“Wissenschaft ist kein Bauchladen!” – Wissenschaftlerin fordert GEW zur Stellungnahme auf

Dr. habil. Heike Diefenbach, Autorin vieler wissenschaftlicher Beiträge, die sich mit Bildungsungleichheiten im deutschen Bildungssystem befassen, vor allem mit den erheblichen Nachteilen, die Jungen und Migranten im deutschen Bildungssystem haben, hat in einer Email an die GEW darauf gedrungen, dass die Verantwortlichen der Gewerkschaft nun endlich Stellung nehmen zu den von science watch ausführlich dargestellten Unzulänglichkeiten, Unredlichkeiten, methodischen und sonstigen Fehlern in der hauseigenen GEW-Studie zu Bildung und Geschlecht. Ich freue mich besonders, diese Email hier veröffentlichen zu dürfen.

 

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Sehr geehrter Herr Rödde,
sehr geehrte Frau Jenter,

wie eine beachtliche Anzahl anderer Personen dies anscheinend schon getan hat, möchte auch ich die Anfrage von Herrn Klein unterstützen und Sie auffordern, seine völlig berechtigten Fragen zu beantworten. Um diese Unterstützung für Herrn Kleins Initiative deutlich zu machen, finden Sie unten in meiner mail den Text abgedruckt, den er zur Verfügung gestellt hat und den Sie inzwischen ja hinreichend gut kennen.

In meiner Eigenschaft als Wissenschaftlerin möchte ich jedoch noch hinzufügen, dass mich der Umgang mit Zahlen, Daten und Fakten in der Studie “Bildung und Geschlecht” gelinde gesagt sehr negativ betroffen hat. Wo sie nicht falsch sind, stellen sie Halbwahrheiten dar, aber vor allem werden Zahlen, Daten und Fakten, die bereits bekannt sind, aber nicht zu dem, was durch die Studie suggeriert werden soll, passen, vollkommen unterschlagen. Dies ist mir als derjenigen, die von sich sagen darf, dass sie als Bildungs- und Ungleichheitsforscherin die Bildungsnachteile von Jungen gegenüber Mädchen anhand der amtlichen Statistik bereits im Jahr 2002 in der Zeitschrift für Pädagogik nachgewiesen und damit einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, die aber in der Studie nicht zitiert wird, sehr präsent. (Vermutlich muss ich darüber eigentlich froh sein, sonst wäre meine Arbeit vermutlich in völlig entstellter Art und Weise dargestellt worden; nunja, hiergegen vorzugehen, hätte ich schon gewusst ….) Weil nicht nur diese Studie, sondern auch meine nachfolgenden Beiträge zum Thema “Bildungsnachteile von Jungen”, die allesamt in bekannten und geschätzten Organen veröffentlicht wurden, vom Autor der Studie “Bildung und Geschlecht” völlig ignoriert wurden, komme ich schwerlich umhin zu vermuten, dass dies mit Absicht so gehandhabt wurde, weil gegen die Fakten und die Argumente, die in diesen Texten stehen, nun einmal schwerlich Stellung zu nehmen ist.

Wäre die Studie “Bildung und Geschlecht” als wissenschaftlicher Text gedacht gewesen, dann wäre sie eine einzige große Peinlichkeit, die ich als Dozentin nicht einmal von Studierenden im Grundstudium akzeptieren würde. Nun war sie ja aber offensichtlich nicht so gedacht. Dies hat Herr Rieske im Interview auch zugegeben: man wollte “argumentationsfähig” werden, d.h. man wollte keine Wissenschaft betreiben und war nicht an einer empirisch feststellbaren Wahrheitsfindung interessiert. Zum einen ist es natürlich Unsinn, wenn man Unhaltbares “argumentationsfähig” machen will. Man kann nicht Beliebiges argumentieren; manches ist argumentierbar, weil es empirisch zutreffend ist oder logisch, alles andere ist entweder schlicht falsch, oder es ist keine Aussage darüber möglich. Zum anderen – und dies ist der besonders bedenkliche Punkt – ist es Missbrauch von Wissenschaft und eine üble Form der Augenwischerei, wenn man Ideologie verbreiten möchte, aber meint, man könnte ihr einen wissenschaftlichen Anstrich verpassen, indem man einfach mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit antritt und die formalen Merkmale wissenschaftlichen Arbeitens zu imitieren versucht. Die bewusste Unterschlagung von Zahlen, Daten, Fakten und wissenschaftlichen Texten, die dem eigenen ideologischen Standpunkt widersprechen, ist mit wissenschaftlichem Arbeiten nicht vereinbar. Wissenschaft ist kein Bauchladen, aus dem man aus rein ideologischer Motivation herausnehmen darf, was einem gefällt.

Mir persönlich wäre daher eine Richtigstellung in diesem Sinn sehr wichtig, also eine Richtigstellung, der die Öffentlichkeit entnehmen kann, dass hier gar keine Absicht vorlag, eine wissenschaftliche Aufarbeitung einer bekannten Problemlage zu leisten, sondern vielmehr die Absicht bestand, eine Art ideologische Gegendarstellung zu dem, was die Wissenschaft zu dieser Problemlage zu sagen hat (und das ist leider ohnehin sehr wenig), zu formulieren.

Immerhin finanziert diese Öffentlichkeit die GEW ebenso wie die (steuerbegünstigte) Hans-Böckler-Stiftung mit. Finden Sie es nicht irgendwie mindestens sehr bedenklich (ich persönlich finde es zynisch), eine Öffentlichkeit – Eltern, Lehrer Wissenschaftler … – dafür bezahlen zu lassen, dass sie um einer Ideologie willen desinformiert wird und nun dadurch, dass Sie bislang Herrn Kleins Fragen nicht beantwortet haben, auch noch ignoriert wird?

Dies ist, finde ich, ein in einer Zivilgesellschaft unhaltbarer Zustand (und ich dachte bislang, Deutschland wolle als eine solche gelten), und daher unterstütze ich wie gesagt Herrn Kleins Appell, sie zu einer Antwort auf “Bürgers Fragen” zu motivieren, da Sie sie nicht als eine selbstverständliche Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber, zu empfinden scheinen

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Der Brief an die GEW, in dem die Fragen, auf die sich Dr. Diefenbach hier bezieht, zu finden sind, und der als Grundlage der Mails an die GEW dient, kann hier heruntergeladen werden.

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