“Arschloch” im Parlament

Die Kunst der politischen Beleidigung, sie wurde und wird von einer Reihe deutscher Politiker gepflegt. Unvergessen ist der „Düffel-Doffel“, der kollektiv von Herbert Wehner über die CDU-Fraktion gesprochen wurde. Wobei sich bis heute niemand findet, der weiß, was Wehner damit eigentlich meinte. Das ist die Kunst der politischen Beleidigung, der Adressat muss ungefähr wissen, was gemeint ist, ohne dass ihm klar ist, was genau gemeint ist. Diese herrliche Balance zwischen der Fähigkeit, beim Adressaten eine Ahnung zu wecken und ihn gleichzeitig über das,, was genau damit gemeint ist, im Unklaren zu lassen, nur wenige beherrschen sie.

Selbst direkte Angriffe, die bei Wehner nicht selten waren, hatten einen gewissen Charme, wie z.B. die Übelkrähe, zu der er Jürgen Wohlrabe in Umdeutung von dessen Nachnamen transformierte oder der Ehrabschneider, zu dem er den Abgeordneten Schneider erklärt hat. Selbst Helmut Kohl hat sich zuweilen als witzig erwiesen. Unvergessen seine Erkenntnis beim Anblick von Herta Däubler Gmelin: „Wenn ich Sie betrachte, verstehe ich, dass Sie für Gleichberechtigung der Männer eintreten“.

Dass die politische Beleidigung eine Kunst ist, die Kunst zu insinuieren, ohne es krude auszusprechen, die man erst ab einer bestimmten Menge an Intelligenz so richtig beherrscht, ist eine Erkenntnis, zu der man kommt, wenn man einen Blick auf die Legislaturperioden des Bundestages richtet. Das Datenhandbuch des Bundestages weist von 1949 bis 2002 insgesamt 612 Ordnungsrufe nach, also Ermahnungen des Bundestagspräsidenten wegen einer Störung der Ordnung der Plenarsitzung. 156 Ordnungsrufe (25,5%) ergingen in der wilden Phase des Bundestags, die von 1949 bis 1953 angehalten hat, 132 (21,6%) waren es in der 9. Wahlperiode von 1980 bis 1983, in der es ein kurzes Aufflammen dessen gab, was mal im Englischen als „passion“ bezeichnet.

Doch ein Blick auf die Anlässe der Ordnungsrufe zeigt, dass die intelligenten politischen Beleidigungen eindeutig in der Minderzahl sind. Häufig sind die Parlamentarier, die den Ordnungsruf auslösen, affektiv tief betroffen, aber intellektuell nicht in der Lage, ihre Betroffenheit mit Abstand und Witz in ebensolchen zu kleiden. Dann machen Begriffe wie „Ratte“, „Schlange“ und Stinkefinger die Runde und Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache sind auch nicht selten. Witzige Formulierungen wie „Petersilien-Guru“ oder „Möchtegern-Schimanski“, sind auch früher eindeutig in der Minderzahl.

Wenn unsere These stimmt, dass die Anzahl intelligenter politischer Beleidigungen mit der Intelligenzverteilung unter den Abgeordneten zu tun hat, dann würde man für die letzten Jahre eine Verrohung der Sitten in Bundestag und anderen Parlamenten erwarten, wenn sich die parlamentarische Verteilung der Intelligenz immer weiter zu einer rechtsschiefen Verteilung entwickelt. Und in der Tat scheinen Fäkalbegriffe in Parlamenten immer häufiger die Runde zu machen und die Anlässe, zu denen sie vorgebracht werden, scheinen immer trivialer zu werden.

Sebastian_Scheel_3619591207_cropSo wird aus dem Sächsischen Landtag berichtet, dass der Abgeordnete der LINKE-Fraktion, Sebastian Scheel, der für Meißen im Landtag sitzt, den sich also die Wähler in Meißen zurechnen lassen müssen, zum Präsidenten des Landtags Mathias Rösler gesagt hat:„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Letzterer hat offensichtlich nicht sofort begriffen, wie ihm gerade verbal mitgespielt wird, und gefragt: „Kollege Scheel, bezieht sich das auf den amtierenden Präsidenten?“. Die Antwort Scheels, den zwischenzeitlich wohl sein Mut verlassen hat: „Ich habe nur ein Zitat gebracht.“

Das „Zitat“, die einen oder anderen werden es noch wissen, es stammt von Joschka Fischer und war an die Adresse von Richard Stücklen gerichtet, und zwar in der Hochphase des Streits über die Flick-Parteispendenaffäre. Anlass für die Neuauflage des Arschloch-Zitates im Landtag von Dresden war ein Streit über die Tagesordnung. Scheel hat nicht seinen Willen bekommen und entsprechend den verbalen Rundumschlag, den er nur als Zitat gebraucht haben will, ausgeführt.

Ein trivialer Anlass führt also zu einer unangemessenen Reaktion, die man wohl als affektives Hyperventilieren bezeichnen muss, nach Abklingen der schlimmsten Symptome des Hyperventilierens und auf entsprechende, Verantwortungsübernahme fordernde Nachfrage, erfolgt der Rückzieher, die Flucht hinter den mittlerweile doch breiten Rücken von Joschka Fischer.

Parlamente und Politiker, so ist in politikwissenschaftlichen Veröffentlichungen gelegentlich zu lesen, dienten als Rollenmodelle für demokratische Verfahren und Umgangsregeln. Betrachtet man Sebastian Scheel und den Dresdener Landtag als Rollenmodell, dann kann man dort lernen, dass bereits nichtige Anlässe Fäkalsprache veranlassen, für die der Sprecher keine Verantwortung übernehmen will. Das Dresdener Rollenmodell, es zeigt wohl den großklappigen Feigling, und wer sich mit Parlamentarismus befasst, der vermisst umso schmerzlicher die zumindest rhetorisch verdienstvollen Ausbrüche eines Herbert Wehner, eines Heiner Geißler, ja selbst eines Helmut Kohls.


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