Neue gesellschaftliche Konfliktlinie: Mehrwertschaffende versus Kostgänger des Staates

Die meisten haben sich so sehr an Parteien gewöhnt, dass sie gar nicht mehr fragen, wo Parteien eigentlich herkommen, und warum es sie gibt. Nicht einmal Politikwissenschaftler tun dies, obwohl sie es eigentlich sollten. Denn: Derzeit vollzieht sich in westlichen Gesellschaften ein Umbruch, eine Veränderung der Gesellschaft, der eine Veränderung im Parteiensystem folgt.

Dazu müssen wir etwas ausholen.

Lipset rokkanSeymour Martin Lipset und Stein Rokkan haben 1967 ein Buch mit dem Titel „Party Systems and Voter Alignments“ veröffentlicht. Frei übersetzt: Parteiensysteme und Wählerbindung. In diesem Buch entwickeln sie eine Theorie darüber, auf welcher Basis sich Parteien gründen und wie sie sich etablieren können. Die Theorie ist im englischen Sprachraum als Cleavage-Theory und im deutschen Sprachraum als Theorie der gesellschaftlichen Konfliktlinien bekannt.

Konfliktlinien zwischen Kirche und Staat, also Konflikte darüber, wie weit der Einfluß der Kirche reichen darf, begründen religiöse Parteien. Das katholische Zentrum in der Weimarer Republik ist der bekannteste Vertreter einer auf religiösen Motiven basierenden Partei. Liberale Parteien, die Staaten als rationale Gebilde sehen und alle ideologischen und religiösen Einflüsse aus der Regierung fernhalten wollen, sind das Gegenstück zu religiösen Parteien. Die Konfliktlinie zwischen Arbeitern und Unternehmern, zwischen Produktivkräften und den Besitzern von Produktionsmitteln, sie ist die Grundlage, auf der sich linke Parteien, von SPD bis KPD gegründet haben. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen, denn bei der SPD, die zur Mama- und Frauenförderpartei geworden ist, hat man es vergessen. Schließlich gab es einen Konflikt zwischen Stadt und Land, zwischen bäuerlichen und städtischen Strukturen, ein Konflikt der eine moralische Komponente hat und zwischen rechtskonservativen Parteien wie der DNVP (Deutschnationale Volkspartei der Weimarer Republik) und den liberalen Parteien schwelt.

Kurz: gesellschaftliche Konflikte sind die Grundlage, auf der sich Parteien bilden und sie sind die Grundlage für kontinuierliches Wahlverhalten – auch ein Problem der SPD, denn: So, wie man vergessen hat, dass die SPD ursprünglich als Arbeiterpartei angetreten ist (zumindest in der Rhetorik) so hat man auch vergessen, dass man Arbeitern einen Grund geben muss, SPD zu wählen (Die CDU vergisst dies übrigens derzeit mit Blick auf wertkonservative Wähler, die vermutlich eher irritiert auf Staatsfeminismus und Schwulen-/Lesbenförderung reagieren).

Westliche Gesellschaften erleben derzeit, wie eine neue Konfliktlinie in das Parteiensystem übersetzt wird, eine Konfliktlinie, die

  • diejenigen, die mit ihrer Arbeitskraft einen Mehrwert erwirtschaften, denen gegenübersieht, die Mehrwert verbrauchen, entweder durch Arbeit in Organisationen, die Papier produzieren, oder durch direkte Transferzahlung,
  • diejenigen, die in der freien Wirtschaft arbeiten gegenüber denjenigen, die vom Staat ausgehalten werden,
  • diejenigen, die zum Gegenstand staatlich finanzierter Belehrung gemacht werden gegenüber denjenigen, die für die entsprechende Belehrung vom Staat bezahlt werden,
  • diejenigen, die den Mehrwert erwirtschaften, gegenüber denjenigen, die sie im Auftrag des Staates kontrollieren,

sieht. Es handelt sich dabei also um eine neue Form des Klassenkampfes.

Die Kategorien dieser neuen Konfliktlinie sind nicht trennschaft, aber jede davon behandelt einen eigenen Aspekt. Die Wirkung dieser Konfliktlinie lässt sich in Deutschland am Beispiel der AfD demonstrieren, sie lässt sich ebenso an der Präsidentschaftswahl in Österreich darstellen. Norbert Hofer, Kandidat der FPÖ und Alexander van der Bellen, Kandidat aller anderen Parteien, die im Nationalrat vertreten sind, wurden von verschiedenen Wählerschichten gewählt, die man einander wie folgt gegenüberstellen kann:

Wähler von Hofer vornehmlich: Wähler von van der Bellen vornehmlich:
Männer Frauen
mittelalte Männer junge Frauen
unteres bis mittleres formales Bildungsnieveau Matura und Universität
Arbeiter Angestellte und öffentliche Bedienstete
Landbewohner Stadtbewohner

Die Verteilung beschreibt einen Konflikt zwischen den Kostgängern des Systems und denen, die das Kostgehen anderer durch ihre Arbeit und die einbehaltenen Steuern ermöglichen. Es ist ein Konflikt zwischen den Wählern von van der Bellen, zwischen jungen Frauen, die zur vollgeförderten Generation gehören, den Angestellten des Staates, denen, die sich über Matura und akademischen Abschluss zu einem white collar job qualifizieren wollen, der Teilzeitarbeit zugänglich ist, bei dem man sich nicht die Finger schmutzig machen muss und vornehmlich damit beschäftigt ist, Papier zu produzieren, bzw. diejenigen zu verwalten, zu kontrollieren oder zu belehren, von deren Steuergeldern man lebt.

Letztere, die Kontrollierten und Verwalteten, sie haben Hofer gewählt und zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen handwerklichen Beruf oder eine andere Tätigkeit, die die Transformation von Objekten zum Gegenstand hat, erlernt haben, früh in ihrem Leben damit begonnen haben, zu arbeiten, dies in abhängiger Beschäftigung in der freien Wirtschaft tun und als mittelalte Männer dabei zusehen müssen, wie ihnen große Teile ihres Lohnes als Steuern einbehalten und in Frauenförderprojekte oder sonstige ideologische Fässer ohne Boden investiert werden. Es sind die Mittelalten, die die Last der Produktivität der Wirtschaft tragen und zum Gegenstand von Belehrungen über das richtige Leben, die richtige ideologische Einstellung, die richtige Form der Äußerung, das richtige Altern, den richtigen Altruismus und die richtige Staatsdienlichkeit gemacht werden, und zwar von denen, die daran verdienen und ihrerseits einen Teil des Mehrwerts aufbrauchen, den die mittelalten, vornehmlich die mittelalten Männer geschaffen haben.

Die neue Konfliktlinie lässt sich somit am besten als Konfliktlinie zwischen Mehrwertschaffenden und Kostgängern des Staats bzw. Mehrwertverbrauchenden darstellen, und sie hat es in sich, denn letztlich geht es dabei um Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen, wobei die mittelalten vornehmlich Männer alle Trümpfe auf ihrer Seite haben: Sie schaffen den Mehrwert, der notwendig ist, um die Staatsbediensteten zu finanzieren. Es ist also an ihnen, über die Höhe der Steuern, die sie zu zahlen bereit sind, die ´Menge der staatlichen Günstlinge und sonstigen Transferempfänger zu bestimmen.


 

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