Junk Studie über AfD: “Isolation und Häme im Stuttgarter Landtag”

Geht es Ihnen auch so: Es gibt Studien, von denen ahnt man schon, bevor man sie gelesen hat, dass sie Junk sind. Diese Ahnung hat uns schon befallen, als wir die Unterüberschrift zur Studie, die Uwe Max in der FAZ als „spannende Studie“ bezeichnet (Herr Max hat offensichtlich nicht viel Erfahrung mit Studien), gelesen haben:

„Zwei Kommunikationswissenschaftlerinnen haben untersucht, wie sich das Klima im Stuttgarter Landtag verändert hat, seit die AfD dort vertreten ist. Das Ergebnis ist eindeutig“, so steht da.

Nun muss man erst einmal auf die Idee kommen, die Frage nach dem Klima in einem Landtag zu stellen, nachdem eine neue Partei ins Parlament eingezogen ist. Als die Grünen in den 1980er Jahren in Landtage eingezogen sind und dann in den Bundestag hat sich das Klima dort massiv geändert, nur untersucht hat es niemand. Bei der AfD ist das anders. Hier herrscht unter institutionalisierten Wissenschaftlern, sorry: Wissenschaftlerinnen, das Bemühen negativer Ergebnisfindung vor.

Das „Klima [im Stuttgarter Landtag] hat sich deutlich verändert“, so das „eindeutige Ergebnis“ der Studie, das man auch ohne Studie hätte erzielen können. Vorher gab es keine AfD, jetzt gibt es die AfD. Vorher war die ideologische Spannbreite des Stuttgarter Landtags rechtsschief, jetzt ist sie breiter und eher ausgeglichen. Natürlich hat sich das Klima im Stuttgarter Landtag verändert.

Aber im Zeitalter der Erforschung des Offensichtlichen, in dem alles, bis hin zum Kaffeesatz hinterfragt wird, in dem das dümmliche Reflektiere der letzten Selbstverständlichkeit dazu gehört, ist das anders. Und natürlich sind die beiden „Kommunikationswissenschaftlerinnen“ nicht bei dem Ergebnis, dass seit dem Einzug der AfD das Klima im Landtag von Stuttgart ein anderes ist, stehengeblieben.

Sie haben noch viel mehr analysiert.

Die Anzahl der Zwischenrufe für die Legislaturperioden vor und nach dem Einzug der AfD, Beifall, wem er gezollt wird, von wem er gezollt wird, haben sie untersucht, Lachen und Heiterkeit haben sie untersucht und somit alles, was in den Plenarprotokollen des stenographischen Dienstes neben dem Gesprochenen noch vermerkt wird.

Alle Plenarprotokolle der 15. Legislaturperiode und 68 der laufenden 16. Legislaturperiode wurden mit dem neuesten Schrei der unentgeltlichen Statistikprogramme: R bearbeitet, wobei die Bearbeitung nicht sehr weit über einfache Häufigkeitsauszählung hinausgekommen zu sein scheint, wie die Ergebnisse zeigen:

Isolation der AfD:

  • Kein Beifall für Redner der AfD,
  • Keine Reaktion mit wohlwollender Heiterkeit auf Redner der AfD,
  • Scharfe Kritik an Rednern der AfD in Zwischenrufen und
  • Ignorieren der Zwischenrufe von AfD-Abgeordneten.

Die AfD, so die Ergebnisse weiter,

  • nutzt „mit Abstand am häufigsten hämisches und abfälliges Lachen, um Redner anderer Fraktionen lächerlich zu machen“.

Natürlich betonen die Schlagzeilen in den Gleichdenk-Medien die angebliche Häme und nicht die anti-demokratische Isolation und das kindische Benehmen der etablierten Parteien, auch die „KommunikationswissenschaftlerINNEN“ stoßen in dieses populäre Horn und vergessen ihre sonstigen Ergebnisse: „Auffällig ist, dass die AfD mit Abstand am häufigsten das Mittel des hämischen und abfälligen Lachens einsetzt, um die Redner der anderen Fraktionen lächerlich zu machen“, sagt Catharina Vögele.

Kundige der Programme, die von gewieften Softwarestrategen unbedarften institutionalisierten Wissenschaftlern als optimales Werkzeug zur Analyse „qualitativer Daten“ wie sie z.B. Plenarprotokolle darstellen, angedreht werden, fragen sich an dieser Stelle, wie es einem Programm möglich sein soll, zwischen Heiterkeit als „positivem Lachen“ und „hämischem, abfälligem Lachen“ zu unterscheiden.

Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Gar nicht.

Die Unterscheidung haben die beiden KommunikationswissenschaftlerINNEN apriori in ihre angebliche Forschung eingebaut, in dem sie die Notiz „Lachen bei der X-Fraktion“ als hämisches Lachen interpretiert haben, während sie „Heiterkeit beim Abgeordneten Karl-Wilhelm Röhm“ als wohlwollendes, positives Lachen interpretiert haben.

Mit anderen Worten, die Analyse besteht darin, auszuzählen wie häufig in den Plenarprotokollen „Heiterkeit“ und „Lachen“ steht und die entsprechende Regung der jeweiligen Person bzw. Fraktion zuzuordnen.

Das ist so haarig, dass man es kaum glauben mag.

Warum?

Beispiel Plenarprotokoll 16 / 76 vom 28. November 2018

Heiterkeit:

Heiterkeit kommt 40 Mal im Plenarprotokoll vor, in unterschiedlicher Weise:

Beispiele:

„Wahrscheinlich wird es auch dieses Mal wieder so sein. Um im Bild zu bleiben: Wie beim Ende der meisten Geschichten von Asterix und Obelix wird es so sein, dass die grüne Bundestagsfraktion am Lagerfeuer die Veränderung des Kooperationsverbots feiert, und Troubadix ist geknebelt am Baum und darf nicht mitreden.“

(Beifall bei der FDP/DVP – Heiterkeit des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Ist diese Heiterkeit hier wohlwollend?

Wie ist es mit dieser Heiterkeit, wohlwollend oder hämisch:

„Diese Regierung ist der Untergang der Digitalisierung im Land.

(Beifall bei der SPD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ha, ha! Das sagt der Richtige! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Präsidentin Muhterem Aras: Herr Abg. Stoch, einen Moment, bitte.
Abg. Andreas Stoch SPD: Das scheint den Nerv getroffen zu haben.
Präsidentin Muhterem Aras: Herr Abg. Stoch, einen Moment, bitte! – Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich um mehr Ruhe. Mein Appell geht vor allem wieder an die ersten Reihen.
(Heiterkeit bei der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP – Unruhe)

Oder wie ist es mit dieser Heiterkeit: Wohlwollend, wenn ja, wem gegenüber oder hämisch, wenn ja, wem gegenüber?

„Abg. Bernd Gögel AfD: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hätte mir in den letzten zweieinhalb Jahren nicht vorstellen können, dass ich einmal hier vorn am Pult stehe und dem grünen Ministerpräsidenten zu 90 oder 98 % beipflichten muss.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das wird Ihnen hoffentlich zu denken geben!)

–  Das wird vielleicht Ihnen zu denken geben, Herr Rülke,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Nein!)

ob Sie hier nicht eine populistische Debatte lostreten wollen, um ans schnelle Geld zu kommen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Reinhold Gall SPD: Populismus von der AfD!)

Offenkundig kann man Heiterkeit nicht apriori als wohlwollend annehmen.

Und Lachen, ist lachen generell negativ und hämisch, wie dies in der Welt der KommunikationswissenschaftlerINNEN offensichtlich der Fall ist?

„Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit unsere konsequente Haltung, die Haltung von Bündnis 90/Die Grünen, deutlich wird,

(Lachen des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)“

Hämisch?

„Ich will noch einmal sagen, dass dieser Gedanke heute doppelt und dreifach wichtig ist, in Zeiten rasanter Globalisierung,

(Lachen des Abg. Peter Hofelich SPD)“

Hämisch?

„Abg. Dr. Heinrich Fiechtner (fraktionslos): Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! 28. November 1848: Bern wird Hauptstadt der Schweiz. Gleicher Tag im Jahr 1946: Die Verfassung von Württemberg-Baden tritt in Kraft. Heute vor vielen Jahren – das Jahr sage ich jetzt nicht – wurde Frau Ministerin Eisenmann geboren: Herzlichen Glückwunsch, Gottes Segen. Und heute stimmt der Abgeordnete Fiechtner dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann erstmals zu.

(Lachen des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Hämisch?

„Beim derzeitigen Stand absehbarer Fahrverbote in Stuttgart ab Neujahr 2019 bleiben uns, der AfD, im Augenblick zwei Dinge zu tun: erstens, für die Nachwelt die bürger- und wirtschaftsfeindliche ideologische Idiotie Ihrer Verbotsansinnen zu dokumentieren,

(Beifall des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD – Lachen bei Abgeordneten der Grünen)“

Hämisch oder hilflos?

Bis hier sollte deutlich geworden sein, dass man Lachen oder Heiterkeit nicht per se als positiv oder negativ, als hämisch oder wohlwollend klassifizieren kann. Das ist kapitaler Unsinn. Es sollte darüber hinaus deutlich geworden sein, dass die Frage, ob Lachen oder Heiterkeit hämisch, zustimmen, aus Spaß oder wohlwollend erfolgt, nur aus dem Zusammenhang heraus zu entscheiden ist und dass man für diese Entscheidung Hintergrundwissen, das was Geertz eine dichte Beschreibung genannt hat, den Kontext, in dem gelacht wird, die Zuordnung, dessen der lacht, zu dem, der zum Lachen Anlass gegeben hat, kennen muss. Und selbst wenn man das alles weiß stellt sich die Frage: Wen um aller Götter Willen interessiert dieser Unfug. Welche Relevanz soll derartige Junk-Forschung haben?

Statistikprogramme wie R, das die „KommunikationswissenschaftlerINNEN“ benutzt haben, sind zu keiner dieser Bewertungen im Stande. Sie zählen einfach nur das Vorkommen eines Begriffs. Mehr nicht. Deshalb kann man auf Grundlage dieser Auszählung nicht feststellen, ob hämisch oder wohlwollend gelacht wird.

Die Studie ist Junk.

Es sagt einiges über die Medien unserer Zeit, dass derartige Junk-Studien, die nicht nur irrelevant, sondern vollkommener Blödsinn sind, von denen keinerlei Erkenntnisgewinn ausgeht und mit denen sich keinerlei wissenschaftlicher Wert verbindet als „spannende Forschung“ bezeichnet werden kann.

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