Deutsche Welle: Journalisten sind Killer

Berlin, 1. September 2017.
Deutsche Welle.
Themen: Wissen und Umwelt
Psychologie.

Journalisten sind Killer – Journalism kills!
Wir zitieren aus dem Beitrag der Deutschen Welle:

“Das Ergebnis der Studie ist eindeutig: Wir Journalisten haben mit unserer Berichterstattung die Macht, über das Leben von Menschen zu entscheiden. Genauer: Unsere Beiträge können töten. Und zwar dann, wenn es sich um Berichte über Terroranschläge handelt, mit Aufmacher auf der Titelseite“.

Wir wissen nicht, mit welchem Journalisten der Deutschen Welle hier seine Phantasie durchgegangen ist, aber wir wissen: Dieses Ausmaß an selbstzugeschriebener Grandeur, an Realitätsverlust und an Projektion eigener Wünsche und Begierden, ist erschreckend und nicht normal. Insofern wäre der Artikel besser in der Kategorie „Psychiatrie“ anstelle von „Psychologie“ aufgehoben.

Die Erkenntnis, dass Journalisten mit ihren Beiträgen zu Killern werden (können) und die Hoffnung, dass man in Zukunft Terroranschläge verschweigen kann, sie werden von einem Beitrag ausgelöst, den Michael Jetter gerade im Journal of Public Economics veröffentlicht hat: „The effect of media attention on terrorism“. In diesem Beitrag kommt Jetter zu der Einschätzung, dass „media coverage may encourage further terrorist attacks“ (46). Dieses Ergebnis basiert auf der Analyse von 43 Jahren terroristischer Aktivität in 201 Ländern der Erde.

Das Ergebnis ist offenkundig der Stoff, aus dem die Träume von so manchem Redaktionshocker bei der Deutschen Welle sind. Aber ist es auch fundiert? Im Gegensatz zum Träumer der Deutschen Welle haben wir uns die Daten und die Methode angesehen, die Jetter zu seinem Ergebnis führen.

Terroranschläge werden höchst akribisch in der Global Terrorism Database (GTD) gesammelt. Jetter benutzt diese Daten. Seine Fragestellung zielt auf die Anschläge, die in Folge eines Anschlages verübt werden. Die GTB zeigt, dass in der Woche direkt nach einem Anschlag im Durchschnitt weitere 5,01 Anschläge verübt werden. Ob diese Nachfolgeanschläge in geographischer Nähe, in ideologischer Näher oder in irgendeinem anderen Zusammenhang mit dem Ausgangsanschlag stehen, das zeigt die GTD nicht und Jetter untersucht es auch nicht.

Um einen Zusammenhang zwischen der Medienberichterstattung und Terroranschlägen untersuchen zu können, benötigt man auch Daten zur Medienberichterstattung. Jetter entnimmt die Daten, mit denen er internationale Aufmerksamkeit für Terroranschläge operationalisieren will, der Publikationsdatenbank der New York Times. Er berücksichtigt also nur Beiträge, die in der New York Times erschienen sind und begründet dies damit, dass die New York Times von 4imn an erster Stelle gerankt wird, und zwar mit Blick auf die weltweite Leserschaft (unter der sich hoffentlich auch des Englischen mächtige Terroristen befinden, aber dazu kommen wir noch), außerdem, so Jetter, hätten auch andere Forscher die New York Times benutzt, um Medieneinflüsse zu messen.

Eine mehr als lahme Begründung, schon weil man damit, dass es andere bereits vorher gemacht haben, vom Mord bis zum Abendessen im Dorchester in London alles begründen kann.

Wie dem auch sei. Jetter benutzt die Berichterstattung der New York Times, um die Intensität der internationalen Berichterstattung über Terroranschläge zu operationalisieren und die Daten der GTD, in denen die Terroranschläge von 1970 bis 2012 aufgeschlüsselt sind. Und dann berechnet er eine Regression, um den Einfluss von Ersterem auf Letzteres herauszufinden. Und?

Nichts.
Keine Korrelation.
Die Intensität der Berichterstattung in der New York Times hat keinen Effekt auf die Häufigkeit von Terroranschlägen, die dem Terroranschlag, über den berichtet wird, nachfolgen.

Bad Luck.
Was tun?
Nun, hat sich Jetter gedacht, es könnte doch sein, dass da beide, also die Anzahl der Anschläge nach einer Berichterstattung und die Intensität der Berichterstattung über einen Anschlag, da sie endogene Variablen sind, mit einander so konfundiert sind, dass nichts herauskommt, wenn man eine Regression rechnet. Deshalb rechnet Jetter mit der Berichterstattung über Naturkatastrophen in den USA.

Diese Berichterstattung, so seine Überlegung, wenn sie gleichzeitig erfolgt, wird die Intensität der Berichterstattung über Terroranschläge reduzieren, so dass dann, wenn trotz Berichterstattung über Katastrophen in den USA dennoch eine erhöhte Berichterstattung über Terrorismus vorhanden ist und daraus ein Effekt auf die Nachfolgeanschläge ausgeht, er als Forscher davon ausgehen könne, dass es einen Effekt der Berichterstattung auf die Anschläge, die dem Anschlag, über den berichtet wird, nachfolgen, gebe. Potzblitz, der Effekt stellt sich ein. Und weil sich dieser Effekt einstellt, deshalb kommt Jetter zu dem Schluss, dass die Intensität der Medienberichterstattung sich auf die Häufigkeit von Nachfolgeanschlägen auswirkt.

Welche Phantasien dies bei einem Redakteur der Deutschen Welle ausgelöst hat, das wissen wir bereits.

Kommen wir daher zur Kritik:
Eine Anzahl von Terrorismusforschern ist der Ansicht, dass Terrorismus eine Kommunikationsstrategie ist. Nicht die Opfer sind das Ziel von Terrorismus, vielmehr wollen Terroristen eine Message transportieren, sie wollen eine Regierung unter Druck setzen oder sie wollen eine Verunsicherung der Öffentlichkeit herbeiführen, um eine Regierung zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Insofern macht es Sinn anzunehmen, dass Terroristen darauf aus sind, in der New York Times und der London Times Schlagzeilen zu machen.

Damit endet der Sinn bereits, denn: Aus dieser Annahme lässt sich zum einen Ableiten, dass Terroristen über erfolgte Berichterstattung zufrieden sind und Nachfolge-Anschläge aus Zufriedenheit entstehen oder man kann ableiten, dass Terroristen über eine NICHT erfolgte Berichterstattung oder eine zu geringe Berichterstattung erbost sind und nachfolgende Anschläge die Reaktion darauf sind.

Damit ist die Studie von Jetter bereits zerstört, denn er ist nicht einmal auf die Idee gekommen, danach zu prüfen, ob sein ursprüngliches Ergebnis, das keinen Zusammenhang zwischen Intensität der Berichterstattung und Häufigkeit von Nachfolgeanschlägen zeigte auf den zuletzt genannten Effekt zurückzuführen ist. Er hat also etwas finden wollen.

Zudem gibt es bei Zeitreihen, die irgendwo anfangen, das Problem, die Richtung des Zusammenhangs zu bestimmen. Einerseits können Terroranschläge eine Reaktion auf Berichterstattung sein, andererseits ist Berichterstattung über Terroranschläge immer eine Reaktion auf erfolgte Terroranschläge. Die Terroranschläge können aber vollkommen unabhängig voneinander sein. In der Tat legt der Datensatz von Jetter, der den Zeitraum von 1970 bis 2012 umfasst und in dem somit Anschläge der IRA und der RAF, neben denen von FARC, ISIL und Al-Kaida oder von Timothy McVeigh enthalten sind, den Schluss nahe, dass hier ein Ergebnis herbei gerechnet wurde, das keiner näheren Betrachtung standhält, weil man selbst die Idee, dass Terrorismus eine Kommunikationsstrategie darstellt, weit dehnen muss, um einen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über das Oklahoma Bombing am 19. April 1995 und dem Abschuss einer Regierungsmaschine durch die Tamil Tigers in Sri Lanka am 22. April 1995 oder dem Bombenanschlag vom 7. Juni in Ankara herzustellen.

Kurz: Die Ereignisse, die Jetter in der Datenbank alle als homogene Ereignisse behandelt, zeichnen sich dadurch aus, dass sie alles andere als homogen sind. Deshalb muss er annehmen, dass kolumbianische Terroristen oder Terroristen in Sri Lanka oder in den USA alle durch die Berichterstattung der New York Times motiviert wurden. Eine Annahme, die sehr weit hergeholt, ja fast lächerlich ist.

Aber nichts ist so lächerlich, als dass die Lächerlichkeit nicht von denen, die bei der Deutschen Welle ausgerechnet die Kategorie „Wissen“ bestücken wollen, übertroffen werden könnte:

“Es gibt erste Untersuchungen, die darauf schließen lassen, dass auch Terroranschläge imitiert werden. Wenn in den Medien also intensiv über Terroranschläge oder auch Amokläufe berichtet wird, führt das zu weiteren Anschlägen”, sagt Till. Wie beim Suizid auch, können Medienberichte für bereits radikalisierte, aber bisher ambivalente Menschen der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Der zitierte Till, heißt mit vollem Namen Benedikt Till und soll Psychologe an der Medizinischen Universität in Wien sein. Wiener haben es auch nicht leicht.

Wir haben somit einen Bogen von einem Anschlag in, sagen wir London am 7. Juli 2005, über die Berichterstattung in der New York Times zu einem Anschlag am 12. Juli in Natanya in Israel geschlagen. Letzterer ist nach Ansicht der sorry: Spinner bei der Deutschen Welle eine Imitation von ersterem, denn, wie wir alle wissen, gibt es eine Vielzahl von Terroristen, die mit Rucksäcken voller Sprengstoff unterwegs sind und nur darauf warten, dass sie in der New York Times von einem Anschlag lesen, der sich wo auch immer, mit welcher Motivation, welcher Zielsetzung und welchem Erfolg auch immer ereignet hat, um sich selbst und möglichst viele andere in die Luft zu sprengen. Oder, um den Irrsinn auf die Spitze zu treiben: Hätten die Medien nicht über den Anschlag auf das Federal Building in Oklahoma berichtet, dann hätten die Tamil Tigers kein Flugzeug abgeschossen und einen Monat später kein Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet, die IRA hätte ihre Waffen schon vor 2000 abgegeben, al-Kaida hätte sich aufgelöst und Osama bin Laden könnte heute noch leben.

Die schöne neue Welt der Deutschen Welle. Es geht das Gerücht, dass Menschen mit Intelligenz begabte Wesen sein sollen. Wir haben begründete und ernsthafte Zweifel, dass diese Aussage in dieser Allgemeinheit zutrifft.

Jetter, Michael (2017). The Effect of Media Attention on Terrorism. Journal of Public Economics 153(1): 32-48.

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