Zuwanderung und Antisemitismus: Kommt zusammen, was zusammengehört?

Studie sieht keinen Anstieg von Antisemitismus durch Zuwanderung“. Die WELT titelt so. Antisemitismus, so steht im Text, sei ein Problem, das der „Mehrheitsbevölkerung entspringe und nicht ausschließlich oder sogar überwiegend von Minderheiten herrühre“.

In der Tat, in der „Studie“, auf die sich WELT bezieht, steht da, wo Journalisten immer lesen, in der Zusammenfassung der Ergebnisse, das Folgende zu lesen:

“Weder die Auswertung der bereits vorhandenen Daten noch der für diesen Bericht durchgeführten Befragungen deutet auf eine bedeutsame Verbindung zwischen den aktuellen MENA-Migranten und dem Ausmaß und der Gestalt des Antisemitismus in Westeuropa hin.

Antisemitismus ist ein Problem, das der Mehrheitsbevölkerung entspringt und nicht ausschließlich oder sogar überwiegend von Minderheiten herrührt“

Gut bzw. richtig abgeschrieben, kann man da nur sagen.

Die Studie, von der die WELT berichtet, ist von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ initiiert worden und hat Antisemitismus in fünf europäischen Ländern untersucht.

Das, was die WELT zitiert, steht in einem Text, der den Titel trägt: „Antisemitismus und Immigration im heutigen Westeuropa Gibt es einen Zusammenhang?“, Erstellt hat den Text in deutscher Sprache ein David Feldman. Sie ist so etwas wie der Mastertext, denn neben diesem Text gibt es noch fünf so genannte Länderstudien, darunter die Länderstudie für Deutschland, die in englischer Sprache veröffentlicht und von Mathias Berek erstellt wurde, der – wie könnte es anders sein – an einer Berliner Universität sein Geld verdient. Dieses Mal war wohl die TU an der Reihe.

Antisemitism and Immigration in Western Europe Today Is there a connection? The case of Germany” heißt das Werk, in dem angeblich gezeigt worden sein soll, dass die Zuwanderung nach Deutschland zu keinem Anstieg von Antisemitismus geführt hat und dass Antisemitismus ein Problem der Mehrheitsgesellschaft ist.

Wenn man eine Fragestellung wie die hier vorliegende beantworten will, bei der untersucht werden soll, ob eine ab Zeitpunkt X einsetzende Entwicklung auf eine Variable, hier: Antisemitismus, einen Einfluss hat, so dass sich zum Zeitpunkt X+1 eine Veränderung feststellen lässt (oder eben nicht), dann ist das Design damit quasi vorgegeben.

Man benötigt Daten zu Antisemitismus, als dem, dessen Veränderung (oder Konstanz) untersucht werden soll, und zwar zu mindestens zwei Zeitpunkten, nämlich vor und nachdem sich das Ereignis, das einen Unterschied machen soll oder nicht, hier die Zuwanderung, ereignet hat.

Will man untersuchen, ob die Zuwanderung von Migranten aus arabischen, MENA-Ländern im vorliegenden Fall (also von Muslimen aus Nordafrika und Nahost), einen Effekt auf das Niveau von Antisemitismus in der Aufnahmegesellschaft hat, dann benötigt man also eine Messung vor der Zuwanderung und eine nach Abschluss der Zuwanderung.

Nun ist die implizite Hypothese, die sich mit der Fragestellung verbindet die, dass unter den Zuwanderern aus arabischen Ländern oder mit muslimischem Hintergrund Antisemitismus weit verbreitet ist, weiter als in der Aufnahmebevölkerung, so dass man zudem noch die Zuwanderer im Hinblick auf Antisemitismus untersuchen müsste, um die Fragestellung zu beantworten.

Die Messung von Antisemitismus wird dadurch erschwert, dass Antisemitismus nicht wie die Luftfeuchtigkeit gemessen oder wie das Alter einfach erfragt werden kann. Er muss operationalisiert werden. Unterschiedliche Studien haben dazu unterschiedliche Konzepte entwickelt, z.B. Fragen wie: „Juden denken, sie seien die besseren Menschen“, „Juden haben zu viel Macht in der Wirtschaft“, „Juden haben zu viel Macht in der Finanzwelt“, “Juden sind für die meisten der Weltkriege verantwortlich“ … Wer zu oft zustimmt, der gilt als Antisemit.

Fassen wir zusammen.

Um die Fragestellung zu beantworten benötigt man somit:

  • Eine sinnvolle Operationalisierung von Antisemitismus;
  • Mindestens zu zwei Zeitpunkten vor und nach der Zuwanderung eine Messung des Ausmaßes an Antisemitismus in der Aufnahmebevölkerung mit derselben Operationalsierung für Antisemitismus;
  • Mindestens eine Messung mit wiederum derselben Operationalisierung für Antisemitismus bei den Zuwanderern, hier bei muslimischen Zuwanderern aus den MENA-Staaten.

Berek hat nichts davon.

  • Er hat keine einheitliche Operationalisierung für Antisemitismus;
  • Er hat keine Messzeitpunkt vor und nach der Zuwanderung, schon gar nicht  für dieselbe Operationalisierung von Antisemitismus.
  • Er hat keine Daten für die Zuwanderer.

Um fair zu sein, er hat sich bemüht, aber man kann eben aus Nichts keine Ergebnisse machen. Deshalb ist das, was David Feldman als Ergebnis der Fünfländer-Studie verkaufen will, für Deutschland falsch.

Denn:

Die Angaben darüber, welches Ausmaß an Antisemitismus in Deutschland überhaupt in der Aufnahmegesellschaft vorhanden ist, klaubt Berek aus unterschiedlichen Studien, die Antisemitismus unterschiedlich messen, zusammen. So berichtet er von der Mitte-Studie aus Leipzig, für die 2015 Daten gesammelt wurden, von Fragen aus dem Allbus, mit denen Antisemitismus gemessen werden sollte, die 2016 gesammelt wurden. Weitere Daten aus dem Allbus decken die Jahre von 2011 bis 2014 ab und so weiter.

Hier soll also mit Daten, die von unterschiedlichen Forschern zu unterschiedlichen Themen gesammelt wurden, in denen abweichende Operationalisierungen für Antisemitismus enthalten sind und die zudem alle vor dem bisherigen Abschluss der Zuwanderung gesammelt wurden, belegt werden, dass sich durch die Zuwanderung nichts (oder etwas) geändert hat.

Das ist nicht möglich.

Berek hat auch keine Daten für Flüchtlinge aus MENA-Staaten.

Die Aussagen, dass MENA-Flüchtlinge keine antisemitischen Einstellungen oder keine weit verbreiteten hätten, stammen aus 29 qualitativen Interviews mit Personen, die mit Flüchtlingen arbeiten, die bei NGOs angestellt sind, die bei muslimischen oder jüdischen Organisationen beschäftigt sind. Noch deutlicher: Berek hat gar keine Flüchtlinge befragt. Deshalb kann er KEINE Aussagen darüber machen, ob muslimische Flüchtlinge antisemitisch eingestellt sind oder nicht und wenn ja, wie sehr.

Dass er es dennoch tut, ist ein Etikettenschwindel erster Güte, der mit wissenschaftlicher Lauterkeit nicht vereinbar ist, aber teilweise humoristische Züge aufweist, z.B. wenn mit dem, was 29 Personen über Flüchtlinge sagen, belegt werden soll, dass MENA-Flüchtlinge nur ein geringes Maß an Antisemitismus mitbringen würden: Manche von den 29 interviewten Personen wären überrascht gewesen, dass der Antisemitismus gar nicht so stark unter den MENA-Flüchtlingen verbreitet sei, wie sie gedacht haben, schreibt Berek, andere hätten gesagt, die Flüchtlinge hätten zu viel um die Ohren, um sich über Antisemitismus Gedanken machen zu können, schreibt er weiter. Und er nimmt es für bare Münze, als Beleg dafür, dass Flüchtlinge nicht antisemitisch eingestellt sind oder nicht in dem Maß, das erwartet wurde, welches Maß auch immer das sein mag. Nichts von alledem hat etwas mit der Messung von Antisemitismus oder entsprechenden Einstellungen zu tun. Es ist reine Geldverschwendung, Junk.

Was die Ergebnisse, die Berek berichtet, zeigen, das wissen wir nicht, aber wir wissen, was sie nicht zeigen: Sie zeigen nicht, dass die Zuwanderung keinen Einfluss auf die Höhe des Antisemitismus in Deutschland hat, denn das wurde gar nicht untersucht.

Bleibt die Frage zu klären, wo die Behauptung, dass Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft entspringe, ihre Datengrundlage hat. Abermals müssen wir feststellen, dass es für diese Behauptung keine Datengrundlage gibt. Es gibt eher eine Datengrundlage für das Gegenteil: So zeigt sich für deutsche Befragte mit einem „muslimischen Hintergrund“, dass sie häufiger den oben genannten Aussagen, mit denen Antisemitismus gemessen wird, zustimmen als deutsche Befragte ohne „muslimischen Hintergrund“ (Seite 58). Dieses Ergebnis wischt Berek mit der Bemerkung vom Tisch, dass es auf den Aussagen von nur 100 Muslimen beruhe. Derartige Bedenken, was die Fallzahl angeht, kommen ihm nicht in den Sinn, wenn er vollmundige und weitreichend Schlüsse aus dem zieht, was ihm 29 Sozialarbeiter, Mitarbeiter von NGOs, Flüchtlingsverbänden usw. ÜBER muslimische Flüchtlinge erzählt haben.

Wie gesagt, die angebliche Studie hat ihre humoristischen Einlagen.

Eine weitere wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten. Berek ist mit dem Problem konfrontiert, dass quantitative Studien zeigen, dass Deutsche mit einem muslimischen Hintergrund antisemitischen Einstellungen nicht nur häufiger, sondern auch offener vertreten als Deutsche ohne diesen Hintergrund. Dieses Ergebnis, das die gesamte Aussage der vermeintlichen Studie, nach der die Mehrheitsbevölkerung am Antisemitismus schuld ist, zertrümmern kann, muss weg. Was tut man in einem solchen Fall?

Das hier:

„The most important difference is that Germans with a Muslim migration background express antisemitic attitudes in a more overt and uncoded manner than do non-migrant non-Muslim anti-Semites, who express them through filters and more readily adapted to established speech-norms.”

Wenn man also nicht messen kann, dass antisemitische Einstellungen unter Deutschen verbreiteter sind als unter Deutschen mit muslimischem Hintergrund, wenn es vielmehr umgekehrt ist, dann liegt das daran, dass die Deutschen ohne Migrationshintergrund besser wissen, was sie nicht sagen dürfen. Denn natürlich steht fraglos fest, dass Deutsche ohne muslimischen Hintergrund antisemitischer eingestellt sind als Deutsche mit muslimischem Migrationshintergrund. Dass Berek mit diesem Unsinn seine gesamte vermeintliche Studie ad absurdum führt, kommt ihm nicht einmal in den Sinn.

Wozu Leute wie Berek sich noch die Mühe machen, qualitative Interviews zu führen und anderer Leute Studien zu lesen, wo sie doch schon vorher wissen, was am Ende herauskommt, ist uns wie immer ein Rätsel.

Bleibt festzuhalten, dass die Studie, die unter der Federführung des Londoner Birnen-Institut „Pearsinstitut“ durchgeführt wurde, mit Sicherheit sehr, sehr viel Geld gekostet hat. Aber die Fragestellung, die damit angeblich beantwortet werden soll, wird damit gerade nicht beantwortet.

Ob, wenn ja, wie und in welchem Ausmaß sich Zuwanderung auf Antisemitismus auswirkt, das ist nach dieser teuren Studie genauso unklar wie zuvor.

Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, die hier so verantwortungslos mit “ihrem” Geld umgeht, wurde übrigens von der deutschen Bundesregierung und der Stiftung der deutschen Wirtschaft mit gut 5,2 Milliarden Euro ausgestattet. 385 Millionen davon sind als Stiftungskapital zur Förderung von „Projekten“ vorgesehen. Wofür die Erträge des Stiftungskapitals verpulvert werden, haben wir gerade gezeigt.

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