war.
Wieder einmal hat ein Experiment, das an subjektiven Bewertungen kaum zu toppen ist, ein Ergebnis erbracht, das die Welt revolutionieren wird.
Man denke nur an die vielen guten Ideen, die aus Ministerien kommen, wenn diejenigen, die dort ihre Zeit absitzen, zweimal am Tag in Teams und in einem Raum für, sagen wir, 45 Minuten stehen. Bundestagsabgeordnete werden zu wahren Quellen der Kreativität, und vielleicht sogar zu Quellen nützlicher und sinnvoller Kreativität, wenn man sie in Zukunft regelmäßig und für z.B. 1 Stunde dazu zwingt, in Gruppen zu je 4 Personen in einem Zimmer zu verbringen. Da die besseren Ergebnisse im Stehen, die Knight und Baer berichten, in enem Zimmer von 4,1 Meter mal 2,6 Meter erzielt wurden, ist es vorerst ratsam, die Zimmergröße beizubehalten.
Und selbstverständlich haben die Ergebnisse von Knight und Baer eine Reihe von Forderungen zur Folge:
1) Stühle sind aus Lehrerzimmern vollständig zu entfernen.
2) Graduiertenkollegs, deren Ziel in der Produktion neuer Erkenntnis besteht, sind nicht mehr mit Stühlen auszustatten.
3) Wer mehr als zwei Wochen lang keine gute Idee hatte, der muss sich 30 Minuten in eine “Ideen-Ecke” stellen.
4) Richter und wer immer mit der Auslegung von Schriftgut beschäftigt ist, Priester z.B., müssen nicht nur ihr Urteil oder ihre Predigt im Stehen verkünden, sondern den kompletten Prozess der Urteilsfindung oder Verfassung der Predigt im Stehen durchlaufen.
5) Schließlich gilt für Regierungschefs/Staatschefs, die sich zu Sitzungen von z.B: G7 oder EU-Ministerrat treffen, ein absolutes Sitzverbot. Auch Arbeitsessen werden nur noch im Stehen eingenommen, was dem Adipositas-Problem, das mit der Übernahme von Staatsämtern einherzugehen scheint und eines der am meisten vernachlässigten Forschungsgebiete darstellt, ein Ende bereiten wird, schließlich sind Regierungschefs role models für Kinder, und entsprechend gehalten, auf ihren Bauch- und sonstigen Umfang zu achten.
6) Wo wir gerade bei Adipositas sind, die in westlichen Gesellschaften endemisch ist, vermutlich weil die hohe Staatsquote immer mehr Mitglieder der Mittelschicht zu sitzenden Tätigkeiten zwingt, in deren Verlauf sie ermündende, monotone und weitgehend irrelevante Aufgaben ausführen, so scheint die Einführung einer Steh-Stunde in Verwaltungen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Knight, Andrew P. & Baer, Markus (2014). Get Up, Stand Up: The Effects of a Non-Sedentary Workspace on Information Elaboration and Group Performance. Social Psychology and Personality Science 5(5): 1-8.
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