Große Mehrheit unterstützt Seenotretter im Mittelmeer! Wirklich? [ScienceFiles-Faktenfinder]
Schwierig.
Das war unsere erste Antwort auf den Wunsch eines Bekannten, der sein Brot bei öffentlich-rechtlichen Medien verdienen muss, die Meinungsumfrage zur Seenotrettung von NGOs im Mittelmeer zu prüfen.
Sie wissen schon, die hier:
FAZ: „Große Mehrheit der Deutschen unterstützt private Seenotretter“
Rheinische Post: “Mehrheit der Deutschen unterstützt private Seenotretter”
Finanznachrichten: “Große Mehrheit für private Seenotretter“
Schwierig ist die Beurteilung, weil man, um die Qualität einer Meinungsumfrage zu bewerten, die u.a. Fragen und den Fragekontext kennen muss. Diese Erkenntnis, obwohl sie schon mindestens seit Anfang der 1940er Jahre ein feststehendes Methodenwissen ist, hat sich bislang noch nicht bei denen herumgesprochen, die in Redaktionen dafür miserabel bezahlt werden, dass sie Zweitverwertungen von Meldungen unter ihre Leser werfen, die keinerlei Informationsgehalt haben.
So auch in diesem Fall.
Die Umfrage, auf die sich die zitierten Meldungen beziehen, wurde von Emnid im Auftrag der „Bild am Sonntag“ durchgeführt. Die Meldungen bestehen im Wesentlichen aus dem identischen Text:
„Die große Mehrheit der Deutschen unterstützt private Seenotretter. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die „Bild am Sonntag“. 75 Prozent der Deutschen finden es demnach richtig, dass private Hilfsorganisationen Flüchtlinge im Mittelmeer retten. Nur 21 Prozent sehen das nicht so. 38 Prozent denken, dass die Retter das Geschäft der Schlepper unterstützen. Eine Mehrheit von 56 Prozent glaubt das aber nicht.”
Allerdings kann man auch ohne den Fragetext zu kennen, feststellen, dass zwischen der Aussage, Die Mehrheit der Deutschen unterstützt private Seenotretter“ und der Wertung: „75 Prozent der Deutschen finden es demnach richtig, dass private Hilfsorganisationen Flüchtlinge im Mittelmeer retten“ ein himmelweiter Unterschied besteht.
Gehen wir davon aus, Emnid habe gefragt: Finden Sie es richtig, dass private Hilfsorganisationen Flüchtlinge im Mittelmeer retten?“
Was bedeutet dann ein „ja“ auf diese Frage?
Man kann mit Blick auf die Kosten „ja“ sagen und denken, besser die Kosten werden von privaten getragen, als aus Steuermitteln finanziert
Wie interpretieren Befragte „richtig finden“?
Als moralische Aussage? Ich finde es richtig, dass Menschenleben gerettet werden.
Wenn ja, und diese Deutung scheint die allgemeine Deutung in den Redaktions-Enklaven zu sein, dann wird mit der Frage nicht die Rettung von Flüchtlingen gemessen, sondern eine allgemeine Einstellung.
Von hier zur „Unterstützung“ ist jedoch ein weiter Weg.
Wenige Menschen werden auf die Frage, ob er sie es richtig finden, dass Menschen aus Seenot gerettet werden, nein sagen. Die 21%, die die Frage offensichtlich mit Nein beantworten, sind deshalb für uns das eigentlich Interessante an dieser „Umfrage“.
Aber von der Mehrheit, die es „richtig finden“, wird dennoch nicht die Mehrheit die Rettung auch unterstützen, denn eine Unterstützung erfordert ein Engagement, Unterstützung ist eine Tätigkeit. Wer spendet, der unterstützt. Wer dabei hilft, ein Auto, das in einen Graben gerutscht ist, herauszuziehen, der unterstützt. Wer die CDU wählt, der unterstützt (und finanziert). Wer etwas richtig findet, der unterstützt nicht.
Dass „richtig finden“ und „unterstützen“ nicht dasselbe sind, zeigt sich auch darin, dass 38% der Befragten sagen, die Retter würden das Geschäft der Schlepper unterstützen.
Das ist dann spätestens der Punkt, an dem sich ein mit Alltagsverstand ausgestatteter Mensch, nicht die Redakteure in den genannten Redaktionen offenkundig, die Frage stellen muss: Was um aller Götter willen, wurde hier gefragt und angeblich gemessen.
Denn es ist ein kategorischer Widerspruch, einerseits zu sagen, man halte eine Rettung im Mittelmeer für „richtig“ und andererseits anzugeben, die Rettung unterstütze das Geschäft der Schlepper.
75% sagen Ersteres und 38% Letzteres. Macht 113%. Ergo müssen mehrere Befragte sowohl gesagt haben, es sei richtig, dass private Hilfsorganisationen Flüchtlinge im Mittelmeer retten ALS AUCH, dass die Rettung das Geschäft der Schlepper unterstütze.
Man kann hier zwar eine Hilfshypothese dahingehend bilden, dass die „nun sind sie eben da“-Mentalität auf das Mittelmeer angewendet wird, wohlwissend, dass mit jeder Rettung der Anreiz für die Schlepper steigt, noch mehr Flüchtlinge ins Mittelmeer mit der Zusicherung einer Rettung kurz hinter Lybischen Hoheitsgewässern zu schicken, aber eine solche Position kann eigentlich nur ein moralisches Vakuum einnehmen oder ein Befragter, der, um den Befrager loszuwerden, willkürliche Antworten gibt.
Kurz: Die Frage, was Emnid da gemessen hat, wäre dringend zu beantworten.
So wie es dringend geboten wäre, dass die Schreib-Automatons, die Redaktionen bevölkern, umprogrammiert werden und aufhören, wie Pawlows Hund auf Worte wie „repräsentativ“ zu reagieren.
Dies könnte z.B. dazu führen, dass generell nur noch Umfrageergebnisse veröffentlicht werden, für die der GENAUE Fragetext bekannt ist und mitveröffentlicht wird.
Und es könnte dazu führen, dass die Redaktionen Unsinn wie den von Emnid nicht unkritisch und wie die Schreib-Lemminge wiederholen.
Damit sind wir bei dem Punkt angekommen, der es ermöglicht, die Emnid-Umfrage als Junk zu bezeichnen:
„Für die Umfrage hat Emnid am 19. Juli 505 repräsentativ ausgewählte Personen befragt.“
Keine Ahnung wie man Befragte repräsentativ auswählt, schon gar nicht im Zusammenhang mit Telefonumfragen. Das müsste etwa so gehen, Müller, rufen Sie mal eben einen 18-25jährigen Befragten, deutscher Abstammung, der die CDU bei der letzten Bundestageswahl gewählt hat, männlich ist und zudem in einer Gemeinde mit weniger als 2000 Einwohnern lebt, an.
Das ist Unsinn.
So wie es Unsinn ist, behaupten zu wollen, eine Stichprobe mit 505 einsamen Befragten sei für Deutschland repräsentativ. Wir halten jede Wette, dass die 505 Befragten keinen repräsentativer Querschnitt der deutschen Bevölkerung darstellen. Emnid ist in der Bringschuld. Emnid hat behauptet, 505 Befragten könnten auf 80 Millionen hochgerechnet werden.
Generell:
Befragungen, die behaupten, repräsentativ zu sein, sind mit Vorsicht zu genießen, denn der Begriff „Repräsentativität“ wird vornehmlich zum Zwecke der Manipulation gebraucht, um Lesern vorzugaukeln, die Ergebnisse, die man ihnen präsentiert, seien Ergebnisse für die gesamte Bevölkerung. Das sind sie nicht. In keinem Fall. Und die Frage, ob man Repräsentativität im Rahmen von Meinungsumfragen erreichen kann, ist eine offene und seit langem diskutierte Frage. Wir haben gute Gründe vorgetragen, warum wir der Meinung sind, dass es nicht möglich ist, Repräsentativität herzustellen. Bislang sind diese Gründe unwidersprochen geblieben.
Ergebnisse von Befragungen, die in Prozentzahlen und ohne Fragetext und Fragekontext berichtet werden, sind nutzlos und, der Verdacht liegt nahe, nur dazu da, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, d.h. zu versuchen, sie zu beeinflussen.
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Wenn es nur Seenotrettung wäre, erwarte ich, daß die Schiffe den nächsten möglichen Hafen anliefen. Das tun Sie aber nicht, daher scheint mir Seenotrettung ehere weniger das zu sein was dort “passiert”.
Die Frage hätte doch vernünftigerweise zweigeteilt sein müssen. Erstens: sollten Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden? Zweitens: Befürworten Sie die Verbringung der so Geretteten in einen europäischen Hafen? Das hätte ein interessantes Ergebnis gebracht.
Genau das ist der Punkt. NGO-Seenotrettung assoziiert ein Teil der Befragten vermutlich (nur) mit „NGOs fischen Menschen aus dem Wasser“, der andere mit „Zielvorstellung, Gerettete auf jeden Fall nach Europa zu bringen“. Das Wort „Seenotrettung“ ist inzwischen ja sehr schillernd und nicht mehr selbsterklärend. Zudem bedeutet die Tatsache, dass 21 Prozent der Befragten es NICHT unterstützen, dass private Organisationen Menschen aus dem Meer retten, wohl, dass sie nur nicht-private (offizielle staatliche / internationale) Aktionen gut finden.
Offenbar ist ja auch noch danach gefragt worden, „wohin“ die Menschen gerettet werden sollen. FAZ: „Bei der Frage, wohin im Mittelmeer gerettete Menschen gebracht werden sollen, sind die Deutschen gespalten. 43 Prozent sprachen sich für Nordafrika aus, 42 Prozent dafür, dass die Menschen nach Europa dürfen. Eine Mehrheit der Deutschen will weniger Flüchtlinge aufnehmen. Nur sieben Prozent wollen, dass Deutschland mehr Flüchtlinge als bisher aufnimmt. 30 Prozent sagten, es sollten etwa so viele wie derzeit aufgenommen werden. 42 Prozent wollen, dass es weniger werden. Elf Prozent sind gegen jede Aufnahme.“
Das Gesamtthema der Umfrage hat also drei Aspekte:
1. Von welchen Organisationen sollen Menschen aus dem Meer gerettet werden?
2. Wohin sollen die Menschen gebracht werden?
3. In welchem Ausmaß sollen die Geretteten („Flüchtlinge“ genannt) nach Deutschland gebracht werden? Der dritte Aspekt ist dabei anscheinend, wie leider üblich in Umfragen, komplett unpräzise. Vor allem sind die Mengenangaben verschwommen: mehr/so viele wie derzeit/weniger – in welchem Zeitraum bitte, von nun an jedes Jahr, nur 2018? Konkrete Zahlenangaben pro Jahr wären deutlich hilfreicher gewesen, da kann sich jeder etwas vorstellen, der etwa weiß, wie groß seine Heimatstadt ist.
Etwas weniger wissenschaftlich.
Mache in meine Umfrage auf einem “Rettungsschiff”, erhalte ich 100 %
Mache ich meine Umfrage in einem Stadtteil mit neu Eingebürgerten, erhalte ich 80 %
Mache ich meine Umfrage in liks-grün versifftem Gebiet, erhalte ich 60 %
Mache ich meine Umfrage in einem Einfamilienhaus-Gebiet mit Familien, erhalte ich keine 10 %
Am Telefon entsprechend zu selektieren, ist kein Problem.
Nun, welches Ergebnis wollen Sie haben ?
Für Geld liefere ich jedes Ergebnis, kein Problem, schließlich bin ich Fachmann, habe schließlich viele Semester Literaturwissenschaft studiert !
Und wenn das Ganze trotzdem nicht hinhaut, nun, dann machen wir es halt noch einmal.
Generell alles richtig – nur eine kleine Anmerkung, was das Vorgehen von telefonischen Meinungsumfragen angeht. Die Umfragen verlaufen mit einem Schluessel, vor allem bei einem so kleinen Stichprobenumfang, der initial von dem Interviewer erfragt wird. Sollte der aktuelle Interviewpartner nicht dem Schluessel entsprechen, wird sodann nach anderen Personen im Haushalt gefragt, oder das Interview direkt beendet. Das System passt das entsprechend dem Verlauf der Befragung dynamisch an – man ruft also so lange Haushalte an, bis die Representativitaet erreicht ist, und nicht gezielt Person X im Alter zwischen 20 und 30, ledig, etc. Das geht – wie richtigerweise angemerkt – natuerlich nicht.
Nur so viel zu der technischen Umsetzung wie ich sie selber mitbekommen habe – da ich zu meiner Studentenzeit derartige Interviews fuer Emnid als Studentenjob durchgefuehrt habe. Ob das nun eine erhebliche Besserung darstellt steht auf einem anderen Blatt, representativ ist das damit noch lange nicht. Und auch Interviewer wie auch Interviewpartner mogeln oder luegen gerade bei der Abfragung des Schluessels gerne mal (entweder weil man das Interview nicht fuehren mochte, oder sich selber besser darstellen, oder weil man eben noch das eine Interview braucht, um die Studie abschliessen zu koennen, worauf man einfach andere Daten in den elektronischen Bogen eingibt, als einem der Interviewpartner mitteilt, uvm). Die Manipulationen bereits bei der Datenerhebung sind nicht unerheblich und bei kleinen Stichproben dann auch beeinflussend.
Noch eine Anmerkung dazu: Der Schluessel ist auch dem Interviewer eigentlich nicht bekannt (der ist nur ausfuehrendes Organ und gibt das in das System nur das ein, was er mitgeteilt bekommt). Das soll entsprchende Manipulationen von Seiten des interviewers verhindern. Nur, wenn man solche Studien eine Zeit lang macht und fuer die gleichen Studie einige Stunden Telefonanrufe und -gespraeche gefuehrt hat, dann bekommt man relativ schnell heraus, wie sich der Schluessel zusammensetzt, welche Zielgruppen noch fehlen und wei welchen Zielgruppen das System einem sagt, das Interview zu beenden (weil nicht mehr benoetigt).