Der Meinungsforschungskrieg um die Lügenpresse

Der Stachel der Lügenpresse, er sitzt tief im Fleisch öffentlich-rechtlicher Anstalten und ihrer Vertreter.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht versucht, wird, den Begriff Lügenpresse und die, die ihn verwenden, zu diskreditieren und im Gegenteil zu zeigen, dass die Medien eine Wahrheitspresse sind.

Der neueste Versuch stammt vom Westdeutschen Rundfunk. Dieses Mal wurde nicht Forsa mit einer Meinungsumfrage betraut, sondern Infratest dimap. Die Infratest-Umfrage ist besser gemacht als die Umfrage von Forsa. Nichtsdestotrotz sind die Elemente der Manipulation klar erkennbar.

Verweilen wir zunächst beim Begleitbericht des WDR, in dem Folgendes zu “Lügenpresse” zu lesen steht:

WDR infratest“So teilen auch 72 Prozent den Vorwurf der “Lügenpresse” nicht – ein nationalsozialistischer Schmäh- und Kampfbegriff, der vor allem bei den “Pegida”-Protesten verwendet wird. Nur 20 Prozent gaben an, dass sie persönlich von “Lügenpresse” sprechen würden, wenn sie an Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschland denken.”

Nun Lügenpresse ist nicht nur ein Schmäh- und Kampfbegriff, den die Nazis verwendet haben. Tatsächlich haben ihn auch die Nazis verwendet.

Verwendet haben ihn außerdem, wie Wikipedia unter Angabe von Quellen zeigt: “Organisationen der Arbeiterbewegung zur Abwertung von als bürgerlich oder kapitalistisch wahrgenommenen Teilen der Presse sowie …[die] Exilpresse als Bezeichnung für die gleichgeschalteten NS-Medien …. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam das Wort zunächst nur mehr sporadisch vor. Die ab August 1945 erscheinende Frankfurter Rundschau verstand sich explizit als Gegenentwurf zu „Hugenbergs Lügenpresse“. In den Medien der DDR wurde das Wort im Kalten Krieg gelegentlich zur Herabsetzung der westdeutschen Presse benutzt. Für die Westdeutsche Studentenbewegung lässt es sich im Rahmen der Anti-Springer-Kampagne nachweisen”.

Kurz: Lügenpresse ist weder eine Erfindung der Nazis noch der Pegida, es ist ein Begriff, der immer dann auftaucht, wenn Teile der Bevölkerung sich aus einer einseitigen Berichterstattung ausgeschlossen fühlen, den Eindruck haben, sie sollen manipuliert werden oder ideologisch unpassende Inhalte ihrerseits abwerten wollen.

Nun zur Umfrage von Infratest dimap, die nach Ansicht eines anonym gebliebenen Schreibers des WDR zeigt, dass der “überwiegende Teil der Bundesbürger” es völlig “anders sieht als Pegida”. Wobei anders meint: dass der überwiegende Teil der Bevölkerung keine Verachtung gegenüber den Medien hat.

Infratest dimap hat gerade einmal 750 Befragte zusammen bekommen, 750 Deutsche aus der wahlberechtigten Bevölkerung ab 18 Jahre. Ein Anteil von einem Prozent entspricht somit 7-8 Befragten, immer vorausgesetzt, dass alle Befragten auch auf alle Fragen geantwortet haben.

Jeder, der sich schon einmal mit quantitativen Befragungen beschäftigt hat, weiß, dass Befragte nicht zu allen Fragen etwas sagen. Generell kann man drei Gruppen von Befragten unterscheiden:

  1. Schnell hill esserBefragte, die ein Interview zu Ende führen und zu jeder Frage etwas Inhaltliches sagen.
  2. Befragte, die ein Interview zu Ende führen aber nicht zu jeder Frage etwas Inhaltliches sagen.
  3. Befragte, die ein Interview nicht zu Ende führen, es abbrechen, weil sie über eine Frage verärgert sind oder keine Lust oder keine Zeit mehr haben, um das Interview zu Ende zu führen oder die zu keiner Frage eine inhaltliche Angabe machen.

Als Konsequenz gibt es fehlende Werte. Auf Frage 5 haben vielleicht 700 der 750 Befragten eine inhaltliche Antwort gegeben, 50 Befragte haben weiß nicht, keine Ahnung oder nichts gesagt, was sich als Antwort verwerten lässt. Die Anzahl der Befragten, die Frage 5 beantwortet haben, ist demnach um 6,7% geringer als die Anzahl der Befragten in der Gesamtstichprobe. Nur: Das sagt natürlich kein Meinungsforschungsinstitut. Alles, was man von Meinungsforschungsinstituten zu lesen bekommt, ist die Anzahl der insgesamt Befragten. Wie viele davon auf die jeweiligen Fragen geantwortet haben, wie viele als so genannte “missing values” klassifiziert werden mussten, weil sie keine inhaltliche Antwort gegeben haben, das sind Fragen, auf die Meinungsforschungsinstitute keine Antwort geben.

Das Verheimlichen relevanter Informationen, die notwendig sind, um die Qualität einer Befragung zu beurteilen, ist dann eine Form der Manipulation, wenn es absichtlich erfolgt. Man muss davon ausgehen, dass es absichtlich erfolgt, da die entsprechende Angabe zum grundlegenden Handwerkszeug gehört, das ein empirischer Sozialforscher während seiner Ausbildung an Hochschulen erlernt, und die Meinungsforschungsinstitute, sie beschäftigen doch nach eigenen Angaben wissenschaftlich ausgebildete Mitarbeiter.

Infrastet dimap ist eines der Meinungsforschungsinstitute, die schon etwas länger auf dem Markt sind. Entsprechend sind die Methoden des systematischen Vorgaukelns von Wissenschaftlichkeit feiner entwickelt als sie das zum Beispiel bei Forsa sind. So steht zu Beginn der Befragung unter dem Stichpunkt “Untersuchungsanlage” Folgendes zu lesen:

“Fehlertoleranz: 750 Befragte: 1,2* bis 3,5** Prozentpunkte; * bei einem Anteilswert von 5% ** bei einem Anteilswert von 50%.”

Was kann damit gemeint sein? Eine Fehlertoleranz ist gemeinhin ein Bereich, in dem z.B. ein Bohrloch von seiner optimalen Tiefe abweichen kann, ohne dass das Bild von der Wand fällt, nachdem es an den Haken, der im Dübel im Bohrloch verankert wurde, gehängt wurde.

Nimmt man an, dass der Anteilswert den Anteil von Befragten meint, dann kann man errechnen, dass Antworten von 5% der Befragten, also von 37 Befragten, immer vorausgesetzt, alle haben geantwortet, mit einem Fehlerwert von 1,2% belastet sind, d.h. die Angaben, für 9 der 37 Befragten können gemessen an einer fiktiven Grundgesamtheit falsch sein. Bei 50% also wenn 375 Befragte geantwortet haben, beträgt die entsprechende Anzahl falscher Antworten: 26. Jetzt kommt der statistische Gag an der Sache, der Fehler kann eine Abweichung in entweder die eine oder die andere Richtungen zur Folge haben! Aus den 9 werden somit 18, aus den 26 52 Befragte, die falsch ausgewiesen sind.

Klingt etwas kryptisch, erschließt sich aber, wenn man weiß, dass die Befragung von Infratest dimap “repräsentativ” sein soll. Insofern geben die Fehlertoleranzen die Abweichung vom richtigen Ergebnis, wie man es finden würde, befragte man die geamte Bevölkerung, an. Ein mit 4,5% ausgewiesener Wert, hat somit einen Wertebereich von 3,3% bis 5,7%, alles, was in diesem Wertebereich liegt, kann die unter Annahme von Repräsentativität richtige Antwort sein. Stimmen 45% einer Antwortvorgabe zu, dann liegt der repräsentativ richtige Wert in einem Wertebereich von 41,5% bis 48,5%, was eine Abweichung von einmal 2,4% bis 7% (18 bis 52 Befragte) vom ausgewiesenen Wert bedeutet.

In der Befragung sagen 72% auf die Frage, “Im Zusammenhang mit den Protesten der Pegida-Bewegung wird häufiger der Begriff Lügenpresse verwendet. Wenn Sie an Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschland denken, würden Sie persönlich dann von Lügenpresse sprechen oder nicht?”: “Nein, würde nicht von Lügenpresse sprechen”.

72% der Befragten, die geantwortet haben (wie viele der 750 insgesamt Befragten, das auch gewesen sein mögen), haben also “nein” gesagt. Diese 72% von bestenfalls 750 Befragten werden nun kurzerhand auf die Bevölkerung übertragen, und es wird behauptet, dass 72% der Bevölkerung “nein” sagen, was sie natürlich nicht tun, denn 72% der Bevölkerung wurden nie befragt. Würde man korrekt vorgehen, dann müsste auf Grundlage der oben angegebenen Fehlertoleranzen formuliert werden: Würde man die gesamte Bevölkerung befragen, ob sie den Begriff Lügenpresse verwenden würde, wenn sie an Zeitungen, Radio, Fernsehen in Deutschland denken, dann wäre zu erwarten, dass zwischen 68,5% und 75,5% der Bevölkerung sagen würden, dass sie diesen Begriff nicht verwenden.

Das wäre die korrekte Formulierung, wenn man repräsentative Daten hätte. Nun sind, wie wir schon mehrfach dargestellt haben, die Daten von Meinungsforschungsinstituten nicht repräsentativ, sie können es gar nicht sein, denn Repräsentativität beschreibt ein Ideal, keine empirische Realität. Aber natürlich ist die Behauptung von Repräsentativität für Meinungsforschungsinstitute sehr wichtig. Wer würde einen Pfifferling auf Ergebnisse, basierend auf 750 Befragten geben, wenn sie nicht mit der Behauptung der Repräsentativität daher kämen? Die Symbolik “Repräsentativität” schafft hier nicht nur die Bedeutung des Ergebnisses, sie sorgt auch dafür, dass man Zahlen als vermeintlich repräsentative Zahlen teuer verkaufen und anderen als Beschreibung der Realität auftischen kann.

Soweit zu einigen der technischen Tricks, die mit angeblichen repräsentativen Meinungsumfragen verbunden sind. Nun zu den inhaltlichen Tricks. Wie gesagt, die Befragung von Infratest ist gut gemacht. Der manipulative Teufel, er liegt im Detail, er findet sich in einem Hin und Her der Basis der Fragen.

Hier die Zusammenfassung:

  1. WDR infratest 2
    Hier gibt es die komplette Umfrage.

    Bewertung der Qualität des Informationsangebot aller deutschen Medien – unspezifizierte Frage;

  2. Entwicklung des Vertrauens in alle deutsche Medien – unspezifizierte Frage;
  3. Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Informationen in allen deutschen Medien – unspezifizierte Frage;
  4. Einschätzung der Glaubwürdigkeit einzelner vorgegebener Medien – spezifizierte Frage;
  5. Bewertung genutzter Informationsquellen; – spezifzierte Frage
  6. Bewertung des Vorwurfs der Lügenpresse gegenüber allen deutschen Medien – unspezifizierte Frage;
  7. Bewertung von Lügen in deutschen Medien; spezifizierte Frage;
  8. Einschätzung von Vorgaben der Politik für die Berichterstattung in allen Medien – undspezifizierte Frage

Die Darstellung zeigt ein sehr gekonnt konstruiertes Beispiel dafür, wie man Fragen stellt, ohne die relevanten Fragen zu stellen. Wem ist zum Beispiel aufgefallen, dass die Frage nach der Lügenpresse sich auf alle deutsche Medien bezieht, eine Antwort mit “ja” somit alle deutschen Medien über einen Kamm schert, während sich der Vorwurf der Lügenpresse auf die öffentlich-rechtlichen Medien und Medien bestimmter ideologischer Färbung bezieht. Dagegen ist die Frage danach, ob man glaubt, dass in deutschen Medien absichtlich die Unwahrheit gesagt wird, nachträglich spezifiziert worden, was mit der Lügenpresse-Frage auch möglich gewesen wäre, aber nicht gemacht wurde. Insgesamt ergibt sich ein Bild der Abfolge von unspezifizierten Fragen und von spezifizierten Fragen, wobei unspezifizierte Fragen die Norm darstellen und spezifierte Fragen nachgeschoben werden.

Warum? Weil man einen Kontexteffekt ausnutzen will. Wenn man ganz allgemein und undifferenziert fragt, ob jemand alle Medien für Lügenpresse hält, hat man allein durch die Frage die Wahrscheinlichkeit einer Zustimmung verringert, denn wer würde schon alle Medien über einen Kamm scheren wollen? Um so erstaunlicher, dass 20% der Befragten tatsächlich sagen, sie würden im Zusammenhang mit allen Medien in Deutschland von Lügenpresse sprechen. Eigentlich ein Hammer und mit Sicherheit kein Grund zur Entwarnung! Hat man durch eine unspezifizierte Vorgängerfrage die Wahrscheinlichkeit bestimmter Antworten reduziert und fragt dann spezifisch nach, dann wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass diejenigen, die ursprünglich “nein” gesagt haben, nun bei einer spefizischen Nachfrage “ja” sagen, sie wird deshalb reduziert, weil Befragte versuchen, konsistent zu antworten.

Der Kontexteffekt lässt sich jedoch gegen seinen Nutzer wenden, nämlich dann, wenn hoch affektiv besetzte Themen dazu führen, dass Befragte keinen besonderen Wert auf die Konsistenz ihrer Antworten legen und sich der Kontexteffekt als Folge davon abschwächt. Im Resultat würde man als Ergebnis dieser Manipulation widersprüchliche Ergebnisse erwarten, und das ist genau, was die Umfrage von Infratest dimap produziert hat:

  • 71% der Befragten halten öffentlich-rechtliches Fernsehen für glaubwürdig. 81% der Befragten halten öffentlich-rechtliches Fernsehen für vertrauenswürdig.
    • ABER: 30% der Befragten glauben, dass sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen belogen werden. Entsprechend können nicht 81% der Befragten das öffentlich-rechtliche Fernsehen als vertrauenswürdig ansehen. Ein glatter Widerspruch, der sich aus dem Hin und Her der spezifischen und unspezifischen Fragen ergibt, der versuchten Manipulation der Befragten.
    • ABER: 42% der Befragten sind der Ansicht, dass Staat und Regierung Vorgaben für die Berichterstattung in Medien machen, und 49% der Befragten sind der Ansicht, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen staatlich gelenkt ist. Abermals ist es ein glatter Widerspruch, wenn dennoch 81% sagen, das öffentlich-rechtliche Fernsehen sei vertrauenswürdig oder 71% der Befragten das öffentlich-rechtliche Fernsehen für glaubwürdig halten. Es ist jedenfalls dann ein Widerspruch, wenn man die Prozentrechung im Wertebereich von 0% und 100% betreibt.

Bei derart krassen Widersprüchen fragt man sich unwillkürlich, was die Infratester da gemessen haben und wie viele Befragte jeweils Antworten auf die entsprechenden Fragen gegeben haben. Unabhängig von den Antworten auf diese Fragen kann man feststellen, dass die Befragung von Infratest dimap alles andere als valide ist. Man kann sie schlicht in den Mülleimer werfen, dorthin, wo sich der Rahmenbeitrag, den ein anonymer Schreiber des WDR geschrieben hat, um abermals ins Hirn der Leser zu nageln, dass Pegida und nur Pegida für den Vorwurf der Lügenpresse verantwortlich ist, bereits befindet.

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