Nationalsozialismus ist Ausdruck eines zugrundeliegenden Syndroms, das Linke wie Rechte aufweisen

Insofern ist Extremismus, wenn man es so nennen will, keine Frage von rechts oder links. Vielmehr sind Links- und Rechtsextremismus nur Ausdrucksformen eines zugrundeliegenden Syndroms. Und dieses Syndrom ist Gegenstand dieses Beitrags, in dem wir zeigen, dass viele derjenigen, die sich heute als “gute Demokraten” inszenieren, dadurch inszenieren, dass sie gegen “rechts” vorgehen, Rechte bekämpfen, Nazis hinter jedem Baum sichten, letztlich denselben Extremismus, dasselbe Syndrom zum Ausdruck bringen, das auch den Nationalsozialismus hervorgebracht hat.

Wir haben uns bereits in einer Reihe von Beiträgen mit Rechts- und Linksextremismus und der Tatsache, dass beides nur inhaltlich, nicht aber formal voneinander verschieden ist, auseinandergesetzt.

Wenn man darstellen will, dass Nationalsozialismus nichts anderes als der Ausdruck eines zugrundeliegenden Syndroms ist, das mit dem Nationalsozialismus nicht verschwunden ist, das sich bei Menschen aller Couleur findet, auf das rechte kein Monopol haben, dann kommt man über kurz oder lang bei den Arbeiten von Milton Rokeach an, die in seinem Sammelband “The Open and Closed Mind” zusammengestellt sind. Auch 64 Jahre nach Veröffentlichung ist diese Buch das Beste, was es zum Thema gibt.

Für Rokeach beginnt alles mit Überzeugungssystemen.
Überzeugungssysteme sind Sammlungen von Meinungen, Ideen, Überzeugungen, Affekten und Emotionen, die für Menschen zwei Funktionen erfüllen:

  • sie sind Repräsentation des Bildes, das sich jeder von uns über die Welt macht;
  • sie sind Bollwerk, das neue Informationen filtert und diejenigen abwehrt, die das eigene Ego gefährden.

Die Unterscheidung von Rokeach geht über eine in der Sozialpsychologie weit verbreitete Unterscheidung von Stereotyp und Vorurteil hinaus. Letztere stellt auf die kognitive Verarbeitung von Informationen ab und sieht Stereotype als veränderliche Verhaltensmaßstäbe, die das tägliche Handeln anleiten und leichter und schneller machen, das wäre die erste der beiden oben genannten Funktionen von Überzeugungssystemen. Vorurteile sind fest eingegrabene Überzeugungen, die unveränderlich sind, was eine Schnittmenge mit der zweiten oben genannten Funktion aufweist. Indes geht die zweite Funktion von Rokeach deutlich weiter, wie wir nun in aller Kürze darstellen.

Überzeugungssysteme werden auf Basis von Kongruenz, von Ähnlichkeit gebildet. Die Welt zerfällt mehr oder weniger in ein Kontinuum von Dingen, die uns näher sind, Ideen, die wir besser finden, Leute, die wir nicht ausstehen können, Gruppen, die für bestimmte Dinge, die wir mögen oder nicht mögen, stereotyp sind. Menschen sind bemüht, Überzeugungssystem so weit wie nur möglich kongruent zu halten. Insofern sind Überzeugungssystem nicht nur auf kognitiven Inhalten begründet und somit rational, sie sind mindestens im selben Ausmaß auf affektiven und emotionalen Inhalten gegründet, die an die Verarbeitung von Information vor dem Hintergrund der zweiten Funktion eines Überzeugungssystems, die oben dargestellt wurde, herangetragen werden.

Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen:

“We are referring to the capacity to distinguish information from source of information and to evaluate each on its own merits. The variable, in the extreme describes the essence of the open and closed mind and, with its diverse manifestations, is the cornerstone of our attempts to understand whatever relationships may exist among personality, ideology, and cognitive functioning”.

Pointiert ausgedrückt: Leute, die sich als dauerhaft unfäig erweisen, eine Information nach Inhalt und Überbringer zu unterscheiden und beide, den Inhalt wie den Überbringer, unabhängig voneinander zu beurteilen, sind das Rohmaterial, aus dem die autoritären Persönlichkeiten geknetet werden, die Nationalsozialismus, Kommunismus und Sozialismus in seinen unterschiedlichen Varianten erst möglich machen, ihn tragen und stützen, deren Persönlichkeit und kognitive Funktionsweise autoritären Systemen kongruent ist.

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Das ist ein struktureller Ansatz, denn – nicht vergessen: der Ausgangspunkt liegt bei Überzeugungssystemen, die auf Basis von Vorlieben und Aversionen, auf Basis von Grad an Übereinstimmung entlang unterschiedlicher Meinungs- und Verhaltenskontinuums gebildet werden. Und dieser strukturelle Ansatz unterscheidet sich kategorial von dem Dummdenk, das derzeit als Ideologie unterwegs ist. Leicht darstellbar: Wer Mitglieder einer Minderheitengruppe ablehnt, gilt in der heutigen, einfach strukturierten Welt als Rassist als Intoleranter. Indes, die Akzeptanz der Mitglieder einer Minderheitengruppe ist nur ein Teil von Toleranz, die Akzeptanz aller anderen, egal, welcher Gruppe sie angehören, egal, ob man mit ihren Ansichten übereinstimmt oder nicht, ist das, was Toleranz im Kern ausmacht. Toleranz, so hat Dr. habil. Heike Diefenbach schon vor Jahren gesagt, liegt dann vor, wenn es einem nicht interessiert.

Ebenso banal und simpel ist die Unterscheidung zwischen “ingroup” und “outgroup” in der Welt derer, die ihre kognitive Beschränktheit in heutigen Gesellschaften für alle verpflichtend machen wollen: Sie sei dichotom. Indes, jeder von uns findet sich täglich in Unmengen von Situationen wieder, in denen er sein Verhalten auf Grundlage des eigenen Überzeugungssystems strukturieren muss. Es ist geradezu absurd zu denken, man würde sich in unterschiedlichen Situationen stets identisch verhalten, eine Vorstellung, die denen, die den Schrei von Rassismus ständig auf den Lippen führen, zugrunde liegt. Tatsächlich passen Akteure ihr Verhalten der Situation, in der sie sich gerade wiederfinden, an. Wer wird schon, wenn er von Schwarzen umringt ist, laut “Nigger” schreien, um sich zum Gegenstand von Gegenwehr zu machen?

Man lacht über diese Szene, aber sie stellt genau das dar, was diejenigen, die stets gegen Rassismus wettern, über diejenigen, denen sie Rassismus unterstellen, denken. Das Ganze noch einmal in den Worten von Rokeach:

“Although a person may align himself with others primarily in terms of belief, such alignment may be assumed to be continually changing as situations change, as each situation involves different issues, thus activating endless kaleidoscopes of beliefs relevant to each situation”.

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Auch das macht unmittelbar Sinn, denn die meisten von uns, jedenfalls diejenigen, die nicht als pervers oder abnormal oder asozial gelten wollen, passen ihr Verhalten an die gegebene Situation an. Niemand geht im Schlafanzug in die Kirche und kaum jemand versucht beim Bäcker der Bezahlung dadurch zu entgehen, dass er droht, den Bäcker als Wähler der CSU zu outen. Wenn Sie die Beispiele weiterspinnen, haben sie eine Handhabe, um die Unnormalität von vielem, was sich heute abspielt, einschätzen zu können.

Normales Verhalten findet in einer komplexen, veränderlichen, nicht in einer starren, von rigiden Vorstellungen strukturierten Welt statt, und weil dem so ist, sind Überzeugungssysteme nicht auf Basis dichtomer Einfachheit, sondern auf Basis von Kongruenz und Nähe auf einem Kontinuum organisiert:

“… we organize the world of ideas, people and authority basically along lines of belief congruence. What is not congruent is further organized in terms of similarity to what is congruent. Much of our behavior with respect to diverse belief systems, and with respect to persons and authorities identified with such systems, seems, at least in part, to be determined by such cognitive organizations”.

Wir sind nun an dem Punkt, an dem wir das identifizieren können, was ein geschlossenes Überzeugungssystem, eines, das von seinem Besitzer gegen die Realität verteidigt wird, eines, in dem affektive Reaktionen die Stelle rationaler Beurteilung eingenommen haben, eines, das man täglich anhand der aufgeregten Reaktionen studieren kann, mit denen Systemkongruente auf neue oder auch nur abweichende Ideen reagieren, auszeichnet: Ein Gefühl der Bedrohung.

“an enduring state of threat in the personality is one condition giving rise to closed belief systems”

Wer sich von neuen Ideen bedroht fühlt, weil sie das strukturelle Gleichgewicht, das er zwischen seinen Ideen, Überzeugungen, Haltungen und Angeboten, die er als ähnlich oder kongruent ansieht, hergestellt hat, der wird die zweite Funktion eines Überzeugungssystems dazu benutzen, jede Idee, die neu oder abweichend ist, zu blocken. Er wird sie nicht nur blocken, er wird seiner Unfähigkeit, zwischen Information und Informationsträger zu unterscheiden, affektiv Ausdruck verleihen und, je nachdem, wie groß die wahrgenommene Gefahr für das eigene Überzeungssystem ist, mit Ärger, Wut, Hass oder mit dem Versuch, die Quelle seiner psychischen Unannehmlichkeiten zu beseitigen, reagieren.

Und genau hier liegt die Anziehungskraft der einfachen Weltmodelle, in denen Ursache und Wirkung immer eindimensional gedacht werden wird, CO2 und andere Treibhausgase aus menschlicher Produktion alleinige Ursache von Klimawandel sind, Rechte Ursache allen Übels sind, alles, was nicht heterosexuell ist, als eine besondere und ausgezeichnete Form der Sexualität, als anti-Perversion dargestellt wird; NATO oder Putin, je nach affektiver Vorliebe, die alleinige Schuld für den Krieg in der Ukraine tragen. Sie wirken wie ein Magnet auf Metall:

“In much the same way, authoritarianism as an affective personality state can also be conceived in terms of cognitive belief about the nature of authority: a fear of aloneness and isolation … anxiety… In precisely the same way such affective states as self-hate, a need for self-aggrandizement and paranoid outlook on life can all be seen as having their cognitive counterparts in this, the belief-disbelief system”

Insofern ist Autoritarismus, die Anfälligkeit für Angebote gegen Mitbürger vorzugehen, Hass über Leute, die man nicht kennt, auszuschütten, abweichende Meinungen zu bekämpfen, als hinge das eigene Leben davon ab, die Beschreibung für ein Syndrom, das nicht zwischen Links und Rechts unterscheidet, das in unterschiedlichen Symptomen Ausdruck finden kann, aber immer auf einer Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, Neues oder Abweichendes zu verarbeiten, basiert, eine Unfähigkeit, die im Fehlschluss ad hominem ihren markantesten Ausdruck findet, der Unfähigkeit, zwischen Information, also dem kognitiven Inhalt, und dem Überbringer einer Information, der meist Gegenstand affektiver Beurteilung ist, zu unterscheiden.

Und weil dem so ist, hat Nationalsozialismus nichts mit rechts oder links zu tun.
Er ist Ausdruck einer grundlegenden Unfähigkeit und Unwilligkeit der Informationsverarbeitung, die auf ein gesellschaftliches Angebot zurückgreift, mit dem diese Unwilligkeit und Unfähigkeit dadurch instrumentalisiert, dass die Persönlichkeit unter konstanter Bedrohung durch bestimmte Feinde, seien es Juden, seien es Ungeimpfte, seien es Rechte, seien es Terroristen oder Klimaleugner gehalten wird.


 

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