Probleme? Lasset uns beten

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen Erkenntnissen manche Wissenschaftler derzeit aufwarten, fast so erstaunlich wie die Fragestellungen, für die sie sich interessieren.

dark-agesDa sind manche noch dabei, ihren Fetisch “Diversität” anzubeten und der Welt die vielfältigen Vorteile einer vielfältigen Umwelt, in der ganz besonders vielfältige Gruppen von Individuen unterwegs sind, anzupreisen, ja, sie gehen sogar soweit, die Vorzüge der Diversität, die sie sehen, per Gesetz und eher monoton als vielfältig anderen aufzuzwingen, während andere schon einen Schritt weiter sind: Sie haben entdeckt, dass zu viel Vielfalt schädlich ist und es dann, wenn Gruppen sich durch sozioökonomische und ethnische Vielfalt auszeichen, schwierig ist, Einfalt in all der Vielfalt herzustellen.

Die Nach-Moderne hat sich, abermals in einem klassischen Widerspruch verheddert, der über kurz oder lang die Apostel der größeren Diversität mit den Aposteln der Problem-Diversität in Konflikt geraten sehen wird. Und dann, dann kann man nur beten. Und das ist dann auch wirklich die Lösung, die die Apostel einer geringeren Diversität als Lösung vorschlagen.

Die Nach-Moderne hat immer neue Überraschungen bereit. Wann hat es das jemals gegeben, dass an Erkenntnis interessierte Wissenschaftler zu der vermeintlichen Erkenntnis gelangt sind, dass die wahre Erkenntnis im Beten besteht?

Ruth Braunstein, Brad R. Fulton und Richard L. Wood verdanken wir die neue Erkenntnis über die Wohltaten, die von gemeinsamem Beten ausgehen. Wer sich am Beten beteiligen will, kann dies in der Augustausgabe der American Sociological Review tun.

Braunstein, Fulton und Wood haben zu Beginn ihrer Studie ein ganz besonderes Problem: Gruppenkohäsion. Eines der ehernen Gesetze der Nach-Moderne lautet nämlich: Die Gruppe ist alles, der Einzelne nichts (Anklänge an den Volkskörper drängen sich zwar auf, sind aber vermutlich unerwünscht). Die Gruppe setzt sich dummerweise aus Individuen zusammen, und Individuen sind unterschiedlich. Ein Weg, die Unterschiedlichkeit, man kann auch sagen, die Individualität von Menschen zumindest als gesellschaftlich relevant zu beseitigen, besteht darin, die Individuen gleichzuschalten und sie z.B. als Männer, Frauen, Homosexuelle, Eltern oder Behinderte zu etikettieren.

Im nächsten Schritt treten dann die Diversitäts-Apostel auf den Plan und fordern Rechte für die entsprechenden Gruppen, die gerade in Mode sind. Wir haben dies bereits in einem der letzten Posts eingehend beschrieben. Gleichzeitig werden Individuen aus der Gesellschaft ausgeschlossen: Wer als etwas gelten will, muss sich auf ein einziges Merkmal reduzieren und sich einer Gruppe einordnen, ab sofort gilt er dann als wesenhaft männlich, weiblich, homosexuell oder fortgepflanzt.

Damit, so denken Diversitäts-Apostel seien alle Probleme, die aus Individualität entstehen und die sich regelmäßig als Herrschafts- und Kontrollprobleme äußern, gelöst. Weit gefehlt, sagen nun die Problem-Diversitäts-Apostel, die entdeckt haben, was offensichtlich ist, aber so lange es nicht mit einem pseudo-wissenschaftlichen Begriff wie “Intersektionalität” bezeichnet ist, nicht aus der Banalität des Alltäglichen erhoben werden kann.

Gruppen, das Frauenkränzchen beim Konditor um die Ecke, das Team im Unternehmen gleich über die Straße, das Mittelmanagement von Siemens, die Bürgerrechtsbewegung, ja selbst die Antifa, aber die noch am wenigsten, setzen sich trotz aller Einheitlichkeit aus diversen Individuen zusammen. Dies haben Braunstein, Fulton und Wood im Rahmen einer ethnographischen Beobachtung von Gruppenmitgliedern erkannt. Ihre Erkenntnisebene ist jedoch und abermals auf kollektivierbarer Ebene stehengeblieben. Die Diversität, die ihnen Sorge bereitet,  ist nicht die Diversität der Lebensentwürfe, der Nasen und Augenfarben, der Intelligenz oder Motivation, der Fähigkeiten oder Fertigkeiten, der Qualifikation oder Dummheit, nein, die Wertebereiche der genannten Eigenschaften von Menschen sind zu divers, als dass sie für Diversität taugen würden. Diversität, wie sie Braunstein, Fulton und Wood verstehen, beschränkt sich auf sozio-ökonomische Unterschiede, hauptsächlich durch Einkommen und Status verursacht und auf ethnische Zugehörigkeit – das ist halt gerade in Mode.

Die Diversität, die von sozio-ökonomischen Unterschieden ausgeht und die trotz aller Versuche der Gleichschaltung weiterhin in Gruppen von Behinderten, Frauen oder Aktivisten vorhanden ist, ist bedenkliche Diversität, die es zu überbrücken gilt. Warum? Keine Ahnung. Dem Beitrag von Braunstein, Fulton und Wood ist es nicht zu entnehmen. Vermutlich steckt dahinter eine Überlegung wie: Wenn man einen Muslim und einen Katholiken in eine Arbeitsgruppe steckt, dann sind beide zu verschieden, als dass etwas Sinnvolles am Ende herauskommen kann. Warum Religion in diesem Fall oder Geschlecht oder sexuelle Orientierung oder das Guthaben bei der Bank für menschliche Interaktionen einen Unterschied machen soll, einen so großen Unterschied, dass ihn Diversitäts-Apostel und Problem-Diversitäts-Apostel thematisieren zu müssen glauben, kann man nur erahnen.

Offensichtlich sind Diversitäts-Apostel und Problem-Diversitäts-Apostel in einem Rassismus befangen, der sich gewaschen hat, und der sie annehmen lässt, dass es generell unmöglich ist, dass sich Katholiken und Muslime, Männer und Frauen, Dicke und Dünne, Homosexuelle und Heterosexuelle einfach so sympathisch finden könnten oder gar mit einander sinnvoll kommunizieren oder arbeiten könnten.

Entsprechend bedarf es der Gruppenkohäsion, muss all das Trennende überwunden werden, um eine einheitliche Gruppe herzustellen. Und dies tut man am besten durch Beten. Das ist die Erkenntnis, die ein langer Text verbreiten will, der auf noch längeren und teuren Methoden der Datengewinnung basiert:

psychosomatic-church“Previous research has identified a dilemma posed by racial and socioeconomic diversity within politically oriented civic organizations: while diversity can be a means to developing organizational strength and power, it can also complicate the task of building and unifying group culture. In this article, we posit bridging cultural practices as a mechanism through which organizations address these challenges, and we employ a multi-method approach to investigate the use of collective religious practices – notably prayer – as bridging cultural practices … we argue, that prayer practices employed in diverse settings were used to bridge racial and socioeconomic differences” (16).

Noch Fragen? Die Nach-Moderne hat für alle Probleme die richtige Lösung parat. Probleme, die sich daraus ergeben, dass Menschen unterschiedlich sind, lösen wir durch “Diversität”, d.h. durch die Zusammenfassung unterschiedlicher Menschen in Gruppen anerkannter und mit Rechten ausgestatter Diversität.

dogma_religion_freethinkerEventuell noch bestehende Unterschiede, die die als Diversität bezeichnete Gleichheit stören, werden durch Beten überbrückt. Und alle Probleme lösen sich wie von Geisterhand bewegt: Unterschiede im Einkommen werden ebenso weggebetet, wie Unterschiede im Intellekt. Wer mehr Energie hat als andere, wird eingebetet, so dass er nicht noch einmal versucht, die Gruppe durch Eigeninitiative zu überrumpeln, und wer dennoch der Ansicht ist, er sei individuell und nicht kollektiv, für den muss dann gebetet werden.

Ein menschenfeindlicheres Zeitalter als die Nach-Moderne, in der bestehende Unterschiede durch nach-moderne Imagination und Vorspiegelung heiler Welten weggebetet werden sollen, ist kaum vorstellbar und manchmal ist man wirklich froh, alt zu sein.

P.S.
Dass Herausgeber von Fachzeitschriften wie der American Sociological Review denken, sie müssten ihren Lesern einen derartigen Unsinn zumuten, lässt tief blicken, und es verbreitet Grauen, Grauen darüber, was derzeit noch alles nicht veröffentlicht wird.

Braunstein, Ruth, Fulton, Brad R. & Wood, Richard L. (2014). The Role of Bridging Cultural Pratices in Socioeconomically Diverse Civic Organizations. American Sociological Review. Online First.

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