An der Uni Jena werden “Objektivitäten” bekämpft
“Look what I found!”, so der Anfang von ziemlich viel Hallo in der Redaktion, denn es ist uns ein Veranstaltungshinweis vom StuRa (wohl Studentenrat) der Uni Jena ins Postfach geweht:
“ Der Arbeitskreis Wissenschaftskritik & kritische Wissenschaft des StuRa der Uni Jena organisiert vom 03.-05.06.2016 eine studentische Tagung, um die Möglichkeiten kritischer Perspektiven in der Wissenschaft auszuloten.”
Kritische Wissenschaft und Kritik an der Praxis dessen, was Wissenschaft sein will, das ist unser Metier, und das nun auch schon seit etlichen Jahrzehnten. Ergo fühlen wir uns angesprochen.
Interesse ist geweckt, und was lesen wir weiter? Von einer „auf Leistung und Konkurrenz ausgerichteten Bologna-Universität“ lesen wir weiter. Welches Problem können Studenten vom StuRa wohl mit Leistung und Konkurrenz haben? Dass Studenten in die Lage versetzt werden, in einem bestimmten Fach etwas zu leisten, und zwar auf Grundlage ihrer Kenntnisse und ihres Wissens, das ist der Zweck einer Universität. Ginge es nicht um Leistung, man könnte die Universität schließen. Und Konkurrenz, nun, das ist ein Bestandteil der Conditio Humana: Wer Konkurrenz ablehnt, der hat wenig Menschliches vorzuweisen.
Was also stört die StuRas (klingt wie Stuka, die akademisierte Variante von Stuka, quasi ein intellektueller Stuka) daran, dass an Universitäten Leistung und Konkurrenz gefördert werden? Es stört sie, wie weiteres Lesen ergibt:
“die naturalisierenden, androzentristischen, eurozentristischen, verdinglichenden und affirmativen Tendenzen“ der herrschenden wissenschaftlichen Diskurse.
Bei so viel Kauderwelsch in Form von Adjektiven ist es immer sinnvoll, die Lateinizismen ins Deutsche zu übersetzen. Was die StuRas stört ist demnach die Verankerung von Diskursen in Behauptungen über deren Entsprechung mit der Realität (naturalisierend), der empirische Mann, der das Zentrum dieser Diskurse bildet (androzentristisch), der empirische Mann der in Europa wohnt, der das Zentrum dieser Diskurse bildet (eurozentristisch), der empirische Mann, der in Europa wohnt und verdinglicht wird und das Zentrum dieser Diskurse bildet, und die Zustimmung dazu, dass der empirische Mann, der in Europa wohnt, und verdinglicht wird, das Zentrum dieser Diskurse bildet (affirmativ).
Das also ist der Kern dessen, was die StuRas unter Wissenschaftskritik und kritischer Wissenschaft verstehen.
Uns scheint, die StuRas verstehen weder, was unter Wissenschaftskritik noch was unter kritischer Wissenschaft zu verstehen ist. Wissenschaftskritik hat nichts mit eingebildeten Entitäten wie dem hegemonialen weißen Mann, der den wissenschaftlichen Diskurs beherrscht, der auf Europa begrenzt, zu tun (dass die StuRas keine chinesischen oder arabischen Fachartikel lesen können, ist ihr Problem. Es hält sie kein weißer Mann davon ab, Chinesisch oder Arabisch zu lernen). Wissenschaftskritik hat etwas damit zu tun, dass ideologische Behauptungen, wie die, dass der hegemoniale weiße Mann den wissenschaftlichen Diskurs beherrscht und auf Europa begrenzen will, es an Universitäten schaffen konnten, wo Universitäten doch der Ort sein sollen, an dem Erkenntnis gewonnen und als Wissen gesammelt wird.
Erkenntnis wiederum liegt dann vor, wenn Aussagen über die Wirklichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Wenn diese Aussagen in so allgemeiner Form vorliegen, dass daraus Vorhersagen über die Wirklichkeit gemacht werden können, die wiederum an dieser Wirklichkeit scheitern oder sich bewähren können, dann liegt Wissen, und zwar in Form einer Theorie vor. Das alles hat weder etwas mit dem Objekt von Wissenschaft, noch etwas mit dem, der Wissenschaft betreibt und schon gar nicht hat es etwas mit dem Ort, an dem Wissenschaft betrieben wird, zu tun.
Entsprechend hat das, was von den StuRas als Wissenschaftskritik oder gar als kritische Wissenschaft verkauft werden soll, absolut nichts mit dem einen oder dem anderen zu tun. Vielmehr sitzen die StuRas dem alten Missverständnis auf, die Kritische Schule aus Frankfurt, die Linke, weil sie in der Regel nicht wissen, was geschrieben wurde, bevor Habermas die Unverständlichkeit als Kriterium eingeführt hat, für sich in Anspruch nehmen, sei links und habe etwas mit Kritik zu tun. Hat sie nicht und ist sie nicht. Was kritische Wissenschaft ist, damit haben wir uns ausführlich in unserem Grundsatzprogramm auseinandergesetzt. Es sei den StuRas in der Hoffnung, dass man noch die ein oder andere graue Zelle erreichen kann, zur Lektüre empfohlen.
Triggerwarnung: Kritische Wissenschaft hat nichts mit hegemonialen, weißen Männern zu tun. Dafür viel mit einer Methode, und zwar der Methode, die Wissenschaft von Glauben und Mystik oder Metaphysik, wie Karl Raimund Popper gesagt hat, trennt. Insofern müssen wir noch eine Warnung nachschicken: Das Lesen unseres Grundsatzprogramms kann bei eingefleischten Ideologen zu Verärgerung und Verstörung führen und bei Personen, die nicht fest in ihrer Ideologie verankert sind, zu Zweifel. Gegen Zweifel, so weiß jeder Ideologe, ist kein Kraut gewachsen, weshalb wir jedem, der Ideologe bleiben will, von der Lektüre unseres Grundsatzprogramms abraten. In keinem Fall tragen wir die Folgen eines nachfolgenden Abfalls vom Glauben.
Übrigens sind „Student*innen aller Fachrichtungen (auch Naturwissenschaften)“ aufgerufen, an der studentischen Tagung teilzunehmen. Vor allem das „auch“ in der Klammer sagt eigentlich alles. Und schließlich ist die Tagung mit „Umkämpfte Objektivitäten“ überschrieben und das ist nun wirklich die größte Unsinn, denn Objektivitäten heißen deshalb Objektivitäten, weil sie objektiv gegeben sind (sonst sind es keine Objektivitäten). Entsprechend kann sie nur bekämpfen, wer nicht ganz dicht oder in der Wahrnehmung gestört ist.
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Gut das diese Idiotien im naturwissenschaftlichen Bereich konsequent ignoriert werden (ich hoffe immer noch?). Die blamieren uns sonst noch vor den Indern und Chinesen.
Ist es nur Zufall, daß auch die FSU Jena nicht in der weiter unten im Blog (Beitrag “Fast deutschlandlos: Top-10 der Europäischen Universitätenverlinkten”) Liste der “Best universities in Europe 2016: top 200” auftaucht? 🙂
Eines hatte ich noch vergessen:
Die Universität Jena trägt den Namen “Friedrich Schiller”.
Man weiß nicht, ob man sich darüber freuen soll, daß die heutigen StuRa-Aktivisten so hornblöd hinsichtlich ihrer humanistischen Bildung sind.
Immerhin ist diese Dummheit hilfreich, denn dadurch behält die Universität den Namen des großen Dichters.
Wenn der StuRa dahinterkommt, welche Sicht Schiller auf die Familie in seinem Gedicht “Lied von der Glocke” wirft und wie er diese “Geschlechterrollen” formvollendet preist, könnte es eng für den Namenspatron werden.
Wilde Vermutung meinerseits. Ich glaube die StuRas haben mit “Objektivitäten” eine Übersetzung des englischen Wortes “Objection” gemeint.
Was natürlich falsch ist. Aber immerhin würde dann der Titel wieder Sinn machen.
Echt wilde Vermutung. Ich denke, Sie liegen daneben, denn Begriffe, wie Materialitäten oder Objektivitäten sind in bestimmten Kreisen in, ohne dass man wüsste, was sie bedeuten.
Fremdschämen für meine frühere Wirkungsstätte. “Umkämpfte Objektivität” erinnert mich ein bisschen an das absolute Recht Lorettas, Babys zu bekommen. Es lebe die Volksfront Palästinas.
War das nicht die judaeische Volksfront?
Spalter! 😉
Ich bin kein Wissenschaftler, nicht einmal eine Studierte, doch kann ich wieder
einmal feststellen, daß Gottes Tiergarten groß ist. Unendlich groß. Mit dem Spruch will ich
die Tiere nicht beleidigen, so etwas fiele mir nie ein. Haben sie doch oft mehr Verstand als
ihr Tierkollege namens homo sapiens. Wenn ich so etwas lese, denke ich, was fu:r
eine Anmaßung sich diesen Namen zu geben. Noch dazu homo sapiens sapiens. Was
soll man da sagen?
lg
caruso
Schon der Plural “Objektivitäten” erzeugt bei mir spontanen Brechreiz.
Objektivität ist die Eigenschaft, etwas realitätsgetreu darzustellen oder zu behandeln. Es gibt aber nur eine Realität, die man objektiv abbilden kann, also kann es keine zwei verschiedene “Objektivitäten” geben, denn pro Objektivität bräuchte man eine andere Realität. Wenn es aber mehrere Realitäten gibt, macht der Begriff objektiv keinen Sinn mehr, weil alles als objektiv deklariert werden kann.
Das Englische macht es klarer: objectivity ist uncountable, hat also keinen Plural, s.
http://www.macmillandictionary.com/dictionary/british/objectivity
Das ganze ist ein verkappter Versuch, den (Wahrheits-)Relativismus unter die Leute zu bringen.
Dem kann ich nur zustimmen. Man kann aber Objektivität nicht nur als eine “Eigenschaft”, also ontologisch, sondern auch als einen Anspruch verstehen, den Anspruch, die Realität wahrheitsgetreu, d. h. in Übereinstimmung von Aussage und Wirklichkeit, darzustellen. Versteht man Objektivität als den oben beschriebenen Anspruch, so macht es ebenfalls keinen Sinn, von “Objektivitäten” im Plural zu sprechen. Siehe auch meinen Artikel “Die Angst vor der Objektivität”:
http://alexander-ulfig.de/2016/03/14/die-angst-vor-der-objektivitaet/
Meiner Erfahrung nach gründet sich diese Denke maßgeblich auf Basis zweier, mehr oder weniger bewusster, ideologischer Dogmen:
1. Alles ist sozial konstruiert.
2. Alle Menschen sind gleich.
Dementsprechend irritiert diese Denke Logik, aus Beschränktheit folgende Konvention und dass nicht alle beliebigen Kategorien, in welche man Menschen einteilen kann, dieselben Ergebnisse erreichen.
Daraus resultiert die Vorstellung, dass der böse, weiße, europäische Mann Wissenschaft so konstruiert hat, dass sie diskrimnierend gegenüber guten, nicht-weißen, nicht-europäischen Frauen wirkt. Damit wird dann erklärt warum grob geschätzt 90% des wissenschaftlichen Fortschritts der vergangenen 500 Jahre vom bösen, weißen, europäischen Mann ausgeht.
Oder anders formuliert, erklärt sich diese Denke beständig ihr eigenes Dogma, dass alle Menschen gleich sind.