Frauen hofieren lohnt sich nicht: Warum die SPD die Wahl verloren hat
1972 und 2017 trennen 45 Jahre. Für die SPD sind diese 45 Jahre die Jahre, die die einstige Volkspartei davon getrennt haben, eine reine Interessenpartei zu werden. Franz Neumann hat den Begriff der Interessenpartei eingeführt, in ihrer extremsten Form ist sie eine „single-issue Party“, deren Programm letztlich von einem Punkt zusammengehalten wird. Im Falle der SPD ist dieser Single Issue das Interesse der prekären Mittelschicht, jener Standardnormallebenden, die deshalb prekär leben, weil ihr Wohlstand gepumpt ist, von der Bank und weil ihre Arbeit nicht mehr manuell ist, denn die SPD ist schon lange keine Arbeiterpartei mehr, sondern immateriell, so immateriell, dass man sich zuweilen fragt, ob das Bewegen von Mäusen auf entsprechenden Pads oder das Tippen von Ziffern und Buchstaben in vorgefertigte Masken überhaupt noch Arbeit darstellt.
1972 und 2017. 45 Jahre, in denen die SPD von einem Stimmenanteil, der 45,9% betrug auf 20,5% reduziert wurde. Dieser Niedergang macht die Reduktion der einstigen, zumindest dem Anspruch nach, Volkspartei auf eine Interessenpartei, die sich dem Minnesang an unterdrückte Frauen und LSBTusw gewidmet hat, überdeutlich. Sucht man nach den Gründen, dann muss man nicht lange suchen. Ein Vergleich von Helmut Schmidt, der als Spitzenkandidat das beste Ergebnis zu verantworten hat, das die SPD je bei einer Bundestagswahl eingefahren hat, mit Martin Schulz reicht, um die Welten, die zwischen 1972 und dem Staatsmann Schmidt und 2017 und dem Biedermann Schulz liegen, deutlich zu machen. Und natürlich kann man keine Volkspartei sein, wenn man sich nur um die Interessen von Randgruppen und Mittelschichtsfrauen kümmert. Insofern sind die 20,5 verbliebenen Prozent der SPD ein Zeugnis für zweierlei. Alte, betagte Wähler, die seit Jahrzehnten nichts anderes wählen als die SPD, wählen sie weiterhin, bis zu ihrem Tod. Und der ereilt sie früher oder später. Ansonsten findet die SPD Zuspruch bei denen, die sich vom parteilichen Minnesang an Randgruppen und Mittelschichtsfrauen angezogen fühlen.
Wie sehr dieser Minnesang dafür verantwortlich ist, dass die SPD die Bundestagswahl mit Pauken und Trompeten verloren hat und sich in den letzten 45 Jahren zu einer Interessenpartei mit der Tendenz „Kleinpartei“ entwickelt hat, das macht eine neue Untersuchung von Cindy D. Kam, Allison M. N. Archer und John G. Geer deutlich, die in der Zeitschrift „Political Behavior“ veröffentlicht wurde.
Courting the Women’s Vote: The Emotional, Cognitive and Persuasive Effects of Gender-based Appeals in Campaign Advertisements.
Die drei Autoren haben für ihre Analysen einen Datensatz benutzt, wie es ihn nur in den USA gibt: 17.400 Befragte wurden über vier Monate des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Barack Obama und Mitt Romney 2012 zu ihren Reaktionen auf Plakate und Aktionen befragt, die eigentlich dazu gedacht waren, Stimmen zu gewinnen. Wie dem Titel des Beitrags zu entnehmen, haben sich Kam, Archer und Geer auf Aktionen, Plakate, Werbespots beschränkt, deren Ziel es war, eine bestimmte Zielgruppe anzusprechen, im vorliegenden Fall Frauen. Für drei ausgesuchte Kampagnen, die Frauen zur Zielgruppe hatten (einmal Obama, zweimal Romney) untersuchen die Autoren die emotionalen und kognitiven Reaktionen von insgesamt 5016 Befragten. In seiner krudesten Form richtet sich die Forschung also darauf, wie die Befragten die jeweilige Kampagne aufnehmen, bewerten, verarbeiten und gegebenenfalls erinnern.
Die Ergebnisse, zu denen die Autoren gelangen, sind deutlich:
Keine der Kampagnen, die darauf abgezielt hat, Frauen anzusprechen, kann als Erfolg bezeichnet werden. Im besten Fall hatten die Kampagnen weder bei Frauen noch bei Männern eine Wirkung. Ja. Die Autoren haben tatsächlich untersucht, wie die Aktionen, die auf Frauen gezielt haben, bei Männern angekommen sind. Ergebnis: im besten Fall haben Männer die Kampagnen ignoriert, im schlimmsten Fall zum Anlass genommen, den anderen Kandidaten zu wählen. Da Kam, Archer und Geer ausschließlich Personen berücksichtigen (5016 davon), die weder eine Parteibindung zu den Republikanern noch den Demokraten haben, also unabhängige Wähler, ist dieses Ergebnis besonders interessant, denn es zeigt, dass die Ansprache bestimmter gesellschaftlicher Gruppen durch Parteien, das Hofieren von Frauen, wie es die SPD nicht nur im letzten Wahlkampf betrieben hat, im günstigsten Fall keinen Nutzen hat, im ungünstigsten Fall dazu führt, dass Wähler von der Wahl der entsprechenden Partei Abstand nehmen.
Im Sample von Kam, Archer und Geer äußerten sich Wähler z.B. dahingehend, die Werbekampagne ziele darauf, sich bei Frauen anzubiedern. Die entsprechende Aussage, bei der der wenig vorteilhafte Begriff „pandering“ des Öfteren zum Einsatz kam, zeigt die Gefahren parteilichen Minnesangs: Anbiederung bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen schreckt Wähler ab:
„Such appeals may alienate or offend the group that is not the subject of attention, potentially pitting one group against another and implicitly (or explicitly) suggesting a zero-sum competition between the groups.” (73)
Mit anderen Worten, Wähler durchschauen den Versuch von Parteien, sich bei gesellschaftlichen Gruppen anzubiedern und reagieren darauf bestenfalls mit Gleichgültigkeit, andere mit Abscheu und der Wahl von anderen Parteien, sofern sie nicht selbst zu denen gehören, die von der parteilichen Anbiederung profitieren. Die Zahl derer, die von parteilicher Anbiederung bei Interessengruppen, bei Mittelschichtsfrauen, die gerne wegen ihres Geschlechts und nicht wegen ihrer Leistung in Vorständen sitzen wollen oder bei LGBTusw, die ihre vermeintliche Benachteilung nicht davon abhält, letztere in allen Medien und der Öffentlichkeit zu zelebrieren, um daraus einen finanziellen Vorteil zu schlagen, mag ausreichen, um eine single issue Partei wie die Grünen bei 8% oder 9% zu halten. Sie reicht nicht dazu, dass eine Partei wie die SPD als Volkspartei Bestand haben kann. Insofern ist der Niedergang eine direkte Folge des sozialdemokratischen Minnesangs, der Anbiederung bei gesellschaftlichen Randgruppen, die sich von Plakaten wie dem folgenden angesprochen fühlen. Die gesellschaftliche Mehrheit reagiert auf derartige Privilegierung gesellschaftlicher Gruppen mit Abscheu und der Wahl anderer Parteien als der SPD.
Kam, Cindy D., Archer, Allison M. N. & Geer, John G. (2017). Courting the Women’s Vote: The Emotional, Cognitive and Persuasive Effects of Gender-based Appeals in Campaign Advertisements. Political Behavior 39(1): 51-75.
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Der Artikel ist sehr interessant, wie viele Artikel auf scienefiles. Allerdings stimmt es nicht, dass Helmut Schmidt das beste Wahlergebnis als Spitzenkandidat für die SPD eingefahren hat. 1972 war noch Willy Brandt Bundeskanzler und Helmut Schmidt war “Superminister” für Finanzen und Wirtschaft und dabei ein Kanzlerkandidat im Wartestand.
Das ändert allerdings nichts daran, dass die SPD mit einer an Helmut Schmidt orientierten Politik heute wesentlich besser abgeschnitten hätte, als mit Parolen zu Gender, Klimaschutz und Ausweitung der Armutsindustrie. Dass man im Wahlkampf statt auf Gerechtigkeit (Umverteilung) besser auf innere Sicherheit und glaubwürdige Lösungen für die gravierenden Probleme durch die ungeregelte Zuwanderung gesetzt hätte, hat es Gabriel nun auch schon gedämmert. Allerdings hätte ein Helmut Schmidt heute keinen Platz in der SPD, denn bei den meisten Politikfeldern hat Schmidt in seinen letzten Jahren ganz anders gedacht (vielfach “rechts”) als die heutige SPD der rot-grünen Lehrer und Politologen (so warnte Schmidt schon seit Jahrzehnten vor weiterer problematischer Zuwanderung).
Ich denke, der Paternalismus der Parteien ist das Denkproblem heutiger Politik, die Vorstellung Politik müsse die Bürger “schützen” (vor Männern, Klimawandel, Rassismus, Verbrauch etc.) – die “Menschen im Lande” hingegen begreifen Demokratie nach ihrem Funktionieren: Wie in der Tanzschule sitzen die Schönen zur Wahl und man darf auswählen … und das funktioniert auch noch.
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Der Artikel ist sehr interessant, wie viele Artikel auf scienefiles. Allerdings stimmt es nicht, dass Helmut Schmidt das beste Wahlergebnis als Spitzenkandidat für die SPD eingefahren hat. 1972 war noch Willy Brandt Bundeskanzler und Helmut Schmidt war “Superminister” für Finanzen und Wirtschaft und dabei ein Kanzlerkandidat im Wartestand.
Das ändert allerdings nichts daran, dass die SPD mit einer an Helmut Schmidt orientierten Politik heute wesentlich besser abgeschnitten hätte, als mit Parolen zu Gender, Klimaschutz und Ausweitung der Armutsindustrie. Dass man im Wahlkampf statt auf Gerechtigkeit (Umverteilung) besser auf innere Sicherheit und glaubwürdige Lösungen für die gravierenden Probleme durch die ungeregelte Zuwanderung gesetzt hätte, hat es Gabriel nun auch schon gedämmert. Allerdings hätte ein Helmut Schmidt heute keinen Platz in der SPD, denn bei den meisten Politikfeldern hat Schmidt in seinen letzten Jahren ganz anders gedacht (vielfach “rechts”) als die heutige SPD der rot-grünen Lehrer und Politologen (so warnte Schmidt schon seit Jahrzehnten vor weiterer problematischer Zuwanderung).
Sie haben natürlich recht und entsprechend müssen wir einen Kniefall vor Willy Brandt machen.
Ich denke, der Paternalismus der Parteien ist das Denkproblem heutiger Politik, die Vorstellung Politik müsse die Bürger “schützen” (vor Männern, Klimawandel, Rassismus, Verbrauch etc.) – die “Menschen im Lande” hingegen begreifen Demokratie nach ihrem Funktionieren: Wie in der Tanzschule sitzen die Schönen zur Wahl und man darf auswählen … und das funktioniert auch noch.