Korruptokratie: Bundesregierung kauft Berichterstattung!?

Politische Korruption als Konzept der Politikwissenschaften ist in Deutschland mehr oder weniger nicht vorhanden. Suchen nach dem Begriff fördern sehr wenige Beiträge zutage. Google Scholar findet ganze 16 Beiträge, die bislang im Jahr 2020 veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um mehr oder weniger obskure Beiträge, von denen sich keiner auf die derzeitige Regierung bezieht, die zumeist “Lobbyarbeit” anprangern. Im Jahr 2019 sieht es nicht anders aus: 49 Beiträge nennen den Begriff “politische Korruption”, eine Untersuchung von Regierungskorruption ist nicht darunter. Das Thema ist TABU.

Man muss bis ins Jahr 2005 zurückgehen, um den von Ulrich von Alemann herausgegebenen Sonderband der Politischen Vierteljahresschrift zu finden, der den Titel “Dimensionen politischer Korruption “trägt. Die in diesem Reader versammelten Beiträgen haben die Theorie politischer Korruption, methodische Probleme und Strategien zur Korruptionsbekämpfung zum Gegenstand. Es gibt ein eigenes Kapitel mit vier Beiträgen, die der Rechtfertigung der Erforschung von politischer Korruption dienen, und es gibt fünf Beiträge, die sich mit konkreten Fällen politischer Korruption in Entwicklungsländern, China, Italien, Frankreich und bei der Wahlkampffinanzierung in Deutschland und den USA befassen. Regierungskorruption kommt abermals nicht vor.

Schließlich, für die Historiker unter uns, gibt es ein Arbeitspapier von Ulrich von Alemann und Ralf Kleinfeld, das es wohl nie in eine Zeitschrift geschafft hat. Es stammt aus dem Jahre 1990 und trägt den Namen “Begriff und Bedeutung der politischen Korruption in der Politikwissenschaft”. Ein Grundlagentext. Umso erstaunlicher, dass er nur als Arbeitspapier der Fernuni Hagen publiziert wurde. Wie dem auch sein, in diesem Arbeitspapier findet sich die folgende Definition politischer Korruption:

“Austauschverhältnis zwischen mindestens zwei Akteuren, von denen mindestens einer dem Bereich des politischen Systems angehören muss. Politische Korruption hat zum Ziel, auf politische Entscheidungen bzw. Nichtentscheidungen Einfluss zu nehmen, die von mindestens einem der Akteure kraft Kompetenz, Zuständigkeit oder Machtpotential beeinflusst werden können. (…) Bei politischer Korruption handelt es sich um die Beeinflussung politischer Entscheidungen indem dem oder den Entscheidungsträgern sonst dafür nicht zur Verfügung stehende mittel- oder unmittelbare spezifische Vorteile gewährt werden.” (von Alemann & Kleinfeld 1990: 15-16)



Die Grundlage für diese Definition ist offenkundig der Tatbestand der Bestechung. Das Manko der Definition ergibt sich aus dieser Grundlage, denn politische Korruption ist den Autoren nur als versuchte Einflussnahme auf die Entscheidungen von Politikern vorstellbar. Das, obwohl bereits in den 1960er Jahren der Verkauf politischer Gefallen im Rahmen der Public Choice Theorie und hier insbesondere unter dem Stichwort “Rent Seeking” von Gordon Tullock thematisiert wurde. Derartige für die deutsche Korruptokratie gefährliche Ideen haben es nur vereinzelt in die von Linken mit Argusaugen überwachte Politikwissenschaft geschafft, in den 1970er und 1980er Jahren. Seither sind sie “extinct” (Roger D. Congleton, Arye L. Hillman und Kai A. Konrad haben 2008 ein Buch mit dem Titel “40 Years of Research on Rent Seeking 2: Applications: Rent Seeking in Practice” herausgegeben, in dem die angelsächsische Tradition in der Erforschung von Regierungskorruption in einigen Beiträgen nachgelesen werden kann.).

Im Jahre 2005, anlässlich des angesprochenen Sammelbandes für die Politische Vierteljahresschrift hat Ulrich von Alemann vorsichtige Schritte unternommen, um den Begriff der politischen Korruption auf die Menge sozialer Fakten zu erweitern, die er tatsächlich umschreibt. Nunmehr gilt eine Tauschbeziehung als Gegenstand politischer Korruption, wenn sie aus (1) einer Amtshandlung besteht, die (2) eine Handlung durch einen Amtsträger zum Gegenstand hat, zu der er nicht autorisiert ist.

Abermals springt diese Definition zu kurz, denn die Regierungskorruption ist nur dann enthalten, wenn sie durch nicht autorisiertes Verhalten erfolgt. Dass man seine Position ganz offen einsetzen kann, um politische Korruption zu verwirklichen, das kommt deutschen Autoren nach wie vor nicht in den Sinn.

Wir schlagen daher als Definition von politischer Korruption vor:

Jede Beziehung zwischen Akteuren, die eine Transaktion von Steuergeldern oder Ressourcen zum Gegenstand hat, mit der sich einer der beteiligten Akteure einen Vorteil bei seinem Gegenüber erkauft. Dies umfasst den Kauf von politischen Gefallen durch Lobbyisten, z.B. als Parteispende, die dem Zweck dient, eine bestimmte Gesetzgebung durchzusetzen oder zu verhindern. Es umfasst auch den Einsatz von Steuergeldern, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen.

Letzteres ist Gegenstand dieses Post.

Der Post beginnt bei dem Bloggerkollegen Boris Reitschuster, der vor einigen Tagen über zwei schriftliche Anfragen berichtet hat, die der parteilose Abgeordnete Mario Mieruch auf Veranlassung von Reitschuster gestellt hat. Gegenstand der beiden Anfragen, die im Dokumentationssystem des Bundestages als Drucksache 19/20374 und 19/19651 zu finden sind, sind die geldwerten Vorteile, die die Bundesregierung an MS-Medien ausreicht, um deren Fortbestand durch Anzeigekampagnen oder Stellenausschreibungen zu unterstützen. Grundsätzlich besteht dann, wenn eine Regierung Steuergelder einsetzt, um MS-Medien, bei denen es sich um Wettbewerber handelt, deren Erfolg von der Menge ihrer Leser bestimmt abhängen sollte, eben von der Notwendigkeit, genügend Leser von den eigenen Leistungen zu begeistern, um das eigene Überleben zu sichern, um einen Markteingriff, um die Vergabe von Privilegien an eine bestimmte Gruppe von Medien. Dass die Bundesregierung und die einzelnen Ministerien, die Steuergelder ausgeben, um Kampagnen in MS-Medien durchzuführen, bislang keine solchen Kampagnen in alternativen Medien durchgeführt haben, ist Beleg dafür, dass es sich um die Vergabe von Privilegien an die entsprechenden MS-Medien, also um politische Korruption handelt.



Denn natürlich geht mit einer bestimmten Höhe der Finanzierung von MS-Medien durch die Bundesregierung eine Abhängigkeit der MS-Medien von dieser Finanzierung einher. Medien, die von Regierungszahlungen abhängig sind, haben damit eine kritische Berichterstattung gegen die eines Sykophanten getauscht. Das ist ein ganz normaler Vorgang: Abhängigkeitsbeziehungen führen immer zur Adaption oder Emulation der Position dessen, der die Abhängigkeitsbeziehung durch seine Ressourcen etabliert hat (Wer zahlt, bestimmt). Was geschähe wohl, wenn die Leipziger Volkszeitung einen Beitrag darüber brächte, dass die Energiewende eine Politik ist, die der Bereicherung Weniger auf Kosten Vieler dient, die Deutschland in den Stromnotstand führt und darüber hinaus Bürger bestiehlt, da sie Wucherpreise bezahlen müssen? Oder was wäre, wenn die Leipziger Volkszeitung öffentlich die Abschaffung der GEZ-Gebühren fordern würde? Die Finanzierung des Blattes, das in das SPD-Medienimperium gehört, durch die Bundesregierung wäre in Frage gestellt, sehr wahrscheinlich gestorben.

Bei der Leipziger Volkszeitung kommt noch hinzu, dass die Steuergelder, die Bundesregierung und Ministerien aufwenden, um das Blatt mit mehr oder weniger sinnlosen Kampagnen über Wasser zu halten, von der Regierungspartei SPD in die Taschen der Medienpartei SPD kanalisiert wird. Die Auto-Korruption, bei der sich eine Partei bei Steuerzahlern bedient, um die eigenen Interessen am Erhalt von MS-Medien, an denen die SPD beteiligt ist, zu befriedigen, ist ebenfalls eine Form der politischen Korruption, die bisherige Definitionen nicht erfassen.

All die beschriebenen Formen politischer Korruption sind in Deutschland gegeben. Deshalb schreiben wir von einer Korruptokratie, und Dank der Arbeit von Boris Reitschuster und Mario Mieruch wissen wir auch um einen Teil des Ausmaßes der politischen Korruption in Deutschland. Es ist in der folgenden Abbildung für die Jahre 2015 bis 2019 dargestellt.

In nur fünf Jahren wurden an Printmedien 87,7 Millionen Euro, an Online-Medien (vermutlich die Auftritte derselben Printmedien:) 73,3 Millionen Euro und an Fernsehsender 23,7 Millionen Euro, insgesamt 184,8 Millionen Euro aus Steuergeldern überwiesen, um so wichtige Kampagnen zu schalten wie die folgenden für das Jahr 2020 bislang geplanten:

Quelle: Bundestagsdrucksache 19/20374

Das immense Ausmaß der Finanzierung von MS-Medien durch die Bundesregierung, wie es hier zu Tage tritt, führt nach Ansicht von Boris Reitschuster dazu, “dass der Verdacht nicht von der Hand zu weisen [ist], [d]ass es sich hier um eine Art verdeckte Subvention und eine Art Tauschgeschäft handelt für die einst stolze und heute massiv angeschlagene Branche, der die Kunden davonschwimmen.”

Selbst wenn es sich hier nur um einen Verdacht handelt würde, wäre es Grund genug, für eine Regierung, die verantwortlich handeln und glaubwürdig bleiben will, diese Praxis der potentiell verdeckten Finanzierung einzustellen, um nicht in den Verdacht politischer Korruption zu geraten. Wir sind jedoch in dieser Hinsicht mit unserem Urteil weiter als Boris Reitschuster. Wir halten den Verdacht, dass es sich hier um eine Form von Regierungskorruption handelt, schon dadurch für belegt, dass es keinen guten Grund für eine Regierung gibt, für ihre Politiken zu werben, dass es aber viele Gründe gibt, die gegen eine solche Werbung, die nicht von politischer Parteiwerbung zu trennen ist, sprechen. Der wichtigste dieser Gründe ist die Institution der Pressemeldung. Wenn die Bundesregierung oder Ministerien der Ansicht sind, eine bestimmte Aktion verdiene eine mediale Öffentlichkeit, dann steht es ihr jederzeit frei, die Aktion in einer Pressemitteilung vorzustellen und zu hoffen, dass die Pressemitteilung eine Meldung in der Presse nach sich ziehen wird. Eine Regierung die denkt, dieser Weg müsse dadurch ergänzt werden, dass bestimmte ihrer Politiken direkt in den Medien beworben werden, und zwar per kostenpflichtiger Anzeige, Politiken, die über die Pressemeldung ohnehin in diesen Medien verbreitet werden, legt nicht den Verdacht nahe, sie sorgt für die Gewissheit, dass es sich hier um Regierungskorruption handelt.

Ein weiteres Indiz für Regierungskorruption hat das folgende Aussehen:
Die Ausgaben für Stellenanzeigen haben sich seit 2015 wie folgt entwickelt.

  • 2015: 38.037,97 Euro,
  • 2016: 31.163,36 Euro,
  • 2017: 67.895,31 Euro,
  • 2018: 67.798,54 Euro,
  • 2019: 113.524,52 Euro.

Seit 2015 haben sich die Aufwendungen für das Schalten von Stellenanzeigen, ungeachtet der Tatsache, dass Printmedien und Onlinemedien für Stellenanzeigen mehr oder weniger uninteressant geworden sind und es genügend Stellenmärkte gibt, die ein Gratisangebot machen, verdreifacht. Was meinen Sie, stellen Bundesregierung und Bundesministerien 2019 dreimal so viele Mitarbeiter ein wie 2015 oder hat man einen weiteren Weg gefunden, um die MS-Medien, die an allen Fronten bedrängt werden, denen die Werbekunden und die Leser davonlaufen, die von alternativen Medien überrannt werden, die bislang kein Geschäftsmodell gefunden haben, das ihr Überleben sichert, so dass sie auf rechtliche Kniffe (Copyright) und die Unterstützung der Bundesregierung angewiesen sind, mit einer neuen Einnahmequelle zu versorgen?



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