Zwischen Scylla und Charybdis: Das Chaos, das private Seenotretter angerichtet haben

Seit Jahren setzen private Seenotretter im Mittelmeer Anreize für Migranten, sich von Libyen aus auf den Weg zu machen. Nun hat Italien die Küstenwache von Libyen mit Booten ausgestattet. Ergebnis: Die Küstenwache bringt immer mehr Migrantenboote auf und Migranten nach Libyen zurück.

Dort erwartet sie das Grauen, wie Daniel Hechler bei der Tagesschau schreibt:

„An Land erwartete sie das Grauen. 35.000 Menschen sollen in Flüchtlingslagern ausharren. Folter, Misshandlungen, Vergewaltigungen seien an der Tagesordnung, berichten Menschenrechtsorganisationen. Die Hygiene sei katastrophal, Krankheiten grassierten. Viele seien ausgehungert. Die Insassen müssten gar Toilettenwasser trinken.”

Die Geschichte mit dem Toilettenwasser hat Hechler vermutlich beim Guardian gelesen. Geschrieben hat sie Thomas Issak, der im Guardian als Flüchtling aus Eritrea vorgestellt wird, der in einem Libyschen „Detention Center“, ein Begriff, für den es keine wirkliche Entsprechung im Deutschen gibt, denn Auffanglager ist zu harmlos, Konzentrationslager zu belastet und Gefangenenlager nicht ganz zutreffend, denn “Detention Center” ist irgendwo dazwischen, festgehalten wird. Issak berichtet, davon, dass viele Insassen seines Lagers mit Tuberkulose infiziert seien, davon, dass es den Wächtern nur darum gehe, Geld von der UNHCR zu erhalten, dass man bei der UNHCR gute Miene zum bösen Spiel mache und dass die Situation im Lager sehr schlimm sei: „Our conditions just get worse and worse. There’s not enough food, and people drink toilet water.”

Das ist die Fundstelle mit dem „Toilettenwasser, das Flüchtlinge“ in Libyen trinken müssen. Was dran ist? Wir wissen es nicht, und Hechler weiß es auch nicht. Aber er gibt es schon einmal an seine Leser weiter.

Dessen ungeachtet dürften die Bedingungen in den Libyschen „Detention Camps“, in denen Flüchtlinge festgehalten und in der Regel eingesperrt werden, schlecht sein. Daran gibt es wenig Zweifel. Schon weil Libyen kein Staat ist. Es ist mehr ein Patchwork aus rivalisierenden Gangs, Milizen, die neben der offiziellen Regierung Gebiete im unter Gaddafi einst florierenden Libyen kontrollieren und ihren Profit unter anderem aus Migranten gewinnen, entweder dadurch, dass sie Nahrungsmittel und Hygieneartikel, die die UNHCR zur Verfügung stellt, nicht an die Migranten weiterleiten, sondern verkaufen, entweder dadurch, dass sie Angehörige der Migranten erpressen oder dadurch, dass sie als Schlepper ein bislang einträgliches Geschäft mit dem Schmuggel von Migranten nach Italien, Spanien oder Griechenland betrieben haben.

Doch seit die Libysche Küstenwache mit mehreren Booten die Grenze kontrolliert, ist alles anders. Seither ist die Chance, als Migrant von einem privaten Seenotretter gerettet zu werden, drastisch gesunken.

Die Libysche Küstenwache steht in direkter Konkurrenz zu Schleppern auf der einen Seite und privaten Seenotrettern auf der anderen Seite. Erstere sind ärgerlich, weil sie ihr Geschäftsmodell gefährdet sehen und Letztere auch, denn beide finanzieren sich dann am besten, wenn sie erfolgreich Migranten von Libyen nach Italien, Spanien oder Griechenland bringen können. Darin sind sich Schlepper und Seenotretter gleich. Beide leben von der Nachfrage durch Migranten. Beide leiden unter einem Rückgang der Nachfrage.

Nun müsste man sich eigentlich freuen, dass nicht mehr viele Migranten im Mittelmeer ertrinken, dass die Nachfrage nach der Tätigkeit der Schlepper sinkt, weil die Chance, der Libyschen Küstenwache zu entgehen, zu gering ist, so dass der Versuch, nach Europa zu gelangen, kaum mehr erfolgreich sein kann.

Aber das Gegenteil ist der Fall.

Die Situation in Libyen, die Seenotretter kaum interessiert hat, so lange ihr Nachschub auf See gegeben war, sie wird nun thematisiert.

Diese Situation, die nicht zuletzt durch Seenotretter herbeigeführt wurde, ist verfahren, und das Einzige, was die privaten Seenotrettern zu interessieren scheint, ist der Versuch, ihr Geschäftsmodell dadurch zu retten, dass sie die Aktionen der Libyschen Küstenwache problematisieren, in der Hoffnung, wieder Tausende aus Seenot retten und nach Europa bringen zu können.

Statt abermals einen Pull-Faktor im Mittelmeer zu etablieren, haben wir eine andere Idee, um die verfahrene Situation in Libyen zu lösen. Wie Hechler behauptet, befinden sich derzeit rund 35.000 Migranten in den Lagern Libyens, den offiziellen der Regierung und den mindestens 13 inoffiziellen der Milizen.

Eine Möglichkeit, das Problem der Flucht über die Mittelmeerroute ein für alle Mal zu beheben, bestünde darin, die Spenden, die für die private Seenotrettung aufgebracht werden, dazu zu verwenden, die 35.000 Migranten über Frontex in Europa zu verteilen. Lücken in der Finanzierung, sollten leicht durch die Staaten zu füllen sein, deren Haushalt durch die Zuwanderung der Migranten der letzten Jahre sowieso schon ein Ausmaß angenommen hat, das die Kosten von weiteren 35.000 Migranten als Peanuts erscheinen lässt. Die europäische Küstenwache „Frontex“ übernimmt den Grenzschutz an den bekannten Wanderungs-Routen nach Libyen, so dass ein weiterer Zustrom verhindert wird. Das sollte kein Problem sein, denn Libyen als souveräner Staat ist kaum existent, ebenso wenig wie effektive Grenzen. Private Seenotretter verpflichten sich zudem, jede Rettungsaktion im Mittelmeer einzustellen und statt dessen ihr Spendenaufkommen (und den Erlös aus dem Verkauf der Schiffe) sinnvollen Initiativen in den Ausgangsländern der Migranten zu widmen. Schulen in Eritrea zu finanzieren, Arbeitsplätze im Niger zu schaffen, Fluchtursachen an der Quelle zu bekämpfen, wie es so schön heißt.

Das scheint uns die einzige Möglichkeit zu sein, um Migranten, die derzeit ein Spielball der Interessen von Seenotrettern und Schleppern sind, aus dem Spiel zu nehmen und dafür zu sorgen, dass der Zustrom über die Wüstenrouten nach Libyen ein Ende findet. Ein solches Ende wird er nicht finden, wenn private Seenotretter sich durchsetzen und wieder Migranten aufnehmen, um sie nach Europa zu bringen. Dann steigt der Anreiz, über Libyen nach Europa zu fliehen wieder. Mit dem Anreiz steigt die Zahl der Migranten, mit der Zahl der Migranten, der Profit der Schlepper, mit dem Profit der Schlepper die Anzahl der Milizen, die versuchen, am Migrantengeschäft zu verdienen, kurz: Die ganze Elendsindustrie, die von Migranten profitiert, wird weiter florieren.

Daten und Fakten zu Migranten auf der Mittelmeerroute;

Routen der Migration aus Afrika nach Europa.

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