Eineiige Zwillinge: Was unterscheidet „Rechte“ von „Linken“?
Antworten aus neueren empirischen Studien – Teil 1
Sowohl in den Medien als auch bei vielen Sozialwissenschaftlern ist es derzeit üblich, zwischen „Rechten“ und „Linken“ zu unterscheiden und ihnen jeweils unterschiedliche Einstellungen u.a. zur Zuwanderung, zur Demokratie und zur Gewalt zu unterstellen. Es gibt aber auch Menschen, die meinen, dass dann, wenn „Linke“ und „Rechte“ dieselbe Verhaltensweise zeigen, sie bei „Linken“ anders zu bewerten wäre als bei „Rechten“.
So hat sich beispielsweise Jan Rübel, der sich als Journalist geriert, im Juli 2016 auf dem HUFFPOST, dem blog der (deutschen Ausgabe der) Huffington Post, bei der denkenden Leserschaft mit der folgenden Aussage diskreditiert: „Natürlich müssen die Medien der rechten Gewalt mehr Raum einräumen – denn sie ist gefährlicher. Straf- und Gewalttaten von rechts haben für Deutschland eine größere Bedeutung als jene von links. Mit Relativierung und Verharmlosung hat das nichts zu tun”[1] – und dafür im Kommentarbereich beruhigenderweise verbale Prügel bezogen, wobei es allerdings der Erwähnung wert ist, dass bei einer Kommentatorin die Sinnentleerung der Begriffe „Linke“ und „Rechte“ soweit ging, dass sie „Linke“ mit „Guten“ gleichgesetzt hat (und anscheinend „Rechte“ mit „Schlechten“), denn sie meinte bemerken zu müssen, dass Stalin kein Linker gewesen sei, und dass dies „… schon lange als bewiesen [gelte]“, so dass der Betrieb der Gulags nicht als Beispiel stark ausgeprägter linker Gewalt gelten könne.
Während die Anti- bzw. Sympathien für „Rechte“ oder „Linke“ also je nach der eigenen Weltanschauung oder institutionellen Anbindung klar verteilt sind, ist die Frage, was „Rechte“ und „Linke“ denn nun tatsächlich voneinander unterscheidet, weitgehend ungeklärt, jedenfalls dann, wenn man diese Frage nicht als Frage nach den eigenen stereotypen Vorstellungen, den eigenen Assoziationen oder dem persönlichen Geschmack auffasst und sich nicht mit dementsprechenden Antworten begnügt, die lauten mögen: “Rechte“ haben Glatzen, tragen Springerstiefel und Bomberjacken und zünden Asylbewerberheime an“ oder „Linke tragen schwarz, hoodies und Turnschuhe, studieren irgendein Laberfach, schwätzen pseudointellektuell daher und zünden anderer Leute Autos an“.
Will man herausfinden, ob und inwieweit und wie sich „Rechte“ und „Linke“ tatsächlich voneinander unterscheiden, muss man die Frage als eine sozialwissenschaftliche Frage stellen, also danach fragen, ob und inwieweit und wie sich Personen, die aufgrund abgebbarer Kriterien als „Linke“ oder „Rechte“ bezeichnet werden, mit Bezug auf ihre Einstellungen, ihre Handlungsbereitschaften und ihre Persönlichkeiten voneinander unterscheiden, und diese Frage unter Verwendung eines methodisch „sauberen“ Forschungsdesigns empirisch untersuchen.
Entsprechende Forschung, die man meist im englischsprachigen Ausland und im Feld der Sozialpsychologie oder der Politikwissenschaft und unter dem Stichwort „political psychology“ bzw. politische Psychologie findet, gibt es, obwohl sie (noch) ziemlich selten ist. Zwar gibt es Legionen von Texten, in denen sich die Autoren zu Einstellungen, Handlungsbereitschaften und Persönlichkeiten von „Rechten“ äußern, aber diese zeichnen sich gewöhnlich durch grundlegende methodologische Fehler aus, allen voran der Abwesenheit einer Vergleichsgruppe von „Linken“ im Forschungsdesign, so dass über die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen „Rechten“ und „Linken“ keinerlei Aussagen gemacht werden können. (Wir ersparen uns an dieser Stelle ellenlange Zitationen; von der Richtigkeit der Aussagen kann sich jeder selbst überzeugen, wenn er eine entsprechende Recherche in Google oder in Google Scholar durchführt.)
Studien, die tatsächlich „Linke“ und „Rechte“ in ihrem Forschungsdesign berücksichtigen und auf diese Weise einen Vergleich zwischen ihnen ermöglichen, kommen zu dem Ergebnis, dass sie sich durchaus nicht so stark oder in der Weise voneinander unterscheiden, wie viele Menschen – und Medien! – es gerne hätten oder darstellen würden.
Wir stellen heute die erste einer Reihe dieser Studien vor, und zwar die Studie von Arlin James Benjamin, Jr. Aus dem Jahr 2014. In dieser Studie wurde 220 Studenten im Alter zwischen 18 und 59 Jahren ein Fragebogen vorgelegt, der verschiedene Mess-Skalen enthielt. Diese Skalen waren entwickelt worden, um
Einstellungen zu Gewalt zu messen,
das Ausmaß, in dem Befragte die zukünftigen Folgen ihrer Handlungen in Rechnung stellen,
das Ausmaß, in dem Befragte über Dinge nachdenken und es ihnen Freude macht, über Dinge nachzudenken, und
das Ausmaß des Autoritarismus in der Persönlichkeit der Befragten,
wobei diese Skala aus zwei Subskalen bestand, eine zur Messung von Rechtsautoritarismus und eine zur Messung von Linksautoritarismus. Die erste enthielt u.a. die Items „Gehorsam und Respekt vor Autoritäten sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten“ und „Gesetze müssen strikt befolgt werden, wenn wir unseren Lebensstil erhalten wollen“, die zweite u.a. die Items „Eine linke revolutionäre Bewegung darf das Establishment angreifen und Gehorsam und Konformität von ihren Mitgliedern einfordern“ und „Die Angehörigen des Establishments verdienen eine harte Behandlung ohne Gnade, nachdem das Establishment beseitigt ist“.
Die Befragten wurden anhand der Testscores, die sie auf den Autoritarismus-Subskalen erzielt hatten, in vier Gruppen unterteilt:
(A) Nicht-Autoritäre („non-authoritarians“), die auf beiden Subskalen niedrige Punktwerte erzielt hatten,
(B) „Linke“ („Left-wingers“), die niedrige Werte auf der Skala zur Messung von Rechtsautoritarismus, aber hohe Werte zur Messung von Linksautoritarismus erzielt hatten,
(C) „Rechte“ („Right-wingers“), die niedrige Werte auf der Skala zur Messung von Linksautoritarismus, aber hohe Werte zur Messung von Rechtsautoritarismus erzielt hatten, und
(D) Platzhalter-Autoritäre („wild-card authoritarians“), die auf beiden Subskalen zur Messung von Autoritarismus hohe Werte erzielt hatten.
Die Zugehörigkeit der Befragten zu einer dieser vier Gruppen wurde als unabhängige Variable zur Vorhersage/Erklärung der folgenden abhängigen Variablen benutzt:
(i) Einstellungen zu Krieg, (ii) Einstellungen zu durch das Strafgesetz legitimierter Gewalt, (iii)Einstellungen zur körperlichen Züchtigung, (iv) Gewalt in intimen Beziehungen und (v) das Ausmaß, in dem Befragte über Dinge nachdenken und es ihnen Freude macht, über Dinge nachzudenken sowie das Ausmaß, in dem Befragte zukünftige Folgen des Handelns in Rechnung stellen.
Die Zusammenhänge zwischen der unabhängigen und den abhängigen Variablen wurden mittels Varianzanalysen geklärt. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Analysen waren mit Bezug auf den Vergleich zwischen „Rechten“ und „Linken“:
(I) Die Personen, die den „Rechten“ zugeordnet wurden, hatten auf der Skala zur Messung von Rechtsautoritarismus durchschnittlich höhere Punktzahlen erreicht als die Personen, die den „Linken“ zugeordnet wurden, auf der Skala zur Messung von Linksautoritarismus erreicht hatten.
(II) “Linke” hatten signifikant negativere Einstellungen zu Krieg als “Rechte.
(III) Platzhalter-Autoritäre und „Rechte“ hatten signifikant positivere Einstellungen zu körperlicher Züchtigung als Nicht-Autoritäre und „Linke“.
(IV) „Linke“ hatten signifikant positivere Einstellungen zu Gewalt in intimen Beziehungen als „Rechte“.
Wie der Autor selbst bemerkt stehen diese Ergebnisse – außer dem zuletzt genannten – im Einklang mit älterer Forschung, und der Autor schließt hieraus, dass „[i]n general, right-wingers and left-wingers may very well operate from different sets of cognitive schemas or frames … when it comes to their acceptance toward violence” (Benjamin 2014: 11). Er ist also der Auffassung, dass die Ergebnisse dafür sprächen, dass „linker“ und „rechter“ Autoritarismus unterschiedlichen „kognitiven Schemata oder Rahmen“ entstammen.
Wenn man bedenkt, dass der Autor diese Schlussfolgerung auf der Grundlage von nur wenigen Variablen trifft, von denen eine, die Einstellungen zu Gewalt in intimen Beziehungen, „Linke“ und „Rechte“ statistisch signifikant voneinander unterscheidet, scheint seine Schlussfolgerung eher zweifelhaft.
Zweifelhaft erscheint sie auch insofern als statistisch signifikante negative Zusammenhänge sowohl bei „Rechten“ als auch bei „Linken“ mit dem Ausmaß bestanden, in dem Befragte die zukünftigen Folgen ihrer Handlungen in Rechnung stellen, und mit dem Ausmaß, in dem Befragte über Dinge nachdenken und es ihnen Freude macht, über Dinge nachzudenken (s. Table 1 in Benjamin 2014: 13). „Rechte“ und „Linke“ teilten in dieser Studie also Rigidität im Denken oder kognitive Geschlossenheit. Am Beginn seines Textes hatte Benjamin dieselbe allein mit „Rechten“ in Verbindung gebracht:
„Right-wing authoritarians are not known for their cognitive complexity. Rightwing authoritarians, according to Altemeyer (1981, 1988, 1996) tend to see the world in black and white, in terms of absolutes. They are not generally interested in looking for the nuances in an argument, or for handling the ambiguities that characterize life in a diverse democratic republic” (Benjamin 2014: 8).
Darauf, dass seine Daten auch für „Linke“ kognitive Geschlossenheit gezeigt haben, und man aus dieser Gemeinsamkeit die Schlussfolgerung hätte ziehen können, dass trotz einiger Unterschiede bezüglich einzelner Felder oder Kontexte der Gewaltanwendung „rechter“ und „linker“ Autoritarismus durchaus dieselben Grundlagen hat, nämlich Rigidität im Denken oder kognitive Geschlossenheit, geht der Autor nicht ein.
Er geht auch nicht darauf ein, dass man über die Qualität der von ihm verwendeten Skalen zur Messung von Links- und Rechtsautoritarismus bzw. der in ihnen enthaltenen Items trefflich streiten könnte. So fällt auf, dass die Items zur Messung von Linksautoritarismus „härter“ sind als diejenigen zur Messung von Rechtsautoritarismus. Erstere stellen u.a. auf harte Bestrafung ganzer Bevölkerungsgruppen ab, während Letztere u.a. auf die Erziehung von Kindern zur Gehorsam und Respekt vor Autoritäten abstellen. Zweifellos ist es für einen Menschen mit Gewissen einfacher, den letzteren Items zuzustimmen als den ersteren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die befragten Personen, die überhaupt als „Linke“ identifiziert wurden, auf der Skala zu Linksautoritarismus niedrigere Punktwerte erzielten als die Personen, die als „Rechte“ identizifiert wurden, auf der Skala zu Rechtsautoritarismus erzielten.
Die in mancher Hinsicht tendenziöse (Interpretation der) Studie verwundert denjenigen nicht, der die Veröffentlichungen von Benjamin kennt: Sie handeln fast alle von Gewalt, die mehr oder weniger deutlich mit „right-wing authoritarianism“ in Verbindung gebracht wird.[2]Es ist Benjamin gegenüber wohl keine Ungerechtigkeit, wenn man vermutet, dass er sich Links-Autoritarismus nur ausnahmsweise mit der Absicht oder Erwartung gewidmet hat, dass sich Links-Autoritarismus als nicht existent oder zumindest als gänzlich anderes Phänomen als Rechts-Autoritarismus erweisen würde. Aufgrund der Ergebnisse der Studie von Benjamin, die er wie gesagt nur teilweise in Worten berichtet, während andere nur als statistische Zusammenhangsmaße in Tabellen berichtet werden, muss man festhalten, dass diese Erwartung enttäuscht wurde.
Unabhängig von der inhaltlichen Fragestellung, die uns hier beschäftigt, kann auch das Folgende als Merksatz festgehalten werden:
Bei der Lektüre von Texten, die über empirische Forschungsergebnisse berichten, genügt es nicht die Darstellung in Worten zu lesen. Oft stehen die wichtigsten oder interessantesten Ergebnisse in den dem Text beigegebenen Tabellen!
Literatur:
Benjamin, Arlin James, Jr., 2014: Chasing the Elusive Left-wing Authoritarianism: An Examination of Altemeyer’s Right-Wing Authoritarianism and Left-Wing Authoritarianism Scales. National Social Science Journal 43(1): 7-13.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen.
ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden.
Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:
Die Fahne der Linken hatte die gleiche rote Farbe wie die der Urlinken nur das noch ein Hakenkreuz bei war. Das Gefährliche an den Rechten für diese Parteien ist das sie Recht haben. Mehr Professorismus braucht es eigentlich nicht.
Zu Ihrer Frage:
Wenn ich das richtig sehe, haben wir Material für insgesamt sieben Artikel. Wenn wir die alle verwirklichen, können wir der Allgemeinheit also noch sechs weitere Teile zur Verfügung stellen. Der zweite Teil kommt in jedem Fall schon in den nächsten Tagen.
Vielen Dank, dass Sie ScienceFiles unterstützen! Ausblenden
Wir sehen, dass du dich in Vereinigtes Königreich befindest. Wir haben unsere Preise entsprechend auf Pfund Sterling aktualisiert, um dir ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten. Stattdessen Euro verwenden.Ausblenden
Liebe Leser,
seit 2011 sind wir als zentrale Stelle zur Prüfung von nicht nur wissenschaftlichen Informationen für Sie da -
Unentgeltlich in all den Jahren.
Bislang sind wir in der Lage, unseren Aufwand über Spenden zu decken.
Damit das auch weiterhin so bleibt, benötigen wir Ihre Hilfe:
Die Fahne der Linken hatte die gleiche rote Farbe wie die der Urlinken nur das noch ein Hakenkreuz bei war. Das Gefährliche an den Rechten für diese Parteien ist das sie Recht haben. Mehr Professorismus braucht es eigentlich nicht.
Richtig starker Artikel! Darf man nach einem Ausblick fragen, wie viele Teile diese Reihe haben wird?
@Roland
Herzlichen Dank für das Lob!
Zu Ihrer Frage:
Wenn ich das richtig sehe, haben wir Material für insgesamt sieben Artikel. Wenn wir die alle verwirklichen, können wir der Allgemeinheit also noch sechs weitere Teile zur Verfügung stellen. Der zweite Teil kommt in jedem Fall schon in den nächsten Tagen.