Europäischer Gerichtshof etabliert Recht, sanktionslos ein Schwein zu sein

Ein Richter, lange als Haftrichter in Chemnitz tätig, war dort für seine besondere Art von Humor bekannt, trocken, fast britisch und in jedem Fall von einer Art, die Pfälzern gefällt. Eines seiner Bonmots, die in Erinnerung bleiben, lautet: Was ist schlimmer als ein Richter? Drei Richter. Was er wohl zu 13 (dreizehn!) Richtern zu sagen gehabt hätte, zu dreizehn Richtern, die die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes bevölkern, jenem politisch-juristischen Pendant zum Bundesverfassungsgerichts das, ähnlich dem Bundesverfassungsgericht regelmäßig von Horror verzerrte Gesichter in der Welt der gelernten Juristen hinterlässt (So wird unter Richtern erzählt, dass die Berufsrichter vom BGH mit den Laienrichtern vom Bundesverfassungsgericht nur den Ort teilen, an dem sie ansässig sind)?

ECJVor kurzem hat der Europäische Gerichtshof wieder zugeschlagen, mit einem Urteil, das unter der Überschrift “Recht auf Vergessen” gehandelt wird (tatsächlich handelt es sich um ein Recht darauf, vergessen zu werden, was an sich schon absurd ist). Ausgangspunkt ist eine Konstellation, die man nicht anders als seltsam finden kann, eine Konstellation, die Herrn Costeja González im Zentrum sieht. Costeja González war ärgerlich darüber, dass dann, wenn man nach ihm in Google sucht, irgendwo in den Ergebnissen ein Link auf die Tageszeitung La Vanguardia aufgetaucht ist, dem, sofern man ihn nachverfolgt, man entnehmen kann, dass Herr Costeja González am 19. Januar bzw. 9. März gezwungen war, einer Zwangsversteigerung seines Grunstücks zu zu sehen, die ihm Rahmen einer Pfändung vorgenommen wurde, die wiederum Forderungen der Sozialversicherung zum Gegenstand hatte (vermutlich hat Herr González Sozialabgaben für seine Arbeitnehmer nicht abgeführt). Weil Herr Costeja González der Ansicht war, diese alte Berichterstattung über ihn gehe heute niemanden mehr etwas an, hat er dafür gesorgt, dass seine Pfändung europaweit im Jahre 2014 bekannt wird und nicht nur europaweit Costeja González Berühmtheit dafür erlangt hat, dass er 1998 gepfändet wurde.

Als wäre diese Konstellation nicht schon seltsam genug, stänke in gewisser Hinsicht zum Himmel, fügt sie sich perfekt in einen vorhersehbaren Streit zwischen Europäischem Parlament auf der einen sowie Europäischer Kommission und Ministerrat auf der anderen Seite über die neue Datenschutzrichtlinie der EU. Und wie von Geisterhand bewegt, findet sich der Tenor des Urteils (und in Teilen der Wortlaut) der Richter vom Europäischen Gerichtshof als Änderung 23 Erwägung 53 des gerade vom Europäischen Parlament verabschiedeten Textes über die EU-Datenschutzreform. Es gibt eben Zufälle und Zufälle.

Doch es wird noch interessanter, wenn man das Urteil des Europäischen Gerichtshofes liest. Vor allem ab Randnummer 62 wird es interessant, geht es hier doch um die Frage, ob es einer Person möglich sein soll, wahre Informationen über sich aus den Suchergebnissen von Google entfernen zu lassen. Das ist eine spannende Frage, die die 13 Richter aus dem juristischen Pantheon Europas (oder vielleicht ist es mehr ein Panoptikum) natürlich nur aus der abstrakten Sichtweise, die ihnen ihre abgehobene Stellung verleiht, beurteilt haben. Im vermeintlichen Pantheon kümmert man sich nicht um alltäglichen Trivialitäten. Das Entgelt von mehreren 100.000 Euro jährlich erhalten die Richter ja nicht dafür, dass sie Urteile sprechen, denen man Konkretes entnehmen kann, sondern dafür, dass sie interpretationsfähige Vorlagen liefern, die man in alle möglichen Richtungen verbiegen kann, so wie es gerade opportun ist.

Entsprechend ist es wieder einmal an uns, die fehlende Konkretisierung durchzuführen, schon weil die kritischen Journalisten der deutschen Presselandschaft sich wieder in untertäniger Begeisterung ob des Orakelspruchs aus Luxembourg üben.

Fragen wir einmal darauf los:

1)dont forgetSoll Fritz B., der 1998 einen Raubüberfall begangen hat, ein Recht darauf haben, dass der Link auf einen entsprechende Bericht in einer Tageszeitung aus den Suchergebnissen von Google entfernt wird?

2) Soll Hedwig S., die sich über Jahre damit einen Namen gemacht hat, dass sie Prominenten nachstellt, das Recht haben, die Beseitigung der entsprechenden Links aus den Googlesuchergebnissen zu erwirken?

3) Soll Peter F. der mit Kokain angetoffen wurde, ein Recht darauf haben, von Google vergessen zu werden?

4) Sollen Karl-Theodor zu Guttenberg oder Annette Schavan Google dazu zwingen dürfen, alle Links darauf, dass sie ihren Doktortitel zurückgeben mussten, weil sie die Texte anderer als die eigenen ausgegeben haben, zu löschen?

5) Soll Katharina B., die beleidigende Emails an ScienceFiles Mitarbeiter verschickt, ein Recht darauf haben, dass die dunkle Seite ihres Charakters (sofern es eine helle gibt) vergessen wird?

Das sind konkrete Fragen, die die verbalen Spitzfindigkeiten, die Richter am Europäischen Gerichtshof als Urteile verkaufen, nur gestört hätten, die ihre abstrakten Urteile mit Fragen der Umsetzung inkubiert hätten, die der Reinheit der verkündeten Wahrheiten nur schädlich sein könnte. Entsprechend haben sich die Richter mit derart konkreten Fragen, gar nicht beschäftigt, entsprechend überlassen sie diese Art der Drecksarbeit, denen, die den Unsinn aus Luxembourg nun umzusetzen gezwungen sind. Es schreibt sich eben leichter, ohne Bezug zur Realität, dann fließen Sätze wie die folgenden nur so:

forget“Wird somit auf einen Antrag der betroffenen Person gemäß Art. 12 Buchst. b der Richtlinie 95/46 festgestellt, dass die Einbeziehung von Links zu von Dritten rechtmäßig veröffentlichten Internetseiten, die wahrheitsgemäße Informationen zu ihrer Person enthalten, in die Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. c bis e der Richtlinie vereinbar ist, weil sich herausstellt, dass die Informationen in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls den Zwecken der in Rede stehenden Verarbeitung durch den Suchmaschinenbetreiber nicht entsprechen, dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen, müssen die betreffenden Informationen und Links der Ergebnisliste gelöscht werden.” (Randnummer 94)

Das heißt im Klartext, dass die Richter der Ansicht sind, dass wahre Informationen über Personen, die über eine Googlesuche gefunden werden, unter bestimmten Umständen von Google zu löschen sind (also wenn sie z.B. auf die Beteiligung einer Person an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes hinweisen …). Mehr noch: Die Richter sind der Ansicht, dieses Recht bestehe selbst dann, wenn der entsprechenden Person “durch die Einbeziehung der betreffenden Information” kein Schaden entsteht (Randnummer 96). Daran schließt sich die Frage an: Wann sind die entsprechenden Links von Google aus dem Suchindex zu löschen?

Weiter mit Randnummer 98. Dort steht, dass die Informationen dann zu löschen sind, wenn “keine besonderen Gründe vorliegen, die ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit daran rechtfertigen”. Kurz: Die fünf Beispiel-Löschkandidaten von oben haben dann ein Recht auf Löschung, wenn kein öffentliches Interesse der Löschung entgegensteht.

Wann überwiegt das öffentliche Interesse?

Schweigen. Dazu findet sich im Urteil kein Passus. Europäische Richter beschmutzen sich nicht, mit derart konkreten Fragestellungen. Die Umsetzung dessen, was sie wie im Rausch verkünden, erwarten sie von anderen. Von Google im vorliegenden Fall und vom Zeitgeist, wie man anfügen kann, denn man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass die Löschanträge erfolgreich sein werden, die dem Zeitgeist entsprechen und entsprechend politisch korrekt sind. Fritz W. war Mitglied der NPD, wenn auch nur für drei Monate. Egal. Das öffentliche Interesse überwiegt sein Recht auf Löschung. Katharina B. beleidigt gerne aus der Anonymität privater Emails. Das muss gelöscht werden. Ausrutscher sind menschlich, und es sind ja auch nur Einblicke in den Charakter, die man über kurz oder lang am eigenen Leib nachvollziehen kann – warum vorab warnen? Ein kurzer Ausflug in die Pädophilie? Löschen. Ein Politiker, der in der Öffentlichkeit lügt? Löschen. Nacktbilder auf dem Bundestagscomputer? Löschen.

Aber was ist mit moralischen Streitfragen: Karl B, der einst Abtreibungen durchgeführt hat – löschen? Joschka F., der einst mit Steinen auf Polizisten geworden hat – löschen? Was ist mit dem Mitglied X der Antifa, das just den Stand der AfD demontiert hat, hinter dem Theodor W. stand, der als Personalchef bei Bayer über die Bewerbung von X entscheiden soll – den Bericht über die Beteiligung von X am Überfall löschen?

Wie gesagt, derat konkrete Fragen beantworten die Richter in ihrem europäischen Wolkenkuckucksheim nicht. Sie urteilen und werfen ihr Urteil der Meute vor die Nase. Und die Meute der Journalisten nummt das Urteil dankbar auf. Das Recht auf Vergessen geht durch die Medien, als neue Errungenschaft des Schutzes der Privatsphäre wird es verkauft. Das ist einfach, in einem öffentlichen Diskurs, in dem das Zerrbild der datensammelnden Unternehmensmonster die Runde macht, der Unternehmensmonster, die am liebsten die Privatsphäre auspähen würden, wenn man sie nur ließe. Gut, dass der Europäische Gerichtshof dem ein Ende gemacht hat, so wird gelobt. Doch: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat mit der Privatsphäre nur bedingt etwas zu tun. Es hat eher ein großes Reinewaschen zum Gegenstand, ist ein neuer Versuch, das Internet unter juristische Kontrolle zu stellen und als Informationsquelle unbrauchbar zu machen, Freiheit zu beschneiden und als Datenschutz zu verkaufen, ein Spiel, das nur zu einfach zu sein scheint.

Index on censorshipEs ist nicht verwunderlich, dass man in der der deutschen Presselandschaft kein kritisches Wort am Heil, das die 13 Richter verkündet haben, liest und hört. Verwunderlich ist dagegen, dass kritische Töne vom Index on Censorship zu vernehmen sind, Stimmen, die darauf hinweisen, dass das Urteil alles Potential beinhaltet, um als “mechanism for censorship and whitewashing of history” zu dienen, als Mittel, die öffentliche Meinung zu kontrollieren und kritische Stimmen zu unterdrücken.

Bei Index on Censorship ist man sich offensichtlich nicht schlüssig darüber, welche Funktion dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Zukunft zugewiesen wird. Wir dagegen sind uns darüber sicher, dass das Urteil dazu dienen wird, Kontrolle über das Internet auszuüben und dazu, eine politisch korrekte Internetwelt zu schaffen, in der das Recht, ein politisch korrektes Schwein zu sein, das der Europäische Gerichtshof gerade verkündet hat, keine Spuren der entsprechenden Schweine hinterlassen wird. Man könnte das Urteil auch als Bankrotterklärung einer Kultur im Niedergang bezeichnen, die vergessen hat, dass es so etwas wie Moral gibt (oder auch nur Anstand) und die der Ansicht ist, dass wahre Aussagen nicht anders zu bewerten sind als falsche Aussagen.

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