Versteckt in einer Pressemeldung von Dieter Sarreither, dem neuen Präsidenten des Statistischen Bundesamts, findet sich eine Zahl, die besorgt machen muss. Doch dazu später, denn: Warum soll es unseren Lesern anders gehen als uns, wir mussten diese Zahl auch aus ihrem Versteck befreien, einem Versteck, das zudem durch eine Vielzahl von Zahlenunrat verschüttet war.
Die Pressekonferenz des neuen Präsidenten des Statistischen Bundesamts, sie trägt den Titel: “So mobil ist Deutschland“.
Und sie beginnt mit Autos und Fahrrädern, denn Mobilität, das sind Autos und Fahhräder. 77% der deutschen Haushalte haben ein Auto und 81% mindestens ein Fahrrad.
Das findet der Präsident “überraschend”, dass mehr Haushalte ein Fahrrad ihr Eigentum nennen als ein Auto. Warum? Weil das Auto mit Abstand das wichtigste Verkehrsmittel ist, wie er zuvor gezeigt hat, denn von 69,4 Milliarden Fahrten im Personenverkehr wurden 82% per Auto oder Kraftrad zurückgelegt und eben nicht mit dem Fahrrad. Das mag daran liegen, dass der Wocheneinkauf nicht auf den Gepäckträger des Fahrrads passt, sofern das Fahrrad, das Bike, überhaupt einen Gepäckträger hat. Und es soll immer noch so sein, dass die meisten Deutschen längere Strecken lieber mit dem Auto als dem Fahhrad zurücklegen, vor allem bei Regen.
Aber “die zunehmende Mobilität”, sie hat “ihren Preis”, wie der Präsident vermutlich mit in Falten gelegter Stirn weiter erzählt: 2,4 Millionen Verkehrsunfälle, 300.000 mit Personenschaden und 3.377 Verkehrstote in 2014 sind der Preis – Vielleicht sind sie auch das Ergebnis von Unachtsamkeit, in jedem Fall sind sie kein zunehmender Preis, wie der Präsident suggeriert, denn sein eigenes Haus schreibt:
WIESBADEN – Die Polizei registrierte im Jahr 2014 insgesamt 2,4 Millionen Verkehrsunfälle, 0,3 % weniger als 2013. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach endgültigen Ergebnissen mitteilt, ist diese Entwicklung auf den Rückgang von Unfällen mit ausschließlich Sachschaden um 0,9 % auf 2,1 Millionen zurückzuführen. Verkehrsunfälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden, nahmen dagegen um 3,9 % auf rund 302 400 zu. Dabei verloren 3 377 Menschen ihr Leben, 38 Personen oder 1,1 % mehr als im Vorjahr. Insgesamt lag die Zahl der Verkehrstoten aber immer noch auf dem zweitniedrigsten Stand seit 1950. Rund 389 500 Menschen wurden im Jahr 2014 auf Deutschlands Straßen verletzt, das waren 4,1 % mehr als 2013.”
Vermutlich hat man ihm die Ergebnisse seines eigenen Hauses vorenthalten und so ein Präsident, der muss halt ablesen, was man ihm aufgeschrieben hat:
2013 mussten rund 120 000 Autofahrer zeitweise ihren Führerschein abgeben, waren also eher nicht mobil.
Berufspendler fahren Auto, nicht Fahrrad, noch so etwas Verwunderliches, wo doch 81% der Haushalte ein Fahrrad haben…
Mehr als eine Million Menschen sind 2013 zwischen Bundesländern umgezogen.
140 300 Deutsche sind 2013 vornehmlich in die Schweiz, die USA, nach Österreich oder in das Vereinigte Königreich ausgewandert.
138 500 deutsche Studenten studieren nicht in Deutschland, sondern vornehmlich in Österreich, den Niederlanden oder der Schweiz.
In Mecklenburg-Vorpommern gab es 2014 überdurchschnittlich viele Übernachtungen. Ja – wirklich!
Jedes fünfte Paar mit Kindern konnte sich 2013 keinen Urlaub leisten. Skandal schon in der Überschrift. Dass sich 32% der Alleinlebenden im Jahr 2013 keinen Urlaub leisten konnten, ist angesichts dieses Skandals “Paare mit Kindern” Makulatur.
Und jetzt, da wir unsere Leser durch die 10 Seiten, die die Pressemeldung bis hierhin bereits hat, gequält haben, nun kommt das, was eigentlich interessant ist: Die Schließung der deutschen Gesellschaft.
“Mobilität ist also immer abhängig von der sozialen Situation”, weiß der Präsident, weil man es ihm ins Script geschrieben hat. Warum das so sein sollte, sagt er leider nicht. Aber offensichtlich denkt er, dass man sich Mobilität kaufen muss. Und kaufen kann man sich Mobilität nur, wenn man das Geld dazu hat, und das Geld dazu hat man nur, wenn man eine entsprechende “soziale Situation” hat.
Und jetzt, nach all der geographischen Mobilität, der Fahrt zur Arbeit, der Ausstattung mit Autos und Fahrrädern, der Anzahl der Verkehrstoten und der Auswanderer, nun holt der Präsident die Bildungsmobilität aus dem Hut. Warum auch nicht, schließlich ist “Mobilität … immer von der sozialen Situation abhängig”. Und so verwundert es ihn nicht, dass
“[i]m Jahre 2014 … rund 44% der Schüler … an Gymnasien Eltern mit einem akademischen Abschluss hatten”.
Denn: “Mobilität ist … immer abhängig von der sozialen Situation”, und den Besuch des Gymnasiums muss man sich halt leisten können, von der sozialen Situation aus betrachtet.
44% der Schüler an Gymnasien haben Eltern mit einem akademischen Abschluss: 8% der Deutschen haben einen akademischen Abschluss. Aus dem Pool der 8% akademisch gebildeten Deutschen kommen 44% der Gymnasiasten. Das ist eine Schließung, die Raymond Boudon als er vom Fahrstuhleffekt der Bildungsexpansion geschrieben hat, vermutlich nicht für möglich gehalten hätte, und Boudon hat vieles für möglich gehalten, z.B. dass sich durch Bildungsexpansion am Macht- und formalen Bildungsgefüge einer Gesellschaft kaum etwas ändert.
Die Zahl des Statistschen Bundesamts, die 44%, die so kunstvoll versteckt wurde, sie belegt eine Schließung der deutschen Gesellschaft, denn die höheren formalen Bildungstitel, die die deutsche Gesellschaft zu vergeben hat und die mehr denn je Vorraussetzung für Führungsposten in Unternehmen oder staatlichen Institutionen sind, sie werden zunehmend von einer Bildungsklasse unter sich verteilt.
44% der Gymnasiaten haben Eltern mit einem akademischen Abschluss.
Man muss kein Prophet sein, um eine neue Variante des Klassenkampfes vorherzusagen, dieses Mal zwischen der Klasse, deren Mitglieder formale Bildungstitel für sich monopolisieren wollen und der Klasser deren, die bereits in Grundschulen vom Zugang zu formal hoher Bildung ausgeschlossen werden – schon weil formale Bildung nichts mit Bildung und kaum etwas mit Intelligenz zu tun hat.
Da hilft es auch nicht, Zahlen wie die “44” zu verstecken.
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2014 war die zweitgeringste Zahl an Verkehrstoten.
Vergleichsjahr ist 2013 um die Steigerung zu berechnen und 2013 war das Jahr mit den wenigsten Verkehrstoten.
Alles seit 1950.
Verwirrung mit Zahlen…
Aber 1950 musste man sich viel mehr anstrengen um so eine Zahl zu erreichen. Da gab es noch nicht so viele Autos, allerdings viele Käfer ohne Abgaswerte.
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2014 war die zweitgeringste Zahl an Verkehrstoten.
Vergleichsjahr ist 2013 um die Steigerung zu berechnen und 2013 war das Jahr mit den wenigsten Verkehrstoten.
Alles seit 1950.
Verwirrung mit Zahlen…
Aber 1950 musste man sich viel mehr anstrengen um so eine Zahl zu erreichen. Da gab es noch nicht so viele Autos, allerdings viele Käfer ohne Abgaswerte.
Hier die Zahlen:
http://www.agenda21-treffpunkt.de/archiv/00/daten/kfz.htm
Aber das ist schon hart 700 000 vs heute ungefähr:
44.403.124 Zahl von hier: http://www.autokiste.de/psg/1502/11364.htm
Das ist wirklich extrem.