Von der Volkspartei zur Schrumpfpartei

Was machen eigentlich deutsche Politikwissenschaftler?

Diese Frage stellen wir uns des öfteren während wir frühstücken. Angesichts des Studiums der Politikwissenschaft, das einer der Betreiber von ScienceFiles hinter sich gebracht hat, ist diese Frage eine insofern peinliche Frage als es gar so wenig zu berichten gibt. Um so erfreulicher ist ein Fundstück, das uns heute über den Weg gelaufen ist – passend zum Jahresende.

Neumann ParteienDas Jahresende ist nicht nur die Zeit, zu der öffentliche Verwaltungen in Bestellpanik verfallen: Damit ihnen nicht die Sachmittel gekürzt werden, wird bestellt, was das Zeug hält. Am Ende des Jahres ist es nicht nur Zeit für Dinner for One, das man sich gewöhnlich durch eine nicht witzige, aber zumindest inhaltliche Wiederholung der Neujahrsansprache verdienen muss. Und das Ende des Jahres ist eine Zeit des Zurückblickens auf ein ereignis- oder weniger ereignisreiches Jahr, ein mehr oder weniger erfolgreiches Jahr oder ein weiteres Jahr, in dem die großen politischen Parteien, also CDU und SPD, die Parteien, die man einst Volksparteien nannte, geschrumpft sind, so dass man jetzt wohl besser von Schrumpfparteien spricht.

Typologien von Parteien sind etwas aus der Mode gekommen. Dabei gibt es wirklich gute und fast schon weitsichtige Typologien, wie die von Sigmund Neumann, der ein Stufenmodell der Parteientwicklung erstellt hat. Der erste Schritt der Parteientwicklung sieht eine Honoratiorenpartei, eine Partei ohne Bürokratie, ein loses Zweckbündnis, zu dem sich Honoratioren immer dann zusammenfinden, wenn Wahlen anstehen.

Der Honoratiorenpartei folgt die demokratische Integrationspartei, die erstmals eine feste Organisationsform außerhalb des Parlaments vorzuweisen und zu unterhalten hat, eine Organisationsform, die von Funktionären getragen wird. Von der Honoratiorenpartei unterscheidet sie sich vor allem durch eben diese Parteiorganisation sowie eine eigenständige Bürokratie, eine grundlegende Parteiideologie und ein Parteiprogramm.

Im dritten Schritt entwickelt sich die demokratische dann zur absolutistischen Integrationspartei weiter, die ein Monopol auf die Erziehung von Wählern beansprucht.

Vielleicht ist die Typologie von Neumann deshalb aus der Mode gekommen, weil er die absolutistische Integrationspartei, die nicht Meinungen der Wähler und Mitglieder transportieren, sondern Meinungen vorgeben will, als zwangsläufig angesehen hat.

Perish the thought.

Demokratische Parteien entfernen sich nicht so weit von ihren Wählern und Mitgliedern, dass sich die Demokratie verkehrt und zur absolutistischen Parteiherrschaft degeneriert, in der Bürger von Politikern erzogen und in die richtige Richtung geschubst werden sollen – oder so.

Natürlich ist das nicht der Fall.

Wie dem auch sei, die Nachfolge zu Neumanns Typologie hat die Geburt der Volks- oder Allerweltspartei, wie sie Otto Kirhcheimer genannt hat, gesehen. Die Volkspartei zeichnet sich nicht mehr dadurch aus, dass sie klare ideologische Vorstellungen in festen Programmen hat, sondern dadurch, dass sie kurzfristige Wahlplattformen erstellt, die Wählern andienen, was Parteistrategen als mehrheitsfähig ansehen.

The Snout in the Trough
The Snout in the Trough

Volksparteien sind entsprechend Vereinigungen von Opportunisten, die versuchen, to get their snout in the trough. Wenn es dazu notwendig ist, Wählern das zu erzählen, was notwendig ist, damit man an die Regierung oder doch in den Bundestag oder einen Landtag kommt, dann sind feste Überzeugungen hinderlich, dann müssen ideologische Prinzipien, die einst z.B. die CDU definiert haben, gebogen und gebrochen werden. Die Mehrheitsfähigkeit will es so. Jedenfalls die, die die Parteistrategen sehen.

Und so kommt es, dass eine Partei wie die CDU, die sich einst für die freie Marktwirtschaft engagiert hat, zu einer Interventionspartei geworden ist, wie es sich eine Sozialdemokratische Partei nie hätte vorstellen können, eine Interventionspartei, die sogar die Unternehmensfreiheit gesetzlich und per Vorgabe abschafft. Und so kommt es, dass eine vermeintliche Arbeiterpartei wie die SPD ihre Aufgabe heute vor allem darin sieht, Mittelschichtsfrauen, Lesben, Schwule und Trans zu protegieren, eine Entwicklung, die den Sohn eines Schuhmachers, Herbert Wehner, vermutlich eine Arbeiterpartei würde gründen lassen.

Die Entwicklung zur Volks- oder Allerweltspartei war auch dadurch gekennzeichnet, dass die so benannten Parteien auf ein sattes Mitgliederpolster verweisen konnten, wenn es darum ging, den Status als Volkspartei mit dem einhergehenden Anspruch anzumelden. Nun, die Zeiten der fetten Mitgliedspolster und damit einhergehenden Mitgliedsbeiträgen sind vorbei, wie die Entwicklung der Parteimitgliedschaft, die Oskar Niedermayer, Professor an der FU-Berlin, regelmäßig auf den neuesten Stand bringt, zeigt.

Demnach hat die CDU, die 1990 noch auf 789.609 Mitglieder stolz sein konnte, bis zum Ende des Jahres 2012 313.262 Mitglieder verloren (-39,7%), macht einen neuen Mitgliederstand von 476.347. Im selben Zeitraum ist die SPD von 943.402 auf 477.037 und somit um 466.365 Mitglieder (- 49,45%) geschrumpft. Fast der Hälfte der Genossen, die 1990 noch die Parteifahne hochgehalten haben, ist die SPD bis zum Ende des Jahres 2012 verlustig gegangen. Angesichts dieser Zahlen kann man die ehemaligen Volksparteien nur als Schrumpfparteien bezeichnen und die folgende Definition von Schrumpfpartei geben:

Eine Schrumpfpartei ist eine ehemalige Volkspartei, die im Zeitraum von 20 Jahren mindestens 35% ihrer Mitglieder verloren hat und für die die begründete Hoffnung besteht, dass sie ein Auslaufmodell ist.

Die Entwicklung der beiden Schrumpfparteien von CDU und SPD, wie sie aus den Daten von Niedermayer abzulesen ist, ist in der folgenden Abbildung dargestellt.

Schrumpfparteien 1

Die Schrumpfparteien sind natürlich mit erheblichen Einnahmeverlusten konfrontiert, denn die Mitgliederbeiträge fließen nicht mehr, wie sie einst flossen. Geht man von einem geringsten Mitgliedsbeitrag von 3 Euro pro Monat aus, wie es bei Parteien für z.B. Studenten üblich ist, und rechnet mit nur 5 Euro pro Monat durchschnittlichem Monatsbeitrag, dann nahm die CDU im Jahr 2012 1.566.310 Euro weniger ein als noch im Jahr 1990, während die SPD mit Mindereinnnahmen von 2.331.825 zu kämpfen hat. Angesichts der vielen Parteisoldaten, die Parteien durchzufüttern haben, ist es nicht mehr verwunderlich, dass die Parteienfinanzierung stetig gewachsen ist, so dass derzeit mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr in die Parteisäckchen fließt.

Noch weniger verwunderlich ist es, dass sich die Parteien mit eingetragenen Vereinen, die sie Stiftungen nennen, Möglichkeiten geschaffen haben, die Steuerzahler jährlich um rund eine halbe Milliarde Euro zu erleichtern. Funktionäre, wenn auch nicht klar ist, welchen Nutzen sie Dritten erbringen, müssen ja auch von etwas leben – oder?

Um am Jahresende Hoffnung zu verbreiten, das Licht am Ende des Tunnels, die Gewissheit, dass auch die mittelmäßigen Politiker, die uns derzeit durch Schrumpfparteien zugemutet werden, über kurz oder lang dem Vergessen anheim fallen werden, haben wir (linear) hochgerechnet, wie lange es dauert, bis CDU und SPD von der politischen Landkarte verschwunden sind.

Schrumpftparteien 2

Demnach macht es die SPD noch bis in das Jahr 2033 und geht entsprechend genau 100 Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz in das Nirvana des politischen Vergessens ein, während der Todeskampf der heute bereits politisch entkernten CDU sich bis ins Jahr 2052 fortsetzen wird, so lange, bis es auch der letzte Überlebende nicht mehr mit anschauen kann.

Bleibt noch die Frage der Ursache für den Niedergang der beiden Volksparteien.

Unser Brainstorming hat folgende möglichen Ursachen zusammengetragen:

Ideologisch:

Der Mitgliederschwund geht mit der Feminisierung beider Parteien und dem Aufschwung des Staatsfeminismus einher. Wie es scheint, ist der Staatsfeminismus der Totengräber der Volksparteien, der Schrumpffaktor schlechthin.

Nationalökonomisch:

Der Migliederschwund geht mit der Ausbreitung des tertiären Sektors, also all der Berufe einher, in denen nicht das Arbeiten mit den Händern, sondern mit dem Mund stattfindet. Scheinbar machen Worte keine Mitglieder, vertreiben sie eher.

Wer bessere Erklärungsvorschläge hat – nur zu!

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