Gelebter Faschismus: @blockempfehlung

Soziale Netzwerke sind für Soziologen und Sozialpsychologen sehr interessant, denn nirgends kann man mehr über Eigenschaften und Charaktere von Menschen erfahren, über ihre Persönlichkeit oder ihr Selbstbewusstsein, als auf Twitter, Facebook, LinkedIn oder Xing. Wer über einen Korpus an soziologischen und sozialpsychologischen Theorien verfügt, für den sind soziale Netzwerke eine wahre Fundgrube.

Eine Reihe von Lesern von ScienceFiles, die uns auf Twitter folgen, hat uns auf @blockempfehlung aufmerksam gemacht. @blockempfehlung ist ein Account, dessen Inhaber sich darauf spezialisiert hat/haben, die Welt mit Emfehlungen zu beglücken. Sie verweisen auf andere Twitter-Accounts, die von dem oder denen, die sich hinter @blockempfehlung verstecken, als unwerte Twitterer angesehen werden. Sie erwarten von ihren getreuen “Followern”, dass sie diese identifizierten Twitter-Accounts blockieren, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, auf das, was in der Hierarchie der @blockempfehler nicht unwerte Twitterer von sich gegeben, zu reagieren.

Wie immer, fangen soziologische Analysen bei der Definition des Gegenstands an.

Was sind unwerte Twitterer?

Die Selbstbeschreibung von @blockempfehlung hilft hier ein wenig weiter:
Blockempfehlung

Unwerte Twitterer sind demnach Maskus, Nazis, Macker, Twitterer, die Derailing betreiben, Twitterer, die Rechtsstaatsmeinungsfreiheitsgeschrei betreiben und Twitterer, die diskriminieren. Dieser Aneinandereihung von Begriffen, kann man entnehmen, was die anonymen Blockempfehler nicht mögen, aber leider fehlt jedes Kriterium, nach dem ein Masku, ein Nazi, ein Macker oder ein Rechtsstaatsmeinungsfreiheitsschreier identifiziert werden kann.

Die Tweets der Blockempfehler helfen hier auch nicht wirklich weiter.  Die ergiebigsten sind noch die folgenden

Das hilft nicht weiter, und so bleibt festzuhalten, dass die Betreiber von @blockempfehlung nicht in der Lage sind, auch nur ein Kriterium dafür anzugeben, wen sie warum zum Blocken empfehlen bzw. selbst blocken. Auch die Wahl der verbalen Feinde scheint willkürlich: Einmal sind es “Maskus” und “Rechtsstaatsmeinungsfreiheitsschreier”, einmal sind es “Rassist_innen” und “Sexist_innen”. Grundlage ihrer Empfehlung, so muss man annehmen, sind eigene Befindlichkeiten, affektive Stimmungen oder Emotiönchen, so dass der @blockempfehlung-Twitter-Account sich als emotionaler Exhibitionismus darstellt.

Übrigens ist der erste oben genannte, vermeintliche Blockgrund absoluter Unsinn, denn Diskriminierung ist ein Verhalten, das sich dadurch auszeichnet, dass das Objekt der Diskriminierung einen Nachteil, Achtung, jetzt kommt es: wegen der Diskriminierung hat. Es braucht also mehrere Zutaten, um eine Diskriminierung herzustellen. Wenn zum Beispiel Männer von Bewerbungen auf Universitätsstellen, die von Steuerzahlern finanziert werden, ausgeschlossen werden, dann ist das eine Diskriminierung, denn ihnen wird nicht nur Chancengleichheit aktiv verwehrt, ihre berufliche Laufbahn wird auch aktiv behindert. Insofern kann Diskriminierung nur vom Opfer aus gesehen werden. Erst wenn gezeigt werden kann, dass Person X wegen Äußerungen von Person Y, die sich auf Eigenschaften von X bezogen haben, die in keiner Weise relevant sind, einen benachteiligt wurde, kann angenommen werden, dass eine Diskriminierung vorliegt.

GarfinkelEmotionaler Exhibitionismus ist nun nicht unbedingt Gegenstand der Soziologie. Jedoch kann man mit dem Instrumentarium, das Ethnomethodologie oder Symbolischer Interaktionismus bereitstellen,  Schlussfolgerungen über die geistige Welt, die Normalität des Alltagshandelns der Blockempfehler ziehen. Diese geistige Welt, die Normalität, in der sie leben, entpuppt sich als sehr einsam, sehr eng und sehr abgeschlossen, denn sie wird vom Kampf gegen Schimären wie “Maskus” und “Nazis” und Andersdenkende bestimmt. Sie wird von der Notwendigkeit getrieben, die eigene Vorstellungswelt, gegen Argumente und abweichende Meinungen zu schützen und damit sind wir in der Sozialpsychologie angekommen:

Warum muss die eigene Vorstellungswelt gegen abweichende Meinungen und Andersdenkende abgeschirmt werden? Warum entschließt sich jemand, aktiv gegen Andersdenkende vorzugehen?

Derzeit läuft im britischen Fernsehen (wieder) die BBC-Serie “The Dark Charisma of Adolf Hitler”, eine Reihe, die von Ian Kershaw geschrieben und von Anthony Reece umgesetzt wurde und die einmal mehr untersucht, wie eine vermeintliche Kulturnation einen Weltkrieg lostreten und wie sich die Kulturnationsmenschen an einem Massenmord beteiligen konnten. Jenseits dieser Fragen ist uns eine Sequenz in Erinnerung geblieben, die zeigen sollte, wie Adolf Hitler an seinem “Charisma”, an seinem Mythos gebaut hat. So hat er keinerlei fremde Ideen an sich herangelassen und sich in seiner eigenen Vorstellungswelt vergraben. Fremde Ideen hat er als Verunreinigung der eigenen Gedanken angesehen und sie entsprechend nicht zur Kenntnis genommen.

Die Abschottung der eigenen Vorstellungswelt von den Meinungen und Argumenten Dritter, der Ausschluss vermeintlich kritischer oder in Frage stellender Aussagen dient demnach dazu, keinen Zweifel an der eigenen Vorstellungswelt aufkommen zu lassen. Hitler hat damit einen Mythos begründet, der Führer, der allwissend ist und von niemandem etwas zur Kenntnis nehmen muss.

Nun sind diejenigen, die hinter @blockempfehlung stecken, weit davon entfernt, einen Mythos für sich aufzubauen. Das scheitert schon daran, dass ihre Feigheit sie daran hindert, mit ihrem Namen hinter ihren Handlungen zu stehen. Folglich stellt sich die Frage: Warum wehren sie andere Meinungen und Ideen ab, warum wollen sie Dritte dazu bewegen, ihren Empfehlungen zu folgen und sich gleichermaßen in ihrer eigenen Vorstellungswelt und wie Adolf Hitler einzuigeln.

CHAPLINNun, die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Hitler hat einen Mythos geschaffen, die Blockemfehler haben sich einem Mythos, einer Heilslehre zugeordnet. Sie versprechen sich psychologische und materielle Vorteile davon, dass sie eine Heilslehre übernehmen und sich als getreue Vasallen derjenigen auszeichnen, die die Heilslehre verkünden. Im vorliegenden Fall ist nicht ganz klar, um was für eine Heilslehre es sich dabei handelt, aber es  ist klar, dass es eine Heilslehre ist, die sich gegen Maskus, gegen Nazis, gegen Personen richtet, die das Recht auf eine freie Meinungsäußerung verteidigen “usw”.

Offensichtlich ist es den Blockempfehlern ein Bedürfnis, in einer “reinen” Welt zu leben, in der sie mit Meinungen, die von ihrer Heilslehre abweichen, nicht konfrontiert sind. Im Sinne von Frederic S, Perls (Perls, Heferline & Goodman, 1991) sind sie die Ergebnisse ihrer neurotischen Bezugs-Gesellschaft, die sie Selbstwert nur aus ihrer Unterordnung unter eine vorgegebene Heilslehre finden lässt. Dementsprechend muss es sich bei den Betreibern von @blockempfehlung um fragile Persönlichkeitchen handeln, die die Übernahme von Verantwortung ebenso scheuen (deshalb die Anonymität), wie den Wettbewerb mit Dritten, die andere Meinungen vertreten und deren Konkurrenz sie sich nicht gewachsen fühlen.

Julian Rotter (1954) würde ihnen vermutlich einen externen Locus of Control attestieren, der sie Handlungsfähigkeit nur daraus gewinnen lässt, dass sie kein eigens Urteilsvermögen reklamieren, es vielmehr durch Gefolgschaft ersetzen: Das was die Verkünder der angenommenen Heilslehre als richtig vorgeben, wird als eigenes Urteil adaptiert. So wie sich Deutsche im Dritten Reich dem Führer zu Füßen geworfen haben, so werfen sich die Blockempfehler einer Heilslehre an den Hals, von der sie Leitung und Orientierung, psychologische und materielle Belohnungen erwarten.

TajfelNun kann alle Unterodnung den Fakt nicht verdecken, dass die vermeintlich eigene Meinung keine eigene Meinung ist, ebenso wenig wie die eigene Existenz auf einer personalen Identität basiert. So wird der Selbstwert, den man aus eigener Kraft als nicht erreichbar ansieht, durch Übernahme einer sozialen Identität, wie dies Henry Tajfel (1982) und Jonathan Turner (1987) beschrieben haben, herzustellen versucht. Die komplette Unterordnung unter diese soziale Identität ist jedoch ein affektiver Vorgang, der nicht begründet werden kann, und deshalb sind abweichende Meinungen und Kritik so gefährlich, sie gefährden die wackelige affektive und eben nicht rationale Grundlage, auf der der eigene, geliehene Selbstwert, auf dem die eigene Surrogat-Identität (Heitmeyer, 1992) basiert.

Die Übernahme der sozialen Identität diente ja gerade dazu, den eigenen Minderwertigkeitskomplex, die bei sich gesehene tatsächlich vorhandene oder eingebildet vorhandene Leistungsunfähigkeit, die Angst vor dem Scheitern im Wettbewerb mit Dritten zu überwinden und sich in eine vermeintlich überlegene Position zu schwingen, die man auf Basis von realen Kompetenzen nie erreichen könnte oder zu können glaubt. Entsprechend sind abweichende Meinungen und Kritik gefährlich, gefährden das zarte Pflänzchen der eingebildeten Identität, und deshalb muss eine Konfrontation mit abweichenden Meinungen ausgeschlossen werden.

Nun verfügen derartige Unterordner unter Heilslehren nicht über Argumente, denn ihre Unterordnung ist ein affektiver Vorgang, den sie rational nicht gegen Argumente verteidigen können. Deshalb bewegen sie sich ausschließlich im Rahmen dessen, was ihre Heilslehre als gut oder schlecht beschreibt, sie bewegen sich im Rahmen von Begriffen, im vorliegenden Fall von “Nazi”, “Masku” oder was auch immer, Begriffe, die für sie einen hohen negativ affektiven Wert haben und von denen sie annehmen, man können Dritte damit erschrecken oder diskreditieren.

Eh voilá. Damit wäre erklärt, mit wem wir es bei @blockempfehlung zu tun haben, in kurz: mit Personen, die aufgrund von Persönlichkeitsdefiziten, einer fehlenden personalen Identität und vorhandenen Deprivationen einen Wettbewerb mit Dritten scheuen und ihr Heil und Auskommen in der Übernahme einer Surrogat-Identität und der erhofften Belohnung für Gehorsam suchen (insofern ist es lustig, dass sie sich ausgerechnet gegen Nazis wenden, die auf derselben Persönlichkeitsstrukt aufgebaut haben, wie man nahezu jeder historischen Aufarbeitung des Dritten Reiches entnehmen kann…).

Entsprechend müssen sie alle bekämpfen, die dieses Heil durch kritische Fragen oder abweichende Meinungen gefährden. Sie sind die wahren Untertanen, die empfundene Minderwertigkeit durch Aktionen gegen Kritiker und Zweifler zu überwinden suchen. Sie sind die verbalen Mitläufer und Nachfolger einer geistigen Inquisition, die sich in einem Punkt von den Inquisitoren des Mittelalters unterscheiden: Die Inquisitoren des Mittelalters waren nicht feige und haben für ihre Heilslehre eingestanden, bis zum oftmals bitteren Ende.

P.S.

Wer sich wundert, dass wir nicht ausführlich auf das “Rechtsstaatsmeinungsfreiheitsgeschrei” eingegangen sind: Wer derartigen Unsinn verkündet, der diskreditiert sich eigentlich von selbst, denn wenn nicht auf Basis von Meinungsfreiheit auf welcher Grundlage sollte man dann einen Unsinn wie @blockempfehlung, der ganz offensichtlich darauf aus ist, Dritte vom gleichberechtigten Zugang zu Twitter auszuschließen und bestimmte Meinungen zu diskreditieren, dulden? Hier zeigt sich ganz offen, dass die Blockempfehler affektiv an Begriffe gebunden sind, und nicht begründen können, warum sie wogegen sind, kurz: Sie wissen nicht, was sie tun, sie sind im Stadium eines nicht verantwortlichen Kindes verblieben.

Literatur

Heitmeyer, Wilhelm (1992). Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation. Weinheim: Juventa.

Perls, Frederic S., Hefferline, Ralph F. & Goodman, Paul (1991). Gestalttherapie. Grundlagen. München: dtv.

Rotter, Julian B. (1954). Social Learning and Clinical Psychology. Englewood-Cliffs: Prentice-Hall.

Tajfel, Henri (1982)(ed.). Social Identity and Intergroup Relations. London: Cambrigde University Press.

Turner, Jonathan (1987). Rediscovering the Social Group: A Self-Categorization Theory. Oxford: Basil Blackwell.

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