Manipulation von Umfrageergebnissen: Zustimmungsquoten wie die SED

Im politischen Diskurs ist es unglaublich wichtig, die “öffentliche Meinung” für sich zu reklamieren. Wer zuerst behauptet, er habe die Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite, hat einen first-mover Vorteil und zwingt diejenigen, die ihm widersprechen wollen dazu, nicht über den strittigen Inhalt zu sprechen, sondern über die vermeintliche Mehrheit für den strittigen Inhalt. Nun hat man nicht immer Volkes Mehrheit auf seiner Seite, was zuweilen ärgerlich, zuweilen betrüblich ist. Aber: Die Rettung naht bereits. Volkes Meinung bei einer Einwohnerzahl von rund 81.8 Millionen Bürgern zu erheben, ist, selbst wenn man alle Minderjährigen herausrechnet, ein nahezu unmögliches Unterfangen (Selbst der alle vier Jahre stattfindende Gang zur Urne gibt keinen Überblick über Volkes Meinung, sondern nur die Meinung derjenigen wieder, die sich aufraffen konnten, ihre Stimme in die Urne zu werden.).

Die Schwierigkeit, Volkes Meinung zu bestimmen, hat vieles für sich, denn wer etwas “im Namen des Volkes” behaupten will, kann das erst einmal, bis zum Beweis des mehrheitsfähigen Gegenteils, ungestraft tun. Aber, so einfach, werden manche sagen, ist das nun auch wieder nicht, denn die Sozialwissenschaften haben aus dem Nachlass von Paul E. Lazersfeld ein mächtiges Mittel der Bevölkerungsbefragung, den repräsentativen Bevölkerungssurvey, übernommen. Je nach Auswahlverfahren, so die Spezialisten dieser Befragungsmethode, reichen 1000 Befragte, um verlässlich auf Volkes Meinung zu schließen. Diese Haltung wird wiederum von anderen Spezialisten als naiver Glaube mathematisch und logisch Unbegabter angesehen, aber, wie dem auch sei, gehen wir einmal davon aus, eine repräsentative Befragung sagte wirklich etwas über die Wirklichkeit, über Volkes Meinung aus. Dies wollen uns in jedem Fall all die Politiker und Funktionäre Glauben machen, die bei jeder Umfrage, deren Ergebnis sie berichten, das Wörtchen “repräsentativ” in seinem jeweiligen Kasus besonders betonen. Repräsentativ soll heißen, das Ergebnis ist wahr, unverrückbar und richtig und niemand kann etwas dagegen vorbringen.

Tatsächlich scheinen Politiker und Funktionäre von der Macht der repräsentativen Umfrage so überzeugt zu sein, dass sie nicht einmal davor zurückschrecken, Ergebnisse zu manipulieren, um für sich die repräsentative Kraft von Volkes Meinung in Anspruch nehmen zu können. Ein Beispiel, das ich in diesem Blog bereits besprochen habe, ist Viviane Reding, bei der Europäischen Kommission ausgerechnet für u.a. Justiz zuständig (Gut, dass Lügen nur kurze Beine haben und nicht strafrechtlich verfolgt werden…), die in einer sehr kruden, fast schon primitiven Weise versucht hat, Ergebnisse des Eurobarometer für ihre Zwecke zu manipulieren. Ich habe in diesem Zusammenhang die “hohe” Kunst der Manipulation in Umfragen bereits angsprochen und will mich an dieser Stelle auf einen spezifischen Punkt konzentrieren, der Umfrageforschung zu einem mächtigen Instrument in den Händen der manipulierfreudigen politischen Klasse macht: Die Macht von Suggestivfragen, mit der sichergestellt werden kann, dass die Antworten, die man erhält, auch die Antworten sind, die man erhalten will.

Kurt Holm hat bereits 1975 in seinem unschätzbaren Büchlein, die Befragung, auf die Formen der Manipulation durch geschickte Fragestellung hingewiesen. Die Sicherstellung der “richtigen” Antworten in einer “repräsentativen Umfrage” kennt sieben Strategien, sechs davon, will ich hier nennen (Holm, 1975, S.63):

  • “Man formuliert scheinbar offene Fragen mit expliziten oder impliziten Antwortalternativen (z.B.: “Sind Sie der Meinung, dass die Rentenüberschüsse aufgespart werden sollten?” – es fehlt: oder sollten sie nicht aufgespart werden.);
  • Man formuliert geschlossene Fragen ohne eine vollständige Liste von Antwortmöglichkeiten zu präsentieren. Antworten, die nicht erwünscht sind, werden als Antwortalternativen nicht vorgegeben. (Dies ist eine beliebte Strategie, die man immer wieder beobachten kann: Wie würden Sie die Artikel in der Wikipedia beschreiben? Sachgerecht, neutral, kenntnisreich, weiterführend, grundlegend. Es fehlt: zuweilen diffamierend, falsch, ideologisch eingefärbt usw.);
  • Die verfeinerte Variante der zuletzt genannten Möglichkeit besteht darin, die Antwortvorgaben zwar zu nennen, aber so zu formulieren, dass der Befragte von ihrer Nennung abgestoßen wird (z.B. absichtlich diffamierend und rechtsextrem oder linksextrem);
  • Man kann Befragten auch eine lange Liste von Antwortmöglichkeiten vorlesen und die vom Auftraggeber der Befragung gewünschten Antworten an das Ende der Liste stellen, so dass sie dem Befragten in bester Erinnerung sind und eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, genannt zu werden, als die anderen Antwortmöglichkeiten.
  • Wenn Mehrfachnennung prinzipiell möglich sind, dann lässt man sie nicht zu und zwingt Befragte, sich zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden. (Welche Informationsquelle halten Sie für besonders verlässlich? Wikipedia, oder Kaffeesatzlesen);
  • “Man formuliert suggestiv – nicht in simpler, auffälliger Weise – sondern dadurch, dass man in einer Frage Argumente für die gewünschte Antwort einbaut”.

Soviel zur Theorie, nun zur Praxis:

Ein besonders schönes Manipulations-Beispiel habe ich gerade auf den Seiten des DGB gefunden. Dort steht die folgende Pressemeldung: “forsa-Umfrage: 80 Prozent gegen Senkung des Rentenbeitrags”. Die Senkung des Rentenbeitrags als Ergebnis der Tatsache, dass man den derzeitigen Beitragszahlern zu viel Beiträge abgeknöpft hat, ist zwischenzeitlich vom Bundeskabinett beschlossen worden, wird vom DGB aber heftig bekämpft. Wie alle sozialistischen Vereinigungen, so hat auch der DGB ein kollektives Weltbild, indem Solidarität zum Schlüssel nicht nur für eigene Bereicherung wird, die Funktionäre sich deutlich höhere Einkommen genehmigen sieht, als die Mitglieder, die z.B. durch ihren Beitrag die Mittel aufbringen, aus denen Funktionäre sich bedienen, sondern auch zum Schlüssel dafür, derzeitige Beitragszahler zu Gunsten einer “kollektiven Nachhaltigkeit” mehr zur Ader zu lassen als notwendig. Da bekannt ist, dass die gesetzliche Rentenversicherung vor allem für männliche Beitragszahler eine negative Rendite erwirtschaftet, kommt diese Verpflichtung zur Solidarität, die dem DGB vorschwebt, dem unkonditionierten Diebstahl gleich.

Aber: Der DGB hat die Mehrheit, nein, die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite. Das beweist eine Umfrage von forsa und das weiß Annelie Buntenbach wie folgt in Worte zu fassen: “Die von der Bundesregierung geplante Beitragssenkung ist unverantwortlich und wird von einer erdrückenden Mehrheit der … Bürger abgelehnt. Die Behauptung, eine Senkung des Rentenbeitrags sei im Interesse der … Arbeitnehmer, ist damit eindrücklich widerlegt”. Ist sie das wirklich?

Zunächst ist es schwer nachvollziehbar, dass Befragte auf die Rückgabe von Beiträgen freiwillig verzichten sollen. Die Mär von der Solidarität kennt zwar den altruistischen Verzichter, der lieber (ver)hungert, bevor er seine Solidarität mit anderen einstellt (oder wie Neil Young sagt: When the benefit comes, I’m last in Line), aber in der Realität ist er mir noch nie begegnet. Nun gut, ich sitze auch nicht im Vorstand des DGB, aber selbst dort ist die Anzahl der Vorstände, die zu gunsten notleidender Alleinerziehender auch nur auf einen Teil ihres üppigen Gehalts verzichten, eher nicht existent. Wie kommt es also, dass 80% von 1001 (!sic) von forsa in einer repräsentativen Umfrage (wie könnte es auch anders sein) Befragte freiwillig auf die Rückgabe von Beiträgen, die einige von Ihnen geleistet haben, verzichten?

Die Antwort ist einfach. Die Antwort verweist zunächst auf Alternative 6 aus der Liste der Möglichkeiten zur Manipulation von Befragungsergebnissen: suggestive Fragen. Forsa hat suggestiv gefragt. Nicht plump suggestiv, nein, ziemlich geschickt. Die gesamte Antwortverteilung hängt nämlich nur an einem einzigen Adjektiv, dem Adjektiv “geringfügig”.

Die Überschüsse der Rentenversicherung, so fragen die Mannen von forsa, sollten genutzt werden, um die Beiträge zur Rentenversicherung geringfügig zu senken oder aufgespart werden.

Die Suggestivkraft des Adjektivs “geringfügig” ist groß, wie man schnell sieht, wenn man sich an den Zusammenhang erinnert, in denen das Wörtchen “geringfügig” sonst eine Rolle spielt: “geringfügig Beschäftigte”, “geringfügige Einkommen”. Geringfügig ist nicht nur negativ konnotiert, es ist auch bedauernswert wenig. Wer erwartet bei dieser Fragestellung, dass viele Befragte für die “geringfügige Senkung” votieren, wenn man von aufgespartem Guthaben doch eigentlich eine Rendite erwarten kann, die nicht geringfügig ist? Dies führt zum nächsten Manipulationstrick in dieser simplen Frage: Sparen ist eine Tätigkeit, die individuelle Beteiligung suggeriert. Wer spart erhält Zinsen. Wem fällt in diesem Zusammenhang wohl ein, dass er als Beitragszahler zwar etwas von einer geringfügigen Beitragssenkung, aber nichts von einer nicht näher klassifizierten (um seine Phantasie nicht zu hemmen) “Aufsparung” hat. Wundern sie sich nicht über das “Auf” anstelle des “An” vor dem Sparen? Aufsparen klingt nach, viel Geld, hohe Zinsen, Ansparen klingt nach wenig Zinsen und lange Wartezeit, abermals eine geschickte Suggestion, um die richtige Antwort sicherzustellen.

Man kann also feststellen, dass dann, wenn es darum geht, Volkes Meinung für sich zu reklamieren, keine Suggestion, kein Trick gescheut wird, denn: die eigene Position wird durch die repräsentative Mehrheit des Volkes geadelt.

Abschließend noch ein bischen Methodologie der empirischen Sozialforschung:
In Umfrageforschung unterscheidet man zwischen standardisierten, halbstandardisierten und offenen Befragungsformen. Der Unterschied besteht im Wesentlichen in der Strickheit der Vorgaben. In standardisierten Umfragen werden den Befragten Antwortalternativen vorgegeben (sogenannte standardisierte Fragen gestellt) in offenen Befragungsformen gibt es zuweilen nicht einmal konkrete Fragen, aber zumeist gibt es einen Leitfaden von Fragen, die dem Befragten gestellt werden und auf die er ohne Antwortvorgaben antworten soll. Die forsa Befragung ist eine standardisierte Befragung, in der Fragen und Antworten vorgegeben wurden.

Die Frage, ob es möglich ist, auf der Grundlage von 1000 Befragten repräsentative Aussagen über die Gesamtheit der Bevölkerung herzustellen, ist unter Forschern umstritten. Ich gehöre zu der Fraktion, die sagt, es sei nicht möglich, auf Grundlage von 1000 Befragten oder auch auf Grundlage von 10000 Befragten repräsentative Aussagen für die Gesamtheit der Bevölkerung zu machen. Dies liegt u.a. an einem inhärenten Problem der Repräsentativität. Das Axiom der Repräsentativität sagt, dass zufällig ausgewählte Befragte für eine Grundgesamtheit repräsentativ sind. Das Axiom basiert auf dem Gesetz der großen Zahl, wonach z.B. mit der Anzahl der Würfe eines Würfels sich die Verteilung von 1, 2, 3, 4, 5 und 6 der statistischen Wahrscheinlichkeit für z.B. eine 1 von 1/6 annähert. Die Frage, wann eine Umfrage für 81 Millionen Deutsche repräsentativ ist, ist somit eine Frage der Menge und man kann feststellen, dass 1000 Befragte mit Sicherheit zu wenige sind, um mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Repräsentativität herzustellen. Deshalb behilft man sich mit demographischen Variablen. Der Anteil von Männern und Frauen, von 15 bis 21jährigen und 65 bis 75jährigen, sowie Bewohner von Städten und Dörfern mit weniger als 1000 Einwohnern ist bekannt. Der Anteil der auf die entsprechenden Kategorien in einer Befragung entfällt, kann errechnet werden. Die Abweichung zwischen beiden, der tatsächlichen Verteilung und der Verteilung in der Befragung, die sich z.B. im Hinblick auf den Anteil der 15 bis 21jährigen ergeben hat, wird dann durch “Gewichtung” ausgeglichen. Das bedeutet schlicht, wenn ich in der Gesamtbevölkerung 10,4% 15 bis 21jährige, in meiner Befragung aber nur 5,2% habe, dass die entsprechenden Befragten mit dem Faktor 2 multipliziert werden. Das sehen manche als Garant für Repräsentativität an, ich halte es für Erbsenzählerrei, und falls Sie schon einmal befragt wurden, z.B. von forsa und sich gewundert haben, warum Sie Ihr Alter und die Größe Ihres Wohnorts angeben sollten, jetzt wissen Sie es.

I’m proud to be a Union Man, die D-Rangers spielen Neil Young:

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