Gewerkschaftsmitglieder feiern häufiger krank
Gelegentlich treffen Politiker Entscheidungen, die für Sozialwissenschaftler ein natürliches Experiment konstituieren, in dem die Bedingungen vor einer Entscheidung deutlich von den Bedingungen nach der Entscheidung abweichen. Die Einführung einer Zwangsquote von 40% Frauen in Aufsichtsräten norwegischer, börsennotierter Unternehmen, durch die norwegische Regierung konstituiert ein solches natürliches Experiment. Seltsamerweise haben bislang nur Kenneth Ahern und Amy Dittmar dieses natürliche Experiment genutzt, und mit einer fundierten Untersuchung gezeigt, wie fatal sich die Zwangsquote auf den finanziellen Erfolg norwegischer, börsennotierter Unternehmen ausgewirkt hat: Markt- und Buchwert stürtzten ab, die Qualität der Entscheidungen, die in den von der Zwangsquote betroffenen Aufsichtsräten getroffen wurden, ging merklich zurück, die Folge waren miserable Investitionsentscheidungen, sich anhäufende Schulden und ein genereller Rückgang der Rendite der entsprechenden Unternehmen.
Aus methodischer Sicht sind derartige natürliche Experimente ein Glücksfall, denn sie erlauben es, die Variable, für deren Auswirkungen man sich interessiert, hier: die Frauenquote im Aufsichtsrat, als kontrollierende Bedingung zu setzen und z.B. zu untersuchen, wie sich bestimmte andere Variablen auf den Unternehmenserfolg auswirken, einmal vor der Einführung der Zwangsquote, einmal nach Einführung der Zwangsquote. Die Unterschiede zwischen beiden “Berechnungen” können dann, unter Kontrolle sonstiger externer Effekte, kausal auf die Höhe des Frauenateils zurückgeführt werden. Liegt keine Situation vor, in der man sich ein natürliches Experiment zu Nutze machen kann, dann bleibt nichts übrig als z.B. den Frauenanteil im Aufsichtsrat als unabhängige Variable neben anderen unabhängigen Variablen in die Analyse einzuführen, was eine ganze Reihe von Problemen mit sich bringt und die Möglichkeit minimiert, einen kausalen Effekt zu identifizieren. Untersuchungen, die aufgrund natürlicher Experimente sich kontrollierte Bedingungen zu nutze machen können, sind daher verlässlicher als Untersuchungen, die kein natürliches Experiment nutzen können. Das macht die Studie von Ahern und Dittmar so herausragend und wichtig.
Obwohl Politiker täglich in deutschen Medien präsent sind, ist die Anzahl der politischen Entscheidungen, deren Gegenstand eine gesellschaftliche Situation nach sich zieht, die wiederum zur Beantwortung einer interessanten Frage mittels natürlichem Experiment genutzt werden kann, eher gering. Eine solche Situation haben Laszlo Goerke und Markus Pannenberg gefunden, und zwar im Jahre 1997. Damals trat die Novelle des Entgeltfortzahlungsgesetzes in Kraft, mit der das Krankengeld, das Arbeitnehmern für die ersten sechs Wochen ihrer Krankheit erhalten, von 100% des Entgelts auf 80% des Entgelts reduziert. Diese Revision des Entgeltfortzahlungsgesetzes war nur von kurzer Dauer. Sie wurde 1999 wieder zurückgenommen. Die kurze Dauer konstituiert ein natürliches Experiment, denn von 1997 bis 1999 und im Gegensatz zur Zeit davor und danach, betrug das Entgelt im Krankheitsfall nur 80% und nicht 100% des normalen Entgelts.
Spätestens mit Oliver Williamson hat sich auch jenseits der Grenzen der Ökonomie die Erkenntnis durchgesetzt, dass unter Menschen opportunistisches Verhalten weit verbreitet ist: Immer dann, wenn Menschen sich in einer Situation befinden, die ihnen die Gelegenheit gibt, sich einen Vorteil auf Kosten anderer zu verschaffen, ohne dass diese anderen es bemerken, werden sie sich einen Vorteil verschaffen: Opportunistisches Verhalten zeigt der Versicherungsvertreter, der die Kundenliste seines Arbeitgebers nutzt, um ein Nebengeschäft zu betreiben. Opportunistisch verhält sich der Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber bestiehlt. Opportunistisch verhält sich der Privatversicherte, der sich von seiner Versicherung eine neue Brille bezahlen lässt, obwohl er die alte nicht verloren hat. Opportunistisch verhält sich der Radfahrer, der sein Fahrrad gestohlen meldet, obwohl er es gerade an einen Kumpel verkauft hat, und opportunistisch verhält sich der Arbeitnehmer, der blau macht, sich ein paar Urlaubstage als Kranker nimmt, weil er gerade keine Lust hat, zur Arbeit zu erscheinen.
Vor allem im angelsächsischen Raum liegen eine Unzahl von Ergebnissen zu opportunistischem Verhalten und vor allem dazu vor, wie man opportunistisches Verhalten unterbinden oder doch zumindest hemmen kann. Nahezu alle Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Kosten für opportunistisches Verhalten erhöht, der Nutzen von opportunistischem Verhalten reduziert und die Gefahr, bei opportunistischem Verhalten entdeckt zu werden, erhöht werden müssen. Die Studie von Laszlo Goerke und Markus Pannenberg setzt bei den Bedingungen für opportunistisches Verhalten an und macht es sich zur Aufgabe, Variablen zu identifizieren, die die Abwesenheit vom Arbeitsplatz durch “vermeintliche” Krankheit, also opportunistisches Verhalten befördern.
Die erste Bedingung, die die beiden Autoren einführen, ergibt sich aus dem oben beschriebenen natürlichen Experiment: Wenn, so die Argumentation, die Höhe des Entgelts, das im Krankheitsfall gezahlt wird, reduziert wird, dann wird der Nutzen des “Blaumachens” geringer, und entsprechend müsste sich eine Reduktion der Krankgemeldeten und der Krankheitstage ergeben, wenn man die Zeit vor der Reduktion des Entgelts im Krankheitsfall mit der Zeit nach der Reduktion des Entgelts im Krankheitsfall vergleicht.
Die zweite Bedingung, die die beiden Autoren einführen ist empirischen Studien entnommen, die gezeigt haben, dass Gewerkschaftsmitglieder ein geringeres Risiko haben, entlassen zu werden, was u.a. damit erklärt wird, dass Gewerkschaften ihren Mitgliedern rechtlichen Beistand in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bieten. Die Kosten des Blaumachens bei Entdeckung sind demnach für Gewerkschaftsmitglieder geringer als für nicht-Gewerkschaftsmitglieder.
Aus beiden Bedingungen und unter der Annahme, dass sich vor allem Personen opportunistisch verhalten, die mit geringen Kosten bei Entdeckung zu rechnen haben, leiten Goerke und Pannenberg zum einen die Hypothese ab, dass Gewerkschaftsmitglieder häufiger blaumachen bzw. “krank” sind, zum anderen folgern sie, dass Gewerkschaftsmitglieder durch die Reduzierung des Entgelts im Krankheitsfall besonders betroffen sind. Die Hypothesen finden ihren Niederschlag in drei Erwartungen:
- Die Reduzierung des Entgelts im Krankheitsfall im Jahre 1997 von 100% auf 80% hat zur Folge, dass die Anzahl der Krankgemeldeten und die Anzahl der Fehltage sinken.
- Gewerkschaftsmitglieder sind vor Entlassung relativ sicher, entsprechend sind sie eher bereit, Arbeit mit Krankheit zu tauschen und blau zu machen.
- Die Reduzierung des Entgelts im Krankheitsfall führt entsprechend unter Gewerkschaftsmitgliedern zu einer deutlicheren Verringerung von Krankmeldungen und Fehltagen als unter nicht-Gewerkschaftsmitgliedern.
Die empirischen Analysen, die Goerke und Pannenberg auf der Grundlage von Daten des Sozioökonomischen Panels durchführen, bestätigen alle Hypothesen in geradezu erschreckender Weise. Die Reduzierung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von 100% auf 80% hat einen heilenden Effekt vor allem auf Gewerkschaftsmitglieder, die in viel größerer Zahl als nicht-Gewerkschaftsmitglieder durch die 1997 in Kraft getretene Novelle des Entgeltfortzahlunsggesetzes geheilt wurden bzw. unter denen die Anzahl der Krankgemeldeten nach der Gesetzesnovelle deutlich geringer wurde. Rund 22.5% beträgt die Heilungsquote per Gesetz, anders formuliert: Im Vergleich zur Zeit 100%tiger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind in der Zeit 80%tiger Entgeltfortzahlung 22.5% weniger Gewerkschaftsmitglieder “krank”. Da sage noch einer, Gesetze hätten nicht auch erfreuliche Folgen, und wenn es nur durch Reduktion der Möglichkeit zum Trittbrettfahren ist, denn das opportunistische Krankfeiern von vornehmlich Gewerkschaftsmitgliedern wird ja u.a. von Steuerzahlern finanziert.
Die Autoren fassen ihre Ergebnisse wie folgt zusammen:
“…we find that the statutory reduction in sick pay in 1996 in Germany raised the probability of not being absent for sickness-related reasons and lowered the duration of absence periods by a greater amount for a … member of a trade union than for … a non-member. The estimated effects are robust and quantitatively sizeable. In particular, the cut in sick pay led to a 12.5% increase in the share of non-absent unionized employees, and on averaged … union members reduced their sick leave duration by 15% over the post-reform period” (21).
Die Heilungskräfte der Gesetzesreform auf Gewerkschaftsmitglieder, die über eine Reduzierung des Entgelts erzielt werden konnte, hat also nicht nur die Anzahl der “kranken” Gewerkschaftsmitglieder zum Gegenstand, sondern auch die Dauer ihrer “Krankheit”. Dieses Ergebnis ist kaum anders zu werten als dahingehend, dass die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft von (manchen) Mitgliedern als Freischein zum opportunistischen Verhalten angesehen und in entsprechendem Verhalten umgesetzt wird. Darin, im durch Mitgliedschaft möglichen opportunistischen Verhalten, so überlegen die Autoren am Ende ihres Beitrags, könnte der eigentliche Anreiz bestehen, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden. Wenn die Überlegung der Autoren zutrifft, dann hätte dies zur Folge, dass Gewerkschaften als Pool einer negativ selegierten Bevölkerungsgruppe anzusehen sind, deren Motivation, einer Gewerkschaft beizutreten, gerade darin bestünde, sich gegenüber der Gesellschaft und gegenüber ihrem Arbeitgeber opportunistisch verhalten zu können.
Goerke, Laszlo & Pannenberg, Markus (2012). Trade Union Membership and Sickness Absence: Evidence from a Sick Pay Reform. Berlin: DIW Soeppapers on Multidisciplinary Panel Data Research #470.
Bildnachweis
Hermes Press
New Yorker
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Zur Genderstudie von Kennethn u.A.:
Guten Abend Herr Klein,
die Studie ist hervorragend und zeigt deutlich die Auswirkungen. ABER: Ich habe die Interpretation der Autoren so verstanden, dass zwar das Geschlecht eine Auswirkung auf die Performance zeigt (rein statistisch), jedoch dies anderen Faktoren geschuldet ist wie zB weniger Managementerfahrung, andere Ausbildung, etc.. Die Autoren haben darauf hingewiesen so dass ich zu dem Schluss komme, dass das Geschlecht folglich gar keine Rolle spielt, sondern die Faktoren der Managementkompentenz.
Habe ich Ihrer Meinung nach fehlerhaft interpretiert oder würden Sie das genau so sehen?
Ich habe daraufhin nach weiteren, ähnlichen Studien gesucht ((international), aber eben auch nichts dergleichen gefunden. Es mangelt an Datenmaterial und Erfahrungswerten. Jedoch untersucht zB Frau Hamori/ Spanien die Top Management Ebene und wird sicherlich auch hier entsprechende Auswirkungen feststellen – die Studie ist noch nicht beendet.
Das Problem besteht darin, dass durch die Zwangsquote in Norwegen eine Äquivalenz zwischen weiblich und unerfahren oder inkompetent für einen Posten im Aufsichtsrat hergestellt wurde. Das ist als würde man Arbeitslose auf dem Gang des Arbeitsamts abfischen und sie zum IT-Spezialisten erklären.
Uh, das probier mal ich: Theoretisch spielt das Geschlecht vielleicht (oder sogar wahrschenlich) keine Rolle, aber durch die Quote wurden offenbar unerfahrene /unfähige Frauen in die entsprechenden Gremien gepusht. Und damit ging’s den Bach runter. Und damit spielt es eine Rolle.
Ich glaube aus ihrer Fragestellung auch den Unterton zu entnehmen, dass Sie annehmen, dass Quotengegner etwas gegen Frauen in Aufsichtsräten / Vorständen hätten. Wenn Sie jetzt mich da einbeziehen, sehen Sie das falsch: Kein intelligenter Mensch hat (meiner Meinung nach) etwas gegen Frauen irgendwo. Es haben nur ein paar Leute – wie ich – Probleme damit, dass Frauen nach “irgendwo” kommen, weil sie Frauen sind – auch wenn sie noch so unerfahren oder unfähig sind. Oder was denken Sie, warum heisst es “Campaign for Merit in Business” und nicht “Campaign against Women in Boards”? Haben die dort engagierten es nötig, zu lügen? Nein, und deswegen betont Herr Klein hier nicht umsonst so oft, dass er das meint, was er sagt, und nicht irgenwas anderes…
Nein, es ist mir sogar egal, ob es Frauen oder Maenner sind. Mir geht es darum, ob es denn tatsaechlich messbar ist. Wie Herr Klein schon geschrieben hatte, muss man faktisch alle externen Faktoren einfrieren, um einen ausschliesslichen Zusammenhang zu erklären.
Genau diese Genderstudie brachte mich letztlich eben auch auf den Gedanken, dass das Geschlecht egal ist. Aber auch hier hat Herr Klein in seinen Blog gezeigt, dass eigentlich leistumgsunabhaengige Faktoren (Geschlecht, Attraktivitaet, etc.) durchaus die Leistungsbewertung signifikant beeinflussen kann – es war das Beispiel mit den Schüler.
Fazit: Persoenlichkeitsmerkmale können beeinflussen, müssen aber nicht. Befindet Genderstudie war eben nachweislich das Geschlecht nicht die Erklaerung fuer die Performance.
Die Studie hat klar gezeigt, dass das Management nach den Faehigkeiten der Manager besetzt werden muss, um den Unternehmenserfolg zu sichern.
Alleine schon aus diesem Grund ist eine Frauenquote sinnfrei. Aber den mangelnden Unternehmenserfolg kann man nicht dem Geschlecht an lasten.
Ich denke, dass dies soweit auch den Meisten hier klar ist, und ich schweife auch bzgl. Des eigentlichen Themas ab.
Ich würde sofort eine solche Studie in Deutschland durch führen – aber nahezu alle Frauen in Fuehrungspositionen sind aufgrund ihrer Leistung im Management. Betrachtet man jedoch aktuell die Vorgehensweise der Headhunter, scheint sich dies zu aendern.
Der naechste Schritt ist dann die Einfuehrung einer Seniorenquote. Wollen wir wetten?
Dem vorstehenden Text nach, geht es doch um das „Krankfeiern“ oder irre ich mich?
Alle die sich nicht um Arbeitsplatzverlust oder finanzielle Einbußen sorgen müssen, können das „Blaumachen auf Krankenschein“ praktizieren, die entsprechenden Ärzte sind vorhanden.
Es sind nicht nur die Gewerkschaftsmitglieder und ihre Anführer, die Mut machen, es sich bei einer Auszeit gemütlich zu machen.
Die beim Staat residierenden, sind da noch viel einfallsreicher, wer da nicht alles unter „Burnout“ leidet, weil er beruflich verkehrt herum am falschen Arbeits… pardon, eine Fehlbesetzung einer Dienststelle darstellt.