Die neue “Epidemie”?: Biofilme im menschlichen Körper

Dass die überwältigende Mehrzahl von Mikroben nicht planktonische, d.h. als frei flotierende Einzeller (im Fall von Bakterien) oder Mehrzeller leben, sondern in sogenannten Biofilmen zusammenleben, ist erst seit wenigen Jahrzehnten ein in der Medizin eingeführter Begriff, nämlich seit der ersten Hälfte der 1980er-Jahre (Høiby 2017: 273). Bei Biofilmen handelt es sich um Zusammenschlüsse von Mikroben, die teilweise in mutualistischer Symbiose, also Zusammenschlüssen, in denen die Mikroben zum gegenseitigen Nutzen funktionieren, und eingebettet in eine Matrix aus Polysacchariden oder Proteinen, der sogenannten extrazellulären Matrix, leben (Nourbakhsh et al. 2022: 535; Tytgat et al. 2019: 17).

Der Begriff „Biofilm“ wurde bereits in den 1930er-Jahren zu Bezeichnung der Filme benutzt, die sich durch die Ansiedlung mariner Bakterien z.B. auf Schiffsrümpfen oder anderen von Meerwasser bedeckten Gegenständen bilden (Høiby 2017: 272). Und wir alle kennen die schleimigen Filme, die sich auch auf Duschköpfen, in Dachrinnen, am Rand von Blumentöpfen u.v.m. bilden können. Sie sind überall und ein integraler Bestandteil unserer Umwelt.

Dass Mirkoben auch im menschlichen Körper Biofilme bilden und dort für Infektionen sorgen können, wurde aber wie gesagt erst um die 1980er-Jahre herum von Mikrobiologen und Medizinern erkannt, wie Niels Høiby, einer der Pioniere in der Erforschung von Biofilmen im menschlichen Körper, berichtet:

In medicine, I first observed a link between the etiology of a persistent (chronic) infection and aggregates of bacteria from 1970 to 1972 by routine examination of Gram-stained smears of sputum from cystic fibrosis (CF) patients with chronic P. aeruginosa lung infection … and from 1974 to 1978 in autopsies from the lungs of CF patients who died of chronic P. aeruginosa lung infection … The first image of such a biofilm was published in 1977 … and showed that aggregated bacteria (heaps) surrounded by abundance of slime could be observed in sputum of CF patients chronically infected with mucoid phenotypes of P. aeruginosa … J. W. Costerton was working on basic and environmental microbiology as a professor at the University of Calgary, Alberta, Canada, and had published important observations on the structure of the gram negative cell wall … Costerton’s group published postmortem electron microscopy observations of P. aeruginosa microcolonies in a CF lung in 1980 …  and surveys on the bacterial glycocalyx in nature and disease …, and later he replaced ‘glycocalyx’ with ‘biofilms’ in his next survey …” (Høiby 2017: 272-273).
„In der Medizin beobachtete ich zum ersten Mal eine Verbindung zwischen der Ätiologie einer anhaltenden (chronischen) Infektion und Bakterienaggregaten von 1970 bis 1972 bei der Routineuntersuchung von Gram-gefärbten Abstrichen des Sputums von Mukoviszidose-Patienten mit chronischer P. aeruginosa-Lungeninfektion … und von 1974 bis 1978 bei Autopsien der Lungen von Mukoviszidose-Patienten, die an einer chronischen P. aeruginosa-Lungeninfektion gestorben waren … Das erste Bild eines solchen Biofilms wurde 1977 veröffentlicht … und zeigte, dass im Sputum von Mukoviszidose-Patienten, die chronisch mit mukoiden Phänotypen von P. aeruginosa infiziert waren, aggregierte Bakterien (-haufen), umgeben von einer Fülle von Schleim, beobachtet werden konnten … J. W. Costerton arbeitete als Professor an der Universität von Calgary, Alberta, Kanada, im Bereich der Grundlagen- und Umweltmikrobiologie und hatte wichtige Beobachtungen über die Struktur der gramnegativen Zellwand veröffentlicht … Costertons Gruppe veröffentlichte 1980 postmortale elektronenmikroskopische Beobachtungen von P. aeruginosa-Mikrokolonien in einer Mukoviszidose-Lunge … und Untersuchungen über den bakteriellen Glykokalyx in Natur und Krankheit …, und später ersetzte er in seiner nächsten Untersuchung ‘Glykokalyx’ durch ‘Biofilme’ …” (Høiby 2017: 272-273).

Es war der im Zitat genannte J.W. Costeron, der in den Jahren 1996 und 2000 in Nordamerika Konferenzen zur Entwicklung und den Eigenschaften von Biofilmen organisierte. Im Jahr 2006 gründete die Europäische Gesellschaft für Klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten eigens eine Gruppe zur Erforschung von Biofilmen, die ihrerseits eigene Konferenzen abhielt, und Høiby selbst richtete im Jahe 2009 zusammen mit einem Kollegen eine Forschungsgruppe ein, deren Ergebnisse sich in Richtlinien für die Diagnose und die Behandlung von Infektionen durch Biofilme, die im Jahr 2015 veröffentlicht wurden, niedergeschlagen haben (Høiby 2017: 274).

Als Høiby seine kurze Geschichte des mikrobiellen Biofilms in der Medizin im Jahr 2017 veröffentlichte, war das Interesse an Biofilmen allgemein und im menschlichen Körper speziell bereits sehr hoch, und die Anzahl der Veröffentlichungen über Biofilme im menschlichen Körper ist seitdem hoch geblieben: Eine Suche in Google Scholar nach Einträgen des Ausdrucks „microbial biofilms“ ergibt für den Zeitraum 2017 bis 2023 17.000 Fundstellen; 16.200 dieser Fundstellen beziehen sich auf „microbial biofilms“ und „infections“.

Der größte Teil dieser Veröffentlichungen ist wiederum in irgendeiner Weise auf die Suche nach Möglichkeiten bezogen, „… to combat the threat of microbial biofilms …“ (Ghannoum et al. 2015: xiv), d.h. die Gefahr der/durch mikrobielle Biofilme zu bekämpfen“. Und tatsächlich stehen z.B. 60-80 Prozent der Darminfektionen im menschlichen Körper mit mikrobiellen Biofilmen in Verbindung (Tytgat et al. 2019: 22):

“Biofilms have been recognized to play a role in several conditions affecting the gut, including colorectal cancer (CRC), IBD, and gut wounds. More proximal to the gut, biofilms occur in stomach infections (Helicobacter pylori) … , and in oral diseases like gingivitis and periodontitis …” (Tytgat et al. 2019: 22).
“Es ist bekannt, dass Biofilme bei verschiedenen Erkrankungen des Darms eine Rolle spielen, darunter Darmkrebs (CRC), IBD und Darmwunden. In der Nähe des Darms treten Biofilme bei Mageninfektionen (Helicobacter pylori) … und bei oralen Erkrankungen wie Gingivitis und Parodontitis auf …” (Tytgat et al. 2019: 22).

Biofilme können auch chronische Lungeninfektionen verursachen:

“Certain pulmonary diseases, such as cystic fibrosis (CF), non-CF bronchiectasis, chronic obstructive pulmonary disease, and ventilator-associated pneumonia, are usually accompanied by respiratory tract infections due to the physiological alteration of the lung immunological defenses. Recurrent infections may lead to chronic infection through the formation of biofilms” (Ding et al. 2021:1)
„Bestimmte Lungenerkrankungen wie zystische Fibrose (CF), Bronchiektasen ohne CF, chronisch obstruktive Lungenerkrankung und beatmungsassoziierte Pneumonie gehen aufgrund der physiologischen Veränderung der immunologischen Abwehrkräfte der Lunge in der Regel mit Infektionen der Atemwege einher. Wiederkehrende Infektionen können durch die Bildung von Biofilmen zu einer chronischen Infektion führen“ (Ding et al. 2021: 1).

Wenn Wunden nicht heilen wollen, kann dies ebenfalls durch Biofilme verursacht sein:

“Non-healing wounds in particular, are characterised by complex and mixed bacterial populations, often involving antibiotic-resistant bacteria as well as phenotypically tolerant bacteria in biofilm form” (Bowler, Murphy & Wolcott 2020: 2).
„Insbesondere nicht heilende Wunden sind durch komplexe und gemischte Bakterienpopulationen gekennzeichnet, an denen häufig sowohl antibiotikaresistente Bakterien als auch phänotypisch tolerante Bakterien in Biofilmform beteiligt sind“ (Bowler, Murphy & Wolcott 2020: 2).

Endokarditis, d.h. Entzündung der Herzinnenhaut, chronische Mittelohrentzündungen und chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen, all dies und noch mehr kann durch Bakterien, die in Biofilmen leben, verursacht sein (Müsken et al. 2018: 1).

Biofilme entstehen nicht nur auf natürliche Weise im Körper, sondern können sozusagen importiert werden: Sie können durch mikrobiell verunreinigte Produkte der Nahrungsmittelindustrie aufgenommen werden (Asma et al. 2022: 10-11), und sie können sich an Implantaten entwickeln, z.B. an künstlichen Gelenken oder an einem Stent am Herzen, und ihre Effektivität negativ beeinflussen (Akhmetzhan et al. 2023: 2), oder an Blasenkathedern (Srivastava & Bhargava 2016: 1; Talsma 2007: 589), wo sie Harnwegsinfektionen auslösen können (Tenke et al. 2012: 5-6).

Biofilm der von Staphylococcus Bakterien an einem Katheher gebildet wurde. Der Schleim verbindet die Zellen der Bakterien.
Centers for Disease Control and Prevention, via Wikimedia Commons, public domain license

Was Biofilme vor diesem Hintergrund zu einer besonderen Gefahr macht, ist die Tatsache, dass sich in Biofilmen lebende Mikroben anders verhalten als es dieselben Mikroben im planktonischen Zustand tun würden; die Eigenschaften von Biofilmen können also nicht einfach als das Aggregat der Eigenschaften der Mikroben, die sich in ihnen zusammengefunden haben, aufgefasst werden. Und deshalb ist es ein Problem,

„… that choosing of antibiotics is based on bacterial cultures derived from planktonic bacteria which differ in behavior and in phenotypic form from bacteria in biofilm” (Tenke et al. 2012: 3)

Man kann deshalb nicht umstandslos voraussetzen, dass ein Antibiotikum, das gegen ein betimmtes Bakterium im planktonischen Zustand wirksam ist, auch gegen dieses Bakterium im Biofilm wirksam sein wird.

Außerdem haben Mikroben, die im Biofilm-Verbund leben, mit der extrazellulären Matrix ein Art Schutzwall um sich:

„As EPS (extracellular polymeric substances) matrix is crucial for a biofilm’s architectural stability, it also acts as a physical barrier, protecting or shielding the embedded microbes against antimicrobials, ultraviolet light, etc. …” (Asma et al. 2022: 7).

D.h.

„Da die EPS- (extrazelluläre polymere Substanzen) Matrix für die architektonische Stabilität eines Biofilms entscheidend ist, fungiert sie auch als physische Barriere, die die eingebetteten Mikroben vor antimikrobiellen Mitteln, ultraviolettem Licht usw. schützt oder abschirmt…” (Asma et al. 2022: 7).

Bakterien im Biofilm sind also nicht (unbedingt) resistent gegen Antibiotika, aber sie sind tolerant gegen Antibiotika: sie sind fähig, zu überleben, wenn sie Antibiotika ausgesetzt werden, ohne eine (genetisch definisiert) Resistenz gegen sie zu entwickeln (Bowler, Murphy & Wolcott 2020: 2).

Und selbst dann, wenn es gelänge, den Biofilm durch Antibiotika oder andere Mittel zu zerstören, wäre die Gefahr, dass gleich darauf ein neuer Biofilm entsteht, sehr hoch, denn nach Auflösung eines Biofilms vorhandene „Rest“-Mikroben sind in der Lage, innerhalb weniger Stunden einen neuen Biofilm aufzubauen. Mit der Zerstörung eines Biofilmes an sich ist es also nicht getan; ihr müsste die Ausmerzung der in ihm versammelten Mikroben folgen. Mikrobiologen suchen daher nach Wegen, auf denen zum einen die Auflösung des Biofilms erreicht werden kann und zum anderen verhindert werden kann, dass er schnell wieder „nachwächst“ (so z.B. Müsken et al. 2018). Wenn dies nicht in absehbarer Zeit gelingt, haben wir es mit einer Situation einer echten Epidemie antibiotika-toleranter bzw. –resistenter chronischer Infektionen zu tun.

Am besten, so könnte man meinen, wenn es gelänge, bereits die Bildung von Biofilmen zu verhindern oder zu hemmen. Aber die Angelegenheit wird dadurch verkompliziert, dass nicht nur nicht jeder Biofilm eine Gefahr darstellt, sondern vielleicht nützlich sein kann. Jedenfalls haben Bollinger et al. bereits 2007 festgehalten, dass die Präsenz von Biofilmen im Darm nicht etwas an sich krankhaftes oder gefährliches, sondern etwas normales sind:

“To date, biofilms have been observed in the normal proximal (not distal) large bowel of mice, rats, baboons and humans. Thus, although enteric biofilms are likely in a steady state of shedding and regrowth, and although the percentage of epithelium covered with biofilms is unknown, there is no doubt that biofilms are indeed present in the normal bowel” (Bollinger et al. 2007: 1481; Hervorhebung d.d.A.).
„Bislang wurden Biofilme im normalen proximalen (nicht distalen) Dickdarm von Mäusen, Ratten, Pavianen und Menschen beobachtet. Obwohl sich enterische [d.h. im Darmnervensystem befindliche] Biofilme also wahrscheinlich in einem ständigen Zustand der Ablösung und des Nachwachsens befinden und der Prozentsatz des mit Biofilmen bedeckten Epithels unbekannt ist, besteht kein Zweifel, dass Biofilme im normalen Darm tatsächlich vorhanden sind” (Bollinger et al. 2007: 1481; Hervorhebung d.d.A.).

Und Sonnenburg, Angenent und Gordon haben drei Jahre zuvor, im Jahr 2004, vermutet, dass Biofilme im Darm eine wichtige Funktion erfüllen, dass nämlich

“[i]n considering how microbes and humans have coevolved in the intestine to forge symbiotic relationships, the dynamic nature of this ecosystem must be taken into account … Here we combine observations made by environmental engineers, glycobiologists and immunologists and propose that symbionts inhabiting the polysaccharide-rich mucus gel layer overlying the gut epithelium constitute a biofilm-like community and that retention in such a matrix benefits the host by promoting functions served by the microbiota, including digestion of luminal contents and fortification of host defences” (Sonnenburg, Angenent & Gordon 2004: 569).
“… unter Brücksichtigung, dass es eine Koevolution von Mikroben und Menschen gab, die zu symbiotischen Beziehungen im menschlichen Darm geführt hat, muss die dynamische Natur dieses Ökosystems berücksichtigt werden … Hier stellen wir Beobachtungen von Umweltingenieuren, Glykobiologen und Immunologen zusammen und schlagen vor, dass Symbionten, die die polysaccharidreiche Schleimgelschicht über dem Darmepithel bewohnen, eine biofilm-ähnliche Gemeinschaft bilden und dass der Verbleib in einer solchen Matrix dem Wirt zugute kommt, indem er die Funktionen der Mikrobiota fördert, einschließlich der Verdauung des Luminalinhalts und der Stärkung der Wirtsabwehr” (Sonnenburg, Angenent & Gordon 2004: 569).

Die Angelegenheit wird weiter dadurch verkompliziert, dass sich bislang keine einheitliche Verwendung des Begriffs „Biofilm“ durchgesetzt hat (jedenfalls nicht in der Medizin) und es eine Tendenz gibt, als „Biofilm“ jede Fom von Kolonie von Mikroorganismen oder jede Form von Adhäsion bzw. Anlagerung von Mikroorganismen an sogenannten Phasengrenzflächen (z.B. solchen zwischen Gewebeschichten) im menschlichen Körper zu bezeichnen. Aber – wie Tytgat et al. (2019: ) festhalten: “… all that adheres is not biofilm”, d.h. „Nicht alles, was anhaftet, ist ein Biofilm“, auch, wenn zutrifft, dass

“[a]dhesion is crucial in bacterial colonization, and a crucial first step in the formation of microcolonies and biofilm” (Tytgat et al. 2019: 18).

D.h.:

„Adhäsion ist entscheidend für die bakterielle Besiedlung und ein entscheidender erster Schritt bei der Bildung von Mikrokolonien und Biofilmen” (Tytgat et al. 2019: 18).

Oder genauer:

“Biofilm formation is generally thought to proceed as follows: (1) individuals colonize a surface, (2) individuals form microcolonies and (3) microcolonies form biofilms” (Johnson 2008: 25).

D.h.

“Es wird allgemein angenommen, dass die Biofilmbildung wie folgt abläuft: (1) Individuen [individuelle Mikroben] besiedeln eine Oberfläche, (2) Individuen [individuelle Mikroben] bilden Mikrokolonien und (3) Mikrokolonien bilden Biofilme” (Johnson 2008: 25).

„Adhäsion“, „Mikrokolonien“ und „Biofilme“ bezeichnen zwar unterschiedliche mikrobielle Zustände mit den jeweils diesen Zuständen zugehörigen biologischen Prozessen – wobei nicht nur Biofilme, sondern auch Mikrokolonien in einfache Matrizen eingebettet sein können, die die Mikroorganismen in ihnen schützen (Tytgat et al. 2019: 18) –, aber sie bilden ein Kontinnum zunehmener Komplexität ab, und deshalb ist es nicht so einfach zu entscheiden, ab wann oder wohin und bis wann oder wohin von „Adhäsion“, von „Mikrokolonien“ oder von „Biofilmen“ zu sprechen ist:

“… a clear, widely accepted cut-off to discriminate between them is lacking. Often, mere adhesion events are reported as biofilm formation, whilst the proper experimental results and controls (e.g., repeated washes to remove loosely associated planktonic bacteria, tests exploring the recalcitrance and resistance of bacteria, differential gene expression analysis) are lacking” (Tytgat et al. 2019: 18).
“… es fehlt ein klarer, allgemein akzeptierter Grenzwert zur Unterscheidung zwischen ihnen. Oft werden bloße Adhäsionsereignisse als Biofilmbildung angegeben, während die richtigen experimentellen Ergebnisse und Kontrollen (z. B. wiederholtes Waschen zur Entfernung lose assoziierter planktonischer Bakterien, Tests zur Erforschung der Widerstandsfähigkeit und Resistenz von Bakterien, differenzielle Genexpressionsanalysen) fehlen” (Tytgat et al. 2019: 18).

Tytgat et al. betrachten die Entwicklung zunehmender Komplexität von Mikrokolonien bis hin zu einem Zustand hoher Komplexität mit spezifischen Eigenschaften, die in der Literatur gemeinhin als Biofilme bezeichnet werden, als einen Übergangszustand von einem gesunden zu einem krankhaften Zustand. Mit Bezug auf die Darmflora schreiben sie:

“We hypothesize that the outgrowth of thick polymicrobial pathogenic mucosal biofilms marks the transition between two stable states: a healthy and diseased microbiota. Biofilms are the ideal environment for bacteria to establish virulence. The healthy ecological state of the microbiota, that is, commensal coexistence in microcolonies with the host, can be disrupted by environmental factors and pathogens supporting the outgrowth and transformation of healthy microbial consortia to pathogenic mature biofilms. These biofilms can withstand host defense systems and shift the microbiota to a deregulated state refractory to treatment … Biofilms containing potential pathogens on the gut mucosa are thus most probably tipping points” (Tytgat 2019: 23).
„Wir stellen die Hypothese auf, dass das Wachstum von dicken polymikrobiellen pathogenen Schleimhautbiofilmen den Übergang zwischen zwei stabilen Zuständen markiert: einer gesunden und einer kranken Mikrobiota. Biofilme sind die ideale Umgebung für Bakterien, um Virulenz [einfach ausgedrückt: die Fähigkeit von Mikroorganismen, eine Erkrankung hervorzurufen] zu schaffen. Der gesunde ökologische Zustand der Mikrobiota [Darmflora], d. h. die kommensale Koexistenz in Mikrokolonien mit dem Wirt, kann durch Umweltfaktoren und Krankheitserreger gestört werden, die das Wachstum und die Umwandlung gesunder mikrobieller Konsortien in pathogene reife Biofilme fördern. Diese Biofilme können den Abwehrsystemen des Wirts widerstehen und die Mikrobiota in einen deregulierten Zustand versetzen, der einer Behandlung nicht zugänglich ist … Biofilme mit potenziellen Krankheitserregern auf der Darmschleimhaut sind daher höchstwahrscheinlich Kipppunkte” (Tytgat 2019: 23).

Sie dienen dann als Warnsignale und ermöglichen – im Prinzip –, dass Gegenmaßnahmen rechtzeitig getroffen werden, bevor sich eine Erkrankung einstellt. Aber die Autoren bemerken selbst, dass

“Further research is necessary to show the validity of the here-proposed model and to once and for all end the discussion on the biogeography of the microbiota in the gut (Tytgat et al. 2019: 24),

d.h.

„Weitere Forschung ist notwendig, um die Gültigkeit des hier vorgeschlagenen Modells zu zeigen und die Diskussion über die Biogeographie der Mikrobiota im Darm ein für alle Mal zu beenden“ (Tytgat et al. 2019: 24).

Und falls Tytgat et al. mit Bezug auf die Darmflora Recht haben, inwieweit lässt sich ihr Modell auf Mikrokolonien bzw. Biofilme in anderen Regionen des menschlichen Körpers übertragen? Immerhin gilt:

„From the human perspective, biofilms can be classified into beneficial, neutral, and harmful” (Yin et al. 2021: 57),

d.h.

„Aus der Sicht des Menschen lassen sich Biofilme in nützliche, neutrale und schädliche einteilen“ (Yin et al. 2021: 57).

Biofilme im menschlichen Körper, die eine schützende Eigenschaft haben, sind in der Mundflora beheimatet und im weiblichen Fortpflanzungstrakt, wo sie Infektionen durch den Pilz Candida albicans verhindern. Die Beschädigung oder Beseitigung dieser Biofilme kann ein übermäßiges Wachstum von Candida albicans befördern, was eine orale bzw. vaginale Candidose zur Folge hat (Robertson & McLean 2015: 441). Gleichzeitig kämpfen wir alle täglich gegen den vielleicht bekanntesten Biofilm, nämlich den Zahnbelag, der, würden wir ihn nicht regelmäßig so gut wie möglich entfernen, u.a. zu Karies führen würde. Es macht deshalb wenig Sinn, Biofilme – oder Mikrokolonien, die als Biofilme bezeichnet werden, – als solche und immer und überall fördern oder bekämpfen zu wollen. Manche sollten oder müssen bekämpft, andere gefördert werden, aber ob, wann und warum dies der Fall ist, ist eine höchst individuelle Angelegenheit. So schreiben Mosaddad et al. mit Bezug auf das Mikrobiom in der Mundhöhle:

“The oral microbiome of each person is quite distinct. Consequently, commonly taken measures for disease prevention cannot be exactly the same for other individuals. The chance for developing tooth decay in individuals is dependent on factors such as immune system and oral microbiome which itself is affected by the environmental and genetic determinants” (Mosaddad et al. 2019: 2005).
„Das orale Mikrobiom eines jeden Menschen ist sehr unterschiedlich. Folglich können allgemein ergriffene Maßnahmen zur Krankheitsvorbeugung nicht für alle Personen exakt die gleichen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch Karies entwickelt, hängt von Faktoren wie dem Immunsystem und dem oralen Mikrobiom ab, das wiederum von Umweltfaktoren und genetischen Faktoren beeinflusst wird” (Mosaddad et al. 2019: 2005).

Gesundheit ist Homöostase, und Homöostase kann nur im individuellen menschlichen Körper erreicht werden.

“Homeostasis is an internal feedback system that stabilizes and balances our body’s chemistry, so that our organs work smoothly and efficiently with each other. Sickness is the disruption of homeostasis, which doctors treat with medicine. But medicine adjusts one homeostatic mechanism by disrupting another, which leads to more sickness and more medicine”, wie Hugh Mann als New Yorker Arzt in Rente im Jahr 2016 geschrieben hat.
„Die Homöostase ist ein internes Rückkopplungssystem, das die Chemie unseres Körpers stabilisiert und ausgleicht, so dass unsere Organe reibungslos und effizient zusammenarbeiten. Krankheit ist die Störung der Homöostase, die Ärzte mit Medikamenten behandeln. Aber die Medizin reguliert einen homöostatischen Mechanismus, indem sie einen anderen stört, was zu mehr Krankheit und mehr Medikamenten führt”.
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Die Bekämpfung von Biofilmen (oder Mikrokolonien) ist vor diesem Hintergrund ratsam oder notwendig,) wenn sie die Homöostase stören, also eine chronische Infektion vorliegt, oder sie sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu stören drohen (wie z.B. im Fall von Blasenkathetern). Wenn Biofilme als neu entdeckte große Gefahr für die Menschheit aufgebaut werden sollen, ist jedoch Vorsicht geboten: Diese Darstellung muss vor dem Hintergrund gewürdigt werden, dass sich Antibiotika weltweit als immer weniger wirksam erweisen und dass Medizin ein profitables Geschäft ist – wie Hugh Mann seinem oben stehenden Zitat angefügt hat:

“This is why medicines are so profitable, but have so many side effects and adverse reactions”,

d.h.

“Das ist der Grund, warum Medikamente so profitabel sind, aber so viele Nebenwirkungen und unerwünschte Wirkungen haben”.


Literatur

Akhmetzhan, Gauhar, Olaifa, Kayode, Kitching, Michael, et al., 2023: Biochemical and Electrochemical Characterization of Biofilms Formed on Everolimus-eluting Coronary Stents. Enzyme and Microbial Technology 163. doi.org/10.1016/j.enzmictec.2022.110156.

Asma, Syeda Tasmia, Imre, Kálmán, Morar, Adriana, et al., 2022: Natural Strategies as Potential Weapons Against Bacterial Biofilms. Life 12(10). doi: 10.3390/life12101618.

Bollinger, R. Randal, Barbas, Andrew S., Bush, Errol L., et al., 2007: Biofilms in the Normal Human Large Bowel: Fact Rather Than Fiction. Gut 56(10): 1481-1482.

Bowler, Philip, Murphy, Christine, & Wolcott, Randall, 2020: Biofilm Exacerbates Antibiotic Resistance: Is This a Current Oversight in Antimicrobial Stewardship? Antimicrobial Resistance and Infection Control 9: 162. https://doi.org/10.1186/s13756-020-00830-6.

Ding, Li, Wang, Jieliang, Cai, Shihao, et al., 2021: Pulmonary Biofilm-based Chronic Infections and Inhaled Treatment Strategies. International Journal of Pharmaceutics, 2021 Jul 15; 604:120768. doi: 10.1016/j.ijpharm.2021.120768. Epub 2021 Jun 3. PMID: 34089796.

Ghannoum, Mahmoud A., Parsek, Matthew, Whiteley, Marvin, & Mukherjee, Pranab K., 2015: Preface, S. xiii-xiv in: Dieselben (Hrsg.): Microbial Biofilms. Washington, DC: ASM Press.

Høiby, Niels, 2017: A Short History of Microbial Biofilms and Biofilm Infections. APMS (Acta Pathologica, Microbiologica et Immunological Scandinavica) 125(4): 272-275.

Johnson, Leah R., 2008: Microcolony and Biofilm Formation as a Survival Strategy for Bacteria. Journal of Theoretical Biology 251(1): 24-34

Mosaddad, Seyed Ali, Tahmasebi, Elahe, Yazdanian, Alireza, et al., 2019: Oral Microbial Biofilms: an Update. European Journal of Clinical Microbiology & Infectious Diseases 38(11): 2005-2019.

Müsken, Mathias, Pawar, Vinay, Schwebs, Timo, et al., 2018: Breaking the Vicious Cycle of Antibiotic Killing and Regrowth of Biofilm-Residing Pseudomonas aeruginosa. Antimicrobial Agents and Chemotherapy 62. https://doi.org/10.1128/AAC .01635-18

Nourbakhsh, Fahimeh, Nasrollahzadeh, Mahda Sadat, Tajani, Amineh Sadat, et al., 2022: Bacterial Biofilms and Their Resistance Mechanisms: a Brief Look at Treatment with Natural Agents. Folia Microbiologica 67(4): 535-554.

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Srivastava, Shilpi, & Bhargava, Atul, 2016: Biofilms and Human Health. Biotechnology Letters 38(1): 1-22.

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Tytgat, Hanne L.P., Nobrega, Franklin L., van der Oost, John, & de Vos, William M., 2019: Bowel Biofilms: Tipping Points between a Healthy and Compromised Gut? Trends in Microbiology 27(1): 17-25.

Yin, Wen, Xu, Siyang, Wang, Yiting, et al. 2021: Way to Control Harmful Biofilms: Prevention, Inhibition, and Eradication. Critical Reviews in Microbiology 47(1): 57-78.


 

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