Enddarmkrebs: Bestrahlungstherapie gar nicht notwendig – Praxis von 30 Jahren, verbunden mit erheblichen Nebenwirkungen, kann gestrichen werden

By Waterced – CC BY-SA 4.0,

Darmkrebs ist eine unangenehme Sache und eine häufige Todesursache. 2021 starben 70.485 Menschen in Deutschland an Darmkrebs, 27.826 waren es bereits in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 [weiter reicht die Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts noch nicht]. Darmkrebs trägt rund 30% zu den Krebstoten pro Jahr bei und ist in vielen Fällen vermeidbar, weil Ergebnis falscher Ernährung. Mit der Diagnose Darmkrebs verbindet sich in den allermeisten Fällen die Notwendigkeit einer Operation, an deren Ende in den meisten Fällen eine Entfernung großer Teile des Dickdarms und ein künstlicher Darmausgang stehen. Indes gibt es in manchen Fällen, wenn der ENDDARM-Darmkrebs nicht über Darm und Lymphknoten hinausgelangt ist [Stufe 3], die Möglichkeit, eine die Schließmuskel erhaltende, oder doch zumindest deren Erhalt zu versuchende Operation durchzuführen, die das Legen eines künstlichen Ausgangs unnötig macht und quasi mit einer Form plastischer Innenraum-Chirurgie, die Distanz zwischen Darmausgang und verbleibendem Darmgewebe zu überbrücken sucht.

Die Rede ist dann von einer sphinktererhaltenden Operation, bei der der innere und äußere Schließmuskel erhalten wird.

Vor einer solchen Operation und nach einer solchen Operation wird mit einer Mischung aus Strahlen- und Chemotherapie versucht, den Tumor im Enddarm zu verkleinern bzw. nach Operation sein Wiederkehren zu verhindern. Nun sind Strahlentherapien [ionisierende Strahlen, die Zellen zerstören] und Chemotherapie Hammertherapien, die den Eindruck vermitteln, man wolle das Auftauchen eines Pickels durch Gasschmelzschweißen verhindern, aber das ist wohl der Stand der medizinischen Technik – oder besser: war. Sowohl Chemotherapie als auch Strahlentherapie sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Eine Strahlentherapie zur Verkleinerung bzw. Verhinderung der Neubildung eines Enddarmtumors findet in empfindlichem Gebiet statt und hat eine Reihe von unabsichtlichen Folgen, die von einer Beschädigung des Darms, der Blase, der Sexualorgane bis zur Bildung sekundärer Tumore und einer Beschädigung des Knochenmarks reichen, Nebenwirkungen, die man vermeiden will.

Ein klinisches Trial, das unter der Nummer NCT01515787 bei Clinicaltrials.gov zu finden ist, hat die Vermeidung zumindest der erheblichen Nebenwirkungen von Strahlentherapien bei der Behandlung von an Enddarmkrebs Erkrankten, an denen eine sphinktererhaltenden Operation durchgeführt werden soll, zum Gegenstand. Die genaue Anordnung des klinischen Trials ist in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Das Design des klinischen Trials basiert auf zwei Gruppen, eine, deren Mitglieder die Standardbehandlung, Chemotherapie und Strahlentherapie erhalten, eine, deren Mitglieder mit einer veränderten Chemotherapie, die unter FOLFOX firmiert [siehe Kasten] behandelt werden. Nach 12 wöchiger Behandlung wird eine Magnetresonanztomographie durchgeführt: Ist der Tumor um mindestens 20% geschrumpft, dann wird der Patient sofort operiert, ist der Tumor um weniger als 20% geschrumpft, dann wird der Patient der Standardbehandlung, also einer Mischung aus Chemo- und Strahlentherapie unterzogen.

Interventionsgruppe: FOLFOX (Chemotherapie)
Oxaliplatin 85 mg/m^2 intravenös über 2 Stunden an Tag 1, Leucovorin 400 mg/m^2 Bolus intravenös über 2 Stunden an Tag 1 und 5-Fluorouracil 400 mg/m^2 Bolus über 5-15 Minuten, dann 2400 mg/m^2 kontinuierlich über 46-48 Stunden Gesamtdosis intravenös an den Tagen 1-2. Der Behandlungsplan wird je nach Gruppe wiederholt. Dosisänderungen sind aufgrund von unerwünschten Ereignissen möglich.

Kontrollgruppe [Standardbehandlung]: 5 FUCMT (Chemostrahlung)
5-Fluorouracil 225 mg/m^2 pro Tag als kontinuierliche IV-Infusion, die gleichzeitig mit der Strahlentherapie an 5 oder 7 Tagen pro Woche verabreicht wird ODER Capecitabin 825 mg/m^2 zweimal täglich, das oral und gleichzeitig mit der Strahlentherapie an 5 Tagen pro Woche verabreicht wird. Dosisänderungen sind aufgrund von unerwünschten Ereignissen zulässig.

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Die Ergebnisse dieses Trials, das von Juni 2012 bis Dezember 2018 gelaufen ist, wurden nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht:

Schrag, Deborah, Shi, Qian,  Weiser, Martin R., Gollub, Marc J.,  Saltz, Leonard B., Musher, Benjamin L., Goldberg, Joel Goldberg, Al Baghdadi, Tareq, Goodman, Karyn A., McWilliams, Robert R., Farma, Jeffrey M. & George, Thomas J. et al. (2023). Preoperative Treatment of Locally Advanced Rectal Cancer. New England Journal of Medicine.

Die Ergebnisse zeigen im Wesentlichen, dass die Strahlenbehandlung bei Patienten, die an Enddarmkrebs erkrankt sind, der nicht weiter als bis in die Lymphknoten metastasiert ist, und bei denen eine schließmuskelerhaltende Operation durchgeführt werden kann, unnötig ist. Eine Behandlungspraxis, die seit mehr als 30 Jahren benutzt wird, erweist sich somit als nutzlose Produktion von Nebenwirkungen bei Patienten, die ohnehin nicht gut beisammen sind.

585 Patienten haben ihre Behandlung in der FOLFOX-Gruppe begonnen, 543 wurden der Standardbehandlung aus Chemotherapie und Strahlentherapie unterzogen. Bei 53 Patienten in der FOLFOX Gruppe konnte nach 12 Wochen keine Reduzierung der Größe des Tumors von mindestens 20% festgestellt werden. Sie wurden entsprechend aus der Gruppe entfernt und der Standardbehandlung [nicht der Gruppe der Standardbehandelten] zugeführt. Das Kriterium, das die Autoren benutzen, um den Erfolg der jeweiligen Variante von Krebsbehandlung zu messen, umfasst zwei Bedingungen:

  • Der Patient muss 5 Jahre nach der Operation noch am Leben sein;
  • Der Krebs darf nicht wiedergekommen sein.

Beide Kriterien treffen in der FOLFOX-Gruppe auf 80,8% der Patienten zu, in der Gruppe der mit Standardtherapie [Chemotherapie plus Strahlentherapie] Behandelten sind es 78,6% [Dies nach Entfernung der 53 Personen, die auf die FOLFOX-Chemotherapie offenkundig nicht angesprochen haben]. Es gibt somit keinen Unterschied in der Überlebenswahrscheinlichkeit und mit Blick auf ein enddarmkrebsfreies Leben zwischen denen, die mit und denen, die ohne Strahlentherapie behandelt wurden. Mit anderen Worten: Die Strahlentherapie ist in den meisten Fällen unnötig.

Die Autoren bewerten ihre Ergebnisse wie folgt:

“In patients with locally advanced rectal cancer who were eligible for sphincter-sparing surgery, preoperative FOLFOX was noninferior to preoperative chemoradiotherapy with respect to disease-free survival.”

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