Ist Sonneberg überall? Landratswahl der tipping point für die AfD?

In seinem nun schon etwas angegrauten Buch “tipping point – Wie kleine Dinge Großes bewirken können”, beschreibt Malcolm Gladwell eines der drei Merkmale, das eine – wie er schreibt – Epidemie, gemeint ist ein exponentielles Wachstum im Absatz eines Produktes oder ein ebensolcher Niedergang in Kriminalität, auszeichnet, wie folgt:

“Was erfolgreichen Epidemien zugrunde liegt, ist letzttlich der feste Glaube, dass Veränderung möglich ist, dass Menschen ihr Verhalten oder ihre Einstellung radikal verändern können, wenn sie richtig angesprochen werden. Auch das widerspricht einigen unserer tiefsten Annahmen über uns selbst und andere.

[…]

Wenn man sich komplexes Verhalten wie das Rauchen oder den Selbstmord oder das Verbrechen genauer ansieht, versteht man, wie empfindlich wir für alles sind, was wir sehen und hören, und wie empfindlich wir noch für die kleinsten Details unseres Alltagslebens sind. Wenn der soziale Wandel so sprunghaft und oft so unerklärlich ist, so deshalb, weil wir sprunghaft und unerklärlich sind.”

Gladwell ist kein Sozialwissenschaftler. Er ist Journalist und Autor und hat sein Buch u.a. geschrieben, um mit ein paar mehr oder weniger nützlichen Hinweisen, die er aus ein paar Fallbeispielen abzuleiten können glaubt, bei denen Kasse zu machen, die dem Irrtum aufsitzen, man könne durch Sozialtechnologie Menschen durch die Manege führen, wie den sprichwörtlichen Bären am Nasenring.

Indes ist schon im Zitat oben ein Widerspruch inhärent: Wenn Menschen sprunghaft und unerklärlich sind, dann hat Gladwell sein Buch umsonst geschrieben, dann gibt es keine Möglichkeit, die Sprunghaften und Widersprüchlichen zu beeinflussen. Und in der Tat gehören wir zu denjenigen, die den ganzen Zinnober von Nudging und Verhaltenssteuerung, der bei denen, die selbst leicht lenkbar sind und hinter jeder Mode hinterherlaufen, so hoch im Kurs steht, bei Politikern z.B. für Unfug halten, der früher oder später als solcher durchschaut werden wird. Letztlich sind Menschen träge und hinterfragen so lange nicht, was ihnen von Leuten, die sich als Regierung ausgeben, aufgetischt wird, bis sie Grund zu der Annahme belogen, betrogen, ausgenommen zu werden, haben. Dann setzt das eigene Interesse ein, und ab diesem Zeitpunkt wird es für Regierende immer schwieriger, bei ihren Bürgern zu punkten. Alles treibt dem Tipping Point zu, ab dem eine eigene Dynamik, eine unkontrollierbare, von Regierenden nicht gewünschte Dynamik einsetzt und sie hinwegschwemmt.

Das Problem, das sich mit dem Tipping Point verbindet: Keiner weiß, wo er sich befindet.

Die größten Fehleinschätzungen der Geschichte basieren auf dieser Unkenntnis. Egon Krenz hätte die innerdeutsche Grenze in Berlin sicher geschlossen gehalten, hätte er gewusst, was er mit der Öffnung auslöst. Und vielleicht werden sich die Polit-Darsteller etablierter Parteien, deren Hauptinteresse darin zu bestehen scheint, per Kollusion ihre korrupten Strukturen retten zu können, in ein paar Monaten wünschen, sie hätten die AfD nie ausgegrenzt, sie vielmehr am politischen Kuchen beteiligt, sie in der Weise, in der sie selbst korrumpiert sind, korrumpiert und damit jede Möglichkeit einer Opposition in Deutschland auf Jahrzehnte hinaus zerstört.

Aber sie haben den Weg in die andere Richtung beschritten: Ausgrenzung, Dämonisierung, Diffamierung und lernen nun, was Renitenz ist. Denn das Wahlergebnis aus Sonneberg bringt – wie wir meinen – vor allem die Renitenz bei deutschen Wählern, denen etablierte Parteien einreden wollen, sie müssten gegen die Nazis stimmen, um die Demokratie zu retten, zum Ausdruck. Derartiger Bullshit mag früher den ein oder anderen Wähler hinterm Ofen vor und zum Kreuz bei etablierten Parteien getrieben haben, heute führt er zum Gegenteil, wie die Zahlen aus Sonneberg zeigen. Die Einheitsfronttaktik politischer Kollusion des korrupten Haufens aus unterschiedlich etikettierten, weitgehend identischen Parteien, hat sich eine deutliche Abfuhr geholt.

Ein Blick auf das Wahlergebnis und vor allem die Wahlbeteiligung zeigt das:

Im ersten Wahlgang haben 23.442 Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben, und zwar wie folgt:

  • Robert Sesselmann, AfD: 10.941 Stimmen (46,7%);
  • Jürgen Köpper, CDU: 8.374 Stimmen (35,7%);
  • Anja Schönheit, SPD: 3.107 Stimmen (13,2%);
  • Nancy Schwalbach, LINKE: 1.023 Stimmen (4,4%)

Schwalbach und Schönheit waren damit aus dem Rennen und – aufgrund der Parteienkollusion: 4.130 Stimmen für Jürgen Köpper verfügbar.

Im zweiten Wahlgang haben 28.411 Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben, ein Plus von 4.969 Wählern, das Ergebnis sieht wie folgt aus:

  • Robert Sesselmann, AfD: 14.992 Stimmen (52,8%), ein Plus von 4.051 Stimmen im Vergleich zum ersten Wahlgang;
  • Jürgen Köpper, CDU: 13.419 Stimmen (47,2%), ein Plus von 5.048 Stimmen im Vergleich zum ersten Wahlgang;

Zieht man nun die 4.130 Stimmen aus dem ersten Wahlgang, die auf Schwalbach und Schönheit entfallen sind und nunmehr für Köpper gebucht sein sollten, ab, dann ergibt sich ein Zugewinn im zweiten Wahlgang für Köpper von 918 Stimmen, während Sesselmann im zweiten Wahlgang einen Zugewinn von 4.051 Stimmen zu verzeichnen hat. 81,5% des Mobilisierungserfolgs des zweiten Wahlgangs, an dem 4.969 Wähler mehr als am ersten Wahlgang teilgenommen haben, entfällt somit auf den Kandidaten der AfD, magere 18,5% auf den der CDU.

Ein Fiasko, das die Grenzen der Manipulierbarkeit zeigt und deutlich macht, dass man auf Dauer Wähler mit Gequatsche von “die Menschen müssen verstehen”, “wir müssen die Wähler da abholen, wo sie sind”, “die Demokraten müssen sich gegen die Nazis geschlossen zeigen”, wir müssen “die Demokratie verteidigen”, nicht gewinnen, sondern bestenfalls verärgern kann, vor allem dann, wenn diejenigen, die diesen Unfug erzählen, den Parteien angehören, die Bürgern das Leben tatkräftig erschweren, sie ärmer machen.

Insofern könnte sich Sonneberg als “tipping point” für die AfD erweisen und zu einem tektonischen Erdbeben im politischen System Deutschlands führen. Und hier kommt Malcolm Gladwell, hier kommen soziologische Modelle zu solchen Kipppunkten ins Spiel, die zeigen, wie es zu dem, was Gladwell “Epidemien”, also massenhaftes Veränderung vorherigen Gleichverhaltens nennt, kommen kann.

Karl-Dieter Opp hat es für eine Demonstration beschrieben, die sich bei Regen leert. Es reicht, anzunehmen, dass Teilnehmer sich in unterschiedlich starkem Ausmaß an anderen orientieren und darüber hinaus eine unterschiedliche Toleranz für Regen aufweisen. Zunächst gehen diejenigen, denen es egal ist, was andere von ihnen denken und die keine Toleranz gegenüber nassen Klamotten, wenn es die eigenen sind, haben. Ihr Gehen verändert die Gleichung für alle, die bleiben, denn es ist nunmehr deutlich, dass man sich nicht nassregnen lassen muss, sondern auch gehen kann. Eine Handlungs-Alternative ist umgesetzt worden. Die nächsten, die – bei dauerhaftem Regen, diese Alternative wählen, wären eigentlich geblieben, aber die Tatsache, dass andere gehen, verbündet sich mit ihrer eigentlich nicht sonderlich ausgeprägten Toleranz gegenüber nassen Klamotten oder Schirmen im Genick. Und so geht das weiter, bis die Demonstration nur noch aus dem harten Kern der Demonstranten besteht, die aus unterschiedlichen Gründen nicht gehen können.

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Übertragen auf die AfD bedeutet dies, dass immer mehr Wähler die Partei als wählbare Alternative ansehen, immer mehr die Partei als eine Partei sehen, deren Vertreter auch in politische Positionen gelangen können, um dort etwas zu verändern. In welchem Ausmaß das letztlich der Fall ist, spielt keine Rolle, es geht hier um die prinzipielle Möglichkeit, etwas zu ändern. Sonneberg hat gezeigt, dass die AfD Wahlen gewinnen kann. Wahlumfragen zeigen, dass 20% der Wähler angeben, AfD zu wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Wähler, die bislang von einer Wahl der AfD abgesehen haben, nehmen sie nun als wählbare Alternative zu einer Regierungspolitik, mit der sie immer unzufriedener werden, zu der es außer der AfD zudem keinerlei Opposition gibt, wahr. Die Möglichkeit, über die Wahl der AfD ein Statement zu geben, etwas zu verändern, wird zu einem feststehenden Angebot an der Wahlurne, einem, dem diejenigen in etablierten Parteien, die nach wie vor versuchen, die AfD auszugrenzen, das Wort reden. Witzigerweise haben sie durch die Hysterie, mit der sie eine Landratswahl im zweitkleinsten Landkreis Deutschlands zu einer Vertrauensfrage für die Demokratie aus allem, was Vernunft noch umfassen kann, herausgelöst haben, den Wahlsieg noch befödert und befördern weiterhin den Erfolg der AfD, den man getrost bei zukünftigen Wahlen vorhersagen kann, sofern es keinen Wahlbetrug gibt.

Man kann Menschen nicht dirigieren und wie eine elektrische Eisenbahn auf das Gleis manövrieren, auf dem man sie gerne hätte. Dummerweise benötigen viele Polit-Darsteller diesen Irrglauben, um ihre Inkompetenz zu kompensieren. Beides ist inkommensurabel und kann nur im Fiasko für die Blockparteien enden, wenn sie nicht bereit sind, mit Panzern oder anderen Formen der Gewalt, die Wahl der AfD zu unterbinden, um – wie sie dann behaupten werden – die Demokratie zu retten, etwa so, wie man im Mittelalter einen Ketzer dadurch gerettet hat, dass man ihn verbrannt hat.


 

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