Nachhaltige Indoktrination
Heute muss alles nachhaltig sein. Politik reicht nicht mehr, es muss nachhaltige Politik sein. Umweltschutz reicht schon lange nicht mehr: nachhaltiger Umweltschutz muss her. Personalkonzepte sind nur noch akzeptabel, wenn sie nachhaltig sind, nachhaltig ist der Anbau von Kakaobohnen, Marken sind sogar “top-nachhaltig“, Arbeiten als solches reicht auch nicht mehr, nur nachhaltiges Arbeiten wird belohnt, Nachhaltige Investmentfonds suchen Investoren, wer Rad fährt, fährt nicht mehr Rad, nein, er radelt für die Nachhaltigkeit und, last but not least, ist Friede nicht mehr als einfacher Friede von Wert, sondern nur noch, wenn er ein nachhaltiger Friede ist.
Die Beispiele zeigen nachhaltig, dass Nachhaltigkeit in mannigfaltiger Weise verwendet wird und immer ist damit dasselbe Ziel verbunden: etwas durch den Zusatz von “Nachhaltigkeit” zu etwas Besserem, Wichtigerem zu machen, es vor anderen Dingen auszuzeichnen, um auf diese Weise eine nachhaltig positive Wirkung bei Zuhörern und Lesern zu erzielen. Kurz: Nachhaltigkeit ist ein Füllwort, dessen Wirkung nicht über die Kognition erfolgt, denn Nachhaltigkeit hat keine inhaltiche Bedeutung, sondern über die affektive Konnotation von Nachhaltigkeit, die dem Wort “Nachhaltigkeit” immanente Wertung, die man mit: gut, wichtig, schön, wünschenswert, richtig, hervorragend und in jedem Falle anzustreben umschreiben kann.
Dass Nachhaltigkeit ein leerer Begriff ist, zeigen auch die (pseudo-)wissenschaftlichen Versuche, den Begriff zu bestimmen:
Nachhaltigkeit, so kann man diese Anstrengungen zusammenfassen, soll alle Prozesse beschreiben, die eine Erneuerung von Ressourcen gewährleisten und einen Raubbau an Ressourcen verhindern. Diese Beschreibung nachhaltiger Entwicklung, findet sich zum Beispiel im Urtext, dem die Nachhaltigkeit entsprungen ist: dem Brundtland-Bericht. Dort wird eine nachhaltige Entwicklung als eine Entwicklung definiert, “die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff, 1987, S.46). Das beschriebene Kunststück, die bekannten Bedürfnisse heutiger Generationen mit den unbekannten Bedürfnissen zukünftiger Generationen in Einklang zu bringen, wird in der AGENDA 21 weitergeführt. Der Nachhaltigkeit werden nun drei Dimensionen zugewiesen, nämlich (Bolz, 2005, S.37; Rotmans & DeVries, 1997, S.10):
- eine soziale und wirtschaftliche Dimension, die u.a. der Bekämpfung von Armut dient, Bevölkerungspolitik betreiben will und den Handel umschließt;
- eine Dimension die die Erhaltung und Bewirtschaftung der Ressourcen sicherstellen soll und u.a. die Bereiche Klima-, Energie- und Landwirtschaftspolitik umfasst;
- eine Dimension die auf die Stärkung der Rolle (Rechte) gesellschaftlicher Gruppen abzielt, worunter vornehmlich Minderheiten, Frauen, aber auch NGOs fallen.
Es ist jedem halbwegs in Wissenschaft Geschulten leicht ersichtlich, dass Nachhaltigkeit kein wissenschaftliches, sondern ein normatives Konzept ist, denn Nachhaltigkeit beschreibt gesellschaftliche Zustände, die aus Sicht derer, die die entsprechenden Zustände als nachhaltig beschreiben, wünschenswert sind. Warum sie das sind, wird regelmäßig nicht begründet, vielmehr werden diejenigen, die nach einer Begründung fragen, durch einen entrüsteten Appell an einen nicht näher bestimmte Verantwortung gegenüber nicht näher bestimmten Dritten oder Dingen mundtot gemacht.
Dass Nachhaltigkeit somit ein Begriff ist, der bestenfalls mit Bezug auf die Ethik bestimmt werden kann, wird spätestens dann deutlich, wenn man die Argumentation der Nachhaltigkeitsapostel umdreht und fragt:
- Ist es nicht wichtiger das Los der derzeitig lebenden Menschen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbessern, anstatt ihnen Einschränkungen mit Blick auf noch nicht geborene Menschen aufzuerlegen?
- Wieso soll man bekannte Bedürfnisse lebender Generationen zu Gunsten unbekannter Bedürfnisse (noch) nicht lebender Generationen zurückstellen?
- Warum sollen heute lebende Generationen auf einenhöheren Lebensstandard, der ihnen mögilch ist, verzichten, nur weil Berufspessimisten annehmen, dass zukünftige Generationen zu dumm sein werden, um mit den Herausforderungen, vor die sie gestellt sind, selbst fertigwerden zu können?
- Ist es überhaupt ethisch vertretbar, von Menschen Verzicht zu fordern und ihnen ein schlechteres anstelle eines besseren Leben zu verordnen?
Dies sind nur einige Fragen, die mit dem Konzept der Lebensqualität oder Nicht-Nachhaltigkeit verbunden sind und die deutlich machen, dass Nachhaltigkeit lediglich dazu dient, moralischen Druck auf Menschen auszuüben, um sie in eine Richtung und zu Handlungen manipulieren zu können, die sie von sich aus nicht vorgenommen hätten.
Aufgabe einer Wissenschaft, die sich ernst nimmt, wäre es entsprechend den anti-emanzipatorischen Kern, den Nachhaltigkeit umschließt, deutlich zu machen und eine moralische Aufklärung zu betreiben, die Menschen nicht zu Lemmingen des Zeitgeistes macht, sondern sie darüber entscheiden lässt, ob sie sich im Sinne der Nachhaltigkeits-Apostel verhalten wollen oder nicht. Das würde natürlich voraussetzen, dass die Nachhaltigkeitsapostel ihre Argumente dafür präsentieren, warum es für derzeit Lebende einen Nutzen bringen soll, sich nachhaltig zu verhalten und diesen Nutzen auch konkret anzugeben. Anders formuliert: Die Nachhaltigkeitsapostel müssten begründen, warum die Lebensqualität der derzeit lebenden weniger wert sein soll als die Lebensqualität zukünftiger Generationen. Und schon weil ein konkreter Nutzen gefragt ist, wird man vergeblich auf entsprechende Argumente warten (schon weil Nachhaltigkeit, dann, wenn sie ernstgenommen wird, und als Reduzierung des Einflusses von Menschen auf ihre Umwelt operationalisiert wird, logisch zu der Konsequenz führt, dass man einen Geburtenstopp fordern müsste.).
Institutionalisierte Wissenschaft in Deutschland 2014 ist jedoch weit davon entfernt auch nur Spuren einer emanzipativen Auffassung der eigenen Tätigkeit zu enthalten. An die Stelle der Rationalität, die die Idee der Wissenschaft über Jahrhunderte hinweg getragen hat, tritt immer häufiger eine Irrationalität, deren Ziele gerade nicht in der Befreiung von Menschen und der Herstellung von Autonomie bestehen, sondern im Gegenteil darin, Heilsbotschaften zu verkünden, Verhaltensvorschriften zu geben oder, in anderen Worten, Inhaber wissenschaftlicher Positionen in der moralischen Überzeugung schwelgen zu lassen, sie könnten irgend etwas besser für andere beurteilen als diese selbst.
Und so ist es nicht verwundertlich, dass sich vermeintliche Wissenschaftler dafür hergeben, an einer effektiven Verbreitung der Nachhaltigkeits-Saga mitzuwirken. Ziel: “Sachwissen in den Themenfeldern der Nachhaltigkeit zu vertiefen und mit erfahrenen Fachleuten aus der Praxis (z. B. taz, SPIEGEL) die verständliche und spannende Vermittlung der Themen zu üben”. Deutlicher kann man die Tasache nicht mehr machen, dass deutsche Universitäten nicht mehr Erkenntnisgewinn zum Ziel haben, sondern klar sozial-technologische Ziele verfolgen, also dabei mitwirken wollen oder sollen, die Bürger auf den richtigen Weg zu führen, ihnen das richtige Verständnis zu vermitteln, als es in diesen wenigen Zeilen aus dem Zertifikatstudium “Nachhaltigkeit und Journalismus”, das an der Leuphana-Universität Lüneburg angeboten wird, von der wir uns zunehmend fragen, warum sie “Universität” nicht endlich durch Schule ersetzt.
Im Zertifikatstudium, das mit dem Zertifikat “Nachhaltigkeit und Journalismus” endet, eine Auszeichnung, die man sich dann vermutlich auf den Allerwertesten tätowieren lassen darf, werden Grundlagen in “Nachhaltigkeitsnaturwissenschaften”, “Nachhaltigkeitshumanwissenschaften”, in der “Nachhaltigkeitskommunikation” gelegt, in dem die “Nachhaltigkeitsforschung” der entsprechenden “Nachhaltigkeitswissenschaften” dargelegt und genutzt werden, um einen “Nachhaltigkeitsjournalismus” darauf zu gründen. Bei so viel Nachhaltigkeit muss es auch dem letzten Leser deutlich werden, dass hier nachhaltige Kaderbildung betrieben werden soll, und zwar in Form nachhaltiger Journalisten, oder, in den Worten von Dr. habil. Heike Diefenbach, von Multiplikatoren, die wie die 12 Apostel in die Welt ziehen und die heilige Botschaft verkünden, nicht die heilige, in diesem Fall, sondern die nachhaltige Botschaft.
Das Pikante am Zertifikatsstudium der Kaderschmiede in Lüneburg findet sich unter dem Punkt “Partner”. Partner des Zertifikatsstudium, das aus Gründen der Verschleierung an einer Institution angeboten wird, die sich (noch) Universität nennt, sind:
- Der BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland, die “treibende gesellschaftliche Kraft für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland”.
- Die Zeitschrift GEO, des Verlagshauses Gruner und Jahr, die offensichtlich und bislang noch keine nachhaltigen Reportagen produziert.
- Germanwatch, eine “Entwicklungs- und Umweltorganisation, die sich für globale Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzt”.
- Die Lüneburger Landeszeitung, die derzeit “31.689” nicht nachhaltige Exemplare verkauft.
- Die taz.panterstiftung, die in Workshops “kritische Journalisten” der Art, wie man sie fast täglich in der “taz” bewundern kann, heranzüchten will.
- Völkel Naturkostsäfte, bei denen der “Anbau von Bio-Streuobstwiesen und die Förderung von samenfesten Gemüsesorten” ganz hoch im Kurs steht.
- Und der WWF, der “weltweit die Zerstörung der Natur und Umwelt” stoppen will, woraus man nehmen muss, dass Natur mit Umwelt nichts zu tun hat.
Die genannten Partner, deren richtige Bezeichnung wohl eher: Sponsoren wäre, machen das Zertifikatsstudium erst möglich, und entsprechend empfehlen wir das Studium der vollen Aufmerksamkeit der GEW, die im regelmäßig auf uns niederkommenden “Privatisierungsbericht”, die Einflussnahme privater Organisationen auf die Bildung beklagt. Und im vorliegenden Fall sind wir ganz und gar einer Meinung mit der GEW: Es ist höchste Zeit die Finanzierung von Zertifikatsstudien zu “Nachhaltigkeit und Journalismus” , die Einflussnahme privater Organisationen auf die Ausgestaltung von Bildung und den Missbrauch universitärer Ressourcen für Indoktrination und Manipulation zu unterbinden.
Literatur
Bolz, Hermann R. (2005). Nachhaltigkeit. Eine weitere Worthülse oder ein wirksamer Beitrag zur Verringerung der Ontologischen Differenz? Norderstedt: Book on Demand.
Hauff, Volker von (Hrsg.)(1987). Unsere gemeinsame Zukunft – Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Köln: Greven.
Rotmans, Jan & De Vries, Bert (1997). Perspectives on Global Change: The TARGETs Approach. Cambridge. Cambridge University Press.
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Nutella ist gerade dabei nicht mehr nachhaltig zu sein, “Auf die Nuss” in
– http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rohstoffpreise-auf-die-nuss-1.2096302
Wie wird diese Dimension der Erhaltung und Bewirtschaftung einer Ressource für Kinder sichergestellt?
Sachsen ist die Wiege der Nachhaltigkeit. Vor 300 Jahren – im Jahr 1713 – wurde durch den sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz zum ersten Mal der Biegriff der Nachhaltigkeit geprägt. Carlowitz wollte damit die ökonomischen Grundlagen des damaligen Kurfürstentums Sachsen – bezogen auf den Bergbau und die Forstwirtschaft – für die Zukunft sichern. Seitdem hat sich der Nachhaltigkeitsgedanke weit über den forstlichen Ansatz hinaus weiterentwickelt.
Quelle: http://www.smul.sachsen.de/smul/32774.htm
Das ist jetzt vielleicht etwas offtopic, aber..
Ich habe den Begriff “Nachhaltigkeit” so verstanden – jetzt bewusst naiv formuliert:
Nicht nachhaltig ist z.B Hochseefischerei. Irgendwann sind alle Fische weg, und das finde ich doof, denn Fische sind lecker.
Nachhaltig ist z.B. die Forstwirtschaft hier (Hahnstätten – Nomen est Omen – liegt quasi mitten im Wald). Die holen jedes Jahr ganz viele dicke und lange Stämme, und auch große Mengen Feuerholz aus dem Wald, aber es bleiben immer genug Bäume da. Es ist ein bewirtschafteter, aber schöner Wald. Da geht nix kaputt.
Vielleicht könnte man das auf die Sozialwissenschaft übertragen?
Nachhaltig ist, was nix kaputtmacht?
Wenn man das so definierte, müsste man sich keine weiteren Gedanken über Bedürfnisse künftiger Generationen machen.
LG waldbaer
Das Problem liegt darin, wenn man dieses teilweise funktionierende Konzept ohne Rücksicht auf andere Erwägungen auf alle Lebensbereiche ausdehnen will.
Komisch, dass die Nachhaltigkeitsapostel i.d.R. kein Problem mit der nachhaltigen Zerstörung der Wälder durch Windkraft haben, oder mit der nachhaltigen Zerstörung des Sozialstaats durch mehr und mehr Transfergeldempfänger. Auch die nachhaltige Zerstörung von Schülern, durch Schulen in denen man Weltbilder aber kein nützliches Wissen erwerben, kann stört die nicht.
Ich verstehe die Karikaturen nicht.
Sollen sie zeigen wie dämlich es ist, 40 Jahre nach Paul Ehrlichs Schreckensvisionen noch über die Bevölerungsbombe zu sprechen oder sollen sie zeigen, wie dämlich es ist, nicht darüber zu sprechen? Illustrieren sie den Artikel also ironisch oder sozusagen meta-ironisch?
Davon ab: Kann man den Begriff ‘nachhaltig’ nicht vielleicht kulturkritisch erklären: In einer Zeit, in der zunehmend nur noch das jetzt, das ich, der Konsum, der aktuelle Skandal zählt, erwächst ein zunehmendes diffuses Unbehagen darüber, ob das wohl der Sinn des Lebens sein kann. Und der Begriff ‘Nachhaltigkeit’ dient dann wunderbar diffus dazu, dieses Unbehagen ein wenig in Watte zu packen, damit alle schön weiter machen wie bisher… Anders formuliert: Es gibt eine Nachfrage nach Erlösung, Vergebung und Seligsprechen für echte oder eingebildete Schuld und es entsteht eine Nachhaltigkeitsindustrie, die das Angebot dazu liefert.
Zum ersten Absatz: Es ist eigentlich offensichtlich, wie ich dachte, was die Karikaturen mit dem Text zu tun haben, zumal darauf im Text Bezug genommen wird.
Zum zweiten Absatz: Das ist mir zu tiefenpsychologisch. Es ist schon ein Ding der Unmöglichkeit, unterstellte Gefühle bei Dritten zu messen, wenn diese unterstellten Gefühle dann auch noch diffus sind, dann habe ich damit ein Unbehagen, ein konkretes Unbehagen. Aber vielleicht kann man ja so Sinn daraus machen, dass Nachhaltigkeits-Jünger ihren Verzicht im Dieseits als Form der nicht-Beichstuhlgebundenen Beichte ansehen, um post-hum ins nachhaltige Paradies einziehen zu können – oder so… Irgendwie krank…
@Lara
Nur zur Sicherheit, falls Michael Kleins Antwort auf Ihre Frage nicht hinreichend eindeutig (für Sie oder andere Leser dieses blogs) ist: die Bilder sollen natürlich zeigen, “wie dämlich es ist, nicht darüber [über andauerndes Weltbevölkerungswachstum] zu sprechen”, denn eine nachhaltige Lebensgrundlage ist nicht an sich und als solche nachhaltig, sondern kann – wenn man überhaupt meint, längerfristig erfolgreiche Strategien oder längerfristige Bestandserhaltung als “Nachhaltigkeit” bezeichnen zu müssen – nur nachhaltig sein, wenn die aktuell gesicherte Grundlage nicht weiterhin wachsender Ausbeutung unterworfen wird.
Nachhaltig kann eine Strategie immer nur gemessen an einem bestimmten Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt sein, sozusagen ceteris paribus. Die Idee der Nachhaltigkeit als längerfristig erfolgreiche Bestandserhaltung (unter bestimmten Nutzungsbedingungen) erfordert ständige Evaluation und ständige Anpassungen/Korrekturen. Ich glaube, dass die Art und Weise, wie der Begriff “Nachhaltigkeit” gebraucht wird, genau dies eher VERDECKT als ausdrückt: er suggeriert, dass eine bestimmte Handlung/Maßnahme/Strategie, einmal implementiert, Nachhaltigkeit sichere bzw. sogar als solche nachhaltig SEI – und das ist natürlich nicht nur faktisch falsch und eine sehr naive Vorstellung, sondern fahrlässig und gefährlich. Hierzu vielleicht ein Beispiel:
Selbst dann, wenn z.B. Windräder die Nachfrage nach erneuerbarer Energie befriedigen könnten oder teilweise befriedigen könn(t)en, dann muss man sich die Frage stellen, auf welche Weisen sie die Umwelt schädigen oder in sie eingreifen (Vogeltot durch Windräder samt seiner Effekte z.B. auf den Insektenbestand, Betonierung von Zufahrts- und Servicerampen zu den/für die Windräder, teilweise durch Naturschutzgebiete wie im Pfälzer Wald, etc.). Wenn man nun behauptet, Windräder seien eine nachhaltige Strategie zur Energiegewinnung, dann kann man das nur tun, wenn man sie aus dem größeren ökologischen Kontext herauslöst. Dann mögen sich zwar Leute, die Windkraft unterstützen, gut fühlen, weil sie denken, Windräder seien irgendwie an sich nachhaltig, aber tatsächlich kann die weitere Errichtung von Windrädern erheblichen ökologischen Schaden anrichten, so dass sie als langfristige Strategie nicht so geeignet sind wie die Rede von der Nachhaltigkeit, die Technologien nur nach einem einzigen Aspekt oder sehr wenigen Aspekten darstellt und beurteilt, nahelegt. Alle Technologien haben ohne Ausnahme ihre Vor- und Nachteile, und die müssen erkannt, klar benannt und gegeneinander abgewogen werden.
Deshalb finde ich, dass wir deutlich besser beraten wären, bei der Ökologie und ökologischen Zusammenhängen zu bleiben, statt von Nachhaltigkeit zu sprechen, so als gäbe es eine solche an und für sich.
Noch kurz zu Ihrer Vermutung über die psychologische Funktion des Glaubens an Nachhaltigkleit:
Ich würde es vielleicht etwas anders fassen und formulieren als Sie, aber ich stimme Ihnen im Prinzip zu. Ich würde sagen, dass hier ein Weglaufen vor Verantwortung am Werke ist und vor der Tatsache, dass alles Leben eine Ausbeutung von Ressourcen bedeutet, so dass sich die Frage stellt, wie diese Ausbeutung zu rechtfertigen ist bzw. wie weit sie gehen soll oder darf. Daran knüpfen dann Fragen nach dem Lebenssinn oder spezifisch nach dem Sinn des eigenen Lebens an: Was gebe ich eigentlich zurück und an was oder wen gebe ich zurück für die Ressourcen, die ich verbrauche? Oder wie reduziere ich meine Ausbeutung von Ressourcen? Manche Leute nehmen nur öffentliche Verkehrsmittel, manche werden Vegetarier oder Veganer, andere leisten ehrenamtliche Arbeit, werden vielleicht zum verdeckten Beobachter des Geschehens in Schlachthäusern – sie sind die Helden des Alltags, die tatsächlich dafür sorgen, dass die Lebensgrundlagen der bestehenden Gesellschaften zumindest derzeit noch erhalten sind und für eine Weile hoffentlich bleiben (womit wir indirekt wieder beim Bevölkerungswachstum angekommen sind).
Aber sehr viele Leute tun nichts dergleichen, und es ist so viel leichter, das eigene schlechte Gewissen oder auch nur die eigene Unsicherheit über den Wert der eigenen Existenz und den der Mitmenschen und anderer Lebenwesen dadurch zu beruhigen, dass man für “nachhaltige” Strategien ist, am besten solche, deren Auswirkungen man nicht am eigenen Leib erfahren muss, wenn man z.B, nicht von seinem Haus aus auf die Windräder schaut und ihr ununterbrochenes Summen hört ….
Nachhaltigkeit in der Wissenschaft ist ein Widerspruch in sich. Ich verstehe nachhaltige Landwirtschaft: Der Bauer will seine Lebensgrundlage für sich und seine Nachkommen erhalten.
Aber Wissenschaft zielt auf Erkenntnis und beruht auf der Einsicht, dass kein Wissen wirklich gesichert ist, sondern nur solange gilt, solange seine stete Überprüfung – genau das ist nämlich Wissenschaft – nicht zu besseren Modellen und Hypothesen führt.
Hat dies auf psychosputnik rebloggt.