Die Faulheit ist mit den Linken: Noam Chomsky zu Linken in der Wissenschaft
ScienceFiles-Aphorismen
Wir sind wieder über ein Juwel der Sozialforschung gestolpert, einen Text, den Noam Chomsky im Jahre 1971 in der Australian Left Review veröffentlicht hat, einen Text, in dem er der organisierten akademischen Linken in einer Weise die Leviten liest, die man zum einen von Chomsky als Linkem nicht in der Weise erwartet hätte, die zum anderen auch heute noch eine Gültigkeit hat, die die Konstanz menschlicher Trägheit und linker Faulheit belegt.
Man muss vorausschicken, dass Chomsky ein ernsthafter Linker, aber in erster Linie doch Wissenschaftler ist, der nach Fakten und Argumenten sucht, um zu überzeugen, mit seinen Argumenten zu überzeugen. Darin unterscheidet er sich grundlegend von all den eingebildeten akademischen Linken seiner Zeit und heute, die sich im Vollbesitz von Wahrheit wähnen und entsprechend nicht als Wissenschaftler unterwegs sind, sondern als Volkserzieher und Heilsverkünder. Dass Sie das sind, liegt an ihrer Faulheit, so schreibt Chomsky und nicht nur daran:
“George Orwell once described political thought, especially on the left, as a kind of masturbation fantasy to which the world of fact hardly matters. Unfortunately, there is a good deal of truth to that characterization”.
Diesen zentrale Passage kann man am besten wie folgt übersetzen:
“George Orwell hat einmal bemerkt, dass politisches Denken, vor allem auf Seiten der Linken, eine Art Selbstbefriedigungsphantasie ist, für die die Welt der Fakten kaum Bedeutung hat. Leider ist diese Charakterisierung in weiten Teilen zutreffend.”
Wie gesagt, Chomsky ist vor allem Wissenschaftler. Er begründet seine Aussagen: Seine Meinung, nach der viele Linke eine Form der verbalen Selbstbefriedigung betreiben, damit, dass sie zu faul sind, ernsthafte, gewissenhafte und vor allem: mühsame Arbeit zu leisten und sich der wissenschaftlichen Methoden zu bedienen. Linke wählen lieber den einfachen Weg und verkünden von ihrer akademischen Position aus, nicht nur verkünden sie, nein, sie erwarten auch, dass ihnen gefolgt und geglaubt wird.
Und Chomsky fährt fort:
“Particularly in the social and behavioural sciences, where theoretical content is virtually non-existent and intellectual substance is slight, the pretence of professional expertise is very often used as a defence against quite legitimate criticism and analysis. Here I think can be found one source of the abuse of academic freedom; namely, the restricting of those who try to develop objective academic scholarship that will challenge the prevailing framework of thinking …”
Und in deutscher Übersetzung:
“Vor allem in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften, in denen theoretischer Gehalt nahezu nicht-existent ist und in denen die intellektuelle Substanz dünn ist, wird vorgegaukelte professionelle Expertise oftmals als Verteidigung gegen legitime Kritik und Analysen genutzt. Es ist hier, wie ich glaube, dass eine Quelle des Missbrauchs von wissenschaftlicher Freiheit gefunden werden kann, darin nämlich, dass diejenigen, die versuchen, objektive wissenschaftliche Forschung zu betreiben, die die vorherrschende Denkweisen herausfordern würde, behindert werden…”
Das hat Chomsky im Jahre 1971 geschrieben.
Im Jahre 2015, 44 Jahre später, ist die Situation nicht anders.
In den Sozialwissenschaften blüht die Disziplin der wie-es-mir-vorkommt-Forschung, Forschung, die keinerlei theoretische Fundierung hat und keinerlei wissenschaftlichen Erkenntniswert produziert. Die Verkünder von Heilsbotschaften treten sich an manchen Fakultäten gegenseitig auf die Füße in ihrem Bemühen, der Welt das Heil von Diversität, sozialer Gleichheit im Sozialismus, sexueller Befreiung im Kindergarten zu bringen oder zur Entarmung der Armen aufzurufen.
Wieder sind es vor allem linke Wissenschaftler, die sich der Mühe, ihre angeblichen Forschungsergebnisse zu begründen und zu belegen, nicht unterziehen, die lieber vollmundig verkünden als mühsam Daten zu erheben und Behauptungen zu belegen. Wieder sind es Ideologen, die nicht bereit sind, ihre Ideologie hinter ernsthafte wissenschaftliche Arbeit zu stellen und sich der Mühe z.B. des logischen Argumentierens zu unterziehen.
Der einzige Unterschied, den es zwischen 2015 und 1971 gibt, besteht darin, dass die Mode eine andere ist. Nicht mehr der Kampf gegen den Krieg in Vietnam oder das Establishment ist Gegenstand der linken Wissenschaftler. Sie richten ihre Bemühungen vielmehr darauf, Teil des Establishments zu werden, vor allem dadurch, dass sie politische Legitimationsforschung betreiben: Sie belegen Gender Gaps wo es keine gibt, bauen an Gender-Netzwerken, um Seilschaften in Positionen zu bringen, agitieren gegen die angebliche Benachteiligung von Frauen, die sie behaupten, aber nicht belegen, oder sie Schimpfen auf den Kapitalismus, der ihre professorale Position mit einem üppigen W3-Gehalt ausgestattet hat, kämpfen für die Gleichheit aller außer ihnen und sehen sich als Wegbereiter einer besonders guten Gesellschaft, die sie als geistige Avantgarde nicht nur finanziell vorauseilen sieht.
Was Chomsky sagt, scheint auch heute noch zu stimmen: Viele linke Wissenschaftler sind in erster Linie faul und in zweiter Linie verbale Selbstbefriediger, die die Verkündung ihrer Heilsbotschaft der konkreten Analyse und Begründung, dem wissenschaftlichen Arbeiten vorziehen. Dass sie dies von Universitäten aus tun, liegt zum einen daran, dass man an Universitäten gut für Geschwätz bezahlt wird, daran, dass man bislang nicht zur Rechenschaft gezogen wurde und daran, dass der Weg auf die Kanzel in einer Kirche unter Linken nicht populär und zudem mühsam ist (oder war?).
Chomsky, Noam (1971). In Defence of the Student Movement. Australian Left Review 1(33): 2-11
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Ich bin übrigens auch ein Linker, aber Chomsky hat mir, was Wissenschaftlichkeit bei Linken anbelangt, immer auch gut gefallen. Dazu passen übrigens zwei Aphorismen von Chomsky ganz gut:
“Bei Derrida oder Lacan oder Althusser verstehe ich kein Wort. Ich kann der Argumentation nicht folgen, weil ich überhaupt keine Argumente finde, und was nach Beschreibung von Tatsachen aussieht, scheint mir falsch zu sein. Vielleicht fehlen mir ein paar Gene. Aber ich glaube, ehrlich gesagt, eher, dass es Betrügerei ist. (Chomsky, Noam 2004: Von Staaten und anderen Schurken. Aphorismen und Sarkasmen, Leipzig, S. 12)
“Bei Dingen wie Marxismus oder Freudianismus handelt es sich um irrationale Kulte, um Theologie; und ich persönlich halte von Theologie gar nichts. Der Marxismus (und nicht nur er) gehört zur Geschichte der institutionalisierten Religion.” (ebd. S. 64)
Ich frage mich dann allerdings, wie jemand wie Noam Chomsky dann links sein kann. Er ist ja sogar “syndikalistischer Anarchist”.
Schon theoretisch hätte ein Nativist wie er ableiten können, daß Anarchie – in welcher Form auch immer – höchstwahrscheinlich nicht funktioniert. Dasselbe gilt für verwandte Konzepte, was ihm die Geschichte deutlich zeigte.
Selbst Chomsky ist wohl einer typischen kognitiven Verzerrung anheim gefallen: Auf Arbeit absolut rational, innovativ und wissenschaftlich; privat ein Gläubiger, der ideologische Vorgaben aus dem eigenen Umfeld (Schule, Familie, Uni) weitgehend kritiklos übernimmt.
Dazu eine interessante Studie des BMBF: der “Studierenden”survey. Welche Studenten sind am faulsten?
Hier die Antwort:
“Die Studie untersuchte auch den zeitlichen Aufwand, den Studenten pro Semesterwoche betreiben.
Tiermedizinstudenten liegen den Zahlen zufolge mit 44,6 Stunden deutlich vor Zahnmedizinstudenten (42,5 Stunden) und Pharmaziestudenten (39,5).
Die durchschnittliche Stundenanzahl dieser Fächer liegt bei 31,6 Stunden, den Mathematik- und Betriebswirtschaftsstudenten am nahesten kommen.
***Am wenigsten zeitlichen Aufwand betreiben die Studenten der Soziologie (22,6), Kunstwissenschaft (25,2) und Psychologie (25,2).***”
Unischlaf also bei den typischen Rotforschern. Psychologie wundert mich fast ein bißchen. Außer den Sozialpsychologen sind die meiner Erfahrung nach hart wissenschaftlich und machen ordentlich Lehre. Vielleicht war ich auf der falschen Uni (Potsdam).
http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/517951/welche-studenten-sind-die-fleissigsten#gallery&0&0&517951
Hat dies auf DiskursKorrekt im Tagesspiegel rebloggt und kommentierte:
Wir geben einen Literaturhinweis zum Thema. Im Jahre 1998 erschien „Der elegante Unsinn“. Alan Sokal und Jean Bricmont beschreiben darin die Vereinnahmung der Naturwissenschaften durch sogenannte Postmoderne aus Soziologie, Psychologie und feministischer „Wissenschaft“, die ihren ideologischen Schrott mittels unverstandener Begriffe aufzuhübschen versuchen.
Diese Postmodernen hauen dem mathematischen Laien Fachbegriffe um die Ohren, die selbst nicht verstanden haben und geben sich damit einen Nimbus der Wissenschaftlichkeit, der zum Lachen reizen würde, wäre da nicht der verheerende Einfluss von Politik und Medien, die diesen Schwachsinn nachplappern.
Unter „Was wir zeigen wollen“ schreiben die Autoren:
1. Die weitschweifige Darstellung naturwissenschaftlicher Theorien, von denen man günstigstenfalls eine äußerst vage Vorstellung hat. Die gebräuchlichste Taktik besteht darin, sich einer wissenschaftlichen (oder pseudowissenschaftlichen) Terminologie zu bedienen, ohne sich übermäßig darum zu kümmern, was die Wörter eigentlich bedeuten.
2. Die Übernahme von Begriffen aus den Naturwissenschaften in die Geistes- oder Sozialwissenschaften ohne die geringste inhaltliche oder empirische Rechtfertigung. Wenn eine Biologin in ihre Forschung elementare Begriffe der Topologie, der Mengenlehre oder der Differentialgeometrie übernehmen wollte, müßte sie eine Erklärung dafür liefern. Eine vage Analogie würden ihre Kolleginnen und Kollegen nicht ernst nehmen. Dagegen erfahren wir hier – ohne jede Erklärung – von Lacan, daß die Struktur des neurotischen Subjekts exakt dem Torus entspricht (es ist nichts weniger als die Realität selbst, vgl. S. 38), von Kristeva, daß poetische Sprache durch die Mächtigkeit des Kontinuums theoretisch zu erfassen ist (S. 57f.), und von Baudrillard, daß der moderne Krieg in einem nichteuklidischen Raum stattfindet (S. 169).
3. Die Zurschaustellung von Halbbildung, indem man schamlos mit Fachbegriffen um sich wirft, die im konkreten Zusammenhang völlig irrelevant sind. Der Zweck besteht zweifelsohne darin, den wissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser zu beeindrucken und – vor allem – einzuschüchtern. Selbst manche Kritiker aus Hochschulen und Medien fallen darauf herein: Roland Barthes ist beeindruckt von der Präzision der Arbeiten Julia Kristevas (S. 56), und Le Monde bewundert Paul Virilios Gelehrsamkeit (S. 193).
4. Die Verwendung von im Grunde bedeutungslosen Schlagworten und Sätzen. Einige der betreffenden Autoren lassen sich zwar wahrhaft berauschen von Worten, deren Bedeutungen sind ihnen aber zugleich ganz und gar gleichgültig.
Diese Autoren sprechen mit einem Selbstbewußtsein, das ihre wissenschaftliche Kompetenz bei weitem übersteigt: Lacan brüstet sich, „die jüngste Entwicklung der Topologie” einzubeziehen (S. 40), und Latour fragt, ob er Einstein etwas beigebracht habe (S. 152). Vielleicht glauben sie, sie könnten das Prestige der Naturwissenschaften benutzen, um ihren eigenen Diskursen den Anstrich der Exaktheit zu geben. Und sie scheinen darauf zu vertrauen, daß niemand ihre falsche Verwendung wissenschaftlicher Begriffe bemerkt, daß niemand mit einem Aufschrei verkünden wird, der König sei nackt.
Hach ja die Poststrukturalisten. Möchte man Poststrukturalisten verstehen, muss man nur darauf achten, was für ein Bild sie mit den Worten und den vielen anderen Worten in ihren Texten zeichnen wollen. Das ist auch nicht sonderlich schwer. Es geht eben darum loszulassen von der Exaktheit der Begrifflichkeiten und nur eine einfache Idee aus ihnen mitzunehmen die als Ziegelsteinchen dafür dient ein Wolkenschloss zu errichten. Mehr leisten diese Leute nicht und mehr wollen sie anscheinend auch nicht leisten als Bilder mit Worten zu zeichnen. Das muss nicht schlecht sein. Was das bringen soll weiß ich aber auch nicht. Wussten sie dass die Worte die sie in ihren Beispielen genannt haben allesamt älter sind als die Wissenschaften, die diese Worte für sich vereinnahmen und exakte begriffliche Vorstellungen davon definieren? Ich will darauf hinweisen, dass es keine Lizenzrechte auf Worte und ihre Verwendung gibt.Wäre dem nämlich so würde bei der eher legeren Nutzung philosophischer Begriffe jedem Philosophen hier die Hutschnur platzen. Oder was meine Damen und Herren ist denn eigentlich ein Begriff? Dann knüppeln sie sich mal durch die Lektüre von Platon bis in die Moderne. Viel Spaß! ^^
Hat dies auf psychosputnik rebloggt.