Weihnachten, die Zeit „zwischen den Jahren“ und Neujahr: Zeit der Einsamkeit? Zeit des Selbstmordes?
von Dr. habil. Heike Diefenbach
Die Weihnachtstage dürften von allen Feiertagen in Europa, den christlichen wie den säkularen Feiertagen, die Feiertage sein, die am stärksten familienzentriert sind, also diejenigen, an denen die vergleichsweise meisten Menschen die meisten Zeit im Kreis ihrer Familie verbringen, gemeinsam mit Familienmitgliedern zusammensitzen, essen, Spiele spielen, spazierengehen, zur Kirche gehen etc. Kurz: Weihnachten ist das Familienfest schlechthin. So titelte die katholische „Tagespost“ am 19. Dezember 2017, basierend auf einer Befragung von 2.031 Personen im Alter von mindestens 18 Jahren: „Weihnachten: Für jeden Zweiten ein Familienfest“, und weiter hieß es: „Die Hälfte aller Deutschen verbindet mit Weihnachten am ehesten ein Familienfest. Nur ein knappes Fünftel denken dabei an Jesu Geburt“.
Für manche romantisch Veranlagten drängt sich vor diesem Hintergrund nicht nur die Frage auf, wie Menschen, die keine Familie haben, Menschen, deren Familienmitglieder weit weg leben, Singles, alte Menschen ohne Kinder und Geschwister die Weihnachtstage verbringen, sondern auch die Frage, ob sich Menschen ohne „Familienanschluss“ an den Weihnachtstagen und in der Zeit „zwischen den Jahren“ nicht besonders einsam fühlen, so einsam, dass sie ihre Einsamkeit nicht ertragen können und Suizidgedanken haben oder sich sogar tatsächlich selbst töten. In der Vorweihnachtszeit ist die Presse dementsprechend seit vielen Jahren regelmäßig mit dem Thema „Einsamkeit und Selbstmordgefahr an Weihnachten und in der Zeit „zwischen den Jahren““ beschäftigt und lässt entsprechende „Experten“ zu Wort kommen. Ein Beispiel hierfür aus der diesjährigen Vorweihnachtszeit ist der „Psychologe und Coach“ Roland Kopp-Wichmann, der auf emotionen.de am 9. Dezember 2019 erklärte, woher die Einsamkeit in der Weihnachtszeit komme und was man gegen sie tun könne:
„Die spezielle Einsamkeit entsteht dadurch, dass Weihnachten das einzige Fest ist, bei dem die Familie sehr stark im Vordergrund steht. Vor allem dadurch, weil [!] fast alle Erinnerungen haben, wie Weihnachten als Kind war. Jenes geheimnisvolle Fest mit dem Glauben an Christkind und Weihnachtsmann, mit unbändiger Spannung auf die Geschenke und die gemeinsame Zeit mit der Familie“.
Aha.
Als Gegenmittel zur Einsamkeit in der Weihnachtszeit empfiehlt der „Experte“:
„Am besten nicht allein die Tage verbringen. Wenn man keine Familie hat, dann bei Freunden oder anderen Singles sich erkundigen, ob man miteinander die Zeit verbringen möchte“, und wenn das nicht möglich ist (oder außerdem noch): „Am besten nicht versuchen, sich abzulenken, sondern die Gefühle kommen lassen …“.
Im Dezember 2017 berichtete die „Suizidexpertin“ Barbara Schneider im Domradio der Erzdiözese Köln, dass nach ihrer Beobachtung „… um den Jahreswechsel herum …besonders viele Menschen in eine Krise“ gestürzt würden, und: „Um den Jahreswechsel herum steigt die Zahl der Suizide auffällig an“, so Schneider.
Aber auch bei Menschen mit Familien kann „Weihnachten auf die Psyche schl[a]g[en]“, kann dazu führen, dass sie in „Einsamkeit und Depression fallen“, wenn „[d]ie Enkel plärren, die Geschwister streiten …, der Partner […] sauer [ist] und man selbst einfach nur gestresst“, so ein Artikel vom 20.12.2016 in der Berliner Zeitung.
Genauso regelmäßig wie die Erzählung von der großen Einsamkeit in der Weihnachtszeit und Aktionen gegen sie zu hören ist, wird aber auch Widerspruch gegen sie laut, zumindest mit Bezug auf die schlimmsten Folgen der vermuteten Einsamkeit, nämlich den Selbstmord. Z.B. hat schon im Jahr 2008 Focus Online – leider ohne Angabe einer nachprüfbaren Quelle und nur unter lapidarem Hinweis auf „US-amerikanische[…] und irische[…] Studien“ – berichtet, dass „… es keinen Zusammenhang zwischen der Weihnachtszeit und der Selbstmordrate“ gebe, und „krautreporter.de“ hat im Jahr 2015 berichtet, dass sich auch in Deutschland im Dezember weniger Menschen umbringen als in irgendeinem anderen Monat des Jahres.
Und tatsächlich – der Dezember als Ganzer wird durch die Daten des Statistischen Bundesamtes für Deutschland sozusagen rehabilitiert. Wie die folgende Tabelle zeigt, nahmen sich in fast allen Monaten im Beobachtungszeitraum von 2008 bis 2017 mehr Menschen das Leben als im Dezember der Jahre im Beobachtungszeitraum:
Damit ist klar, dass sich – zumindest im Beobachtungszeitraum 2008-2017 – nicht mehr Menschen an den Weihnachtstagen oder in der Zeit kurz danach – sofern diese Zeit im Dezember liegt! – selbst umbringen als in anderen Monaten des Jahres.
Aber wie ist es mit dem Januar? Wir erinnern uns an die oben erwähnte Beobachtung der „Suizidexpertin“ Schneider, nach der „[u]m den Jahreswechsel herum […] die Zahl der Suizide auffällig an[steigt]“. Es wäre möglich, dass Menschen an Neujahr oder in den ersten Wochen des neuen Jahres vermehrt Selbstmord begehen würden, wenn auch vielleicht nicht aus Einsamkeit, sondern eher aus Zukunftsangst oder auch nur, weil das neue Jahr die Fortsetzung des alten, unbefriedigenden Trottes verspricht. Aber wie die Tabelle zeigt, ist auch diese Spekulation falsch, und es sind tatsächlich die Monate von April bis August, in denen in den Jahren 2008 bis 2017 mehr Fälle von Selbstmord zu beobachten waren als in den Herbst- und Wintermonaten.
Wären die Weihnachtszeit, der Jahreswechsel oder die Zeit „zwischen den Jahren“ Zeiten, in denen besonders viele Menschen Selbstmord begingen, so würde man erwarten, dass dies aus den absoluten Zahlen von Selbstmorden in den Monaten Dezember oder Januar erkennbar wird. Dennoch ersetzt diese Betrachtung nicht die Betrachtung von Selbstmorden direkt an den Weihnachtsfeiertagen oder an Silvester und Neujahr, denn es ist möglich, dass sich an diesen Tagen Selbstmorde massieren, obwohl die Gesamtzahl der Selbstmorde im Dezember und im Januar in der Regel niedriger ist als in den bzw. einem der Frühlings- und Sommermonate. Eine entsprechende Statistik für Deutschland liegt m.W. nicht vor. Für den Zeitraum von 2000 bis 2013 in Österreich haben Plöderl et al. (2015) entsprechende Daten ausgewertet und festgestellt:
„Suicide rates declined before Christmas and were minimal on December 24th, remained low until the end of the year, peaked on New Year’s day, but remained at average level in New Year’s week … Compared with other holidays, Christmas time is clearly associated with fewer suicides in Austria …” (Plöderl et al. 2015: 410).
Vordergründig spricht bislang also nichts dafür, dass die Erzählung von der großen Einsamkeit an den Weihnachtstagen, die zu mehr Selbstmorden führt, zutreffend ist. Für Österreich konnten Plöderl et al. (2015: 412) sogar beobachten, dass
„[i]n contrast to the Christmas holidays, neither other major holidays nor weekends were associated with a comparable decrease of suicides”,
d.h. an keinen anderen Feiertagen oder Wochenenden haben zwischen 2000 und 2013 in Österreich weniger Menschen Selbstmord begangen als an den Weihnachtsfeiertagen.
Es ist aber möglich, dass wie in Österreich auch in Deutschland mehr Menschen am Neujahrstag Selbstmorde begehen als an anderen Tagen im Jahr. Es ist außerdem möglich, dass es sich bei Selbstmorden am Neujahrstag sozusagen um aufgeschobene Selbstmorde handelt. Deshalb sprechen Plöderl et al. (2015: 412) die Empfehlung aus:
„Because of the myth that suicide risk is high around Christmas, clinicians may be unnecessarily quick at admitting patients or to cautious when discharging patient around Christmas, but may not be aware of the peak of risk on New Year’s day. Discharges could be postponed past New Year’s day. Follow-up contacts, which are recommended after inpatient suicide prevention, may also be planned on New Year’s day. Rising public awareness about the abrupt end of the protective Christmas-effect may enhance help-seeking or delivering help at the beginning of the New Year”.
Aus diesem Zitat wird deutlich, dass Plöderl et al. vermuten, dass die Weihnachtstage statt Einsamkeit und Depression aufkommen zu lassen, präventiv wirke und es das „abrupte Ende des schützenden Weihnachts-Effektes“ sei, das Menschen mit Selbstmordgedanken akut gefährde. Und vielleicht ist das so. Vielleicht aber auch nicht, denn es ist auch möglich, dass die Erfahrungen, die Menschen in der Vorweihnachtszeit, während der Weihnachtszeit oder „zwischen den Jahren“ machen, bei ihnen Selbstmordgedanken auslösen oder aktualisieren, die dann am Neujahrstag in entsprechendes Handeln münden.
Die Frage, ob die Weihnachtszeit für Menschen eher psychologisch besonders belastend ist oder eher als eine Art (kurzfristiger) psychologischer Balsam wirkt, ist also nach wie vor ungeklärt. Sie kann schwerlich durch die Analyse von Daten über erfolgte Selbstmorde im Dezember und Januar beantwortet werden; es sollte aber möglich sein, sie durch Längsschnittstudien über das psychische Wohlbefinden einer möglichst großen Anzahl von Menschen mit diesbezüglich möglichst variierenden Ausgangswerten zu beantworten.
Eines kann jedoch mit Sicherheit festgehalten werden:
Die Weihnachtszeit ist keine Zeit, in der Menschen verstärkt Gefühle von Einsamkeit oder Depressionen entwickeln, die so überwältigend sind, dass sie unmittelbar in Selbstmord münden, und niemand, der keine Familie (mehr) hat, alleinstehend ist oder weit entfernt von seiner Familie lebt, sollte meinen, er habe in der Weihnachtszeit geradezu eine Verpflichtung, sich wenigstens ein bisschen einsam zu fühlen, wenn er als normaler Mensche gelten will.
Literatur:
Plöderl, Martin, Fartacek, Clemens, Kunrath, Sabine et al., 2015: Nothing Like Christmas – Suicides During Christmas and Other Holidays in Austria. European Journal of Public Health 25(3): 410-413.
Unabhängige Informationen, kritisches Denken, Recherche und die fundierte Darstellung von Zusammenhängen gibt es (fast) nur noch in alternativen Medien wie ScienceFiles, Medien, die wie wir, von der Unterstützung ihrer Leser leben.
Unterstützen Sie unseren Fortbestand als freies Medium.
Vielen Dank!
[wpedon id=66988]
- ScienceFiles-Spendenkonto (einfach klicken)
- Sponsern Sie ScienceFiles oder Artikel von ScienceFiles (einfach klicken)
Bleiben Sie mit uns in Kontakt.
Wenn Sie ScienceFiles abonnieren, erhalten Sie bei jeder Veröffentlichung eine Benachrichtigung in die Mailbox.
ScienceFiles-Shop
Wandere aus, solange es noch geht!
Finca Bayano in Panama.
Folgen Sie uns auf Telegram.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:
Donorbox
Unterstützen Sie ScienceFiles
Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto:
HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Unser Spendenkonto bei Halifax:
ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):- IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
- BIC: HLFXGB21B24
Ganz toller Beitrag! Bin seit 15 Jahren Single, ohne Familie, und habe mich trotzdem an Weihnachten noch nicht umgebracht.
Noch eine Anmerkung: ist eigentlich noch jemand ausset mir aufgefallen, sass Ostern genauso lange dauert wie Weihnachten? Da bringen sich die Leute ja auch nicht reihenweise um.
Ostern ist es auch nicht so dunkel.
Witzig, dass Sie gerade Ostern ansprechen, denn in der Studie über Österreich, die im Text zitiert ist, haben die Autoren festgestellt:
“In contrast, suicide rates increased in the week after Easter and on Mondays/Tuesdays after weekends” (Plöderl et al. : 410); und s. S. 411).
In der Woche nach Ostern sind in den Daten für Österreich also deutlich mehr Selbstmorde zu beobachten gewesen als über oder nach Weihnachten.
Auch, wenn von “reihenweisen” Selbstmorden zu keinem Fest im Feiertagskalender die Rede sein kann, dann ist es doch wert festgehalten zu werden, dass Ostern und nicht Weihnachten das Fest ist, das man eher mit erhöhter Selbstmordgefährdung in Verbindung bringen kann.
Frau Diefenbach, Sie haben sicher Recht, dass es keine statistische Häufung von Selbstmorden zur Weihnachtszeit gibt. Wenn aber diese “Erzählung”, wie Sie es nennen, dazu führt, dass sich das eine oder andere Kind mal wieder um seine Eltern kümmert, und sei es auch nur aus Sorge vor einem Selbstmord, dann hat die Erzählung auch einen guten Effekt. Allerdings wäre die Motivation bedauerlich, wenn es die einzige wäre.
Wohl denen, die nahe bei Ihren Eltern leben. So froh ich auch bin, nach Brasilien gegangen zu sein – die Entfernung nach DE ist an Weihnachten eine Begleiterscheinung, die mir zu schaffen macht, auch wenn ich mir über Selbstmordtendenzen meiner Eltern keine Sorgen machen muß.
@Wolfgang Rosner
Zu Ihrer Bemerkung:
“Wenn aber diese “Erzählung”, wie Sie es nennen, dazu führt, dass sich das eine oder andere Kind mal wieder um seine Eltern kümmert, und sei es auch nur aus Sorge vor einem Selbstmord, dann hat die Erzählung auch einen guten Effekt. ”
Ja, für viele Eltern (und Kinder) mag das so sein.
Aber der “gute Effekt” dürfte nicht für alle Eltern in jedem Alter und jeder Lebenslage gleichermaßen “gut” oder positiv oder wichtig sein. Dass Eltern immer und überall gerne von ihren Kindern hören wollen, ist eine Vermutung, die selbst Teil der “Erzählung” ist. Aber auch Eltern sind rationale Menschen, die vielleicht finden, dass es genauso in Ordnung ist, die Kinder in Februar zu sehen oder im August wie an Weihnachten.
Darüber hinaus gehört es sich für Eltern in der westlichen Welt, die Kinder zu kleinen Göttern erklärt hat, einfach nicht, ihre Ruhe vor ihren Kindern haben zu wollen und einfach einmal, besonders an Feiertagen, nur Zweisamkeit oder Einsamkeit genießen zu wollen. Wenn sie das wollen, erfordert die soziale Erwünschtheit, dass sie es für sich behalten oder sozial verträglich verpacken, z.B. in der Form: “Ach, wir sind ja über Weihnachten gar nicht da, weil wir eine Reise gebucht haben …”
Insofern kann die Erzählung für Eltern und Kinder ziemlich belastend sein:
Erstere fühlen sich verpflichtet, sich sozusagen gefälligst einsam zu fühlen, wenn die Kinder an Weihnachten nicht da sind, und die Einsamkeit schlecht zu finden, Letztere fühlen sich vielleicht verpflichtet, sich um ihre “armen, einsamen” Eltern zu kümmern, obwohl sie weder Zeit noch Lust haben und vielleicht eher genervt sind von der zusätzlichen Belastung, die ein Besuch gerade zur vielleicht ohnehin vollgepackten Weihnachtszeit bedeutet …
Für mich ist die “Botschaft” bei all dem, dass man – hier: konkret mit Bezug auf die Weihnachtszeit – sozialen Erwünschtheiten oder Vorgaben nicht UNBEDINGT folgen sollte, sondern es eine individuelle Angelegenheit ist, wer sich wann warum wie fühlt und was wer wann warum wie machen möchte. Eltern und Kindern, die eine entspannte Beziehung miteinander haben, sollte es möglich sein, den Verpflichtungscharakter aufeinander abzulegen und durch eine freundschaftliche Beziehung auf Vertrauensbasis zu ersetzen. Wenn sie sich dann treffen wollen, ist das wunderbar, wenn nicht, dann muss es nicht furchtbar oder auch nur bedauerlich sein; es kann ebenfalls wunderbar sein. Und im nächsten Jahr ist vielleicht alles anders …
Liebe Frau Diefenbach, dem kann ich nur zustimmen.
Meine Frau Mamma äußerte sich zwar gerade am Telefon glaubhaft unglücklich, mich zum Fest nicht sehen zu können. Ich habe Ihr aber zusagen können, dass ich selbst bei Sauwetter im Februar zu ihrem Geburtstag -94- dann erscheinen werde und mich schon auf Schneewanderungen freue, um mich von der Sommerhitze Brasiliens erholen zu können. Sie glauben gar nicht, wie sehr man sich nach Schnee und möglichst klirrende Kälte sehnen kann! Frohe Weihnacht an alle 🙂
Wetter kann wohl auch einen Einfluss auf die Selbstmordrate haben. Am Bodensee soll sie im nebligen Herbst ansteigen. Zahlen konnte ich dazu auf die Schnelle nicht finden, es wird aber von den Anwohnern so kolportiert.
Meine beiden Söhne sind bei der Polizei. Zu Weihnachten und Jahreswechsel sind für Feuerwehr, Rettungsdienste. Krankenhäuser und der Polizei Hochzeiten. Neben den üblichen Wohnungsbränden durch vergessene Kerzen in den Tannenbäumen kommen Familienstreitigkeiten hinzu. Auch nicht zu verachten sind die Kneipenschlägereien von Heiligabend 22 Uhr bis 01. Januar durch Alkoholgenuss und Einsamkeitsgedudel. Gut, zu den Einsamen gehöre ich seit Jahren auch. Dass ich aber deswegen Trübsal blase? Nein. Obwohl ich allein feiere, wird gekocht, Strom und Wasser abgelesen, berechnet und an die Anbieter gesendet. Und damit erst keine Traurigkeit aufkommt, wird nur Sport geschaut. Ansonsten bleibt der TV aus. Ach ja: Und Beiträge werden geschrieben und ein bischen in den SM gehetzt.
Die Behandlung der “Frage, ob sich Menschen ohne ‘Familienanschluss’ an den Weihnachtstagen und in der Zeit ‘zwischen den Jahren’ nicht besonders einsam fühlen, so einsam, dass sie ihre Einsamkeit nicht ertragen können und Suizidgedanken haben”, würde ich gerne noch um folgende Aspekte ergänzen:
Erstmal sind Menschen, die sich zu Weihnachten einsam fühlen, auch sonst einsam, es gibt also nicht weniger Einsame zu Weihnachten, sondern haben diejenigen die unter ihrer Einsamkeit leiden, jetzt weniger Gelegenheit sich davon abzulenken (bzw. ablenken zu lassen). wie sie sich eigentlich fühlen. Diejenigen wiederum, die unter ihrem Alleinsein nicht leiden und damit auch nicht in die negative Form der Einsamkeit (denn warum soll dies pauschal etwas Negatives sein) verfallen, dürften sich folglich auch nicht durch Mithilfe Anderer davon abzulenken benötigen, ob sie nun einen Familienanschluss haben oder nicht (und begebenen sie sich dorthin, so nicht aus Gründen der Flucht vor der Einsamkeit)
Von den in negativer Weise Einsamen derweil ist die Zahl derjenigen, die sich aufgrund fehlender Familie an den Weihnachtstagen so einsam fühlen, daß sie sich darüber fast umbringen würden, nicht unbedingt größer als die Zahl derjenigen, die sich am liebsten ebenso umbringen würden, weil sie sich jetzt schon wieder verstärkt mit ihrer Familie abplagen müssen, in deren Kreis sie sich nämlich ganz besonders einsam fühlen.
Von diesen wiederum würde der eine stattdessen lieber vorm Fernseher hocken, da im factistenbook ja in diesen Tagen auch nicht viel Ablenkung von sich selbst geboten wird, während der andere auf den Aufenthalt in dergleichen Verflüchtungsorte sowieso keine Lust hat, da er sich endlich in die schöne, friedliche Einsamkeit begeben kann, ohne daß andauernd welche angestochen kommen, weil sie es nicht ertragen können, alleine zu sein; während er mit jenen, die sich durchaus auch mal in ihre Einsamkeit begeben haben und jederzeit könnten (eben dann, wenn es besonder schwer erscheint) durchaus beisammen sitzen könnte, sogar zu Weihnachten; und das wäre dann auch Harmonie und Frieden in Höchstform, während dies in allen andern Gebieten allenfalls mal hauchweise durchs Kerzenlicht flackert und kurz nach Auspustung dann auch flugs wieder abzieht,usw.
– jedenfalls werden alle diese Fälle, die untereinander auch noch sehr variabel auftreten, in den berüchtigten Statistiken wohl nicht berücksichtigt, die man ja auch ohnedies schon in den Wind schiessen kann, wie Frau Diefenbach ausgeführt hat; ich wollte dies jedenfalls nur noch ergänzen und wünsche schöne Weihnachten gehabt zu haben.