Öffentlich-rechtliche Vetternwirtschaft: Was vom Bildungsauftrag übrig bleibt

Für alle, die es noch nicht bemerkt haben, vergessen haben oder gar nicht wissen: Öffentlich-rechtliche Sender wie die ARD haben einen Bildungsauftrag. So steht es im Rundfunkstaatsvertrag und im dortigen §11:

rundfunkbeitrag(1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. […] Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen.

Was unter Bildung zu verstehen ist, ist in §2 des Staatsvertrags unter Begriffsbestimmung bestimmt:

“16. unter Bildung [ist] insbesondere Folgendes zu verstehen: Wissenschaft und Technik, Alltag und Ratgeber, Theologie und Ethik, Tiere und Natur, Gesellschaft, Kinder und Jugend, Erziehung, Geschichte und andere Länder,

Es ist erfreulich zu sehen, dass im Rundfunktstaatsvertrag Wissenschaft zu Bildung gezählt wird, und zwar gleichranging mit z.B.: “Ratgeber”, “Kinder”, “Erziehung” und “Theologie”. Diese Begriffsbestimmung ist programmatisch und vermittelt den Redakteuren bei öffentlich-rechtlichen Sendern offensichtlich den Eindruck, dass Wissenschaft auch nichts anderes ist als Geschichten vom lieben Gott, Gute-Nacht-Geschichten für Kinder und Erzählungen aus fremden Ländern.

Die Beliebigkeit dessen, was als Wissenschaft angesehen wird, zeigt sich besonders am Beispiel der Studien, über die an prominenter Stelle auf z.B. Tagesschau.de berichtet wird. Studien sind das ureigene Feld der Wissenschaft. Entsprechend würde man erwarten, dass Studien, über die an prominenter Stelle berichtet wird, wissenschaftliche Studien sind, Studien, die an Hochschulen erstellt wurden, Studien, in die die kontinuierliche Arbeit des Wissenschaftlers eingeflossen ist, der sich mit dem Thema befasst hat, Studien, die nicht nur über die Pressstellen der Universitäten, sondern über unzählige Plattformen publik gemacht werden, Studien, wie sich nicht zuletzt regelmäßig auf ScienceFiles besprochen werden.

Doch die Erwartung ist falsch.

TagesschauWir haben die 50 letzten Studien analysiert, über die auf Tagesschau.de unter “Nachrichten” berichtet wurde und dabei vor allem analysiert, wer für diese angeblichen Studien denn überhaupt verantwortlich ist. Das Ergebnis findet sich in der folgenden Tabelle. Es ist ein erschreckendes Ergebnis, das einerseits zeigt, was für eine Spezelswirtschaft in öffentlich-rechtlichen Sendern betrieben wird, andererseits, dass Berichte über Wissenschaft in Form wissenschaftlicher Forschung, wie sie von Wissenschaftlern betrieben wird, offensichtlich vom Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien nicht umfasst sind.

Verfasser Anzahl der Studien, über die berichtet wurde
Studien von Stiftungen
Bertelsmann-Stiftung 9
Studien von NGOs und sonstigen Interessenverbänden
Bündnis90/Die Grünen 1
Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) 1
Deutsche Gesellschaft für Ernährung 1
Deutscher Gewerkschaftsbund 2
Energy Watch Group 1
FIDAR (Initiative für mehr Frauen in Aufsichtsräten) 1
Hans-Böckler-Stiftung (Gewerkschaft) 1
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft 1
Technischer Überwachungsverein 1
Transparency International 1
Studien von öffentlichen Institutionen
Bundesregierung oder Bundesministerien 5
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1
Europäische Union 4
OECD 4
Unicef 1
Vereinte Nationen 1
Studien von öffentlichen An-Instituten
Bundesagentur für Arbeit/IAB 2
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 1
Deutsches Jugendinstitut, München 1
Hamburgisches WeltWirtschaftsinstitut (HWWI) 1
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen 2
Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) 1
Studien von privaten Unternehmen
IKEA 1
PriceWaterhouseCooper (Unternehmensberatung) 1
Roland Berger (Unternehmensberatung) 1
Studien von Wissenschaftlern
British Medical Journal 1
Hans Vorländer (Studie zur Pegida) 1
Oskar Niedermayer (Studie über Parteimitglieder) 1

Das Ergebnis der Auswertung ist eindeutig: Studien kommen an prominenter Stelle in der ARD fast ausschließlich in Form von lancierten Studien vor, d.h. von Studien, die mit festen Vorgaben und klarer politischer Absicht erstellt wurden.

Wäre es nicht für das British Medical Journal, das sich alljährlich zu Weihnachten einen Witz erlaubt, sowie Hans Vorländer und Oskar Niedermayer, Vertreter einer universitären Wissenschaft kämen in der Berichterstattung überhaupt nicht vor.

Mit anderen Worten, den Rezipienten der ARD wird der Eindruck vermittelt, Studien und wissenschaftliche Ergebnisse würden von Stiftungen, von Parteien, von Gewerkschaften, von Unternehmensberatern, Bundesministerien, Internationalen Organisationen und, nicht zu vergessen, von IKEA erstellt.

Und weil diese Studien, die mit klaren Vorgaben z.B. von der Antidiskrminierungsstelle in Auftrag gegeben oder durchgeführt werden (und wer würde erwarten, dass in einer Studie, die die Antidiskriminierungsstelle in Auftrag gibt bzw. durchführt, nicht gezeigt wird, wie weit verbreitet und furchtbar die Diskriminierung in Deutschland ist?) , den Rezipienten der ARD als wissenschaftliche Studien verkauft werden, ebenso wie die mehrfach pro Jahr vorgetragenen Lamento der OECD oder des DGB, deshalb muss man sich nicht wundern, dass in Deutschland ein seltsames und unvorteilhaftes Bild dessen verbreitet ist, was angeblich Wissenschaft ist.

hijackingDarüber hinaus zeigt die Auswertung, dass es in Deutschland wissenschafts-externen Institutionen gelungen ist, Wissenschaftlichkeit für sich zu beanspruchen, zu besetzen und für sich den Anspruch zu erheben und zumindest bei der Tagesschau auch durchzusetzen, sie hätten Wissenschaftliches zu verkünden.

Es ist daher kein Wunder, dass man aus öffentlich-rechtlichen Medien wie der ARD den Eindruck vermittelt bekommt, die Ergebnisse von Studien seien vom Auftraggeber abhängig, denn die Ergebnisse der Studien, die von der ARD berichtet werden, sind tatsächlich vom Wunsch des Auftraggeber abhängig. Man muss sich nicht darüber wundern, dass wegen der politischen Einfärbung der angeblichen wissenschatflichen Studienergebnisse Wissenschaft als beliebig und willkürlich und käuflich angesehen wird. Und noch weniger muss man sich darüber wundern, dass Studien, über die z.B. auf Tagesschau.de berichtet wird, keinerlei neue Ideen enthalten, sondern ausschließlich der Sicherung des Status-Quo gewidmet sind, eines Status-Quo, von dem  nicht zuletzt, die ganzen studienerstellenden oder beauftragenden Institutionen, die in der Tabelle verzeichnet sind, leben.

Um keine Irrtümer aufkommen zu lassen: Mit Wissenschaft haben diese Studien nichts zu tun. Sie sind Legitimationsstudien, die den Status-Quo und die mit ihm einhergehende Langeweile zementieren sollen. Entsprechend muss man folgern, dass bei öffentlich-rechtlichen Sendern wie der ARD der Bildungsauftrag weitgehend dazu missbraucht wird oder verkommen ist, den Rezipienten politisch vorteilhafte Magerkost als angeblich üppiges wissenschaftliches Mahl zu servieren.

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