Wider den Missbrauch der empirischen Sozialforschung

Die empirische Sozialforschung in ihrer quantitativen Variante ist ein relativ junges Feld, das im Wesentlichen nach dem Zweiten Weltkrieg aus den USA nach Deutschland übergesiedelt wurde, um es hier nutzenbringend einzusetzen. Erste Versuche der Nazis, Demoskopie zu nutzen, wurden dem Vergessen überantwortet und nur manche, die sich intensiv damit beschäftigen, wie der US-Historiker Peter Gay, der als deutscher Jude mit dem Namen Peter Fröhlich 1923 in Berlin geboren wurde, erinnern sich noch daran:

„Today, as I write these words, is August 27, 1997. In this morning’s New York Times there is an article about a highly regarded and most influential German pollster, Elisabeth Noelle-Neumann. Her association with Goebbel’s propaganda ministry between 1940 and 1942 has been known for several years, but now, an American academic, Christopher Simpson, has charged that she not only played ball with the regime but shaded her researches and falsified her results to serve the Third Reich. Dr. Noelle-Neumann has vehemently denied this allegation and suggested that in fact she had worked for the government because she ‘opposed the Nazis by working from within.’ Her insulting remarks about Jews dating from the war years – according to her, Jews totally controlled and destroyed the reliability of the American press – had been written, she now claims, ‘under orders’.” (Gay 1998: 205)

 

Wie auch immer, der Aufbau der quantitativen Sozialforschung in Deutschland war ein mühsames Unterfangen, an dem sich viele Wissenschaftler beteiligt haben. Die Grundlagen empirischer Sozialforschung wurden in den 1960er Jahren nicht zuletzt im Rahmen des Positivismusstreits gelegt, in dessen Verlauf Karl Raimund Popper den Wert empirischer Grundlegung der Wissenschaft, die nach der Erklärung sozialer Sachverhalte strebt, gegenüber dem Mystizismus intuitiver Erkenntnis und tiefem Verstehen wie es im Rahmen der Frankfurter Schule zuerst von Adorno und dann von Habermas gepredigt wurde, nicht nur verteidigt, sondern erfolgreich demonstriert hat.

Wer die 1970er oder 1980er Jahre als Student oder Wissenschaftler erlebt hat, der wird sich an die Aufbruchsstimmung, die sich mit den neuen Möglichkeiten empirischer Sozialforschung verbunden hat, erinnern. Die vielen guten, empirischen Arbeiten, die in dieser Zeit in Soziologie, Politikwissenschaft, Sozialpsychologie und Psychologie erstellt wurden, sind ein eindrucksvolles Zeugnis davon.

Aus dieser Zeit stammt ein Korpus, in dem die Methoden der quantitativen Sozialforschung zusammengefasst sind. Die Methode, Hypothesen aus einer Theorie abzuleiten. Die Methode, sie zu operationalisieren. Die Methode, sie in empirischen Befragungen, Experimenten oder per Beobachtung zu prüfen uvm.

Die Methoden der quantitativen Befragung sind nicht nur zu einem wirkungsvollen Instrument der empirischen Sozialforschung entwickelt worden, sie sind auch so verfeinert worden, dass ausgeschlossen werden kann, suggestiv zu fragen, Unsinn zu fragen, Fragen zu stellen, die missverständlich sind, Fragen zu stellen, die unverständlich sind, Fragen zu stellen, die der Manipulation dienen, Fragen zu stellen, die die Würde von Befragten verletzten.

Dies alles ist nach unserer Beobachtung seit ungefähr 2000 vergessen. Seither häufen sich die Auftragsarbeiten: Ministerien bestellen Forschung und formulieren Wünsche nicht nur dazu, was geforscht werden soll, sondern auch dazu, was dabei herauskommen soll. Im Zuge des Missbrauchs der empirischen Sozialforschung wurde die Meinungsforschung von Parteien und Ideologen aller Art entdeckt. Sie missbrauchen sie, um ihre ideologische Nachricht zu transportieren, um sie durch manipulative und suggestive Fragestellungen, Befragten in den Mund zu legen.

Die Beispiele, die wir für den manipulativen Gebrauch von Sozialforschung auf ScienceFiles gesammelt haben, sind mittlerweile Legion. Leider haben wir nicht die finanziellen Mittel, sie in einer Datenbank zu sammeln, hätten wir sie, die Welt der empirischen Sozialforschung wäre über Nacht eine andere, würde doch sehr deutlich, dass empirische Sozialforschung überwiegend entweder dazu dient, die Öffentlichkeit zu manipulieren bzw. zu täuschen oder dazu missbraucht wird, beabsichtigte Entscheidungen und Maßnahmen zu legitimieren.

Der Missbrauch der empirischen Sozialforschung geht mit dem Glauben einher, ein jeder könne sich der vorhandenen Instrumente bedienen und damit gewünschte Ergebnisse produzieren. Ob dieser Glauben abgrundtiefer Dummheit oder Bösartigkeit, der Lust zu täuschen und zu betrügen, entspringt, ist eine offene Frage. Fakt ist, dass empirische Sozialforschung von immer mehr, die bestenfalls den Begriff „empirische Sozialforschung“ korrekt schreiben können, aber keine Ahnung haben, was er bezeichnet, missbraucht wird.

Wir werden in einem weiteren Post den vielen Beispielen für diesen Missbrauch noch ein weiteres Beispiel hinzufügen.

Damit empirische Sozialforschung in der Weise missbraucht werden kann, wie sie es wird, ist das Narrativ der Repräsentativität von zentraler Wichtigkeit. Wen interessiert, was tausend Befragte in einer Befragung gesagt haben, wenn die Ergebnisse nicht mit dem Zusatz berichtet werden, dass die Ergebnisse für die deutsche Wahlbevölkerung oder die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren oder die hessische Wahlbevölkerung repräsentativ sind?

Wir haben in vielen Posts dargelegt, warum Repräsentativität ein Mythos ist und sein muss und gezeigt, wie mathematische Prozeduren, die als Formel beeindruckend aussehen und sich in der Umsetzung stets zu Trivialitäten wie einfacher Multiplikation reduzieren, benutzt werden, um Menschen ein X für ein U vorzumachen, sie zu manipulieren und in den Glauben zu wiegen, dass man mit einer Stichprobe, in der sich 0,0015% der deutschen Wahlbevölkerung befinden, Aussagen über die gesamte Wahlbevölkerung machen könne.

Man kann es nicht.

Sowenig wie man wissenschaftliche Methoden korrekt anwenden kann, ohne sie zu verstehen oder Erfahrungen mit ihnen gesammelt zu haben.

Empirische Sozialforschung hatte von jeher den Zweck, Erklärungen zu prüfen, der Zweck, Einstellungen zu diesem und jenem zu erheben und als die Einstellung der Bevölkerung auszugeben, ist erst später hinzuerfunden worden.

Warum?

Weil die Möglichkeiten der Manipulation, wie sie damit verbunden sind, dass man wenige fragt, und vielen vorgibt, was die Mehrheit angeblich denkt, einfach zu verlockend waren, als dass sie die Parteistrategen und all diejenigen, deren gesellschaftlicher Beitrag aus Propaganda, Betrug und Täuschung besteht, hätten an sich vorbeiziehen lassen können.

Der Irrsinn, der dabei herauskommt und der weitgehend unwidersprochen in die Welt posaunt werden kann, findet zum Beispiel darin seinen Niederschlag, dass der Hass plötzlich vom Himmel fällt, wie wir im nächsten Post zeigen werden.

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