Wurzeln politischer Gewalt: Selbstmordattentate und ihre Rechtfertigung

Für Vertreter eines Rational-Choice-Ansatzes ist politische Gewalt nichts anderes als ein Mittel zum Zweck. Wer politische Gewalt ausübt, der versucht sich einen Vorteil im politischen Kampf zu verschaffen. Das Ziel von politischer Gewalt besteht offensichtlich darin, den politischen Gegner einzuschüchtern und dadurch die Vorherschaft auf dem politischen Markt zu erringen.

Political Violence in Twentieth-Century EuropeDabei sind die Grenzen fließend: Wer will entscheiden, wann aus politischer Gewalt Terrorismus wird. Stalin hat seine Säuberungen sporadisch begonnen, sie nach und nach ausgeweitet. Das Ergebnis waren Staatsterrorismus und Millionen Opfer. Selbst im Dritten Reich wurde die Gewalt nicht über Nacht endemisch. Hitler hat nach und nach seine politischen Gegner beseitigt, Röhm, Strasser und nach und nach das Gestapo-Terrorregime so etabliert, wie Stalin es mit dem Terrorregime des NKWD getan hat.

Beide, weder Stalin noch Hitler hätten den Übergang von politischer Gewalt zu (Staats-)Terrorismus nicht schaffen können, wenn sie nicht über die dazu notwendige Unterstützung in der Bevölkerung verfügt hätten. Diese Unterstützung beginnt bei der Akzeptanz von politischer Gewalt oder Gewalt überhaupt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen, sie führt über die direkte Unterstützung von Gewaltakten bis zur direkten Ausübung von Gewalt. Ohne die vielen Mitläufer und Helfer, die sich von ihrem Zutun einen Vorteil versprochen haben, wären weder Hitlers noch Stalins Terrorregime möglich gewesen.

Also stellt sich die Frage, wie akzeptiert politische Gewalt in einer Gesellschaft ist. Wir haben uns auf die Suche nach aktuellen Antworten auf diese sehr unpopuläre Frage gemacht und sind beim World Value Survey fündig geworden. Gefragt, ob Gewalt gegen andere Menschen gerechtfertigt werden kann, haben 69,2% der 1.829 befragten Deutschen angegeben, dass Gewalt gegen andere nie zu rechtfertigen sei.

Zugegeben, die Frage ist nicht sonderlich gelungen, denn fast jeder kann sich Situationen vorstellen, die man gemeinhin als „Notwehr“ werten wird, in denen er breit wäre, Gewalt gegen andere anzuwenden. Dies gesagt, gibt die Frage dennoch einen Eindruck davon, wie akzeptiert Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten in einer Gesellschaft ist. In Deutschland sind 30,8% der Befragten bereit, Gewalt unter Umständen als Mittel zur Lösung von Konflikten in Betracht zu ziehen.

Unterscheidet man die Befragten nach politischer Orientierung, dann ergibt sich zunächst einmal das Sozialforschern für Deutschland vertraute Bild: Mehr Deutsche sind bereit, sich dem politisch linken Spektrum zuzuordnen als dem politisch rechten Spektrum. Die Mengenverhältnisse sind ca. 1:2, auf jeden, der sich dem politisch rechten Lager zuordnet kommen zwei, die sich dem politisch linken Lager zuordnen. Die folgende Abbildung gibt das Ausmaß der Ablehnung von Gewalt gegen andere für die gesamte Breite der Skala der Links-Rechts-Selbsteinschätzung wieder. Sie zeigt zudem, dass dann, wenn es um die Legimitation von Gewalt gegen andere geht, zwischen Linken und Rechten kein Unterschied vorhanden ist.

Die Tatsache, dass sich Befragte vorstellen können, Gewalt zu legitimieren, heißt natürlich nicht, dass sie auch Gewalt als Handlungsmittel einsetzen. Zwischen entsprechenden Einstellungen, die in Umfragen gemessen werden und den Handlungen derer, die sie ausdrücken, bestehen in der Regel mehr oder weniger dramatische Unterschiede. Deshalb haben sich Forscher etwas einfallen lassen, um die Frage zu untersuchen, wann die entsprechenden Einstellungen auch zu potentiellen, also immer noch keinen tatsächlichen Handlungen werden.

Einer der Versuche, das Potential für tatsächliche Handlungen auf der Grundlage von Einstellungen zu messen, besteht darin, Gewalt zu konkretisieren und die Einstellung von Befragten zu mehr oder weniger konkreten Beispielen von Gewalt zu messen. Auf dieser Grundlage kann man z.B. das Gewaltpotential, das in bestimmten Bevölkerungsgruppen vorhanden ist, messen. PEW hat eine derartige Analyse durchgeführt, um das Gewaltpotential in der Gruppe der Muslime zu bestimmen.

“Some people think that suicide bombing and other forms of violence against civilian targets are justified in order to defend Islam from its enemies. Other people believe that, no matter what the reason, this kind of violence is never justified. Do you personally feel that this kind of violence is often justified to defend Islam, sometimes justified, rarely justified, or never justified?”

Gefragt wurden ausschließlich Muslime in unterschiedlichen Ländern. Im Ergebnis zeigt sich für Deutschland, wie man das erwarten würde, ein deutlich geringerer Anteil von Muslimen, die Selbstmordattentate befürworten als dies für die Frage nach der Gewalt gegen andere für deutsche Befragte der Fall war. 89% der in Deutschland befragten Muslime sind der Ansicht, dass Selbstmordattentate selten oder gar nicht zu rechtfertigen sind. Wie sich zeigt, ist die Ablehnung von Gewalt ein universelles Phänomen, das nicht auf westliche oder nicht-muslimische Befragte beschränkt ist, wenngleich sich ebenfalls erhebliche Unterschiede in der Ablehnung von Selbstmordattentaten als Mittel politischer Gewalt zwischen Ländern ergeben:

In jedem Fall zeigt sich, dass sich im Hinblick auf die Ablehnung von Gewalt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen kein Unterschied besteht, was nicht weiter verwunderlich ist, da der öffentliche Ausdruck von (politischer) Gewalt in allen Gesellschaften durch Extremisten erfolgt. Extremisten gibt es unter Muslimen, wie es sie unter der nicht-muslimischen deutschen Bevölkerung gibt.

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