Volksverräter und Kartoffelkäfer: Von der Relevanz des Irrelevanten
Es ist wissenschaftlich wirklich interessant. Jährlich seit 1991 trifft sich ein Häuflein von angeblichen Sprachwissenschaftlern, nennt sich Jury und kürt das Unwort des Jahres. Und jährlich wiederholt sich der Auftrieb in den Medien. Kein Medium, das sich nicht mit den in Darmstadt ansässigen Unwort-Umtriebigen gemein macht und deren Mahnung über der Deutschen Wortgebrauch an die versammelte Lesegemeinde und zumeist ohne redaktionelle Mehrarbeit weitergibt.
Welche Theorie man bemühen muss, um zu erklären, wie ein kleines Häuflein von Sprachwissenschaftlern, das sich Jury nennt, es jedes Jahr aufs Neue in die Medien schafft, ist eine Frage, die man nicht einfach beantworten kann. Zunächst fällt uns dazu die alte Theorie des Gatekeepings ein, deren Vertreter der Ansicht sind, Medien hätten eine Auswahlfunktion, d.h. sie würden aus dem Meer der Meldungen, das ihnen täglich auf den Tisch kommt, diejenigen auswählen, von denen sie annehmen, sie würden die Mehrheit der Leser/Seher interessieren.
Das ist eine sehr naive Theorie nimmt sie doch an, Medienvertreter hätten keine eigenen Interessen, die sie bevorzugt Meldungen verbreiten lässt, die diesen eigenen Interessen dienlich sind.
Der Agenda Setting Ansatz, der auf McCombs und Shaw zurückgeht und letztlich je nach Vertreter mehr oder weniger deutlich besagt, dass Medien aus Informationen auswählen und den ausgewählten Informationen durch die Auswahl Aufmerksamkeit und Bedeutung, also Salience zuweisen, scheint hier etwas passender, jedenfalls dann, wenn man annimmt, dass die Auswahl der Informationen durch Medienvertreter auf Basis des Interesses der entsprechenden Medienvertreter getroffen wird.
Nehmen wir daher an, dass Interesse und Motivation, die die Unwort-Jury treiben, mit denen der Medienschaffenden übereinstimmen, dass also beide: „sprachkritisch“ sein wollen, allerdings nur gegenüber „Pegida, AfD oder ähnlichen Initiativen“, wie es dieses Jahr in der Unwort-Wahlbegründung der Jury heißt. Ein Blick auf die Unworte der Jahre seit 1991 zeigt, dass die Feinde der Sprachkritik auf drei Begriffe gebracht werden können: Kapitalismus, Rechte und Eigentümer.
Kurz: Die Agenda, die die Jury mit ihrer Unwortwahl setzen will, ist eine sozialistische Agenda. Hier treffen sich die Unwort-Setzer wohl mit den Medienvertretern, deren Agenda eine ähnlich sozialistische zu sein scheint. Zudem wollen die Unwort-Juroren die „Grenzen des öffentlich Sagbaren“ anmahnen. Sie wollen nicht zensieren, nein, nur mahnen und dafür sorgen, dass bestimmte Begriffe nicht mehr verwendet werden oder ein öffentliches Klima schaffen, das die Nutzung der entsprechenden Begriffe nicht mehr erlaubt. Das ist natürlich keine Zensur, eher Sprachdiktatur. Auch hier treffen sich die Unwort-Geber mit den Unwort-Nehmern in den Mainstream Medien, die mit dem Advent des Internets ihre Deutungshoheit haben dahinschwinden sehen und sich mittlerweile mit so garstigen Dingen wie Kritik an ihrer Berichterstattung und Richtigstellung von öffentlich-rechtlichen Falschmeldungen, ganz zu schweigen von Begriffen wie Lügenpresse konfrontiert sehen. Wie gut, dass man mit Hilfe der Unwort-Geber einen Moment der moralischen Hoheit wiedererlangen und sich zum Opfer rechter Gesinnung stilisieren kann. Auch hier treffen die Unwort-Juroren mit ihrer Motivation den Kern dessen, was Medienschaffende zu motivieren scheint.
Und natürlich stehen Medienvertreter immer in der ersten Reihe, wenn es darum geht, „faschistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund”, wie er sich z.B. in der Geschichte der deutschen Autobahnen, die Aufmarschrouten für den Zweiten Weltkrieg waren, darstellt, aufzuzeigen. Und so bekommen wir dieses Jahr das Wort „Volksverräter“ aufgetischt, ein wahrhaft faschistisches und fremdenfeindliches Wort, wenn man der essentialistischen Ansicht ist, der sich die Unwort-Jury angeschlossen hat, dass das Wort Volk nur Blutsverwandte und seit der Schlacht im Teutoburger Wald auch keinerlei Neuankömmlinge mehr umfasst und umfassen kann, dass Volk einmal und immer dasselbe Volk bezeichnet und deshalb alle, die nicht in 10ter Generation einen reindeutschen Vorfahren haben, ausschließt.
Es ist schon erstaunlich, welche Nachwirkungen die Nürnberger Rassengesetze in den Köpfen mancher auch noch im Jahre 2017 haben.
Volksverräter ist also das Unwort des Jahres 2016.
Wir haben es in der Redaktion vernommen und uns zunächst einmal betroffen angeblickt. Denn: In welchen Teilen der Unterwelt sind die Unwort-Geber nur unterwegs, um ausgerechnet auf den Begriff des Volksverräters zu kommen? Um die Irrelevanz des zum Unwort aufgebauschten Begriffs, der im Darmstädter Unwort-Echozimmer wohl hallt und hallt und hallt, aber außerhalb halt nicht, einmal deutlich zu machen, haben wir auf Google Trends nach der Häufigkeit von Suchen nach „Volksverräter“ (blau) gesucht und die entsprechende Häufigkeit mit der Häufigkeit von Suchen nach „Kartoffelkäfer“ (rot) verglichen.
Das Ergebnis ist eindeutig und zeigt: Die Unwort-Geber zeichnen sich durch eine ungesunde Fixierung auf Begriffe aus, die außer ihnen kaum jemand zu benutzen scheint. Insofern sich die Medienschaffenden der öffentlich-rechtlichen und privaten Mainstream-Medien brav in den Dienst der unguten Unwort-Sache gestellt haben, haben sie dazu beigetragen, dass ein Begriff aus den verstaubten Archiven des tausendjährigen Reiches, der ansonsten nur im Echozimmer der Unwort-Geber hallt, eine bundesweite Verbreitung und entsprechende Normalisierung gefunden hat. Wenn es das Ziel war, den Begriff „Volksverräter“ wieder salonfähig zu machen, dann haben die Unwort-Juroren dieses Ziel mit Bravour erreicht.
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Ich erinnere mich das das Wort Volksverräter schon vor dem Internet gebraucht wurde:
“Willi Stoph und Willi Brand – Volksverräter Hand in Hand”
Sehr interessant, gerade im rechten Bereich der Goggle Trends Grafik sieht man, dass positve Peaks der Volksverräter mit negativen Peaks der Kartoffelkäfer zusammenfallen. Die Häufigkeit der Verwendung beider Begriffe scheint also umgekehrt proportional zu sein, daraus könnte man eine super Masterarbeit für einen Sprachwissenschaftler machen (damit will ich nicht sagen, dass ich wirkliche Sprachwissenschaftler nicht hochachte, mein Diplomthema war aus dem Bereich “formale Sprachen” und ich beschäftige mich mit diesem spannenden Thema bis heute).
“Volksverrat” zum Unwort zu erklären ist töricht, denn es ist eine Straftat und wenn sie auch offiziell Landesverrat oder sonstwie genannt wird, weiß jeder, was gemeint ist.
“Volksverräter” rief ein Grüppchen von Menschen den Regierungsvertretern auf ihrem winzigen Weg zur Einheitsfeier zu, den durch öffentlichen Raum zu schreiten, sie nicht vermeiden konnten.
Chrutschew heißt übersetzt Maikäfer. Als ein Nikita Chrutschew Machtmensch in Russland war, wurde die Erläuterung “Maikäfer, Schädling der Landwirtschaft” gestrichen.
1941 führte die NS-Justiz einen neue Definition zu Mord ein. “Hochverrat” wurde vor einigen Jahren aus dem StGB gestrichen. “Angriffskrieg” wurde zum 1.1.17 neu definiert.
“Gehn sie mit der Konjuntur …” H. Osterwaldt-Sextett, 1961
> „Hochverrat“ wurde vor einigen Jahren aus dem StGB gestrichen
Quatsch
Das Wort “Unwort” ist ein Unwort.
Ich habe dieser “Jury” heute folgende E-Mail gesandt (an die Vorschlags-E-Mail-Adresse):
Nicht ehrbare Jury,
ich habe mich schon mal vor einem Jahr sozusagen kopfschüttelnd an Sie gewandt. Dieses Jahr aber treiben Sie es noch toller.
Wer sind Sie, diese selbsternannte Jury? “Vier SprachwissenschaftlerInnen und ein Journalist, die Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant halten. Die Jury wird im jährlichen Wechsel durch ein weiteres sprachinteressiertes Mitglied aus dem Bereich des öffentlichen Kultur- und Medienbetriebes ergänzt.”
Also fünf bis sechs “Sprachinteressierte”, davon vier “Sprachwissenschaftler”, der Rest stammt aus dem öffentlichen Kultur- und Medienbetrieb. Für dieses dünne Brett, das Sie bohren, erreichen Sie eine doch recht große Resonanz. Dies vor allem natürlich dort und bei denen, die den Staatsmedien angehören und vom Staat bezahlt werden (Ihren Kumpanen sozusagen). Angesichts der Tatsache, daß diese Kreise das Land in die derzeitige einigermaßen desolate Lage geführt haben, kann das Ergebnis auch nur desolat, ja beschämend sein.
Und es ist beschämend: “Volksverräter”. Darauf wäre ich nicht gekommen, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Idee allein in Ihrem rotrotgrünschwarzen Klüngelkreis entstanden ist. Ein normaler Mitbürger hätte eine solche Idee nicht gehabt. Möglicherweise wollen Sie damit “faschistischen und fremdenfeindlichen” Hintergrund anprangern. Das ist allerdings ein gewagtes Unterfangen. Denn mit “Volksverräter” assoziiere ich spontan beispielsweise eine sehr große Zahl der Politiker, die momentan das Land von Kulturfremden mit mittelalterlichen Vorstellungen, die so gar nicht in unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung passen, nicht nur fluten lassen, sondern dies sogar aktiv fördern. Die also sozusagen dem deutschen Volk den Garaus machen (wollen).
Sollten Sie das gemeint haben, dann könnte ich Ihnen applaudieren. Ich fürchte nur, daß Sie das gerade NICHT beabsichtigt hatten.
So wir mir dürfte es sehr vielen Menschen dieses Landes gehen. Die Sie ja in Ihren warmen Büros mit Ihrer auf diese Art verstandener “Wissenschaft” recht gut bezahlen. Mit “Sprachinteresse”, Sprachwahrung und wirklich wissenschaftlicher Arbeit hat all das absolut nichts zu tun.
Sie sollten zukünftig schweigen oder – besser noch – sich still und lautlos auflösen.
Unterschrift
Schöner Text! Danke dafür!
ich glaube, was diese Leute viel mehr stört als das jeweilige “Unwort” des Jahres ist, dass so viele (und ständig mehr) Menschen ihnen offen entgegentreten und ihnen ihre Legitimation aberkennen. Denn wenn wir nicht kriechen können sie nicht herrschen.
Wie kann es sein, dass die duckmäuserischen Deutschen plötzlich ihre Stimmen erheben und an den Zügeln zerren?! Fix die Peitsche her solange die Zügel noch nicht gerissen sind, sonst ist es zu spät!
Mal eine Frage an die Wissenschaftler: Warum lassen wir uns eigentlich von jeder Schlagwort/Fake News-Sau aufscheuchen, die durchs Mediendorf gejagt wird?
Wäre es nicht langsam an der Zeit eine Strategie des souveränen Agierens zu betreiben, anstatt durch zuverlässiges reagieren immer dem Gegner die Kontrolle zu überlassen, worüber geredet wird?
Silvester 2016 hat doch gezeigt, dass es auch anders geht, dass das Netz die Themen vorgeben und die Medien zur Unterordnung zwingen kann!
@Charlotte Vorsicht, eine Korrelation ist noch lange keine Kausalität. Wäre sehr interessant, wenn Sie da eine finden.
Mit Volksverräter ist genau eben nicht die Straftat gemeint, die Straftat Hochverrat/Landesverrat ist definiert und deckt eben nicht alle Handlungen ab, die der Verwender miteinbeziehen will. Durchaus dürfte der Benutzer des Wortes Volksverräter aber der Meinung sein, dass der/die so genannte zu bestrafen wäre.
Volksverräter heisst nicts anderes als : DemokratiefeindIn /DemokratieverräteIn / Antidemokrat / DiktatoreInnen und TyrannInnen
Gute beispie für solches demokratiefeindliches, tyrannisch-diktatorisch-faschistisches Denken und Handeln finden wir im Überfluss im aktuellen politischen Regime on Deutschland, as well as der Medienlandschaft as well as den Universitäten und Schulen.
Ich will keinen schocken, aber es wird evtl bald notwendig sein das Land zu verlassen.
Eie jeder reife Sozialismus, wird auch dieser (inkl EU), bald anfangen seine Sklavenbevölkerund zu dezimieren und abzuschlachten.
Es hat einen Grund, warum die Demokratiefeinde, Diktatoren Tyrannen Volksverräter das ganze land (und die EU ) mit Islamisten fluten.
Ein Lichtblick tho :
Im Ausland gibt es echte Frauen 🙂
Ich finde der Begriff passt doch exakt auf unsere Politiker.
Wie ich gelesen habe stand überhaupt kein anderes Wort zur Wahl…
Vorschläge für die
– Untat des Jahres: Anschlag in Berlin; Merkel kandidiert erneut; Woelkis Bootspredigt; …
– Wohltat des Jahres: Rückführung; …
– Jahreslosung der Nornen für 2017: „Mitgard brennt!“; …
Bitte verbessern und ergänzen.
Für mich der Dauerbrenner unter den “Unworten” : der “Experte” !
„Volksverräter“ ein Nazi-Unwort?
Im Internet definieren „Experten“ der Gesellschaft der deutschen Sprache den Begriff „Volksverräter“ wie folgt:
„Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von Volksverräter zielt darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an »ihrem« (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Eine Abgrenzung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen wird damit klar gezogen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus gab es einen vergleichbaren Straftatbestand, den Landesverrat. Erst mit dem Wort Volksverrat ergibt sich aber der Bezug zum Völkisch-Nationalen.“
Hier wird der Eindruck erweckt, der Begriff wurde geprägt in der Zeit des Nationalsozialismus. Er ist jedoch tatsächlich mindestens 400 Jahre alt und wurde wahrscheinlich häufig verwendet in Zeiten, die politisch unruhig waren oder Krieg bevorstand; und das von ganz unterschiedlichen Menschen bzw. Gruppen. Die älteste Verwendung fand ich in Shakespeares Coriolan, eine Tragödie, welche er 1607 geschrieben hat. (https://books.google.de/books?id=LtIVAAAAYAAJ&pg=PA79&lpg=PA79&dq=volksverr%C3%A4ther&source=bl&ots=5EISKg2KmV&sig=BuMrNu6D8zBbMF5X6mFXg6iytzw&hl=de&sa=X&ved=0CDkQ6AEwB2oVChMIz8Pvnv6myAIVSQksCh2kbQ8j#v=onepage&q=volksverr%C3%A4ther&f=false).
Siehe aber auch hier: http://gutenberg.spiegel.de/buch/hundert-jahre-119/54
oder hier: https://books.google.de/books?id=oxMoCQAAQBAJ&pg=PT878&lpg=PT878&dq=volksverr%C3%A4ther&source=bl&ots=1o62-UX_-_&sig=MxSxUc79C9lAnUwVjF7Ub0vvWoI&hl=de&sa=X&ved=0CC4Q6AEwA2oVChMI5_biz-KmyAIVxBUsCh1owgke#v=onepage&q=volksverr%C3%A4ther&f=false).
Meinem Verständnis nach gibt es zwei Hauptgruppen, deren Vertreter diesen politischen Kampfbegriff häufig benutzen. Die einen stellen ein herrschendes System infrage und sind mit den Bedingungen, die es zeitigt zutiefst unzufrieden. Die anderen wollen ein bestimmtes System verteidigen. Zur ersten Gruppe zählen z. B. die Literaten Georg Büchner oder Gottfried Keller zur zweiten Gruppe z. B. die Nationalsozialisten.
Im Juli 1834 schrieb Georg Büchner einen Brandbrief: den hessischen Landboten:
“Denn was sind die Verfassungen in Deutschland? Nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben. Was sind unsere Landtage? Nichts als langsame Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal wohl der Raubgier der Fürsten und ihrer Minister in den Weg schieben, woraus man aber nimmermehr eine feste Burg für deutsche Freiheit bauen kann. Was sind unsere Wahlgesetze? Nichts als Verletzungen der Bürger – und Menschenrechte der meisten Deutschen. Denkt an das Wahlgesetz im Großherzogthum, wornach keiner gewählt werden kann, der nicht hoch begütert ist, wie rechtschaffen und gutgesinnt er auch sey, wohl aber der Grolmann, der euch um die zwei Millionen bestehlen wollte. Denkt an die Verfassung des Großherzogthums. Nach den Artikeln derselben ist der Großherzog unverletzlich, heilig und unverantwortlich. Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er hat das recht Krieg zu führen und ausschließliche Verfügung über das Militär. Er beruft die Landstände, vertagt sie oder löst sie auf. Die Stände dürfen keinen Gesetzes-Vorschlag machen, sondern sie müssen um das Gesetz bitten, und dem Gutdünken des Fürsten bleibt es unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verweigern. Er bleibt im Besitz einer fast unumschränkten Gewalt, nur darf er keine neuen Gesetze machen und keine neuen Steuern ausschreiben ohne Zustimmung der Stände. Aber theils kehrt er sich nicht an diese Zustimmung, theils genügen ihm die alten Gesetze, die das Werk der Fürstengewalt sind, und er bedarf darum keiner neuen Gesetze.
Eine solche Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding. Was ist von Ständen zu erwarten, die an eine solche Ver-fassung gebunden sind? Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräther und feige Memmen wären, wenn sie aus lauter entschlossenen Volksfreunden bestünden?!”
“Die achtseitige Flugschrift “Der Hessische Landbote” wurde 1834 vom damals 21-jährigen Schriftsteller und Studenten Georg Büchner verfasst und von dem 1791 geborenen Friedrich Ludwig Weidig, einem evangelischen Theologen und Schulrektor in Butzbach, überarbeitet, der danach zusammen mit Schülern seiner Schule auch die Verteilung organisierte. Die Originalflugschrift hatte eine Auflage von maximal 1500 Exemplaren und erregte wegen ihres Aufrufes zum Umsturz des feudalen Ausbeutungs-
und Knechtungssystems bei den Herrschenden heftigste Reaktionen. Büchner wurde steckbrieflich gesucht und konnte 1835 nach Frankreich flüchten.
Weidig wurde festgenommen und schwerst gefoltert. Er starb am 23. Februar 1837 in der Haft. Offiziell wurde als Todesursache Selbstmord angegeben, ob er sich wirklich aus Verzweiflung das Leben genommen hat oder an den Folgen der ihm zugefügten Qualen gestorben ist, kann nicht mehr ergründet werden. Georg Büchner übersiedelte 1836 in die Schweiz, war weiterhin schriftstellerisch tätig, starb am 19. Februar 1837 im 24. Lebensjahr an Typhus. Zuletzt hatte er an dem bisher zwölfmal verfilmten unvollendet gebliebenen Drama “Woyzeck” gearbeitet, das zusammen mit seinen anderen Werken wie Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena bis heute bedeutende Bestandteile der deutschen Literatur sind.”
“Der HESSISCHE LANDBOTE ist seine politische Hinterlassenschaft und sein Denkmal. Büchners Botschaft “Friede den Hütten, Krieg den Palästen” ist heute ebenso aktuell wie damals, wenn auch aus anderen Gründen. Es sind nicht mehr die Adelsherren, die die Völker ausbeuten, es ist die Finanzwirtschaft, die die Menschheit knechtet. Und auch diese Knechtschaft ist nicht gottgewollt oder naturbedingt, sie ruft nach Widerstand.”
http://www.atheisten-info.at/downloads/HessischeLandbote.pdf
Man stelle sich vor, es hätte die Nationalsozialisten nie gegeben. Büchner hätte, durch sein Aufbegehren gegen das Großherzogtum, im Kampf um mehr Gerechtigkeit, den Begriff des „Volksverräters“, obwohl abwertend konnotiert, mit positiven Emotionen besetzt und viele würden ihn unbefangen, vielleicht sogar mit Stolz verwenden, da die Verwendung des Begriffes ja einer „guten“ Sache gedient hat. Durch die Gräueltaten der Nationalsozialisten und die Tatsache, dass sie den Begriff auch verwendet haben, ist er mit negativen Emotionen besetzt, da die Nazis einer „schlechten“ Sache dienten und viele sich deshalb scheuen, das „Unwort“ auszusprechen.
Aber ein deskriptiver Begriff allein dient keiner Sache. Menschen, die einer guten oder bösen Sache dienen können, verwenden den Begriff um bestimmte Ziele zu erreichen. Ein Begriff ist per se weder gut noch böse, sondern er beschreibt Sachen, Vorgänge und/oder deren Eigenschaften. Wenn ein Begriff das präzise und unmissverständlich leistet, ist es ein zutreffender, ein passender Begriff und sollte deshalb auch verwendet werden, unabhängig davon, wer ihn zu welchen Zwecken auch immer benutzt haben mag.
Bedeutungsübersicht Volksverräter: jemand, der das eigene Volk (2) verrät, hintergeht, betrügt
http://www.duden.de/rechtschreibung/Volksverraeter
Ich wundere mich, dass ein derartiges Unwort überhaupt aufgenommen wird, in das wichtigste deutsche Nachschlagewerk für Rechtschreibung, zumindest in der Online-Version. Nicht mal ein Hinweis ist zu finden, dass dies ein Nazi-Begriff sei. Wahrscheinlich arbeiten in der Dudenredaktion vernünftige Leute, die sich mit der Etymologie dieses Wortes ernsthaft auseinandergesetzt haben.
Ein beschreibender Begriff sollte nicht mehr sein, als die Bedeutung, die er trägt. Alles andere wird an ihn von außen herangetragen und hineininterpretiert.
Also ist zu fragen, weshalb es Menschen übel wird, wenn sie z. B. das Wort „Volksverräter“ hören. Offensichtlich übernehmen sie eine Bewertung eines derartigen Begriffes. Sie verknüpfen ihn, möglicherweise unbewusst, mit negativen Emotionen (Schuld?), weil Nationalsozialisten Verbrechen begangen haben, und bewerten ihn negativ. Meines Erachtens werden sie seit Jahrzehnten von den Medien dazu gedrängt, indem ständig irgendwelche Berichte in Zeitungen stehen oder geeignete Dokumentationen im Fernsehen laufen, damit der Deutsche nur ja nie seine Schuld vergisst, obgleich er, überwiegend, bis auf eine Handvoll Neunzigjährige, einer ganz anderen Generation angehört und somit in keiner Weise verantwortlich zu machen ist, für die Vergehen seiner Vorfahren. Eine völlig andere Frage ist, wie lange ein Volk Schaden wieder gut machen muss, für Verbrechen, die irgendwann im Laufe seiner Geschichte begangen wurden. Aber das ist ein anderes Thema.
Darüber hinaus schreiben sie jenen, die das Wort seinem Sinn nach benutzen, völlig unberechtigt Eigenschaften der Nazis zu, obwohl es sein kann, dass der betreffende Nutzer, mit diesem Begriff lediglich zum Ausdruck bringen wollte, dass es Politiker gibt, die ihr Volk verraten und somit Volksverräter sind, ohne einer braunen Ideologie anzuhängen.
Auch wenn es schwerfällt das anzuerkennen: Solche Leute gibt es tatsächlich!
Wenn irgendjemand schon unkritisch akzeptiert, dass deskriptive Begriffe von irgendwelchen Gesinnungspolizisten verstärkt mit negativen Emotionen/Bedeutungen/Bewertungen belegt werden, weil irgendeine Gruppe, irgendwann „Böses“ getan hat, sollte dieser irgendjemand dann doch fairerweise auch daran denken, dass das Gegenteil eben auch der Fall sein kann. Auch hier wäre ich vorsichtig mit Zuschreibungen. Kritisch wird es nämlich dann, wenn Menschen, die solche Begriffe ihrem Sinn nach benutzen und möglicherweise für Verbesserungen eintreten, in falsche Schubladen gesteckt und diffamiert werden und dann Nachteile in Kauf nehmen müssen.
Es ist aber schon erstaunlich, wie mit zweierlei Maß gemessen wird:
Als die Bundesregierung 2005 die Kampagne „Du bist Deutschland“ initiierte, um eine Bewegung für mehr Zuversicht und Eigeninitiative in Deutschland in Gang zu setzen und die Bundesbürger zu „mehr Selbstvertrauen und Motivation“ anzustoßen, haben sich nur wenige darüber aufgeregt, dass ein ganz ähnlicher Slogan („Denn Du bist Deutschland“) während einer Nazi-Kundgebung 1935 auf dem Ludwigsplatz in Ludwigshafen am Rhein benutzt wurde. Aber wenn das die moralisch integre Bundesregierung tut, ist es natürlich etwas anderes.
Obwohl dass das 1935, von Hermann Göring erlassene, im weltweiten Vergleich fortschrittlichste Naturschutzgesetz (Reichsnaturschutzgesetz), welches einen Boom in der Naturschutzarbeit auslöste, erst 1976 abgelöst wurde vom Bundesnaturschutzgesetz, ist wahrscheinlich kein Naturschützer, der zwischen 1950 und 1976 aktiv war als Nazi beschimpft worden.
Letztlich bleibt mir nur zu hoffen: Sapere aude!
@ numbcold
Echt ausführlicher Kommentar von Ihnen!
Leider ist auch Georg Büchner auf den ältesten Trick der Macht herein gefallen. Er hat die Mächtigen die Feindschaft erklärt und damit ihre Macht anerkannt. Es ist Aufgabe jeder Regierung, Feind des eigenen Volkes zu sein, es zu provozieren. Nur so hält man es am Laufen und kann gleichzeitig seine Kampfeslust in die gewünschte Richtung lenken. Frieden würde Stillstand und Genügsamkeit bedeuten, woran wohl auch Georg Büchner zugrunde gegangen wäre.
@merxdunix
“Er hat die Mächtigen die Feindschaft erklärt und damit ihre Macht anerkannt.”
Wenn Macht missbraucht wird und wir tun es nicht, was bleibt dann noch?
@ numbcold
Unabhängigkeit, Freiheit und Souveränität
@merxdunix
Hehre Werte! Diese können Sie leben, indem Sie die Macht der Mächtigen nicht anerkennen. Wie geht das?
Ja, das möchte ich auch gerne wissen.
@ numbcold & corvusalbusberlin
Zusammengefasst wird es häufig mit “Ziviler Ungehorsam”. Wesentlich kerniger trifft es m. E. der Ausdruck “Love it or leave it!”. Sich auf die eigenen Bedürfnisse bzw. Interessen besinnen und da aufhören, wo es lästig wird, Selbstbeholfenheit, Gewolltes weitestgehend selbst tun, ausschließlich für eigene Ziele arbeiten, sich und andere freisprechen, Zeit nehmen, unterscheiden statt vergleichen.
Die Lösung ist die Lösung ist die Lösung. Der Mensch hat keine Feinde, wenn er sich keine macht oder machen lässt. Maßstäbe sind idR anerzogen. Komplexitäten sind eine Aneinanderreihung von Einfachem, Richtig und Falsch oft nur eine Frage des Timings. Möglichkeiten sind keine Pflichten. Toleranz ist der eigene Orbit, Gleichgültigkeit immer eine Option.
Mir ist scheißegal, wer wann welchen Begriff wie und für was verwendet hat. Das ist meine Muttersprache und die verwende ich, wie ich es für richtig halte. Das lass ich mir nicht von irgendwelchen Sprach-Taliban vorschreiben. Ich bin sicher, die Nazis haben auch “Autobahn”, “Sauerkraut” und “Tischbein” gesagt. Na und? Sprache ist wie Wissenschaft. Ideologiefrei. Missbrauchen kann ich alles.
@Peter
Schön für Sie! Viele, die ich kenne und noch viel mehr, sehen das (gezwungenermaßen) anders.
http://www.sciencefiles.net/deutsche-haben-angst-ihre-meinung-zu-sagen/
http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/allensbach-umfrage-deutsche-haben-angst-die-wahrheit-zur-migrantenkrise-zu-sagen-a1283979.html
(Die Originalstudie ist auf Allensbach nicht (mehr) auffindbar, möglicherweise aus dem gleichen Grund?).
@ Peter lowig
” will keinen schocken, aber es wird evtl bald notwendig sein, das Land zu verlassen.”
Und wohin?
Ich bin zu alt, aber für die Jungen, die ihre Beine noch in die Hand nehmen können.
Nunja. Ich finde hier ist es sinnvoll zu differenzieren was nun genau “Begriffe benutzen” bezeichnen soll.
“Kartoffelkäfer” ist im Schrebergartenmekka Deutschland ein Begriff der höchstwahrscheinlich gerne und viel gegoogelt wird, weil man sich über Kartoffelkäfer, ihrer Bekämpfung und Prävention informieren will.
“Volksverräter” hingegen dient ja eher der Beleidigung im öffentlichen politischen Diskurs.
Es kann durchaus sein, dass solche Begriffe, die ich hier als Beleidigungen für die Öffentlichkeit bezeichne, schlicht nicht gegoogelt werden. Noch nicht einmal um sich ihres Sinns zu versichern.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Begriffe viel verwendet werden (in Foren, Gazetten und Kommentaren), aber dass nach diesen Begriffen nicht aktiv gegoogelt wird.
Setzt man “Volksverräter” in Bezug zu “Gutmensch” und “Wutbürger” haben alle 3 Begriffe mehr oder weniger das gleiche Google-Suchvolumen.
Dabei lese ich “Gutmensch” und “Wutbürger” noch häufiger als “Volksverräter”
Es wäre toll wenn es eine Textcorpus-Analyse des gesamten konservierten Diskurses deutscher Internetseiten gäbe, um eine definitive Antwort zu erlangen, wie Trends im Wortgebrauch auf und ab ebben.
Da Gutmensch ein ziemlich erklärungsbedürfitiger Begriff ist, schließe ich für mich folgende Konsequenz: Im öffentlichen Diskurs nehmen bevorzugt Leute teil, die denken, sie wissen wovon sie sprechen, sich aber nicht die Mühe machen darüber Erkundigungen einzuholen. Politik macht augenscheinlich doch dumm oder zieht die Dummheit magisch an 😀
PS. Bis vor kurzem dachte ich das Unwort des Jahres wäre stets eine Wortneuschöpfung oder Wortbildung so wie Teuro dazumal … So irrt man sich …
rechts: “Volksverräter”
links: “Menschenfeinde”