Ausgleichende Gerechtigkeit: Die Zuckerseite des Dickseins

Keiji-Kotomitsuki-Sumo WrestlerDicke haben es nicht leicht in der modernen Gesellschaft. Das staatlich verordnete Ideal des deutschen, nein des modernen, aktiven und gesunden Menschen, sieht den dünnen Menschen, den Menschen mit einem „Body-Mass-Index“ (BMI) von zwischen 18,5 und 25 vor. Drunter ist schlecht, drüber ist ganz schlecht (Sie erinnern sich an den Body-Mass-Index: Gewicht geteilt durch die quadrierte Körpergröße?). Das Mantra des dünnen Deutschen, will aber, wie z.B. das Robert-Koch-Institut (RKI) in regelmäßigen Abständen verkündet, einfach nicht zur gesellschaftlichen Wirklichkeit des durchschnittlichen Körperumfangs passen. So hat das RKI gerade erst wieder festgestellt, dass 67,1% der Männer und 53% der Frauen übergewichtig sind (Wieder eine Form der Benachteiligung von Frauen und dieses Mal eine mit Folgen, wie sich im Verlauf dieses Textes herausstellen wird…). 23,3% der Männer und 23,9% der Frauen haben gar so viel Fett im Gewebe angesammelt, dass sie als adipös gelten (ab einem BMI von 30).

Ungeachtet der Wirklichkeit oder gerade wegen dieser Wirklichkeit, die mehrheitlich nicht dünne Deutsche kennt, ist das Ideal des dünnen Deutschen allgegenwärtig, wie sich z.B. bei der AOK nachlesen lässt. Und mit anscheinend gutem Grund, sind Dicke, besonders Adipöse doch die ersten, die Kankheit befällt und die der Sensenmann dahin rafft: „Die Adipositas ist eines der größten, chronischen Gesundheitsprobleme der westlichen Industrieländer“. Welcher Art die Probleme sind, denen Dicke sich gegenübersehen? Vielfältig: Bluthochdruck, Diabetis Mellitus, Arterienverkalkung, Herzinsuffizienz, ein höheres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, Beinvenenthrombosen und alle Probleme konspirieren mit den einem ultimativen Ziel: Das Leben eines Adipösen zu verkürzen.

Thaler NudgeIst es da ein Wunder, dass wohlmeinende europäische Regierungen assisstiert von wohlmeinenden Wissenschaftler, die z.B. einen liberalen Paternalismus erfunden haben, versuchen, die unvernünftigen Menschen, die essen, was ihnen nicht bekommt oder zu gut bekommt, mit Verhaltensködern wie höheren Steuern auf Fettsäuren und Zucker oder einer ganzen Reihe wohlgemeinter Beratungsangebote und Hilfestellungen auf den Weg zum dünnen Staatsbürger locken wollen? Nein! Angesichts hoher Kosten für überstrapazierte Versicherungssysteme, die Dicke vermeintlich verursachen, ist dies kein Wunder. Aber verursachen Dicke auch wirklich höhere Kosten als z.B. mitversicherte Kinder, beinbrechende Skifahrer, in-Vitro-Fertilisations-Süchtige oder waghalsige Autofahrer?

Nun, eine solche Frage hätte früher, also z.B. in den 1970er oder 1980er Jahren, eine hohe Wahrscheinlichkeit gehabt, den ein oder anderen Sozialwissenschaftler zu interessieren. Damals hätte sich bestimmt einer gefunden, der nicht nur diese Frage stellt, sondern sich darüber hinaus fragt, ob es sinnvoll ist, dass Regierungen in das Leben ihrer Bürger und regelnd, nein, steuernd (immer im Richtung auf das gute und bessere bzw. dünne Leben versteht sich) eingreifen. Damals, als sich z.B. Soziologen noch mit der Erklärung sozialer Fakten beschäftigt haben und sich nicht im Gewirr der eigenen Konstruktionenen einer sozialen Wirklichkeit verfangen haben bzw. nicht damit beschäftigt waren, den linken Robin Hood für Arme, nein Alleinerziehende zu geben, damals wäre der ein oder andere darauf gekommen, dass Handlungen, so geplant und absichtsvoll sie auch sind, immer auch unbeabsichtigte Handlungsfolgen zeitigen. Dies ist das Elend u.a. der sozialistischen Planwirtschaft: Da niemand allwissend ist, auch Sozialisten nicht, Entscheidungen aber generell auf die Zukunft zielen, kann niemand sicher sein, dass seine Entscheidungen auch die Folgen haben und nur die Folgen haben, die er beabsichtigt hat. Die Geschichte der DDR ist voller unbeabsichtigter Folgen, am besten dokumentiert im chronischen Knappheiten von Ressourcen und Produkten aller Art.

Von diesem kurzen Ausflug ist es nur ein kleine Transferleistung, um bei der Erkenntnis anzugelangen, dass dann, wenn Planung nicht garantieren kann, dass das beabsichtigte Ziel erreicht wird, es vielleicht auch nicht so geschickt ist, das Leben anderer Menschen, z.B. Dicker, also deren Verdünnung zu planen. Möglicherweise hat die verordnete Schlankheitskur, hat der verordnete Trimm-Dich-Aufenthalt in Oberfranken eine unbeabsichtigte Folge, die das Leben des betroffenen Dicken nicht verlängert, sondern im Gegenteil verkürzt.

keep_calm_and_eat_chocolateUnd in der Tat und das mag manche Dicke trösten, die durch Fitnesstrainer zum Schlaganfall getrieben wurden, don’t worry: Ihr habt eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als Dünne und Normalgewichtige! Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung, die Wolfram Döhner, Johannes Schenkel, Stefan D. Anker, Jochen Springer und Heinrich J. Audebert gerade im European Heart Journal (Advanced Access) veröffentlicht haben.

Die Untersuchung basiert auf 4.428 Personen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Die Autoren haben für diese 4.428 Schlaganfall Patienten eine Reihe von Informationen gesammelt, u.a. ihren BMI, und sie haben sich 30 Monate, nachdem die Patienten mit einem Schlaganfall in einem Krankenhaus eingeliefert wurden, dafür interessiert, was aus Ihnen geworden ist. Was sie dabei herausgefunden haben, ist eine frohe Botschaft für Dicke: Mit zunehmendem BMI sinkt das Risiko, an einem Schlaganfall zu sterben, nach einem Schlaganfall Pflegefall zu sein oder nach einem Schlaganfall eine Behinderung davon zu tragen. Im Klartext: Je fetter, desto höher sind die Chancen, einen Schlaganfall unbeschadet zu überstehen. So haben Adipöse im Vergleich zu Normalgewichtigen eine rund doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, nicht an einem Schlaganfall zu versterben, im Vergleich zu Untergewichtigen ist die Wahrscheinlichkeit gar rund 4 Mal höher (In Zahlen: 61% der Untergewichtigen, 35% der Normalgewichtigen und 13% der stark Adipösen sterben an den Folgen eines Schlaganfalls). Offensichtlich hat ein Dicker mehr Reserven, die er im Falle eines Schlaganfalls aktivieren kann.

Die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit Dicker im Vergleich zu Normalgewichtigen, ihr geringeres Risiko als Folge eines Schlaganfalls Pflegefall oder behindert zu sein, scheint die ausgleichende Gerechtigkeit u.a. dafür zu sein, dass Dicke eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, einen Schlaganfall zu erleiden, und es scheint die ausgleichende Gerechtigkeit für all die Interventionen und wohlgemeinten Ratschläge zu sein, die Dicke aufgrund ihrer Lebensführung erdulden müssen.

Wohin führt nun dieses Ergebnis all die vielleicht gut gemeinten Versuche, Dicke zu verdünnen? Nun, im Falle eines Schlaganfalls führen diese Versuche die ehedem Dicken mit höherer Wahrscheinlichkeit in ihr Grab. Entsprechend muss man entweder den Schlaganfall verbieten, wenn man die Planung des idealen Lebens als Dünner nicht aufgeben will oder damit aufhören, das Leben anderer, das Essen anderer, das Körpergewicht anderer zu planen bzw. dessen ideale Ausformung vorzugeben. Es gibt eben keine Alternative zur Eigenverantwortung und dazu, dass jeder nach seiner Façon und eben nicht nach Façon seiner Regierung und ihrer Horden von Erfüllungsgehilfen selig werden soll.

Döhner, Wolfram, Schenkel, Johannes, Anker, Stefan D., Springer, Jochen & Audebert, Heinrich J. (2013). Overweight and Obesity are Associated with Improved Survival, Functional Outcome, and Stroke Recurrence after Acute Stroke or Transient Ischaemic Attack: Observations form the TEMPiS Trial. European Heart Journal (Advanced Access) doi:10.1093/eurheartj/ehs340.

Folgen Sie uns auf Telegram.
Anregungen, Hinweise, Kontakt? -> Redaktion @ Sciencefiles.org
Wenn Ihnen gefällt, was Sie bei uns lesen, dann bitten wir Sie, uns zu unterstützen. ScienceFiles lebt weitgehend von Spenden. Helfen Sie uns, ScienceFiles auf eine solide finanzielle Basis zu stellen.
Wir haben drei sichere Spendenmöglichkeiten:

Donorbox

Unterstützen Sie ScienceFiles


Unsere eigene ScienceFiles-Spendenfunktion

Zum Spenden einfach klicken

Unser Spendenkonto bei Halifax:

ScienceFiles Spendenkonto: HALIFAX (Konto-Inhaber: Michael Klein):
  • IBAN: GB15 HLFX 1100 3311 0902 67
  • BIC: HLFXGB21B24

Print Friendly, PDF & Email
4 Comments

Bitte keine Beleidigungen, keine wilden Behauptungen und keine strafbaren Inhalte ... Wir glauben noch an die Vernunft!

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Translate »

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen

Entdecke mehr von SciFi

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen