Playdoyer für Wachstum
Paqué, Karl-Heinz (2010). Wachstum! Die Zukunft des globalen Kapitalismus. München: Hanser.
Die letzten Jahrhunderte sind für Industrienationen durch ein wirtschaftliches Wachstum geprägt, das nicht nur dafür gesorgt hat, dass eine immer größer werdende Bevölkerung ernährt werden kann, es hat auch dafür gesorgt, dass der indivíduelle Lebensstandard in Industrienationen ein Maß erreicht hat, das ein sorgloses, also von den unmittelbaren Nöten der menschlichen Existenzsicherung befreites Leben ermöglicht. Diese Erfolgsbilanz wirtschaftichen Wachstums hat nicht nur die Grundlagen für ein sorgloses Leben geschaffen, sie hat auch die Basis geschaffen, auf der eine wachsende Anzahl von Wachstumskritikern das wirtschaftliche Wachstum als solches in Frage stellt. Gegen diesen Trend des “Anti-Wachstums”, der durch vermeintliche Großkrisen des Kapitalismus wie die Subprime-Mortgage Krise amplifiziert wird, stellt sich Karl-Heinz Paqué mit seinem Buch über “Wachstum”.
Paqué versucht nicht nur eine differenzierte Sichtweise in eine in weiten Teilen schwarz-weiße Wachstumskritik einzuführen, er versucht auch Zusammenhänge aufzuzeigen, die denjenigen, die die Grenzen des Wachstums zu sehen glauben bzw. die das Ende des Wachstums ausrufen, vermutlich nicht bewusst oder bekannt sind. Ein gutes Beispiel solcher Art differenzierten Denkens findet sich bereits auf Seite 27 in der Folge einer Unterscheidung in quantitatives und qualitatives Wachstum: “Es geht übrigens keineswegs nur um Wissen, das ausschließlich privatwirtschaftlich verwertbar ist. Auch Kunst und Kultur sowie die Grundlagenforschung in den wirtschaftfernsten Gebieten leben massiv davon, und zwar ziemlich direkt. … Damit wird aber auch klar: Der Verzicht auf Wachstum, das ist eigentlich eine merkwürdige Forderung. Sie bedeutet nämlich den Verzicht auf die Umsetzung von neuem Wissen in eine qualitativ bessere und vielfältigere Produktwelt…” (27).
Diese These, nach der quantitativer wie qualitativer Fortschritt in einer Gesellschaft nur durch wirtschaftliches Wachstum möglich ist, konfrontiert Paqué im weiteren Verlauf seines Buches mit allen vermeintlichen Problemen, die Wachstum in Zukunft nicht nur behindern, sondern unmöglich machen sollen. Am Beispiel des demographischen Wandels sowie der Klimaveränderungen zeigt Paqué, dass die daraus entstehenden Forderungen nach (wie heißt es doch so schön) nachhaltiger Veränderung nur durch Wachstum erfüllt werden können. Sodann nimmt sich Paqué die Finanzkrise und die Zukunft des Sozialstaates vor. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Finanzkrise eine Reihe von neuen Chancen und Möglichkeiten eröffnet, die (was wohl?) wirtschaftliches Wachstum befördern, eine Argumentation, die in diesem Blog bereits im Zusammenhang mit rational bubbles angesprochen wurde. Schließlich zeigt Paqué, dass auch an ein Aufrechterhalten des Sozialstaates nur zu denken ist, wenn wirtschaftliches Wachstum die finanziellen Grundlagen dafür schafft.
Paqué argumentiert überzeugend für die Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstums, schweift in manchen seiner Kapitel (z.B. beim Klima) etwas vom Thema ab, stellt ökonomische Zusammenhänge weitgehend verständlich dar und ist nur darin zu kritisieren, dass er sich scheut, den letzten Schritt in seiner Argumentation zu machen. Dieser letzte Schritt besteht darin, die von ihm beschriebenen Prozesse als normale Form von Veränderung zu beschreiben, wie es sie seit Jahrhunderten gibt und auch weiterhin geben wird. Daraus folgt, dass Wachstumskritiker sich gegen Veränderung sperren und versuchen, die Zeit anzuhalten, was sie in eine Reihe mit Heraklit stellt, der auch schon darüber besorgt war, dass “alles im Fluss ist”. Versuche, Veränderungen zu unterbinden oder den Status quo als unveränderlich festzuschreiben, hat es in der Geschichte etliche gegeben. Sie sind fast ausnahmslos im Faschismus geendet. Schon aus diesem Grund, aber nicht nur aus diesem Grund, ist das Buch von Karl-Heinz Paqué, das Veränderung als normalen Prozess beschreibt, ein wichtiges Buch.
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Ist Dauerhaftes Wachstum z.B. jedes Jahr 10% mehr Autos möglich, wenn ja bitte um Ausführliche Antwort und bitte mit einem Graphen welche die Entwicklung über einen Zeitraum von 200 Jahren anzeigt
Was Passiert mit der Wirtschaft in welcher kein Sozialsystem existiert (staatliche Rentenversicherung, Krankenversicherung, Sozialhilfe usw.) wenn eben diese für die nächsten 20 Jahre nicht mehr wächst.
Der Autor befindet sich in der gleichen Matrix wie diejenigen die er kritisiert. Er setzt bei seinen Thesen voraus, dass es ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen nur geben kann, wenn diese für den Verzicht auf angespartes Kapital eine Liquiditätsprämie ( Zins-/ und Zinseszins ) erhalten.
Er sollte sich einmal Gedanken darüber machen, dass wir kein Wachstums, sondern ein Verteilungsproblem haben.
Ginge er das Thema mit einer sozioökonomischen Sichtweise an würde er schnell merken, dass das Problem seit Jahrtausenden unser Kreditgeld mit Zinseszins System ist.
Wir brauchen ein neues Denken hinsichtlich der überproportional wachsenden Vermögen gegenüber des realen Wirtschaftswachstums, damit uns in der Zukunft nicht wieder Kanonen um die Ohren fliegen, wenn das angewachsene Kapital keine Verzinsung mehr findet, nachdem auch der letzte Arbeiter bis auf´s Blut ausgepresst wurde.
Hier wären Ansätze wie sie beispielsweise Silvio Gesell mit dem Freigeld erarbeitet hat eine gute Grundlage. Vereinfacht: Wird Kapital nicht eingesetzt, wird es abgezinst analog der tatsächlich vorhandenen ( Gesamt-) Wirtschaftsleistung. Dies schafft Inflation und Deflation ab und verhindert durch die Tatsache, dass eine Bürgerkommission anhand verläßlicher Daten den Abzinsungsfaktor ermittelt, eine Machtkonzentration auf Wenige, wie wir sie derzeit erleben. Man könnte es die natürliche Wirtschaftsordnung nennen, denn sie orientiert sich an der Natur in der alles transformiert aber nicht bis in´s Unendliche wächst.
Ich oute mich als 80 Seiten-Leser des Paqué Buches. Es ist eines von vielen innerhalb einer Matrix des Geldsystems ohne Ansätze eines unbedingt erforderlichen neuen Denkens.
Das ZinsZins Problem ist mir bekannt als auch die Ansätze von Silvio Gesell (wissensmanufaktur.net) und die von Prof.Hoermann.
Beispiel:
»Der Verzicht auf Wachstum, […] bedeutet nämlich den Verzicht auf die Umsetzung von neuem Wissen in eine qualitativ bessere und vielfältigere Produktwelt […]«
Ganz im Gegenteil: Der vernünftige Verzicht auf Quantität ermöglicht erst eine Vielfalt, welche in ihrer Ganzheit (Gesamtbilanz) unter dem Strich hochwertiger ist und uns mehr Lebensqualität bietet.
Dies schreibe ich als bekennender Minimalist ohne asketische Kost- und Genussverachtung. Für die aus meiner Sicht Kranken mit Dekadenz im Endstadium ist dies jedoch keine Lebensqualität sondern irgendetwas zwischen erbärmlich und krank, weil für sie die Hochseejacht inklusive Helikopter zur Lebensqualität gehört. Womit wir bei den ethischen Interessenkonflikten wären aus denen diverse Informationsverweigerungen auf der Skala von Fahrlässigkeit bis Vorsatz resultieren.
Für klareres Denken hilft übrigens die Unterlassung von Nebel und Mystifizierung. Bitte einfach bei Produkten und unserer einen Welt bleiben, statt sich in Produktwelten, Katzenfloherholungswelten, … zu verirren.
Laser51993, danke für die Erinnerung an Franz Hörmann! Den vergaß ich leider in diesem Tweet.