Interessengruppen und Abgeordnete im Tauschgeschäft: Eine Studie aus der Schweiz
Vertreten Parlamentarier die Interessen von Lobbyisten, die keineswegs notwendigerweise diejenigen ihrer Wähler sind oder ihnen sogar zuwiderlaufen?
Erhalten Parlamentarier für diese Dienstleistung Gegenleistungen in finanzieller und nicht-finanzieller Form?
Solche Fragen sind geeignet, von den korporativen Medien (ehemals: mainstream-Medien) und von Personen in politischen Ämtern oder Positionen in das inzwischen sehr weit gefasste Feld von Verschwörungstheorien eingeordnet zu werden, oder alternativ als – nicht nur statistische, sondern auch qualitative – Normalität in einer für irgendetwas oder irgendjemanden (vermutlich außer der Mehrheit der Bevölkerung) repräsentativen Demokratie hingestellt zu werden.
Für Wissenschaftler sollten solche Fragen jedoch Fragen sein, die statt einer Abweisung oder Ignoranz einer empirischen Beantwortung bedürfen, also einer Beantwortung aufgrund von belastbaren Daten. Zu diesem Zweck werden sie in theoretisch zu begründende Zusammenhangshypothesen umformuliert, die dann anhand von Beobachtungsdaten und unter Verwendung von den Eigenschaften dieser Daten angemessenen statistischen Verfahren einer statistischen Analyse unterzogen werden. Idealerweise werden die Ergebnisse der Analyse einem oder mehreren Robustheitstests unterzogen, und die werden, wenn sie sich als robust erwiesen haben, auf eine Weise interpretiert, bei der sich die Interpretation nicht gegenüber dem tatsächlich Geprüften verselbständigen, vielleicht aufgrund ideologischer Überzeugungen, vielleicht aufgrund logischer Fehler wie z.B. Übergeneralisierung. Soweit das Ideal.
Drei Wissenschaftler, zwei von der Universität Basel und einer von der Universität Tilburg, haben sich daran gemacht, diesem Ideal gerecht zu werden – und man kann getrost sagen, dass sie damit sehr erfolgreich gewesen sind. Oliver Huwyler, Tomas Turner-Zwinkels und Stefanie Bailer haben eine im mehrerer Hinsicht bemerkenswerte Studie (Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer 2022) durchgeführt, über die sie in einem Fachartikel berichten, der derzeit in der politikwissenschaftlichen Zeitschrift „Political Research Quarterly“ zum Druck vorbereitet wird. In diesem Artikel untersuchen die drei Autoren,
„… how interest groups impact parliamentarians’ use of individual parliamentary instruments such as questions, motions, and bills“ (Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer 2022: 1),
d.h.
“… wie Interessengruppen die Nutzung einzelner parlamentarischer Instrumente wie Anfragen, Anträge und Gesetzesentwürfe durch die Abgeordneten beeinflussen“ (Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer 2022: 1).
Die Fragestellung ist praktisch relevant vor dem Hintergrund, dass Lobbyarbeit – sei es durch Unternehmen, Gewerkschaften, NGOs, Wohltätigkeitsorganisation u.a..m. – während der vergangenen Dekaden ein vorher nicht gekanntes Ausmaß (für die USA: Strickland 2020; für die USA und das UK sowie einige weitere westliche Staaten: Wilks 2013; für die EU: Hanegraaff & Poletti 2021) und neue Formen angenommen hat – aufgrund der Entwicklung und Verbreitung digitaler Techniken (vgl. OECD 2021: 3), aber auch die Einschaltung von Mittelsmännern in den Prozess z.B. durch die Gründung spezieller Lobbying-Unternehmen durch Zusammenschlüsse von Unternehmen oder Organisationen oder dadurch, dass Unternehmen oder Organisationen sich wissenschaftlicher Einrichungen oder dort Beschäftigter zwecks Lobbyismus bedienen (vgl. OECD 2021: 19).
September 3, 2020
New Renewables Lobbying Group Comes to Washington
Energy Choice
In a letter released to its members this morning, The American Wind Energy Association (AWEA) announced its intention to make renewables “the dominant power source in America.”
AWEA will be joining forces with the likes of NextEra Energy Inc., Avangrid Inc., and Berkshire Hathaway Energy to create a new lobbying group called the American Clean Power Association. No matter the outcome of the November election (although they are preparing for both possibilities), renewable energy groups such as the American Clean Power Association are planning major policy pushes for the next presidential administration.
…
While our friends at the Solar Energy Industries Association are not joining, they are planning on working with the new group on key policy areas.
As we all know well, more options for power generation are better for consumers and producers alike. We at ECC are excited to see what the future will bring.
Darüber hinaus dominiert in bestimmten Bereichen, allen voran den Entwicklern und Anbietern digitaler Dienstleistungen, eine Handvoll von Unternehmen oder Organisationen, die während der vergangenen Jahr ihre Ausgaben für Lobbyarbeit stark erhöht haben und Einfluss auf Politiken ausüben, die weit über ihre legitimen Anliegen, im Fall von „Big-Tech“-Unternehmen: Profitmaximierung, hinausgehen (vgl. OECD 2021: 22). Dies tut der Idee, dass durch Lobbying die „Diversität der stakeholder“ erkenn- und in ihren Anliegen hörbar würde und deshalb durch Lobbyarbeit „bessere Politiken“ erreicht würden, doch einigen empirisch begründeten Abbruch:
Für eine repräsentative Demokratie, in der Abgeordnete die Interessen der Bürger oder zumindest ihrer Wähler vertreten sollen, ist Lobbyarbeit deshalb alles andere als unproblematisch. Sie kann tatsächlich dazu führen, dass Abgeordnete ihren Auftrag, die Bürger oder ihre Wähler zu repräsentieren, gegenüber den Interessen von Lobbygruppen in den Hintergrund stellen; so haben Giger und Klüver (2016) in einer Studie auf der Basis von Daten aus der Schweiz festgestellt:
„The multilevel analysis indicates that interest group lobbying indeed has an impact on MP defection from their voters on both the individual MP level and the party level” (Giger & Klüver 2016: 198; Hervorhebung d.d. A.).
D.h.
“Die Mehrebenenanalyse zeigt, dass die Lobbyarbeit von Interessengruppen tatsächlich einen Einfluss auf die Abkehr der Abgeordneten von ihren Wählern hat, und zwar sowohl auf der Ebene der einzelnen Abgeordneten als auch auf der Ebene der Partei” (Giger & Klüver 2016: 198; Hervorhebung d.d. A.).
Ist die Studie von Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer dann „nur“ als eine Replikationsstudie gedacht, d.h. als eine Studie, die diesen Befund zu reproduzieren versucht?
Nein. Mit ihrer Studie wollen die drei Autoren vielmehr ein Argument überprüfen, nach dem der positive Zusammenhang zwischen Lobbyarbeit von Organisationen oder Interessengruppen einerseits und dem Wahlverhalten bzw. dem Einsatz von parlamentarischen Mitteln durch Abgeordnete lediglich ein statistischer, aber kein tatsächlich inhaltlicher Zusammenhang ist. Vielmehr, so lautet das Argument, könnte beides ein Ergebnis der persönlichen Interessen der Abgeordneten sein, die sich in ihrem Engagement für bestimmte Politikbereiche niederschlagen, etwa wie im folgenden Beispiel:
Weil man es nicht oft genug sagen kann, sei hierzu bemerkt, dass eine Korrelation, die statistisch besteht und dementsprechend mit den Mitteln der Statistik beobachtet werden kann, als „Scheinkorrelation“ völlig falsch bezeichnet ist, eben weil sie statistisch nicht bloß zu bestehen scheint, sondern statistisch besteht. Die Frage ist, ob es sich bei der beobachteten Korrelation um einen Zusammenhang handelt, der zustande kommt, weil eine der beiden in Frage stehenden Größen die andere direkt beeinflusst (oder ggf. eine Wechselwirkung besteht), oder ob der Zusammenhang zwischen beiden Größen – wie im Beispiel – deshalb zustandekommt, weil eine dritte Größe sozusagen hinter beiden steht, sie beide beeinflusst, also eine konfundierende Größe für den Zusammenhang zwischen den beiden interessierenden Variablen verantwortlich ist.
Es geht also darum, wie der statistisch tatsächlich bestehende Zusammenhang korrekt zu interpretieren ist, und dies lässt sich – vorausgesetzt, man verfügt über die notwendigen Daten – mit den Mitteln der statistischen Analyse klären. Statt von „Scheinkorrelationen“ zu sprechen, was gewöhnlich Missverständnisse schafft, wäre es besser, z.B. von „konfundierten Zusammenhängen“ zu sprechen.
Aber zurück zur Studie von Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer!
Um das Argument vom konfundierten Zusammenhang (bzw. der „Scheinkorrelation“) zu überprüfen, führen Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer statistische Zusammenhangsanalysen durch, die nicht auf Querschnittsdaten beruhen, sondern auf Längsschnittdaten, so dass sie u.a. kontrollieren können, ob und ggf. wie die Tatsache, dass ein Abgeordneter in einem bestimmten Zeitraum im Aufsichtsrat einer Organisation sitzt oder einen Vorstandsposten in der Organisation inne hat, mit seiner Verwendung parlamentarischer Mittel in diesem Zeitraum oder danach zusammenhängt – und zwar unter Kontrolle (u.a.) seines Berufes bzw. seiner beruflichen Ausbildung. Die sehr günstige diesbezügliche Datenlage in der Schweiz (s. hierzu Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 5) erlaubt es den Autoren außerdem, diesen Zusammenhang für fünfzehn verschiedene Politikbereiche zu überprüfen. Auf diese Weise wird erkennbar, ob der Zusammenhang ggf. vielleich nur in bestimmten Politikbereichen, z.B. im Wirtschafts- oder Gesundheitsbereich, besteht, aber in anderen nicht.
Die abhängige Variable, um die es in der Analyse von Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer hauptsächlich geht, ist die Anzahl der von einem Abgeordneten eingebrachten parlamentarischen Instrumente, darunter Anfragen, Interpellationen, Postulate, Motionen und parlamentarische Initiativen bzw. Gesetzesentwürfe (die den Abgeordneten beider Kammern des schweizerischen Parlamentes zur Verfügung stehen,) in einem bestimmten Politikbereich in einem bestimmten Jahr. Die wichtigste unabhängige Variable in der Analyse ist die Anzahl von formalen Bindungen, die ein Abgeordneter zu einer Organisation/Interessengruppe in einem bstimmten Politikbereich in einem bestimmten Jahr unterhält (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 5-6), wobei diese formalen Bindungen – wie oben schon erwähnt – als Sitz im Aufsichtsrat einer Organisation oder Vorstandsposten in der Organisation gemessen werden.
Die persönlichen Interessen eines Abgeordneten messen die Autoren zum einen durch seinen Beruf oder genauer: dadurch, dass sie beobachten, ob der Beruf des Abgeordneten in einem bestimmten Jahr in einen bestimmten Politikbereich fällt oder nicht. Zum anderen messen sie sie dadurch, dass sie beobachten, ob ein Abgeordneter Mitglied in einem Kommittee in dem Politikbereich ist, in dem er parlamentarische Instrumente eingebracht hat (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 6-7).
Das statistische Analyse-Instrument der Wahl ist das negative binomiale Regressionsmodell, das sich in Fällen, in denen die abhängige Variable eine Zählvariable ist, eignet.
Konkret überprüfen die drei Autoren mit diesen Mitteln drei Hypothesen:
- Je mehr formale Verbindungen Abgeordnete mit Interessengruppen/Organisationen in einem bestimmten Politikbereich haben, desto mehr parlamentarische Instrumente benutzen Abgeordnete in diesem Politikbereich (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 4).
- Der Effekt von formalen Verbindungen zu Interessengruppen/Organisationen auf die Häufigkeit der Verwendung von parlamentarischen Mitteln durch Abgeordente in einem bestimmten Politikbereich ist schwächer, wenn Abgeordnete ein persönliches Interesse an diesem Politikbereich haben (d.h. eine berufliche Beziehung zu ihm haben oder in einem Kommittee sitzen, das in diesem Bereich angesiedelt ist) (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 4).
- (3) Wenn formale Beziehungen eines Abgeordneten zu Interessengruppen/Organisationen in einem bestimmten Politikbereich beendet sind, verringert sich ihr Effekt auf Abgeordnete in diesem Politikbereich mit der Zeit und verschwindet allmählich (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 4).
Diese Hypothesen haben die Autoren aus austauschtheoretischer Sicht und vor dem Hintergrund bestehender Forschung formuliert. So hat Huwyler (2021) festgestellt, dass Interessengruppen/Organisationen nicht nur an informellen Beziehungen zu Parlamentariern interessiert sind, sondern sich aktiv darum bemühen, Parlamentarier für einen Sitz in ihrem Vorstand zu rekrutieren. Das würde sie nicht tun, wenn sie sich davon keine Vorteile versprechen würden:
Was bieten Interessengruppen/Organisationen im Tausch gegen diese Leistungen, die ein Abgeordneter anbieten kann?
Für die Vermutung, dass Abgeordnete ihren Teil des Tauschgeschäftes vor allem in Form von parlamentarischen Instrumenten betreiben, spricht, dass sie ihnen ermöglichen, die Interessen diverser Interessengruppen/Organisationen in verschiedenen Politikbereichen zu vertreten, ohne dass dies für ihre Parteifreunde oder ihre Wähler deutlich erkennbar würde, jedenfalls nicht auf dieselbe Weise erkennbar, wie dies anhand ihres Abstimmungsverhaltens im Plenum erkennbar würde. Auf diese Weise lässt sich verbergen, dass die Interessen der Bürger bzw. ihrer Wähler, die zu vertreten Abgeordneten aufgegeben ist, lediglich die Interessen ganz bestimmter und vielleicht sehr kleiner Gruppen von Bürgern sind (vgl. (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 11).
Aufgrund dieser Überlegungen, nach denen Interessengruppen/Organisationen und Abgeordnete in ein Tauschgeschäft zu beider Vorteil eintreten, haben die Autoren die oben genannte Hypothese 1 aufgestellt.
Auch Hypothese 2 steht im Einklang mit austauschtheoretischen Überlegungen, denn wenn ein Abgeordneter an einem Politikbereich ein besonderes Interesse hat und ggf. über eigene Expertise oder eigene Erfahrung in diesem Bereich verfügt, dann ist ein Teil der Leistungen, die eine in diesem Bereich tätige Interessengruppe/Organisation für den Abgeordneten erbringen kann, hinfällig oder weniger wichtig als es der Fall wäre, wenn der Abgeordnete von diesem Politikbereich wenig bis keine Ahnung hätte, zum einen, weil er dann die Zuarbeit von seiten der Interessengruppe/Organisation mit Bezug auf Informationen weniger nötig hat, zum anderen, weil er aufgrund eigenen Interesses an dem betreffenden Politikbereich Informationen aus anderen Quellen haben wird, so dass er der Agenda der Interessengruppe/Organisation distanziert(er) gegenüberstehen stehen sollte.
Hypothese 3 haben die drei Autoren aufgestellt, weil Leistungen dann, wenn ein Tauschgeschäft beendet (oder nicht mehr möglich) ist, normalerweise nicht mehr oder über einen bestimmten Zeitraum hinweg betrachtet immer weniger erbracht werden (vgl. Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 4).
Was die Ergebnisse der statistischen Analyse betrifft, so können die Autoren alle drei Hypothesen bestätigen:
Die Häufigkeit der formalen Beziehungen, die Abgeordnete zu Interessengruppen/Organisationen unterhalten, steht in einem statistisch signifikanten positiven Zusammenhang mit der Häufigkeit, mit der Abgeordnete parlamentarische Instrumente in dem entsprechenden Politikbereich verwenden (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 9).
„In terms of substance, even the most conservative estimates … teach us that for every additional formal interest group tie that MPs have, there is still an increase in the rate of submitted parliamentary instruments in that policy area by a factor of 1.022 …” (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 9).
Um dieses Ergebnis würdigen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass die Abgeordneten im Datensatz, mit dem die Autoren arbeiten, durchschnittlich 6,15 Vorstandsposten in Interessengruppen/Organisationen über alle Politikbereiche hinweg betrachtet innehaben, und dass der oben genannten statistisch signifikante positive Zusammenhang für jeden einzelnen der 15 Politikbereiche ohne Ausnahme zu beobachten ist (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 9). Der positive Zusammenhang ist also nicht nur bestimmten Politikbereichen geschuldet, die man wahrscheinlich als besonders wichtig ansehen würde wie z.B. den wirtschaftlichen Bereich.
Damit ist Hypothese 1 bestätigt.
Hypothese 2 kann ebenfalls bestätigt werden, denn die Häufigkeit, mit der Abgeordnete parlamentarische Instrumente in einem Politikbereich verwenden, der demjenigen entspricht, für den sich Interessengruppen/Organisationen engagieren, in deren Vorständen die Abgeordneten sitzen, ist geringer, wenn Abgeordnete einen beruflichen Hintergrund oder Erfahrungen aus Kommittee-Arbeit in diesem Politikbereich haben als wenn sie keinen beruflichen Hintergrund oder keine Erfahrungen aus Kommitte-Arbeit in diesem Politikbereich haben (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 9). Die Daten zeigen,
Das bedeutet aber nicht, dass der positive Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der formalen Beziehungen, die Abgeordnete zu Interessengruppen/Organisationen unterhalten, und der Häufigkeit, mit der Abgeordnete parlamentarische Instrumente in dem entsprechenden Politikbereich verwenden, verschwinden würde, wenn man die berufliche Verbindung der Abgeordenteten mit diesem Politikbereich oder deren Kommittee-Arbeit in diesem Bereich berücksichtigt. Vielmehr bleibt der positive Zusammenhang auch dann bestehen, wenn die persönliche Verbindung der Abgeordneten mit dem entsprechenden Politikbereich statistisch kontrolliert wird . (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 9).
Man darf daher festhalten:
Bleibt noch zu berichten, was die Autoren mit Bezug auf Hypothese 3 beobachtet haben:
Damit ist auch Hypothese 3 bestätigt.
Die Ergebnisse der Studie von Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer bestätigen also die Theorie, nach der die Beziehungen zwischen Abgeordneten und Interessengruppen/Organisationen ein Tauschverhältnis darstellen, das zum beiderseitigen Nutzen eingegangen und unterhalten wird. Lobbyarbeit ist dementsprechend als ein Angebot an Abgeordnete aufzufassen, einen Tausch zum beiderseitigen Nutzen einzugehen. Wie die Autoren festhalten, ist ein solches Tauschgeschäft nur möglich
“… because parties and voters either tolerate legislators‘ use of parliamentary instruments for interest groups, or because they are unaware of the systematic nature of the phenomenon“ (Huwyler, Turner-Zwinkels & Bailer 2022: 11; Hervorhebung d.d.A.).
Und obwohl viele, die dies lesen werden, vermutlich sagen werden: “Ach, dass das alles Korruption ist, hab’ ich ja längst gewusst”, ist es ein sehr wichtiger gesellschaftlicher Beitrag, den Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer mit dieser Studie geleistet haben, denn zum einen es ist nun schwieriger geworden, entsprechende Vermutungen per se ins Reich von Verschwörungstheorien zu verbannen, die im öffentlichen Diskurs – logisch falscherweise – häufig mit „faktischer Falschheit“ gleichgesetzt werden. Oder anders ausgedrückt: Die Existen des positiven Zusammenhangs zwischen politischen Verhalten von Abgeordneten und der Lobbyarbeit von Interessengruppen/Organisationen ist empirisch belegt und es ist ebenfalls empirisch belegt, dass beides nicht einfach ein Ergebnis der persönlichen Interessen der Abgeordneten sind, die sich in ihrem Engagement für bestimmte Politikbereiche niederschlagen. Vielmehr engagieren sich Abgeordnete in Politikfeldern auf bestimmte Weise aufgrund der Lobbyarbeit von Interessengruppen/Organisationen – hier: in der handfesten Form von Vorstandsposten für Abgeordnete samt aller Vergünstigungen, die sie mit sich bringen.
Zum anderen liegt mit der Studie eine Forschung vor, die geradezu nach weiterer, auf ihr aufbauender Forschung ruft: Wie die Autoren selbst schreiben, sollten sich Wissenschaftler darum bemühen, anhand von Daten aus anderen Ländern die – aufgrund der austauschtheoretischen Fundierung des Phänomens sowie aufgrund unsystematischer Beobachtungsdaten – zutiefst plausible Generalisierbarkeit des Phänomens über verschiedene Länder hinweg zu prüfen, ebenso wie darum, der „systematischen Natur des Phänomens“ auf den Grund zu gehen und die genauen Mechanismen, durch die das Tauschgeschäft initiiert und unterhalten wird, zu erforschen, denn
Als Bürger sind wir jedenfalls mit den Ergebnissen solcher Tauschgeschäfte aufs Unangenehmste konfrontiert, sei es in Form einer umfassend versiegelten Landschaft, in der surrende Windräder Vögel und Fledermäuse erschlagen, oder in Form von experimentellen Zubereitungen, die in die Arme von Bürgern gespritzt werden – mit den bekannten Folgen. Es wäre deshalb im Interesse aller Bürger in einer Demokratie, auf gesetzliche Regelungen zu dringen, die die Beziehungen, die Abgeordnete zu Interessengruppen/Organisationen unterhalten so transparent wie irgend möglich machen und den Einfluss von Lobbyisten möglichst einschränken.
Vor dem Hintergrund der Studie von Hywler, Turner-Zwinkels & Bailer betrachtet erscheinen zwei konkrete Reformvorshläge sinnvoll:
Erstens sollte niemand ein Abgeordneter im nationalen Parlament sein können, der lediglich eine politische oder Parteikarriere aufzuweisen hat, aber keinerlei berufliche Qualifikation und Berufserfahrung.
Zeitens sollte Abgeordneten die Mitgliedschaft im Vorstand einer Interessengruppe/Organisation zumindest während der Legislaturperiode, in der sie im Parlament sind, unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung verboten werden.
Sie meinen, das sei nicht durchsetzbar, u.a. weil Abgeordnete sich schwerlich lohnende Tauschgeschäfte selbst verweigern würden?! Der Einwand dürfte zutreffend sein. Aber dann befinden sich die Abgeordneten in einem Dilemma, jedenfalls diejenigen, die gerne von sich behaupten, „to go with the science“ – hier: der für uns alle wichtigen und interessanten “science”, die wir Huwyler, Turner-Zwinkels und Bailer zu verdanken haben.
Literatur:
Giger, Natalie, & Klüver, Heike, 2016: Voting Against Your Constituents? How Lobbying Affects Representation. American Journal of Political Science 60(1): 190-205.
Hanegraaff, Marcel, & Poletti, Arlo, 2021: The Rise of Corporate Lobbying in the European Union: An Agenda für Future Research. Journal of Common Market Studies (JCMS) 59(4): 839-855.
Huwyler, Oliver, 2021: Interest Groups’ Recruitment of Incumbent Parliamentarians to Their Boards. Parliamentary Affairs 75(3): 634-654.
Huwyler, Oliver, Turner-Zwinkels, Tomas, & Bailer, Stefanie, 2022: No Representation Without Compensation: The Effect of Interest Groups on Legislators’ Policy Area Focus. Political Research Quarterly. (Online First.) DOI: 10.1177/10659129221137035.
OECD, 2021: Lobbying in the 21st Century: Transparency, Integrity and Access. Paris: OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/c6d8eff8-en.
Strickland, James M., 2021: A Quiet Revolution in State Lobbying: Government Growth and Interest Populations. Political Research Quarterly 74(4): 1181-1196.
Wilks, Stephen, 2013: The Political Power of the Business Corporation. Cheltenham: Edward Elgar.
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Sollte das nicht „kooperative Medien“ heißen?
Der gemeine Wähler wird bei Zeiten noch erstaunen, sollte einmal sichtbar werden, welche Lobbyisten mit welchen Parlamentariern auf der Ebene der Scheinhandwerker durch Griff, Stand und Spruch verbandelt sind. Denn die Seilschaften dieses Staates im Staat dürften erheblich schädlicheren Einfluß auf die Wirtschaft haben als das bisschen Bestechung und Korruption, welches sich Lobbyismus nennt.
wie hat es der alte Kaiser Wilhelm ausgedrückt :
“Wenn die Leute wüßten, wie die Wurst gemacht wird – oder wie Politik gemacht wird, hätten wir eher heute als morgen einen Aufstand !”
Mag sein, daß das damals zutreffend war, heute zeigt ein Blick auf Politik, Politiker und Volk, daß es nicht mehr zutreffend ist.
Das Regime muß sich seine Aufstände selbst organisieren !
Ich bin noch etwas skeptisch. Das Tauschgeschäft findet statt und sicher ist es undemokratisch, wenn bestimmte Perspektiven massiv “ertauscht” werden und andere nicht. Das ist also definitiv falsch und sollte nicht so bleiben. Aber wenn das keine dauerhaften Seilschaften wären, wäre das noch nichtmal schlimm. Stellen Sie sich vor sie würden für jeden Politiker einmal die Woche eine Familie auslosen, mit der er Abendessen muss. Dann würden Sie auch solche Beobachtungen machen. Das wäre dann sogar gut, weil es “fair verteilter Lobbyismus” wäre.